87Bindungswirkung einer ausländischen A1-Bescheinigung
Bindungswirkung einer ausländischen A1-Bescheinigung
Der Revisionswerber ist der handelsrechtliche Geschäftsführer der S GmbH, für die RB tätig wurde. Die Bezirkshauptmannschaft (BH) Baden hat mit Straferkenntnis festgestellt, dass die S GmbH es als DG unterlassen habe, RB vor Arbeitsantritt am 15.7.2019 gem § 111 Abs 1 Z 1 iVm § 33 Abs 1 ASVG zur Pflichtversicherung anzumelden. Es wurde daher eine Geldstrafe gem § 111 Abs 2 ASVG iHv € 2.500,- verhängt. Begründend führte die BH Baden an, RB sei ein der Vollversicherungspflicht unterliegender DN der S GmbH gewesen.
Der Revisionswerber erhob gegen das Straferkenntnis Beschwerde und brachte vor, RB sei in der Slowakei als Selbständiger gemeldet, was durch eine A1-Bestätigung bestätigt werde. Demnach betreibe RB in der Slowakei als selbständiger Schlosser eine Werkstatt, führe verschiedene Arbeiten für diverse Auftraggeber durch und werde für die S GmbH aufgrund einzelner Aufträge, bei denen es sich um Werkverträge handle, tätig.
Das LVwG Niederösterreich wies die Beschwerde als unbegründet ab.
In rechtlicher Hinsicht folgerte es zusammengefasst, bei einer Gesamtbetrachtung ergebe sich bei RB ein Überwiegen der Merkmale persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit von der S GmbH gegenüber denen persönlicher und wirtschaftlicher Unabhängigkeit. Auch dass RB „möglicherweise“ über eine Gewerbeberechtigung in der Slowakei verfüge, stehe der Annahme des Bestehens der Pflichtversicherung nicht entgegen. Weiters wurde ausgesprochen, dass die Revision gem Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig sei.
Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die außerordentliche Revision. Der VwGH entschied, dass die außerordentliche Revision zulässig und berechtigt ist.
Der VwGH weist darauf hin, dass der Revisionswerber im Beschwerdeverfahren auf ein slowakisches A1-Formular verwiesen und vorgebracht hat, RB unterliege als Selbständiger der SV in der Slowakei. Im Akt der BH Baden befindet sich eine Kopie einer von den Behörden der Slowakei ausgestellten A1-Bescheinigung über die Anwendung der slowakischen Rechtsvorschriften der sozialen Sicherheit hinsichtlich der von RB im Zeitraum von 2.1. bis 31.12.2019 ausgeübten selbstständigen Erwerbstätigkeit, wobei als Ort der Tätigkeit der Betrieb der S GmbH angegeben ist.
Zur Bindungswirkung einer nach Art 12 Abs 2 VO (EG) 883/2004 – als selbstständig Erwerbstätiger ausgestellten A1-Bescheinigung – verweist der VwGH auf die Entscheidungsgründe des Erkenntnisses des VwGH vom 14.11.2018, Ra 2016/08/0082. Daraus ist hervorzuheben, dass gem Art 5 Abs 1 VO (EG) 987/2009 eine Bindung der Versicherungsträger und der Gerichte des Mitgliedstaats, in dem die Tätigkeit ausgeübt wird, eintritt. Diese Bindungswirkung bezieht sich auf die bescheinigte Anwendbarkeit der sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften des betreffenden Mitgliedstaats hinsichtlich einer bestimmten Tätigkeit und nicht bloß darauf, welche Rechtsvorschriften für die Beurteilung der Selbständigkeit oder Unselbständigkeit der Tätigkeit maßgeblich sind. Der EuGH hat in seiner Rsp die Bindungswirkung von Bescheinigungen zwar in Fällen, in denen diese betrügerisch erlangt wurden, eingeschränkt. Voraussetzung dafür, dass ein nationales Gericht in diesen Fällen die Bescheinigungen außer Acht lassen kann, ist jedoch zunächst, dass der ausstellende Träger mit in einer gerichtlichen Prüfung gesammelten Beweisen befasst wurde, die die Feststellung erlauben, dass die Bescheinigungen betrügerisch erlangt oder geltend gemacht wurden, und der ausstellende Träger es unterlassen hat, diese Beweise bei einer erneuten Prüfung der Bescheinigungen zu berücksichtigen.
Die Revision ist somit schon deshalb berechtigt, weil das LVwG hätte prüfen müssen, ob das Vorliegen einer Pflichtversicherung des RB in Österreich und damit eine Meldepflichtverletzung nach § 33 ASVG aufgrund der Bindungswirkung einer vom zuständigen slowakischen Versicherungsträger ausgestellten A1-Bescheinigung ausgeschlossen ist.
Das angefochtene Erkenntnis war daher gem § 42 Abs 2 Z 3 lit b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.185