Die Anstellung pflegender Angehöriger nach dem Burgenländischen Modell
Die Anstellung pflegender Angehöriger nach dem Burgenländischen Modell
Als derzeit einziges Bundesland bietet das Burgenland seit 2019 an, dass sich pflegende Angehörige bei der Pflegeservice Burgenland GmbH, einer Tochter der burgenländischen Krankenanstalten-GesmbH (KRAGES), anstellen lassen können.* In Oberösterreich startete mit September 2021 ein entsprechendes Pilotprojekt,* und auch in Wien wird ein ähnliches Anstellungsmodell für pflegende Angehörige diskutiert.* Angesichts des zunehmenden Bedarfs an Pflegekräften durch demografische, soziale und ökonomische Entwicklungen erscheint es evident, dass Handlungsbedarf besteht, doch ist die Variante der Anstellung von Angehörigen nicht unumstritten. Einerseits fordern Stimmen aus der professionellen Personenbetreuung eine Ausdehnung des Modells auf Nicht-Verwandte, für andere wäre eine Erhöhung von Unterstützungsleistungen für pflegende Angehörige eine sinnvollere Alternative. In dieser Debatte stellen sich somit grundsätzliche Fragen über die Organisation von bezahlter und bislang unbezahlter Pflegearbeit, auch mit den Mitteln des Rechts. In diesem Beitrag wird zunächst die Rechtslage für pflegende Angehörige außerhalb des Burgenlands, also ohne die Möglichkeit zur Anstellung, kurz dargestellt, um im nächsten Schritt das Anstellungsmodell auch in Abgrenzung dazu näher darstellen zu können. Abschließend wird eine Abwägung vorgenommen, wobei insb durch die Bezugnahme auf Erkenntnisse aus den Legal Gender Studies die Vor- und Nachteile einer Anstellung gegenüber bestehenden sozial- und arbeitsrechtlichen Unterstützungsleistungen dargestellt werden.
Der Großteil der pflegebedürftigen Personen wird in Österreich durch Familienangehörige betreut, diese sind dadurch starken Belastungen ausgesetzt.* Um pflegende Angehörige zu unterstützen, wurden in den vergangenen Jahrzehnten bereits umfassende arbeits- und sozialrechtliche Instrumente geschaffen.
Im sozialrechtlichen Bereich sind vor allem das Pflegegeld und Erleichterungen in der SV zu nennen. Das Pflegegeld soll gem § 1 BPGG pflegebedürftigen Personen die notwendige Betreuung und Hilfe sichern und dadurch ihre Möglichkeiten verbessern, ein selbstbestimmtes und bedürfnisorientiertes Leben zu führen.* Es wird nach dem erforderlichen Pflegebedarf unabhängig von Einkommen und Vermögen in sieben Stufen ausbezahlt.* Im Jahresdurchschnitt 2020 bezogen 467.136 Personen ein Bundespflegegeld.* Dieser Anspruch der pflegebedürftigen Person auf finanzielle Unterstützung wurde bereits 1993 eingeführt. Damit entspricht die österreichische Rechtsentwicklung dem europäischen Trend, wonach Staaten zunächst Förderungen für pflegebedürftige Personen einführten, und erst nach und nach auch die Unterstützung der Pflegenden in den Fokus rückte.* So traten auch in Österreich Schutz- und Unterstützungsmaßnahmen für pflegende Angehörige erst allmählich in Kraft. Hier sind zunächst versicherungsrechtliche Maßnahmen zu nennen:* Die begünstigte Weiterversicherung in der PV (§ 17 iVm § 77 Abs 6 ASVG) sowie die Dehnung der Rahmenfrist für Ansprüche in der AlV (§ 15 Abs 3 Z 4 AlVG) bestanden bereits ab 1998.* Hinzu kam 2006 die Möglichkeit zur beitragsfreien Selbstversicherung in der PV (§ 18b iVm § 77 Abs 6 ASVG§ 77 Abs 6 ASVG)* und schließlich 2015 auch in der KV (§ 16 Abs 2b ASVG).* Zudem entfallen für die zu pflegende Person die Beiträge zur Mitversicherung gem §§ 123 iVm 51d Abs 3 Z 3 ASVG.
