Schadenersatz nach Covid-Infektion abdingbar?
Schadenersatz nach Covid-Infektion abdingbar?
Geht es um Ansprüche, die dem DN bereits zustehen oder in Zukunft (möglicherweise) zustehen werden, aber vom DG nicht erfüllt werden sollen, sind zwei Varianten zu unterscheiden: Für bereits entstandene Ansprüche steht der Verzicht zur Verfügung. Ist der Anspruch noch nicht entstanden, muss er dienstvertraglich abbedungen werden. Zur Beurteilung der Wirksamkeit derartiger Erklärungen bei aufrechtem oder schon beendetem Dienstverhältnis finden sich hinreichende Anhaltspunkte in Lehre und Rsp. Weniger geläufig sind pro futuro ausgerichtete Verzichtserklärungen, die ein Dritter vom DN abverlangt und deren Verweigerung der DG mit Entlassung bedroht. Gänzlich außerhalb bisheriger Erfahrungen stehen letztlich Verzichtserklärungen, die nicht nur arbeitsrechtliche, sondern auch arbeitnehmerschutzrechtliche, sportrechtliche, sozialrechtliche und schadenersatzrechtliche Inhalte berühren. Ein all diese Elemente umfassender Sachverhalt spielte sich im Herbst 2021 im Berufssport ab. Er betraf rund 350 (ausschließlich männliche) Professionals in der obersten österreichischen Eishockeyliga, einschließlich der zweiten Leistungsstufe waren es etwa 700 bis 800.
Auszugehen ist von einem Dreiecksverhältnis: Eine Liga organisiert eine Meisterschaft. Diese wird von einer bestimmten Anzahl von Vereinen (im sportrechtlichen Jargon „Clubs“) ausgetragen. Die Berechtigung zur Teilnahme an der Meisterschaft erteilt die Liga selber (dazu unten unter 6.1. und 6.2.). Spieler sind ausschließlich DN der Clubs, nicht der Liga. Die Liga erteilt oder verweigert ihnen aber die Teilnahmeberechtigung an der Meisterschaft (in der sportrechtlichen Diktion „Lizenz“).
Der von der Liga* von den Spielern der Clubs* geforderte Verzicht hatte folgenden Wortlaut:
„Ich erkläre ausdrücklich, dass ich an der oben genannten Liga auf eigenes Risiko als SPIELTEILNEHMER ODER MITARBEITER DES ON-ICE TEAMS dieser Liga teilnehme und dass ich im Zusammenhang mit einer möglichen Infektion mit COVID-19 im Rahmen der ICE-Hockey-League ausdrücklich und endgültig auf jegliche Ansprüche gegen die Liga oder die Ligaorganisation sowie gegen den jeweiligen Veranstalter der Ligaspiele verzichte.“
Die Abgabe der Verzichtserklärung wurde einige Wochen nach Abschluss eines befristeten Dienstvertrags knapp vor Beginn des Wettbewerbs und bei sonstiger Verweigerung der Teilnahmeberechtigung durch die Liga gefordert. Seitens der Clubs war die Verweigerung mit Entlassung bedroht. Diese wurde auch realisiert.
Die Rechtsgrundlage für den Verzicht bildet die Entsagung gem § 1444 ABGB.* Nach dessen (wörtlichem) Inhalt „kann der Gläubiger in allen Fällen, in welchen er berechtigt ist, sich seines Rechtes zu begeben, demselben auch zum Vortheile seines Schuldners entsagen, und hierdurch die Verbindlichkeit des Schuldners aufheben“
.
Schon aus dem Wortlaut der Norm ergibt sich die Einschränkung der Zulässigkeit auf Konstellationen, die den Gläubiger zum Verzicht berechtigen. Klassische Fälle fehlender Berechtigung sind zwingende Bestimmungen des Arbeitsrechts. Als Beispiele seien die §§ 1164 ABGB, 40 AngG,* 16 AVRAG,* 12, 17 UrlG,* 3 ArbVG* uva genannt.
