65Gemeinsamer Rechtsirrtum von Arbeitgeber und Arbeitnehmer über Zuschlagshöhe hindert Wirksamkeit einer kollektivvertraglichen Verfallsklausel nicht
Gemeinsamer Rechtsirrtum von Arbeitgeber und Arbeitnehmer über Zuschlagshöhe hindert Wirksamkeit einer kollektivvertraglichen Verfallsklausel nicht
Der Kl leistete wie andere AN bei der Bekl regelmäßig Nachtarbeitsstunden, deren Anzahl im Anlassfall nicht strittig war und für die im einschlägigen KollV für Arbeiter der Nahrungs- und Genussmittelindustrie (im Folgenden: KollV) ein Zuschlag von 50 % vorgesehen war. Der Kl sowie die anderen AN und auch die Bekl gingen aber ursprünglich von der unrichtigen Rechtsansicht aus, dass nach dem KollV nur ein Nachtarbeitszuschlag von 30 % zusteht. Dieser Zuschlag wurde entsprechend auch auf den von der Bekl ausgefolgten Lohnabrechnungen vermerkt. Nachdem der Rechtsirrtum aufgefallen war, begehrte der Kl im Februar 2020 erstmals die Differenz zwischen dem ausbezahlten Nachtarbeitszuschlag von 30 % und dem gem KollV gebührenden Nachtarbeitszuschlag von 50 % für den Zeitraum Dezember 2017 bis September 2019.
Die Vorinstanzen wiesen die Klage unter Verweis auf § 22 Abs 2 KollV ab. Dieser Bestimmung zufolge müssen alle gegenseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis binnen fünf Monaten nach dem Entstehen bzw Bekanntwerden geltend gemacht werden, widrigenfalls erlischt der Anspruch. Bei rechtzeitiger Geltendmachung der Ansprüche bleibt die gesetzliche dreijährige Verjährungsfrist gewahrt (§ 22 Abs 3 KollV).
Der OGH stimmte dieser Rechtsansicht zu und wies die außerordentliche Revision des Kl zurück.
Der OGH verwies in seiner Urteilsbegründung zunächst auf seine bisherige Rsp, dass Verfallsklauseln nicht nur den Zweck haben, dem Beweisnotstand zu begegnen, in welchem sich der AG bei verspäteter Geltendmachung befinden würde, sondern auch für eine möglichst rasche Bereinigung offener Ansprüche zu sorgen. Der Zweck der kollektivvertraglichen Verfallsbestimmungen besteht laut OGH zudem auch in der Klarstellung der offenen Ansprüche der AN.
Nur wenn dem Anspruchsberechtigten der tatsächliche Entstehungsgrund der betreffenden Forderung oder der Zeitpunkt ihrer Fälligkeit nicht bekannt ist, ist der Zeitpunkt des Bekanntwerdens solcher Umstände für den Beginn des Laufes der Fallfrist maßgebend. Im Anlassfall war für den OGH entscheidend, dass beide Umstände dem Kl sowie den anderen betroffenen AN aber zum Zeitpunkt der jeweiligen Fälligkeit ihrer reklamierten Entgeltansprüche bekannt gewesen waren.
Der OGH stellte weiterhin fest, dass es im Zusammenhang mit einem Verfallseintritt nach der Rsp einer rechtzeitigen Geltendmachung von Entgeltansprüchen durch den AN dann nicht bedarf, wenn diese vom AG rechnerisch richtig in die Lohnabrechnung aufgenommen wurden, dass aber im hier vorliegenden Fall der AG nicht den richtigen Nachtzuschlag von 50 % in die Lohnabrechnungen 155aufgenommen hatte, sondern fälschlicherweise nur 30 %.
Der OGH führte in seiner Urteilsbegründung darüber hinaus aus, dass ein allgemeiner Rechtssatz, nachdem sich der AG dann nicht auf die Verfallsklausel aus einem KollV berufen könne, wenn er andere kollektivvertragliche Bestimmungen falsch ausgelegt habe (wie hier die Verrechnung mit dem zu niedrigen Nachtarbeitszuschlag von 30 %), dem Gesetz fremd ist. Umstände, die die Berufung der Bekl auf die Verfallsklausel als rechtsmissbräuchlich erscheinen ließen, wurden weder geltend gemacht noch sind sie herausgekommen.
Da die außerordentliche Revision des Kl keine erhebliche Rechtsfrage aufzeigt, war das Rechtsmittel somit zurückzuweisen.