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Berichtigung der fehlerhaften Bemessung von Notstandshilfe innerhalb der Fristen des § 24 Abs 2 AlVG jederzeit möglich

BIRGITSDOUTZ

Im Mittelpunkt des vorliegenden Falles steht der Widerruf und die Rückforderung der Notstandshilfe, deren Berechnung nach der hier noch anzuwendenden Rechtslage bis 30.6.2018 unter Anrechnung des Partnereinkommens zu erfolgen hatte. Das Arbeitsmarktservice (AMS) hatte die Notstandshilfe der Mitbeteiligten zunächst aufgrund der Erklärungen über das Einkommen des Lebensgefährten der Mitbeteiligten aus selbständiger Erwerbstätigkeit festgestellt. Mit Schreiben vom 7.12.2018 gab das AMS der Beschwerdeführerin in Form einer Mitteilung nach § 47 Abs 1 AlVG eine Erhöhung ihres Bezuges auf Notstandshilfe bekannt, wobei es ausführte, aufgrund einer Entscheidung des VwGH seien alle Leistungsansprüche unter Berücksichtigung einer „aktualisierten Berechnungsmethode“ neu zu beurteilen, woraus sich eine Erhöhung des Bezuges der Mitbeteiligten ergebe.

Mit Bescheid vom 10.1.2019 sprach das AMS den Widerruf bzw die rückwirkende Berichtigung des Notstandshilfebezugs der Beschwerdeführerin für den Zeitraum 6.4. bis 31.12.2016 aus und forderte die unberechtigt empfangene Notstandshilfe in Höhe von € 2.916,50 zurück.

Aufgrund der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde der Mitbeteiligten änderte das AMS mit Beschwerdevorentscheidung vom 12.4.2019 den Ausgangsbescheid ab und sprach aus, der Bezug der Notstandshilfe der Mitbeteiligten werde gem § 24 Abs 2 AlVG dahingehend berichtigt, dass dieser von 6.4. bis 31.12.2016 täglich € 10,62 und von 1. bis 31.1.2017 täglich € 10,87 (jeweils statt € 27,99 täglich) betrage, und die Mitbeteiligte gem § 25 Abs 1 AlVG zum Ersatz der unberechtigt bezogenen Notstandshilfe in Höhe von € 5.220,62 verpflichtet sei. Begründend führte das AMS aus, für die Berechnung der Notstandshilfe der Mitbeteiligten in den entscheidungsgegenständlichen Zeiträumen sei das Einkommen ihres selbständig erwerbstätigen, im selben Haushalt wohnenden Lebensgefährten maßgeblich gewesen. Aus dem rechtskräftigen Einkommensteuerbescheid ihres Lebensgefährten vom 26.2.2018 ergebe sich nunmehr im Jahr 2016 ein Einkommen, das der Berechnung der Notstandshilfe bisher zugrunde liegende Einkommen überschreite. Dies führe zur Berichtigung der Notstandshilfe und zur Rückforderung des Überbezuges.163

In der dagegen eingebrachten Beschwerde brachte die Beschwerdeführerin vor, dass das AMS mit der Mitteilung vom 7.12.2018 über die Erhöhung der Notstandshilfe – somit nach Erlassung des Einkommensteuerbescheides ihres Lebensgefährten vom 26.2.2018 – die Notstandshilfe neu bemessen habe. Da dieser Mitteilung eine „Einmaligkeitswirkung“ zukomme, sei eine neuerliche Entscheidung in derselben Sache nicht mehr zulässig.

Das BVwG gab der Beschwerde statt, und ließ die ordentliche Revision zu. Das BVwG führte dazu aus, dass die Rückforderung nach § 25 Abs 1 dritter Satz AlVG voraussetze, dass sich auf Grund eines „nachträglich vorgelegten“ Einkommensteuer- oder Umsatzsteuerbescheides ergebe, dass die Leistung nicht oder nicht in diesem Umfang gebühre. Bei Anpassung der Leistung der Mitbeteiligten mit Schreiben vom 7.12.2018 sei der Einkommensteuerbescheid ihres Lebensgefährten für das Jahr 2016 dem AMS bereits bekannt gewesen, sodass bei Erlassung des folgenden Bescheides kein „nachträglich vorgelegter“ Einkommensteuerbescheid mehr vorgelegen sei. Der Einwand des AMS, dass die Mitteilung vom 7.12.2018 über die Erhöhung des Bezuges für eine große Zahl von Versicherten gleichsam vollautomatisiert durch das Bundesrechenzentrum versendet worden sei, vermöge keine andere Beurteilung zu rechtfertigen; die Mitteilung sei dem AMS nämlich jedenfalls zurechenbar. Damit komme aber eine auf § 25 Abs 1 dritter Satz AlVG gestützte Rückforderung nicht in Betracht.

Der VwGH hat das Erkenntnis des BVwG im Wesentlichen mit folgender Begründung aufgehoben:

Soweit die Mitbeteiligte sich in der Revisionsbeantwortung darauf beruft, dass iS von § 47 Abs 1 AlVG „eine entschiedene Sache“ vorliege, übersieht sie, dass § 24 AlVG unter den in dieser Bestimmung genannten Voraussetzungen die (rückwirkende) Korrektur der zuerkannten Leistung von Arbeitslosengeld bzw Notstandshilfe ohne Bindung an die strengen Voraussetzungen des § 69 AVG ermöglicht. Die Rechtskraft einer bescheidmäßigen Zuerkennung bzw die Bestandskraft einer Mitteilung nach § 47 Abs 1 AlVG werden somit durchbrochen und stehen einer Entscheidung nach § 24 AlVG nicht entgegen (VwGH 23.5.2012, 2012/08/0022).

