63

Sexuelle Belästigung, Anspruch auf qualifiziertes Dienstzeugnis und Recht auf Beschäftigung einer Rechtsanwaltsanwärterin

MAGDALENAMISSBICHLER

Die Kl war ab dem 15.11.2016 für den Bekl zunächst als wissenschaftliche Mitarbeiterin, ab 1.1.2018 schließlich als Rechtanwaltsanwärterin tätig. Im Rahmen der Beschäftigung fielen in mehreren Fällen zweideutige Aussagen des Bekl, die nach den Feststellungen des Erstgerichts seinerseits nicht als sexuelle Anspielungen gemeint gewesen waren – so lobte der Bekl etwa bei der Bearbeitung eines Falles mit Bezug zu Monaco die Französischkenntnisse der Kl. Als die Kl am 23.11.2017 den Hund des Bekl als zutraulich bezeichnete, entgegnete er, dass die Tanzpartner der Kl dieser wohl auch „alle Körperteile entgegenstrecken“ würden. Die Kl äußerte darüber hinaus mehrfach ihre Unzufriedenheit über die Tatsache, dass sie ihre Arbeit in einem von zwei weiteren Personen genutzten Zimmer zu verrichten hatte, was am 13.1.2018 in einem per E-Mail geäußerten Bitte gegenüber dem Bekl, sie zu kündigen, kulminierte – er lehnte diesen Wunsch jedoch zunächst ab. Erst eine weitere E-Mail-Nachricht der Kl, in welcher sie sich über das von ihr so empfundene Flirtverhalten des Bekl beschwerte, nahm dieser zum Anlass, das Dienstverhältnis am 15.1.2018 zum 31.3.2018 zu kündigen und sie darüber hinaus dienstfrei zu stellen. Die Kl forderte den Bekl in einer weiteren Nachricht auf, sich „vielleicht […] für das Verfassen eines qualifizierten Dienstzeugnisses [zu] erwärmen“, das sich eher auf ihre Tätigkeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin beziehen sollte. Der Bekl sagte zu, „für die Zeit ihrer wissenschaftlichen Unterstützung ein Dienstzeugnis“ auszustellen. Datiert mit dem 14.2.2018 stellte der Bekl in der Folge ein Dienstzeugnis (ua mit Verweisen, dass die übertragenen Aufgaben zur vollsten Zufriedenheit erledigt wurden) aus.

Die Kl begehrte aufgrund der diskriminierenden Beendigung des Dienstverhältnisses Kündigungsentschädigung von insgesamt € 8.169,86, Kammerpensionsbeiträge iHv € 732,- sowie Ersatz des immateriellen Schadens iHv € 5.100,-. Als Rechtsanwaltsanwärterin habe sie zudem ein Recht auf tatsächliche Beschäftigung, weshalb der Bekl auch für Schäden aus der unrechtmäßigen Dienstfreistellung hafte. Ebenfalls habe der Bekl einer Zusage hinsichtlich der Ausstellung eines qualifizierten Dienstzeugnisses nicht entsprochen.

Das Erstgericht gab dem Begehren auf Feststellung der Haftung des Bekl für zukünftige Schäden aus der rechtswidrig ausgesprochenen Dienstfreistellung und dem Begehren auf Zahlung zumindest teilweise Folge. Es sprach der Kl Schadenersatz wegen der diskriminierenden Kündigung als auch ideellen Schadenersatz zu. Das darüber hinausgehende Begehren wies es ab. Das Berufungsgericht gab den dagegen gerichteten Berufungen des Bekl wie auch der Kl in der Hauptsache nicht Folge. Der OGH wies die gegen diese E gerichtete Revision der Kl mangels Vorliegens einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung zu153rück; die Revision des Bekl erachtete er als zulässig, jedoch als nicht berechtigt.

