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Wegunfall im Homeoffice – Kein Versicherungsschutz bei Erhöhung des Risikos durch Wahl eines weiter entfernten Supermarkts

ELISABETHBISCHOFREITER

Die Wohnadresse des Kl gilt gem § 175 Abs 1b ASVG unstrittig als Arbeitsstätte iSd § 175 Abs 2 Z 7 ASVG.

Eine Risikoüberwälzung auf die Versichertengemeinschaft ist bei Unfällen auf Wegen zur Befriedigung lebenswichtiger persönlicher Bedürfnisse nur hinsichtlich des notwendigerweise mit der Bedürfnisbefriedigung verbundenen Wegs zu rechtfertigen, nicht aber dann, wenn sich die versicherte Person durch die Wahl eines weiter von der Arbeitsstätte entfernten Ortes einer unnötigen Gefahr aussetzt.

SACHVERHALT

Der Kl arbeitete am 30.7.2020 im Homeoffice an seiner Wohnadresse. Der DG gestattete ihm auch im Homeoffice, eine halbe Stunde Mittagspause zu machen. Der Kl hatte an diesem Tag vor, sich „irgendeine kalte Jause“ zu kaufen. Er fuhr mit seinem Motorrad infolge des starken Verkehrsaufkommens über die Mittagszeit über einen Weg von 3 km rund 6 Minuten zu einer „H*-Filiale“, wobei er Nebenwege und nicht die Hauptstraße wählte. Auf dem Rückweg begann sein Motorrad zu brennen. Der Kl erlitt Verbrennungen an mehreren Körperregionen. Gegenüber der Wohnadresse des Kl befindet sich in rund 120 m Entfernung ein E*-Supermarkt, der in einer Minute zu Fuß zu erreichen ist. In 500 m Entfernung befindet sich ein P*-Markt, der in rund 6 Minuten zu Fuß erreichbar ist.

VERFAHREN UND ENTSCHEIDUNG

Die Vorinstanzen wiesen das Klagebegehren auf Feststellung, dass die beim Unfall erlittenen Gesundheitsstörungen Folgen eines Arbeitsunfalls seien, und auf Gewährung einer Versehrtenrente ab.

Die außerordentliche Revision wurde mangels Vorliegens einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung gem § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

ORIGINALZITATE AUS DER ENTSCHEIDUNG

1.1 Gemäß § 175 Abs 2 Z 7 ASVG sind Arbeitsunfälle auch Unfälle, die sich auf einem Weg von der Arbeits- oder Ausbildungsstätte ereignen, den der Versicherte zurücklegt, um während der Arbeitszeit, einschließlich der in der Arbeitszeit liegenden gesetzlichen sowie kollektivvertraglich oder betrieblich vereinbarten Arbeitspausen, in der Nähe der Arbeits- oder Ausbildungsstätte oder in seiner Wohnung lebenswichtige persönliche Bedürfnisse zu befriedigen, anschließend auf dem Weg zurück zur Arbeits- oder Ausbildungsstätte sowie bei dieser Befriedigung der lebensnotwendigen Bedürfnisse, sofern sie in der Nähe der Arbeits- und Ausbildungsstätte, jedoch außerhalb der Wohnung des Versicherten erfolgt.

1.2 Die Wohnadresse des Klägers gilt im vorliegenden Fall gemäß § 175 Abs 1b ASVG unstrittig als Arbeitsstätte im Sinn des § 175 Abs 2 Z 7 ASVG (§ 734 ASVG).176

1.3 Die Voraussetzungen, unter denen nach § 175 Abs 2 Z 7 ASVG für einen Wegunfall Versicherungsschutz gewährt werden soll, sind folgende: Der Weg muss in der Arbeitszeit bzw während der Dauer einer Arbeitspause zurückgelegt worden sein, er muss der Befriedigung lebenswichtiger persönlicher Bedürfnisse (lebensnotwendiger Bedürfnisse) gedient haben […], und das Ziel des Wegs […] muss entweder die Wohnung der versicherten Person oder aber ein in der Nähe der Arbeitsstätte gelegener Ort sein (Schrattbauer, UV-Schutz bei Wegunfall in der Mittagspause, ZAS 2014/6, 37 [40]; 10ObS169/12v&SkipToDocumentPage=True&SucheNachRechtssatz=False&SucheNachText=True" target="_blank">10 ObS 169/12v SSV-NF 27/18; 10ObS35/13i&SkipToDocumentPage=True&SucheNachRechtssatz=False&SucheNachText=True" target="_blank">10 ObS 35/13i SSV-NF 27/28).

2.1 Da das Gesetz auf einen Ort „in der Nähe“ abstellt, besteht ein Versicherungsschutz nicht nur dann, wenn das nächstgelegene Lokal oder der nächstgelegene Platz zur Befriedigung des Bedürfnisses aufgesucht wird. Es wird dem Versicherten in diesem Zusammenhang vielmehr eine gewisse Bewegungsfreiheit zugestanden […]. Die Einschränkung „in der Nähe“ erlaubt aber den Schluss, dass in der Regel der maßgebliche Ort von der Arbeitsstätte zu Fuß in solch einer Zeit erreichbar sein muss, dass während der Arbeitspause Hin- und Rückweg zurückgelegt und das Essen eingenommen werden können. Wird ein weit entfernter Ort aufgesucht und ist dies nicht mehr wesentlich durch die Notwendigkeit der Essenseinnahme geprägt, so sind weder der Weg noch die Verrichtung geschützt […]. Nur hinsichtlich des notwendigerweise mit der Bedürfnisbefriedigung verbundenen Wegs ist eine Risikoüberwälzung auf die Versichertengemeinschaft zu rechtfertigen, nicht aber dann, wenn sich die versicherte Person durch die Wahl eines weiter von der Arbeitsstätte entfernten Ortes einer unnötigen Gefahr aussetzt (10ObS169/12v&SkipToDocumentPage=True&SucheNachRechtssatz=False&SucheNachText=True" target="_blank">10 ObS 169/12v; Schrattbauer, DRdA 2014, 41).

