78Berechnung des Sonderkrankengeldes bei 50 %-igem Ruhen des vorhergehenden Krankengeldes wegen Entgeltfortzahlung
Berechnung des Sonderkrankengeldes bei 50 %-igem Ruhen des vorhergehenden Krankengeldes wegen Entgeltfortzahlung
§ 139 Abs 2a ASVG regelt unter bestimmten Voraussetzungen eine Verlängerung des Krankengeldanspruches, enthält aber keine eigenständige Regelung der Höhe des Krankengeldes. Die Ruhensbestimmungen des § 143 ASVG sind auch auf den durch § 139 Abs 2a ASVG verlängerten Anspruchszeitraum anzuwenden. Liegt zu Beginn oder während dieses Zeitraums ein Ruhensgrund vor, so tritt (teilweises) Ruhen ein, fällt der Ruhensgrund aber weg, erlangt der Leistungsanspruch wieder seine volle Wirksamkeit.
Der Kl beantragte aus einem aufrechten Dienstverhältnis am 2.12.2019 bei der Pensionsversicherungsanstalt die Gewährung einer Invaliditätspension. Gegen den ablehnenden Bescheid vom 13.3.2020 erhob er am 9.6.2020 Klage beim zuständigen Landesgericht.
Seit 8.3.2019 war der Kl infolge Krankheit arbeitsunfähig. Er bezog bis 12.5.2020 Krankengeld in Höhe von € 47,27 täglich. Von 13.5. bis 10.7.2020 hatte er gegenüber seinem DG Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Ausmaß von 50 %. Daneben bezog er Krankengeld in der Höhe von € 23,64 täglich. Sein Krankengeldanspruch aus diesem Versicherungsfall endete am 21.7.2020.
Ab 22.7.2020 wurde dem Kl von der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) Krankengeld gem § 139 Abs 2a ASVG in der Höhe von € 23,64 täglich zugesprochen. Daraufhin beantragte der Kl die Erlassung eines Bescheides mit der Begründung, die Höhe des Krankengeldes sei unrichtig. Mit Bescheid vom 10.8.2020 wurde der Antrag des Kl auf Zahlung eines € 23,64 übersteigenden Krankengeldes ab dem Zeitpunkt des Ablaufens der Entgeltfortzahlung abgelehnt.
Die Kl begehrte Krankengeld gem § 139 Abs 2a ASVG in der Höhe von € 47,27 täglich. Die Bekl bestritt das Klagebegehren mit der Begründung, zum Ende seines Krankengeldanspruches habe dem Kl aufgrund des Ruhens nur Krankengeld in der Höhe von € 23,64 gebührt. Das Erstgericht wies das Klagebegehren für den Zeitraum von 22.7. bis 7.8.2020 wegen Unzulässigkeit des Rechtsweges zurück, weil der Bescheid darüber nicht abgesprochen habe. Für den Zeitraum ab 8.8.2020 verpflichtete es die Bekl zur Zahlung eines Krankengeldes in der Höhe von € 23,64 täglich und wies das Mehrbegehren auf höhere Leistung ab.
Dagegen erhob der Kl Rekurs und Berufung und begehrte für den Zeitraum von 22.7. bis 7.8.2020 169nur noch die Zuerkennung eines Krankengeldes von € 23,64 täglich.
Das Gericht zweiter Instanz gab dem Rekurs und der Berufung des Kl Folge und behob den Zurückweisungsbeschluss. Es verpflichtete die Bekl zur Zahlung des Krankengeldes von € 23,64 täglich für den Zeitraum von 22.7. bis 7.8.2020 und von € 47,27 täglich ab 8.8.2020 für die Dauer der Arbeitsunfähigkeit des Kl infolge Krankheit.
