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In der Berufung unterlassene Rechtsrüge kann nicht im Revisionsverfahren nachgetragen werden

KRISZTINAJUHASZ

Der Kl ist als Ziviltechniker selbständig erwerbstätig. Mit Bescheid sprach die bekl Sozialversicherungsanstalt aus, dass die Unterstützungsleistung bei lang andauernder Krankheit gem § 104a GSVG im Zeitraum von 1.12.2019 bis 23.3.2020 sowie von 24.3. bis 18.4.2020 ruhe, weil die Krankmeldungen bzw Weitermeldungen nicht ordnungsgemäß bzw unvollständig und verspätet übermittelt worden seien.

Das Erstgericht verpflichtete die Bekl zur Erbringung einer Unterstützungsleistung für die Zeiträume von 1.12.2019 bis 16.1.2020 und von 23.3. bis 14.4.2020 mit der Begründung, dass der Kl mit seinen Meldeverpflichtungen ab dem 16.1.2020 in Verzug geraten sei. Aufgrund der nächsten Folgemeldung gebühre dem Kl ab 23.3.2020 für drei weitere Wochen die Unterstützungsleistung. Dieser Anspruch ruhe aber nach Ablauf von drei Wochen und einem Tag, also ab dem 15.4.2020 (§ 104b Abs 1 iVm § 104a Abs 3 Satz 3 GSVG). Das Mehrbegehren wies das Erstgericht ab.

Das Berufungsgericht gab der gegen den klageabweisenden Teil des Urteils erhobenen Berufung – die lediglich aus den Berufungsgründen der unrichtigen Tatsachenfeststellung, der Mangelhaftigkeit des Verfahrens und der Aktenwidrigkeit erhoben wurde – nicht Folge.

Die OGH wies die ordentliche Revision des Kl als unzulässig zurück.

Im Revisionsverfahren machte der Kl unterschiedliche Revisionsgründe geltend:

Er brachte zum einen vor, dass das erstgerichtliche Verfahren infolge der unterlassenen Einvernahme der behandelnden Ärztin des Kl mangelhaft geblieben sei und dass das Berufungsgericht diese Mangelhaftigkeit nicht erkannt hätte. Der OGH führte dazu aus, dass die Frage, ob ein Kontrollbeweis zur Überprüfung von Feststellungen erforderlich ist, der freien Beweiswürdigung der Tatsacheninstanzen unterliegt. Wenn also das Berufungsgericht die Ein181vernahme der Ärztin als nicht erforderlich erachtet und deshalb das Vorliegen eines erstinstanzlichen Verfahrensmangels verneint, kann die Entscheidung unter dem Gesichtspunkt der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens nicht angefochten werden. Nach stRsp könnte ein Mangel des Berufungsverfahrens nur dann vorliegen, wenn sich das Berufungsgericht mit der Verfahrensrüge in der Berufung überhaupt nicht oder nur unzureichend befasst hätte. Davon war aber im vorliegenden Fall nicht auszugehen. Ein vom Berufungsgericht verneinter Mangel des Verfahrens erster Instanz bildet jedoch auch in Sozialrechtssachen keinen Revisionsgrund (OGH 13.9.2021, 10ObS59/21f&SkipToDocumentPage=True&SucheNachRechtssatz=False&SucheNachText=True" target="_blank">10 ObS 59/21f).

Beide Parteien übereinstimmten in ihren Ausführungen, dass der Kl infolge Krankheit arbeitsunfähig war. Somit konnten jene Tatsachen als außer Streit stehend angesehen werden, aus denen abzuleiten war, dass der Kl, aufgrund des Inhalts seiner selbständigen Tätigkeit und seines Gesundheitszustands, im genannten Zeitraum seiner bisherigen Beschäftigung nicht nachgehen konnte. Die vorgebrachte Aktenwidrigkeit lag nach Ansicht des OGH nicht vor.

Schließlich machte der Revisionswerber geltend, dass das Berufungsgericht die Tatsachenrüge, in der eine bestimmte Feststellung zum Inhalt der Arbeitsunfähigkeitsbestätigung vom 28.11.2019 gewünscht worden war, mit einer unrichtigen rechtlichen Beurteilung unerledigt gelassen hätte. Richtigerweise wäre infolge unterschiedlicher Krankheitsbilder (ungeachtet des Fortbestehens der Arbeitsunfähigkeit) die neuerliche Krankmeldung vom 23.3.2020 als Erstmeldung gem § 104a Abs 3 Satz 1 GSVG zu werten gewesen und nicht als (alle 14 Tage zu erstattende) Fortsetzungsmeldung gem § 104a Abs 3 Satz 3 GSVG. Auf diese Rechtsausführungen des Kl konnte der OGH aber nicht eingehen. Hat der Kl nämlich in seiner Berufung die rechtliche Beurteilung des Erstgerichts nicht mittels Rechtsrüge bekämpft, sondern nur eine Verfahrens- und Beweisrüge erhoben und eine Aktenwidrigkeit geltend gemacht, kann nach stRsp die in der Berufung unterlassene Rechtsrüge in der Revision nicht mehr nachgetragen werden. Dass die Berufungsausführungen des Kl inhaltlich doch (auch) als Rechtsrüge zu verstehen gewesen wären, machte der Revisionswerber zu Recht nicht geltend.

Da die vom Berufungsgericht als erheblich angesehene Rechtsfrage nicht zum Gegenstand des Revisionsverfahrens werden konnte und der Revisionswerber keine Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO aufzuzeigen vermochte, war die Revision zurückzuweisen.