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Persönliche Umstände dürfen für die Beurteilung der Invalidität weder zu Lasten noch zu Gunsten der versicherten Person herangezogen werden

ALEXANDERDE BRITO

Der 1970 geborene Kl ist trotz seiner leidensbedingten Einschränkungen noch in der Lage, leichte Arbeiten mit Einschränkungen auszuüben. Ausgeschlossen sind ein Wohnsitzwechsel und ein Wochenpendeln. Der Kl genießt keinen Berufsschutz und ist noch in der Lage, zahlreichen Verweisungstätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nachzugehen, hinsichtlich deren bundesweit ein Arbeitsmarkt von mehr als 100 freien oder besetzten Stellen besteht.

Der Kl lebt in einer typischen Pendlergemeinde, aus der mehr als die Hälfte der Erwerbstätigen auspendeln, wovon der überwiegende Teil ein eigenes Fahrzeug benützt. Mit einem öffentlichen Verkehrsmittel kann der Kl keinen Arbeitsmarkt von mindestens 30 oder auch von bloß 15 Arbeitsplätzen in den Verweisungstätigkeiten erreichen. Der Kl besitzt kein eigenes Kraftfahrzeug. Der Kl hatte sein Kraftfahrzeug verkauft (Kaufvertrag: 23.4.2020), nachdem er den Antrag auf Gewährung der Invaliditätspension gestellt hatte (am 19.12.2019). Hätte er ein solches, könnte er einen regionalen Arbeitsmarkt von mindestens 30 freien oder besetzten Arbeitsplätzen in den Verweisungstätigkeiten erreichen.

Mit Bescheid lehnte die Bekl die Gewährung einer Invaliditätspension ab. Die Vorinstanzen wiesen das Begehren des Kl auf Zuerkennung einer Invaliditätspension ebenfalls ab. Zum Zeitpunkt der Antragstellung habe der Kl noch über ein Kraftfahrzeug verfügt. Es sei ihm daher möglich gewesen, einen zumutbaren Arbeitsplatz zu erreichen. Dass der Kl sein Kraftfahrzeug zwischenzeitlich verkauft habe, ändere nichts an dieser Beurteilung.

Die dagegen erhobene außerordentliche Revision des Kl wies der OGH zurück, da sie keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung aufzeige.

Der OGH stellte klar, dass die Minderung der Arbeitsfähigkeit nicht konkret, sondern abstrakt ermittelt wird. Grundsätzlich kommt es daher für die Beurteilung der Minderung der Arbeitsfähigkeit nicht auf die Verhältnisse am Wohnort der versicherten Person an, sondern auf die Verhältnisse am allgemeinen Arbeitsmarkt, weil die versicherte Person sonst durch die Wahl des Wohnorts die Voraussetzungen für die Gewährung der Pension beeinflussen könnte. Auch ein abgelegener Wohnort des Versicherten hat daher bei der Beurteilung der geminderten Arbeitsfähigkeit grundsätzlich außer Betracht zu bleiben. Ist allerdings ein Versicherter wie der Kl aus medizinischen Gründen nicht mehr in der Lage, den Wohnort zu wechseln, ist die konkrete Situation am Wohnort zur Beurteilung der Frage, ob Invalidität vorliegt, zu beachten. Im vorliegenden Fall ist nach der Rsp maßgeblich, dass es in einer Pendlergemeinde wie jener, in der der Kl lebt, üblich ist, mit dem privaten Kraftfahrzeug zur nächsten Haltestelle oder zum Arbeitsplatz zu gelangen. Das Argument, dass der Versicherte die Kosten der Verwendung des eigenen Kraftfahrzeugs nicht tragen muss, die erheblich über denen der Mehrheit der Versicherten liegen, die den Arbeitsplatz mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichen können, kommt in solchen Fällen nicht zum Tragen.

Der Kl ist medizinisch in der Lage, mit einem Kraftfahrzeug einen ausreichenden regionalen Arbeitsmarkt zu erreichen. Er macht geltend, dass er – zumindest zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung erster Instanz – kein Kraftfahrzeug besessen habe und dessen Vorhandensein nicht fingiert werden dürfe. Die Veräußerung seines Kraftfahrzeugs nach Stellung des Antrags auf Gewährung einer Invaliditätspension sei unschädlich; eine andere Ansicht wäre ein nicht tolerierbarer Eingriff in die Privatautonomie des Kl.

Der OGH führte aus, dass ebenso, wie im Rahmen der abstrakten Prüfung, der Versicherte grundsätzlich verpflichtet ist, zu übersiedeln; um einen Arbeitsplatz zu erreichen, ist er auch verpflichtet, ein ihm zur Verfügung stehendes Kraftfahrzeug zu verwenden, um einen Arbeitsplatz zu erreichen. Persönliche Umstände dürfen für die Frage der Beurteilung der Invalidität zwar nicht zu Lasten, aber auch nicht zu Gunsten der versicherten Person herangezogen werden. Der Kl verkaufte sein Kraftfahrzeug (Kaufvertrag: 23.4.2020), nachdem er den Antrag auf Gewährung der Invaliditätspension gestellt hatte (am 19.12.2019). Am Stichtag, dem 1.1.2020, stand es ihm zur Verfügung. Dass der Kl das Kraftfahrzeug aus medizinischen Gründen verkaufen hätte müssen oder nicht verwenden hätte können, hat er weder behauptet, noch 178ergibt sich dies aus den Feststellungen. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass es sich dabei um einen persönlichen Umstand handelt, der nicht zu Gunsten des Kl ausschlaggebend sein kann, ist nach den maßgeblichen Umständen des Einzelfalls nicht korrekturbedürftig.