Nach § 24 Abs 2 AlVG ist die Zuerkennung des Arbeitslosengeldes, wenn sie gesetzlich nicht begründet war, zu widerrufen, bzw eine fehlerhafte Bemessung des Arbeitslosengeldes rückwirkend zu berichtigen. Mit dieser auf die Novelle BGBl I 2008/82BGBl I 2008/82 zurückgehenden Formulierung wurde klargestellt, dass ein Widerruf unabhängig vom Zeitpunkt des Hervorkommens der Unrechtmäßigkeit des Bezugs jedenfalls auch dann möglich sein soll, wenn die Ungebührlichkeit von Anfang an feststand, aber von der Behörde erst verspätet bemerkt wurde. Demzufolge kann nunmehr nach § 24 Abs 2 AlVG jede gesetzlich nicht begründete Zuerkennung – unabhängig davon, ob die Gründe für die Gesetzwidrigkeit schon ursprünglich bekannt waren bzw vom AMS übersehen wurden – widerrufen bzw berichtigt werden (VwGH 14.4.2020, Ro 2016/08/0010 bis 0011, mwN). Eine Beschränkung der Möglichkeit zum Widerruf bzw zur Berichtigung der Leistung ergibt sich, soweit sich die zuerkannte Leistung dem Grunde oder der Höhe nach als unrichtig herausstellt, somit lediglich aus den in § 24 Abs 2 AlVG vorgesehenen Fristen. Die Berichtigung der Höhe der Notstandshilfe der Mitbeteiligten durch das AMS nach § 24 Abs 2 AlVG war somit nicht davon abhängig, ob diese schon früher – etwa zum Zeitpunkt der Mitteilung vom 7.12.2018 – möglich gewesen wäre.

Der Abspruch über die Rückforderung der Leistung nach § 25 Abs 1 AlVG ist von demjenigen über die Berichtigung der Leistung nach § 24 Abs 2 AlVG trennbar und gesondert zu beurteilen. § 25 Abs 1 dritter Satz AlVG knüpft die Rückforderung daran, dass sich aufgrund eines „nachträglich vorgelegten“ Einkommensteuerbescheides ergibt, dass die Leistung nicht oder nicht in diesem Umfang gebührte. Gegenüber den Rückforderungstatbeständen des ersten Satzes ist die Rückforderung nach dem dritten Satz des § 25 Abs 1 AlVG dadurch erleichtert, dass der Empfänger der Leistung zum Ersatz des unberechtigt Empfangenen unabhängig davon zu verpflichten ist, ob ihn ein Verschulden (am unberechtigten Empfang) trifft (VwGH 7.8.2017, Ra 2016/08/0140, mwN).

Soweit das BVwG sich darauf stützt, die Rückforderung nach § 25 Abs 1 dritter Satz AlVG komme nicht mehr in Betracht, weil es sich beim Einkommensteuerbescheid des Lebensgefährten der Mitbeteiligten für das Jahr 2016 nicht um einen „nachträglich vorgelegten Einkommensteuerbescheid“ iS dieser Bestimmung gehandelt habe, missversteht es diesen vom Gesetzgeber im gegebenen Zusammenhang verwendeten Begriff. Dazu ist darauf zu verweisen, dass nach § 36c Abs 5 AlVG eine Verpflichtung der arbeitslosen Person besteht, den für die endgültige Berechnung des Arbeitslosengeldes bzw der Notstandshilfe maßgeblichen Einkommensteuerbescheid binnen zwei Wochen nach dessen Erlassung der zuständigen regionalen Geschäftsstelle vorzulegen. Auf diese Vorlageverpflichtung bezieht sich § 25 Abs 1 dritter Satz AlVG, soweit darin auf den „nachträglich vorgelegten“ Einkommensteuerbescheid Bezug genommen wird (VwGH 30.1.2002, 98/08/0233, mwN). Gemeint ist somit nicht, dass die Rückforderung ausgeschlossen sein sollte, wenn die Berichtigung der Leistung und die Rückforderung bei einer vorangegangenen Entscheidung versäumt wurde. Darauf ob eine Rückforderung früher möglich gewesen wäre, kommt es – soweit die Fristen des § 25 Abs 6 AlVG eingehalten werden – nicht an. § 25 Abs 1 dritter Satz AlVG stellt vielmehr lediglich 164darauf ab, dass sich aus einem (rechtskräftigen) Einkommensteuerbescheid ergibt, dass die Leistung nicht oder nicht im gewährten Umfang gebührte. Der VwGH hat daher entschieden, dass die mit Mitteilung vom 7.12.2018 erfolgte Erhöhung des Bezuges der Notstandshilfe der Berichtigung nach § 24 Abs 2 AlVG bzw der (teilweisen) Rückforderung nach § 25 Abs 1 dritter Satz AlVG nicht entgegensteht. Laut VwGH hat das BVwG die Rechtslage verkannt, das angefochtene Erkenntnis war gem § 42 Abs 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.