Die Abbedingung ist, so sie zustande kommt, Teil des Dienstvertrags. Sie setzt nicht, wie der Verzicht, eine schon entstandene Forderung voraus. Sie kommt vielmehr zum Tragen, wenn eine Norm eine Position einräumt, die erst pro futuro (idR nach Erbringung von Leistungen) einen Anspruch entstehen lässt. So statuiert beispielsweise § 2 UrlG nach einer Dienstzeit von sechs Monaten einen Urlaubsanspruch von 30 Werktagen. § 12 UrlG ordnet die Unabdingbarkeit an. Folglich können die dem AN aufgrund des § 2 UrlG zukommenden Rechte durch (ua) Arbeitsvertrag nicht abbedungen werden.
Sozialpolitisch beruhen Unabdingbarkeitsbestimmungen auf der Annahme, der DN befinde sich im Verhältnis zum DG in der schwächeren Position. Die zwingende Norm des Arbeitsrechts soll dieses Ungleichgewicht austarieren. Dem AN soll durch das unabdingbare Einkommen ein angemessener Le61bensstandard und durch ebenfalls unabdingbare Urlaubsansprüche oder Normen des AN-Schutzrechts eine stabile Gesundheit gesichert werden. Ausgehend von diesen Normzwecken folgt aus der Unabdingbarkeit der Ansprüche ihre Unverzichtbarkeit.* Die Unabdingbarkeit ist Ausprägung der das gesamte Arbeitsrecht durchziehenden Schutzfunktion gesetzlicher Vorschriften zugunsten des AN.*
Nutzt der AG eine allgemeine Zwangslage des AN aus, kann eine Verschlechterungsvereinbarung nichtig sein. Nach der von Lehre und Rsp entwickelten Drucktheorie kann der AN auf im bestehenden Arbeitsverhältnis entstandene, unabdingbare Ansprüche nicht verzichten. Begründet der wirtschaftliche Druck die Sittenwidrigkeit, sind vom Verzichtsverbot auch abdingbare Ansprüche umfasst. Entscheidend ist der in wirtschaftlicher Betrachtung aufrechte Bestand des Arbeitsverhältnisses.* Die Tatsache, dass das Arbeitsverhältnis zwar nicht rechtlich, wohl aber wirtschaftlich bereits beendet ist, spricht regelmäßig für einen nicht unter Druck, sondern frei abgegebenen und damit voll rechtswirksamen Verzicht.* Andererseits kann selbst außerhalb eines formell bestehenden Arbeitsverhältnisses wirtschaftlicher Druck gegeben sein.* Ob bei Abgabe einer Erklärung eine unzumutbare Drucksituation für den AN vorliegt, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab.*
Nach § 879 Abs 1 ABGB ist ein Vertrag, der gegen ein gesetzliches Verbot oder gegen die guten Sitten verstößt, nichtig. Im gegebenen Zusammenhang (Schadenersatz nach Covid-19-Infektion) existiert kein gesetzliches Verbot, auf Schadenersatz zu verzichten. Folglich ist im Anlassfall die zweite Variante, nämlich der Verstoß gegen die guten Sitten, zu prüfen.
Sittenwidrigkeit liegt vor, wenn eine Interessenabwägung eine grobe Verletzung rechtlich geschützter Interessen ergibt oder bei Interessenkollision ein grobes Missverhältnis zwischen den durch die Handlung verletzten und den durch sie geförderten Interessen besteht. Dabei sind Wertprinzipien der gesamten Rechtsordnung oder grundlegende Wertungen des im Einzelfall betroffenen Rechtsgebiets (hier Arbeitsrecht, letztlich aber auch Sanitätsrecht) heranzuziehen.* Beurteilungskriterien sind die Übermacht einer Vertragspartei, eine etwaige Monopolstellung oder die Ausnutzung einer Machtposition.*
Sittenwidrigkeit findet sich überall dort, wo faktische Übermacht eines Beteiligten ihm die Möglichkeit der Fremdbestimmung über andere gäbe.*
In olympischen Sportarten,* zu denen Eishockey gehört, werden die Sportregeln (lex sportiva) in einer hierarchischen Struktur vom jeweils obersten, weltweiten Verband vorgegeben. Für die Teilnahme an nationalen Meisterschaften bedarf es regelmäßig einer Lizenz.* Deren Erteilung bewirkt die Teilnahmeberechtigung für einen Wettbewerb. Sie wird üblicherweise vom nationalen Dachverband oder einer ausgegliederten Institution vor Wettbewerbsbeginn vergeben.* Einer Lizenz bedürfen sowohl die „Clubs“* als auch die bei den Clubs in einem Dienstverhältnis stehenden Spieler. Die Lizenzen und die für die Erteilung maßgeblichen Voraussetzungen sind jedoch je nach Sportart sehr unterschiedlich. Gelegentlich werden sie gar nicht als „Lizenz“ bezeichnet, sondern mit anderen Ausdrücken versehen. Wie auch immer bezeichnet, beinhalten sie die Erklärung des Spielers und des ihn beschäftigenden Clubs, die Lex Sportiva in Gestalt der sportartspezifischen Sportregeln zu kennen und sich ihnen zu unterwerfen. Abseits des Arbeitsrechts (in Österreich gilt § 9 Abs 2 ASGG*) wird häufig die 62(echte) Schiedsgerichtsbarkeit zur Streitbeilegung vereinbart.