[…]
2.1. Nach der mit dem Sozialrechts-Änderungsgesetz 2015 (SRÄG 2015, BGBl I 2015/162BGBl I 2015/162) neu geschaffenen Bestimmung des § 139 Abs 2a ASVG ist Personen in einem aufrechten Dienstverhältnis, bei denen die Höchstdauer ihres Krankengeldanspruchs [ergänze: nach § 139 Abs 1 und 2 ASVG] abgelaufen ist, die einen ablehnenden Bescheid des Pensionsversicherungsträgers über eine beantragte Invaliditäts- oder Berufsunfähigkeitspension erhalten haben und keinen Anspruch auf Rehabilitationsgeld haben, Krankengeld in der zuletzt bezogenen Höhe ab dessen Antragstellung beim Krankenversicherungsträger und längstens bis zur rechtskräftigen Beendigung des Verfahrens vor den ordentlichen Gerichten zu gewähren, jedoch nur solange die Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit andauert.
2.2. Nach den Materialien sollte mit dieser Bestimmung eine Versorgungslücke beseitigt werden, die durch die Änderungen beim Pensionsvorschuss im Rahmen des 2. Stabilitätsgesetzes 2012 (BGBl I 2012/35BGBl I 2012/35) für Personen, die sich trotz langem Krankenstand noch in einem aufrechten Dienstverhältnis befinden, entstehen konnte. […]
3.1. Die Höhe des Krankengeldes ist, wie das Berufungsgericht bereits zutreffend ausführte, in § 141 ASVG geregelt. § 143 ASVG ordnet das Ruhen des Krankengeldanspruchs in den dort normierten Fällen an. Nach § 143 Abs 1 Z 3 ASVG ruht der Anspruch auf Krankengeld, solange der Versicherte aufgrund gesetzlicher oder vertraglicher Bestimmungen Anspruch auf Weiterleistung von mehr als 50 vH der vollen Geld- und Sachbezüge vor dem Eintritt der Arbeitsunfähigkeit hat; besteht ein Anspruch auf Weiterleistung von 50 vH dieser Bezüge, so ruht das Krankengeld zur Hälfte.
3.2. Das Ziel der meisten Ruhensbestimmungen besteht darin, Leistungen dann nicht zu gewähren, wenn ein Sicherungsbedürfnis vorübergehend weggefallen ist. Der Grund für diesen Wegfall des Sicherungsbedürfnisses kann im Bezug einer anderen funktionsgleichen Leistung liegen. Den Zielsetzungen entsprechend bleibt trotz des Eingreifens von Ruhensbestimmungen der Anspruch auf die ruhenden Leistungen gewahrt, es wird lediglich die Leistungspflicht des Versicherungsträgers sistiert, solange der Ruhensgrund andauert […]. Fällt der Ruhensgrund weg, so lebt die Wirksamkeit des Leistungsanspruchs von selbst wieder auf, und zwar mit dem Zeitpunkt des Wegfalls des Ruhensgrundes […].
4.1. Entscheidend ist im vorliegenden Fall die Auslegung der Wortfolge „ist Krankengeld in der zuletzt bezogenen Höhe […] zu gewähren“ in § 139 Abs 2a ASVG. Einigkeit besteht darüber, dass der angesprochene Vergleichszeitpunkt („zuletzt“) der Zeitpunkt des Endens des Krankengeldanspruchs nach Ablauf der Höchstanspruchsdauer nach § 139 Abs 1 und 2 ASVG ist.
4.2. Die Beklagte leitet aus der Bezugnahme auf die „bezogene“ Höhe ab, dass der Auszahlungsbetrag maßgeblich sei, sodass ein teilweises Ruhen des Anspruchs zum Zeitpunkt des Erreichens der Höchstbezugsdauer nach § 139 Abs 1 und 2 ASVG auf die Höhe des Krankengeldes gemäß § 139 Abs 2a ASVG durchschlage.