Der OGH verwies in seiner E hinsichtlich des Dienstzeugnisses auf die bisherige höchstgerichtliche Rsp, nach der kein Anspruch des AN auf ein „qualifiziertes“ Dienstzeugnis mit Werturteilen des AG über Leistung und Führung im Dienst bestehe (OGH 17.12.2008, 9 ObA 164/08w). Ein solcher Anspruch bedürfe vielmehr einer vertraglichen Vereinbarung, die nach Ansicht des Gerichts im vorliegenden Fall nicht vorlag: Die Antwort des Bekl beinhalte auch für einen objektiven Erklärungsempfänger keine derartige Zusage, sondern nehme nur darauf Bezug, im Zeugnis die Zeit, in der die Kl als wissenschaftliche Mitarbeiterin tätig war, zu berücksichtigen. Auch der Umstand, dass der Bekl der Kl in der Folge nicht nur ein einfaches Dienstzeugnis übermittelte, erlaube keinen Rückschluss auf einen anderweitigen natürlichen Konsens.

Die Bemerkungen zu den Französischkenntnissen der Kl iZm französischen Übersetzungen erachtete der OGH als bei objektiver Betrachtung kein (wie für die Erfüllung des Tatbestands nach § 6 Abs 1 Z 1 GlBG notwendig) die sexuelle Sphäre berührendes Verhalten. Das Gericht folgte der Ansicht der Vorinstanzen ebenfalls hinsichtlich der die Tanzpartner der Kl betreffenden Bemerkungen und bejahte eine sexuelle Belästigung. Das Tatbestandselement der Schaffung bzw des Bezweckens einer einschüchternden, feindseligen oder demütigenden Arbeitsumwelt für die betroffene Person (§ 6 Abs 2 GlBG) könne auch dann vorliegen, wenn die betroffene Person das Arbeitsverhältnis anstrebt oder aufrechterhält. Schließlich liefe es der Intention des GlBG diametral entgegen, spreche man einer sexuellen Belästigung die Tatbestandsmäßigkeit ab, nur weil der AN das Arbeitsverhältnis aufgrund der belastenden Situation nicht beendet.

Das Gericht bejahte in weiterer Folge ebenfalls ein aus § 21b Abs 1 RAO abzuleitendes Recht auf Beschäftigung für Rechtsanwaltsanwärter. Zwar bestehe ein Recht auf Beschäftigung des AN mit Ausnahme bestimmter gesetzlicher Tatbestände (zB § 18 BAG für Lehrlinge) nur in Fällen bestimmter Tätigkeitsbereiche, in denen das Brachliegen der Fähigkeiten zwangsläufig zu einem Qualitätsverlust führt (vgl zB den Fall eines Neurochirurgen OGH 18.11.2002, 8 ObA 202/02t), womit bei einer Dienstfreistellung eines Rechtanwaltsanwärters von zwei bis drei Monaten nicht zu rechnen sei. Jedoch habe der Rechtsanwalt den Rechtsanwaltsanwärter nach dem Wortlaut des § 21b Abs 1 RAO „zu verwenden“. Diese praktische Verwendung sei gem § 2 RAO überdies nur dann anrechenbar, soweit diese Tätigkeit hauptberuflich und ohne Beeinträchtigung durch andere berufliche Tätigkeiten ausgeübt wird. Vergleichbar mit der Beschäftigungspflicht bei Lehrlingen habe deshalb auch ein Rechtsanwaltsanwärter grundsätzlich ein Recht auf Beschäftigung.

Der Bekl habe sich durch die Dienstfreistellung implizit geweigert, seiner Ausbildungsverpflichtung nachzukommen. Zwar könnte die Sorge vor einem geschäftsschädigenden Verhalten eines Gekündigten, einer möglichen Beeinträchtigung von Klienteninteressen oder einem nachhaltigen Stören des Kanzleiklimas einen gewichtigen Grund darstellen, die den schutzwürdigen Interessen der Kl als auszubildende AN entgegenstehen könnten. Jedoch stellten im konkreten Fall weder die Beschwerde über das Flirtverhalten noch die pointiert blumigen Formulierungen in den Nachrichten der Kl einen Vertrauensbruch dar, weshalb kein ausreichender Grund für die Dienstfreistellung vorgelegen habe. Von einem AG könne vielmehr erwartet werden, in einer solchen Situation das Gespräch zu suchen und den Hintergrund der Vorwürfe abzuklären.