ISd Verbandshierarchie existiert – wenn auch auf verschiedenen Leistungsebenen – nur ein nationaler Veranstalter der Meisterschaft. Dieser hat eine Monopolstellung inne, die gelegentlich (Beispiel Fußball, Eishockey) sogar auf europäische Bewerbe ausstrahlt.* Der Spieler hat daher im Professionalsport grundsätzlich* keine Möglichkeit, auf einen anderen Lizenzgeber auszuweichen. Die Verweigerung der Lizenz begründet für ihn de facto ein Berufsverbot.
Dienstvertrag und Lizenz sind streng auseinander zu halten. Die Lizenz ist ein rein sportrechtliches Instrumentarium zur Regelung der Teilnahme an Wettbewerben.* Ihre Ausgestaltung ist den Verbänden im Rahmen der grundrechtlich gesicherten Autonomie überlassen. Deren Grenze bildet zwingendes staatliches und überstaatliches Recht. Der Dienstvertrag bewegt sich ausschließlich im Rahmen des staatlichen oder überstaatlichen Rechts, welches einseitig oder zweiseitig zwingende, aber auch nachgiebige Normen enthält. Der Dienstvertrag wird zwischen Spieler und dem ihn beschäftigenden Club geschlossen. Die Lizenz hingegen erteilt idR der nationale oder ein von diesem ausgegliederter Verband.
Auch an dieser Stelle muss darauf hingewiesen werden, dass der DN-Begriff innerhalb der EU schon lange kein ausschließlich nationalstaatlicher ist. Nach dem EuGH* ist der Begriff „Arbeitnehmer“ in Art 141 Abs 1 EG (Rechtslage zum Zeitpunkt der E) nicht durch Verweisung auf die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten zu definieren, vielmehr hat er gemeinschaftsrechtliche Bedeutung. Außerdem kann er nicht eng ausgelegt werden. IS dieser Vorschrift ist als AN anzusehen, wer während einer bestimmten Zeit für einen anderen nach dessen Weisung Leistungen erbringt, für die er als Gegenleistung eine Vergütung erhält. Die formale Einstufung als Selbständiger nach innerstaatlichem Recht schließt nicht aus, dass jemand als AN iS von Art 141 Abs 1 EG (Rechtslage zum Zeitpunkt der E) einzustufen ist, wenn seine Selbständigkeit nur fiktiv ist und damit ein Arbeitsverhältnis iS dieses Artikels verschleiert wird.