2.2 Welcher Ort nach dieser Bestimmung noch in der Nähe liegt, ist nach den jeweiligen besonderen Verhältnissen des Einzelfalls zu beurteilen […]. Die Rechtsansicht der Vorinstanzen, dass der Weg des Klägers im konkreten Fall nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung stand, ist nicht korrekturbedürftig. Schon das Erstgericht hat zutreffend ausgeführt, dass bereits die Wahl des Klägers, mit dem Motorrad über Nebenwege zu einem drei Kilometer entfernten Supermarkt zu fahren (statt zu Fuß einen nur eine Minute entfernt liegenden aufzusuchen, um sich eine kalte Jause zu kaufen) die Unfallgefahr unnötig erhöht hat. […] Dem Argument des Klägers, im – ebenfalls in wenigen Minuten zu Fuß erreichbaren – P*-Markt habe es nicht die von ihm gewünschten Mahlzeiten gegeben, ist zu entgegnen, dass die Wahl eines weiter entfernten Supermarkts aufgrund bestimmter Vorlieben dem nicht versicherten eigenwirtschaftlichen Bereich zuzurechnen ist (10ObS35/13i&SkipToDocumentPage=True&SucheNachRechtssatz=False&SucheNachText=True" target="_blank">10 ObS 35/13i).

ERLÄUTERUNG

Seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie ist die Frage nach dem Versicherungsschutz im Homeoffice verstärkt in den Fokus gerückt. Die Lehre hat sich bereits intensiv mit den damit im Zusammenhang stehenden Rechtsfragen beschäftigt. Rsp des OGH gab es nach der ausdrücklichen unfallversicherungsrechtlichen Erfassung von Homeoffice-Situationen bislang nur zu einem Dienstunfall eines Personalvertreters im Homeoffice (OGH 27.4.2021, 10 ObS 15/21k, vgl DRdA 2022/21, 28 [Pfeil]).

Gegenständliches Verfahren beschäftigt sich mit der Frage, unter welchen Voraussetzungen für Wegunfälle im Homeoffice gem § 175 Abs 2 Z 7 ASVG Versicherungsschutz gewährt wird. Der OGH stellt in diesem Zusammenhang zunächst fest, dass es sich bei der Wohnung des Kl gem § 175 Abs 1b ASVG um eine Arbeitsstätte handelt. Diese Bestimmung wurde anlässlich der Corona-Pandemie gemeinsam mit Abs 1a durch das 3. Covid-19-G vorerst befristet bis 31.3.2021 eingeführt und in Bezug auf den „Aufenthaltsort“ erlassen. Vor diesem Hintergrund ist auch der Verweis des OGH auf § 734 ASVG zu sehen, in dem das Inkraft- und Außerkrafttreten der Regelung normiert wurde.

Mit 1.4.2021 wurde die Regelung ins Dauerrecht überführt. Anstelle des „Aufenthaltsorts“ wurde nunmehr allerdings die „Wohnung“ als Arbeitsstätte definiert. Hierzu ist festzuhalten, dass die Wohnung schon bisher als Arbeitsstätte galt und der Unfallversicherungsschutz von Arbeitswegen iSd § 175 Abs 2 Z 7 ASVG auch bislang bestand, wenn der Weg von der Wohnung aus angetreten wurde (vgl R. Müller in Mosler/Müller/Pfeil [Hrsg], Der SV-Komm § 175 ASVG Rz 252; vgl auch Risak, Arbeitsunfall im Homeoffice, CuRe 2020/29CuRe 2020/29). Dementsprechend verwies der OGH hinsichtlich der Frage, wann ein „Ort in der Nähe“ vorliegt bzw unter welchen Voraussetzungen kein Versicherungsschutz für einen solchen Wegunfall gewährt wird, auf seine bisherige Rsp.

Aufgrund der Lagerung des Sachverhalts bleibt noch ungeklärt, ob die Einführung des § 175 Abs 1b ASVG die Einschränkung in § 175 Abs 2 Z 7 ASVG, wonach kein Versicherungsschutz bei Befriedigung lebensnotwendiger Bedürfnisse in der Wohnung der Versicherten besteht, aufhebt (bejahend hierzu zB Risak, CuRe 2020/29, der auf die Begründung des entsprechenden Initiativantrages 402/A 27. GP verweist, wonach die Rechtslage des Unfallversicherungsschutzes betreffend die Wege zur Befriedigung lebensnotwendiger Bedürfnisse „unzumutbar“ ist und die Befriedigung dieser Bedürfnisse beispielsweise nur dann geschützt sei, wenn sie außerhalb der Wohnung erfolge; aA zB R. Müller, 177Der Arbeitsunfall im Homeoffice, DRdA 2020, 311 [316]). Vor diesem Hintergrund hat die gegenständliche E noch keine neuen Erkenntnisse zu den von der Lehre aufgeworfenen Fragen zum Unfallversicherungsschutz im Homeoffice bringen können. Dies bleibt künftigen Entscheidungen vorbehalten.