4.3. Die systematische Interpretation sowie teleologische Erwägungen sprechen jedoch gegen dieses Auslegungsergebnis.
4.4. In den von § 139 Abs 2a ASVG geregelten Fällen tritt nach Ablauf der Höchstbezugsdauer gemäß § 139 Abs 1 und 2 ASVG kein neuer Versicherungsfall ein. § 139 ASVG regelt nur die Dauer des Krankengeldanspruchs, während sich die Höhe des Krankengeldes aus § 141 ASVG ergibt. Aus der systematischen Stellung des § 139 Abs 2a ASVG ergibt sich somit, dass es sich bei dieser Bestimmung lediglich um eine Verlängerung der Anspruchsdauer handelt, wobei dafür neben den allgemeinen Anspruchsvoraussetzungen des § 138 ASVG (zur Maßgeblichkeit des § 138 ASVG für die Anspruchsberechtigung nach § 139 Abs 2a ASVG vgl 10 ObS 84/18b SSV-NF 32/65) zusätzlich die in § 139 Abs 2a ASVG normierten Voraussetzungen (aufrechtes Dienstverhältnis, ablehnender Pensionsbescheid des Pensionsversicherungsträgers, kein Anspruch auf Rehabilitationsgeld, Antragstellung) erfüllt sein müssen. Die systematische Stellung der Regelung in der die Anspruchsdauer betreffenden Norm spricht auch dagegen, den Verweis auf die „zuletzt bezogene Höhe“ als eigenständige Regelung der Anspruchshöhe aufzufassen. Darin ist vielmehr bloß ein Verweis auf die nach § 141 ASVG zu ermittelnde Höhe des Krankengeldes zu sehen.
4.5. Gegen die von der Beklagten vertretene Auffassung sprechen darüber hinaus der vom Gesetzgeber mit der Schaffung des § 139 Abs 2a ASVG angestrebte Versorgungszweck und der Zweck der Ruhensbestimmung des § 143 ASVG. § 143 ASVG soll eine Doppelversorgung des Versicherten für Zeiträume des Bestehens eines Anspruchs auf Entgeltfortzahlung gegen den Dienstgeber vermeiden (vgl RS0083756). Fällt der Ruhenstatbestand weg, besteht auch kein Grund mehr für eine (teilweise) Sistierung der Leistungspflicht des Versicherungsträgers. […]170
Gegenstand des Verfahrens ist die Frage, ob sich ein zum Zeitpunkt des Endes des Krankengeldanspruches aufrechter Ruhensgrund iSd § 143 ASVG auf die Bemessung des Krankengeldes gem § 139 Abs 2a ASVG auswirkt. Entscheidend ist dabei die Auslegung der Wortfolge „ist Krankengeld in der zuletzt bezogenen Höhe […] zu gewähren“ in § 139 Abs 2a ASVG. Während die Bekl argumentiert, dass ein teilweises Ruhen des Anspruches auf die Höhe des Krankengeldes nach § 139 Abs 2a ASVG durchschlage, sprechen die systematische Interpretation sowie teleologische Überlegungen gegen ebendiese Auslegung.
§ 139 ASVG regelt nämlich nur die Dauer des Krankengeldanspruches. Die Höhe des Krankengeldes ergibt sich aus § 141 ASVG. In den in § 139 Abs 2a ASVG geregelten Fällen tritt nach Ablauf der Höchstbezugsdauer kein neuer Versicherungsfall ein, der eine eigenständige Regelung der Anspruchshöhe rechtfertigen würde. Vielmehr handelt es sich hierbei lediglich um eine Verlängerung der Anspruchsdauer. Dies ergibt sich nicht zuletzt auch aus der systematischen Stellung des § 139 Abs 2a ASVG, da diese Norm die Anspruchsdauer regelt.
Darüber hinaus liegen keine sachlichen Gründe vor, die den Umfang der finanziellen Absicherung eines Versicherten davon abhängig machen sollten, ob punktuell am letzten Tag der Höchstbezugsdauer von Krankengeld ein Ruhenstatbestand erfüllt war oder nicht.
Im Ergebnis hält der OGH daher fest, dass § 139 Abs 2a ASVG unter bestimmten Voraussetzungen eine Verlängerung der Dauer des Krankengeldanspruches normiert, aber keine eigene Regelung der Höhe des Krankengeldes. § 143 ASVG ist auch auf den durch § 139 Abs 2a ASVG verlängerten Anspruchszeitraum anzuwenden. Liegt innerhalb dieses Zeitraumes ein Ruhensgrund vor, so tritt (teilweises) Ruhen ein, fällt er weg, lebt der Leistungsanspruch wieder in voller Höhe auf.