Immer wiederkehrenden Versuchen von Clubs und Verbänden, im Berufssport tatsächlich als AN tätige Personen als Selbständige zu qualifizieren, ist daher eine Absage zu erteilen.*
Die Regelungsbefugnis der Vereine und Verbände ist Ausfluss eines im 19. Jahrhundert von Bürgern, Arbeitern und Studenten (im Übrigen unter blutigen Opfern) gegen Adel und Kirche erkämpften Grundrechts, nämlich jenes der Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit. Zum Verfassungsbestand wurde die Vereinsfreiheit innerstaatlich durch das Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger von 1867. Sie ist gegenwärtig mehrfach verfassungs-, grund- und europarechtlich abgesichert, und zwar durch die Bestimmung des Art 12 StGG, durch Art 12 der Grundrechtecharta der EU und letztlich durch Art 11 der EMRK. Das Recht der Vereinsgründung beinhaltet das Recht zur Selbstverwaltung in eigenen Angelegenheiten. Daraus erfließt der „autonome Bereich“, der Vereinen, Verbänden und Dachverbänden – so auch im Sport – die Regelung innerer Angelegenheiten erlaubt. Die Regelungsbefugnis findet an zwingenden Bestimmungen des staatlichen und überstaatlichen Rechts ihr Ende.
Die den Vereinen zustehende Autonomie kommt DG in Gestalt von Kapitalgesellschaften nicht zugute. Die Vereinigungsfreiheit schützt für bestimmte Bereiche der politischen Auseinandersetzung organisatorische Voraussetzungen und Rahmenbedingungen für die effektive Teilnahme am Kommunikationsprozess.* Kapitalgesellschaften sind in Ausübung ihrer Teilnahme am Wirtschaftsleben keine Adressaten der grundrechtlich normierten Vereinigungsfreiheit. Die Kapitalgesellschaft hat sich in ihrer Eigenschaft als Teilnehmerin am Wirtschaftsleben und als DG vielmehr an das für alle DG geltende Arbeitsrecht zu halten. Ein Rekurs auf den autonomen Bereich der Vereine und Verbände und damit ein Abgehen von den dienstnehmerschützenden Bestimmungen des Arbeits- und AN-Schutzrechts kann ihr – selbst bei Betätigung im Sport – nicht zugestanden werden.
Diese Auffassung stützt sich wesentlich auf die gefestigte Judikatur des EuGH zum Berufssport, insb in der Rs Bosman.* In den Erwägungsgrün63den 70 ff setzt sich der Gerichtshof mit den bereits damals von mehreren Verfahrensbeteiligten erhobenen Einwänden* zur Anwendung des Art 48 EWG (Rechtslage zum Zeitpunkt der E)* auf Angelegenheiten des Sports auseinander. Dem konnte der EuGH nichts abgewinnen. Nach den Zielen der Gemeinschaft falle nämlich die Ausübung des Sports insoweit unter das Gemeinschaftsrecht, als sie zum Wirtschaftsleben iS von Art 2 des Vertrages gehöre.* Dies treffe auf die Tätigkeit von Fußballprofis oder -halbprofis (sic!) zu, da diese eine unselbständige Tätigkeit ausüben oder entgeltliche Dienstleistungen erbringen.* Die Anwendung der Gemeinschaftsbestimmungen erfordere nicht einmal, dass der AG die Unternehmenseigenschaft besitze, es reiche bereits aus, dass ein Arbeitsverhältnis oder der Wille vorliege, ein solches zu begründen.
Von dieser stringenten Judikaturlinie ist der EuGH bislang nicht abgegangen.*
COVID-19* ist eine meldepflichtige Infektionskrankheit.* In sozialrechtlicher Betrachtung handelt es sich einerseits um eine „gewöhnliche“ Krankheit iSd § 120 Z 1 ASVG,* andererseits – in der hier gegenständlichen Konstellation – möglicherweise um eine Berufskrankheit nach § 177 Abs 1 ASVG iVm der Berufskrankheitenliste lfd Nr 38 der Anlage 1 zum ASVG. Letztere setzt voraus, dass die Erkrankung in einem spezifischen Unternehmen akquiriert worden ist. Solche Unternehmen sind Krankenhäuser, Heil- und Pflegeanstalten, […] Schulen, Kindergärten […] Justizanstalten und Hafträume […] und Unternehmen, in denen eine vergleichbare Gefährdung besteht. Ob diese „vergleichbare“ Gefährdungslage im Einzelfall vorhanden ist, muss durch ein medizinisches Gutachten geklärt werden. Nach Auffassung des Autors wird diese Frage im Eishockeysport wegen der intensiven und vielfältigen Kontakte der Spieler und stundenlanger Busfahrten eher zu bejahen sein. Zu berücksichtigen ist dabei, dass diese Kontakte in mehrmals wöchentlich oder sogar täglich stattfindenden Trainings und im Wettkampf unter Bedingungen anstrengungsindizierter, maximal möglicher Ventilation* stattfinden.
