Wirth/LichtenbergerEine Gewerkschaft in Bewegung – Die Geschichte der GPA. Von den ersten Vorläuferorganisationen im 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart
Verlag des ÖGB, Wien 2020, 316 Seiten, gebunden, € 29,90
Wirth/LichtenbergerEine Gewerkschaft in Bewegung – Die Geschichte der GPA. Von den ersten Vorläuferorganisationen im 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart
Heute ist die Gewerkschaft der Privatangestellten (kurz: GPA) die größte Gewerkschaft Österreichs. Ihr großer Pluspunkt ist die Vielfalt der repräsentierten Branchen und Mitglieder. Die von ihr vertretenen Bereiche des Wirtschaftslebens reichen vom Handel und der metallverarbeitenden Industrie bis hin zu Banken und Versicherungen. Selbst Branchen wie bspw Forschung, Gesundheit und Pflege, Erwachsenenbildung und Soziales dürfen auf keinen Fall übergangen werden.
Maria Wirth und Sabine Lichtenberger ist mit dem zu rezensierenden Buch ein großer Wurf gelungen. Die Entstehungshistorie der GPA geht bis in die zweite Hälfte des vorvorigen Jahrhunderts zurück. Damals formierte sich die erste Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung Österreichs. Die Vorläufer der GPA sind in den 1880er-Jahren entstanden. Unter dem austrofaschistischen Regime wurde die GPA verboten. Erst nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges kam es zur Gründung der Gewerkschaft der Angestellten in der Privatwirtschaft (GAP), die bis 1962 Bestand hatte. Es kam vor, dass sie über ihr Bestehen immer wieder aufs Neue Rechenschaft ablegen musste. Ferner lief sie auch Gefahr, auf andere Vereinigungen aufgeteilt zu werden.
Die GPA hat sich, so schreibenWirth und Lichtenberger in sehr ausführlicher Weise, niemals nur mit gewerkschaftlichen Angelegenheiten beschäftigt, sondern auch zu politischen Fragen Stellung genommen. Man muss keineswegs ein Prophet sein, um zu wissen, dass seit jeher der aktive sozialpolitische Diskurs das Kernanliegen ist. Dank der breit aufgestellten Basis ist es möglich, die verschiedensten Themen zu behandeln, die die Diskutierfreude einer Gewerkschaft charakterisieren. Nachdem es vor gut einem halben Jahrhundert zur Verwirklichung eines Automationsausschusses kam und auch eine Grundlagenabteilung das Licht der Welt erblickte, wuchs auch der Kontakt mit der Welt „von außen“, sodass auch WissenschaftlerInnen „von außen“ 76eine Rolle zuteilkam. In der jüngeren Geschichte wurde die GPA mit vielen Herausforderungen konfrontiert, die ihre Grundlagen in den technologischen, sozialen und wirtschaftlichen Veränderungen hatten. Der BAWAG-Skandal aus dem Jahr 2006 erschütterte das Gewerkschaftswesen sehr. Eine tiefe Krise war die Folge.
Die GPA meisterte auch diese schwere Phase. Die GPA punktet durch viele Innovationen und weiß auf viele Probleme der Zeit eine passende Antwort.Wirth und Lichtenberger spannen in ihrem bemerkenswerten Buch den Bogen von der Entstehung erster Angestelltengewerkschaften in der Zeit vom Revolutionsjahr 1848 bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges im Jahr 1914. Die Gewerkschaften erlebten die vier Kriegsjahre in einer Schnittmenge zwischen internationaler Solidarität und Kriegseuphorie. In der Ersten Republik gab es den „Bund freier Gewerkschaften“. Auch dieser wurde von den fundierten Autorinnen behandelt. Ähnlich verhält es sich mit dem Anschluss an das Deutsche Reich, die Deutsche Arbeiterfront und die Anpassung des österreichischen Sozialversicherungssystems an das deutsche Recht.
Die Amtszeiten von Friedrich Hillegeist, Rudolf Häuser, Alfred Dallinger,Eleonora Hostasch (erste Frau an der Spitze der GPA), Hans Sallmutter,Wolfgang Katzian und Barbara Teiber dürfen selbstredend nicht fehlen. Abgerundet wird das sehr gut recherchierte Buch mit einem aktuellen Blick auf die Corona-Krise, die schier unendlich viele Facetten aufweist. Selbst der Zukunft wurde ein kleines Unterkapitel gewidmet. Alles in allem kann man den beiden Autorinnen nur gratulieren. Sie haben es geschafft, trotz vieler Stunden im Archiv und dem Führen zahlreicher Zeitzeugeninterviews, ein sehr kompaktes und gutes Buch zu schreiben, das beweist, dass die Gewerkschaften immer in Bewegung sind und sich, um ein kritisches Gewissen der Arbeiterwelt zu sein, immer neu erfinden müssen, wollen sie weiterhin fortbestehen und den Kampfansagen der Zeit gewachsen sein.