Sowohl Krankheiten nach § 120 Z 1 ASVG als auch Berufskrankheiten nach § 177 Abs 1 ASVG lösen Leistungspflichten der Träger der KV und UV aus. Resultiert aus der Erkrankung eine dauernde oder vorübergehende Invalidität oder Berufsunfähigkeit, ist der Pensionsversicherungsträger leistungszuständig. Die Leistungsverpflichtung der Träger umfasst Geld- und Sachleistungen.
Nach § 332 Abs 1 ASVG geht der Anspruch auf Ersatz für den durch einen Versicherungsfall entstandenen Schaden auf den Versicherungsträger* insoweit über, als dieser Leistungen zu erbringen hat. Nach der ausdrücklichen Anordnung des § 334 Abs 5 ASVG kann lediglich der Sozialversicherungsträger auf den Ersatz ganz oder teilweise verzichten, wenn der DG oder ein ihm Gleichgestellter (aber nicht ein Dritter!) den Arbeitsunfall (die Berufskrankheit) nicht vorsätzlich herbeigeführt hat und wenn die wirtschaftlichen Verhältnisse des Verpflichteten diesen Verzicht begründen. Im Übrigen ergeben sich Einschränkungen des Schadenersatzanspruchs nur aus dem Gesetz selber. Sie beziehen sich nur auf den DG, auf gesetzliche oder bevollmächtigte Vertreter des Unternehmers und auf Aufseher im Betrieb (§ 333 Abs 4 ASVG).
Wegen der zwingenden Wirkung dieser sozialrechtlichen Bestimmungen vermag selbst eine (hypothetisch) wirksame Verzichtserklärung des Geschädigten zugunsten des Schädigers den Regress der Sozialversicherungsträger nicht auszuschließen. Die Rückgriffsansprüche der Sozialversicherungsträger sind originär und bestehen unabhängig vom Schadenersatzanspruch des Verletzten.*
Nur der Vollständigkeit halber sei noch auf die Unterschiede in den Anforderungen an den Kausalitätsbeweis im Schadenersatzprozess (Spieler vs Club/Verband) und im sozialrechtlichen Leistungsprozess (Versicherter vs Versicherungsträger) eingegangen:64
Im Bereich der KV stellen sich im Allgemeinen keine Kausalitätsfragen. Grundsätzlich löst die Krankheit als solche unter Außerachtlassung ihrer Genese die Leistungspflicht des Versicherungsträgers aus.*
Im Bereich der gesetzlichen UV, also im sozialrechtlichen Prozess zwischen DN und Versicherungsträger, ist zur Klärung der Kausalität zwischen beruflicher Betätigung und Erkrankung der sogenannte modifizierte Anscheinsbeweis anzuwenden.* Er beruht auf der Annahme, bestimmte Geschehensabläufe seien typisch. Es sei daher wahrscheinlich, dass auch im konkreten Fall ein derartiger gewöhnlicher Ablauf und nicht ein atypischer gegeben ist.* Steht ein typischer Geschehensablauf fest, der nach der Lebenserfahrung auf einen bestimmten Kausalzusammenhang hinweist, gelten diese Tatbestandsvoraussetzungen auch im Einzelfall aufgrund ersten Anscheins als erwiesen. Die Entkräftung des Anscheinsbeweises geschieht durch den Beweis, dass der typische formelhafte Geschehensablauf im konkreten Fall nicht zwingend ist, sondern dass die ernste Möglichkeit eines anderen Geschehensablaufes besteht und darüber hinaus dem atypischen Geschehensablauf zumindest die gleiche Wahrscheinlichkeit zukommt.*
Im Schadenersatzrecht wird der Anscheinsbeweis dann als sachgerecht empfunden, wenn eine umfassende und konkrete Beweisführung vom Beweispflichtigen billigerweise nicht erwartet werden kann, weil Umstände beweisbedürftig sind, die allein in der Sphäre des anderen liegen, nur letzterem bekannt sein können und daher auch nur durch ihn beweisbar sind.
Davon kann in der gegebenen Konstellation kaum die Rede sein. Bei realistischer Betrachtung der Beweissituation dürfte der Anscheinsbeweis daher im Schadenersatzprozess zwischen Sportler und Club/Verband nicht zum Ziel führen, in der sozialrechtlichen Auseinandersetzung zwischen Versichertem und Träger jedoch schon. Demnach kommt dem Verzicht des Spielers gegenüber dem Verband kaum noch eine praktische Relevanz zu. Auf den sozialrechtlichen Regress hätte er jedenfalls – selbst bei privatrechtlicher Wirksamkeit – keinen Einfluss. Im Ergebnis kann dem Beharren der Clubs und des Verbandes auf der Unterfertigung der Verzichtserklärung, aber auch der Erklärung selber, ein gewisses Ausmaß an Entbehrlichkeit nicht abgesprochen werden.
Ein Verzicht auf Schadenersatz nach Gesundheitsschädigung kann, je nach Ausmaß der erlittenen Schädigung, beispielsweise bei krankheitsbedingt eintretender Arbeitsunfähigkeit, bis zu existenzbedrohenden, nur durch das staatliche Sozialsystem auffangbaren Beeinträchtigungen führen. Diese Konsequenz tritt durch die Covid-19-Infektion kurzfristig (für etwa vier Wochen) bei etwa 10 % der Betroffenen allerdings auch langfristig ein.* Damit erleidet der Verzichtende eine krasse Beeinträchtigung seiner Interessen, der vom Verzicht Begünstigte hingegen eine Freizeichnung für jede Art schädigenden Verhaltens, hier sogar für grobe Fahrlässigkeit und Vorsatz. Diese Interessenkollision begründet ein außerordentlich grobes Missverhältnis zwischen den durch den Verzicht beeinträchtigten und den durch ihn geförderten Interessen. In einer sozialpolitischen Betrachtung bewirkt die Freizeichnung überdies – jedenfalls im Verhältnis zwischen Erklärendem und Begünstigtem – eine freilich unzulässige Aushebelung der arbeitnehmerschutzrechtlichen Zielsetzungen. Die Verzichtserklärung ist daher per se sittenwidrig.*
Auch im Berufssport sind dienstvertragliche Angelegenheiten ausschließlich nach Arbeitsrecht zu regeln. Die den Vereinen zustehende Autonomie kommt nicht zum Tragen. In der gegenständlichen Fallkonstellation stellen sich allein deshalb keine weiteren Fragen zum Themenbereich Vereinsautonomie vs Arbeitsrecht, weil als DG eine Kapitalgesellschaft auftritt. Diese ist kein Adressat der Vereinsfreiheit.
Der zur Diskussion stehende Verzicht erfolgte bei – auch und gerade in wirtschaftlicher Betrachtung – aufrechtem Arbeitsverhältnis. Dem Verband kam eine Monopolstellung zu. Wegen der Lizenzhoheit des Verbandes bestand auf DN-Seite keine Möglichkeit eines DG-Wechsels. Damit hatten sowohl Verband als auch Club eine besondere Machtposition. Die Verweigerung der Erklärung führt für DN zwangsweise zur Arbeitslosigkeit im gesamten Wirkungsbereich des Verbandes. Als Folge dessen begründet der wirtschaftliche Druck 65in allein arbeitsrechtlicher Betrachtung ebenfalls die Sittenwidrigkeit der Verzichtserklärung.
Letztendlich muss auf die Zielsetzung sanitätsrechtlicher Vorschriften wie dem Epidemiegesetz* und dem COVID-19-Maßnahmengesetz* hingewiesen werden. Diese Gesetze dienen dem Schutz der Bevölkerung vor der Verbreitung übertragbarer Krankheiten.* Eine Freizeichnung gegenüber dem möglichen Verursacher einer solchen Erkrankung läuft dem Schutzzweck diametral entgegen.* Auch unter diesem Aspekt und losgelöst von arbeits- und sozialrechtlicher Dogmatik ist die in Frage stehende Vereinbarung nichtig.