Arbeitsrechtlich dienen die Pflegekarenz und Pflegeteilzeit (§§ 14c, 14d Arbeitsvertragsrechts-Anpassungsgesetzes [AVRAG]) der Absicherung pfle186gender Angehöriger.* Seit 2014 können diese zur Pflege eines*r Angehörigen vereinbart werden, wenn diese*r Pflegegeld der Stufe 3 oder höher bezieht oder an Demenz erkrankt ist. Die Pflegekarenz dauert ein bis drei Monate, in dieser Zeit bestehen ein Motivkündigungsschutz, Rechtsanspruch auf Pflegekarenzgeld (§§ 21c ff BPGG) sowie die genannte sozialversicherungsrechtliche Absicherung in Form einer beitragsfreien KV und PV. Der Grundbetrag des Pflegekarenzgeldes ist einkommensabhängig und gebührt in derselben Höhe wie das Arbeitslosengeld, dh 55 % des täglichen Nettoeinkommens, zumindest jedoch in Höhe der Geringfügigkeitsgrenze. Im Falle der Pflegeteilzeit steht das Pflegekarenzgeld aliquot zu. Während diese Zeiten einer Vereinbarung bedürfen, normiert § 14c Abs 4a AVRAG seit 2020 für AN, die zum Zeitpunkt des Antritts der Pflegekarenz in einem Betrieb mit mehr als fünf AN beschäftigt sind, zusätzlich einen Rechtsanspruch auf Pflegekarenz von bis zu vier Wochen.*
Hinzu kommen die Pflegefreistellung (§ 16 UrlG) sowie die Familienhospizkarenz (§§ 14a und 14b AVRAG). Auf eine Pflegefreistellung mit Entgeltfortzahlung bis zu einer Woche haben AN einen Anspruch, die erkrankte Angehörige pflegen oder ein erkranktes Kind begleiten. Die Familienhospizkarenz steht für den Fall der Sterbebegleitung naher Angehöriger oder der Begleitung eines schwerstkranken Kindes zu. Die Höchstdauer liegt hier bei sechs bzw neun Monaten. In diesem Zeitraum kann ebenfalls Pflegekarenzgeld bezogen werden.
Im Burgenland ist seit 2019 die Anstellung von pflegenden Angehörigen möglich, gestützt wird dieses Pilotprojekt auf § 6 Abs 1 Z 6, Abs 2 und 3 sowie § 14 Bgld SHG 2000. Ergänzend hat die Landesregierung Richtlinien erlassen,* die als Verordnung qualifiziert werden können.* In der Präambel werden drei Zielsetzungen genannt; die sozialversicherungsrechtliche und finanzielle Absicherung der pflegenden Angehörigen, die Ermöglichung des Verbleibs zu Hause für pflegebedürftige Personen und die mittelfristige Gewinnung zusätzlichen Personals für den Heimhilfe-Bereich durch die Ausbildung pflegender Angehöriger.
Pflegende Angehörige können sich bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen bei der Pflegeservice Burgenland GmbH, einer Tochter der Burgenländischen KRAGES, anstellen lassen.* Das aus diesem Dienstverhältnis zustehende Gehalt wird durch einen Selbstbehalt der pflegebedürftigen Person, bestehend aus einem vom Pflegegeld und einem vom Einkommen (Pension etc) abhängigen Teil, und die Förderung des Landes Burgenland finanziert.* Zusätzlich werden die Kosten für einen Betreuungsersatz während des Urlaubs oder der Dienstverhinderung der oder des Angehörigen sowie die Gewährung eines 13. und 14. Gehalts gefördert.
Die Anstellung muss gem § 6 der Richtlinien durch die zu pflegende Person beantragt werden. § 14 Abs 3 Bgld SHG 2000 bestimmt Voraussetzungen betreffend beide Parteien. Die zu betreuende Person muss die österreichische oder eine EU-/EWR-Staatsbürgerschaft besitzen und ihren Wohnsitz seit zwei Jahren im Burgenland haben. Die betreuende Person muss Zugang zum österreichischen Arbeitsmarkt haben, geschäftsfähig sowie körperlich, gesundheitlich und persönlich in der Lage sein, die Betreuung zu übernehmen und keine Pension beziehen. Es besteht kein Rechtsanspruch. Erfolgt eine Förderzusage des Landes, sind binnen vier Wochen zwei Verträge abzuschließen: ein Vertrag zwischen pflegebedürftiger Person und der PSB GmbH über die Zurverfügungstellung der Arbeitskraft eines*r pflegenden Angehörigen, und in Folge dann der Dienstvertrag zwischen pflegender*m Angehöriger*m und der PSB GmbH.* Lohnhöhe und Arbeitszeit sind gem § 14 Abs 4 Bgld SHG 2000 abhängig von der Pflegestufe. Die mögliche Wochenstundenanzahl im Dienstvertrag ist dabei an die Pflegegeld-Stufe gekoppelt und in drei Modelle untergliedert, generell ist eine Anstellung erst ab Pflegestufe 3 möglich. Für die Betreuung einer Person mit Pflegestufe 3 ist ein Dienstvertrag über bis zu 20 h pro Woche bei einem Nettogehalt von € 1.022,21 möglich, bei Pflegestufen 5-7 bis zu 40 h pro Woche bei € 1.750,49.*
Begleitend sind gem § 14 Abs 3 Z 6 Bgld SHG 2000 verpflichtende Unterstützungsbesuche diplomierter Gesundheits- und Krankenpfleger*innen vorgesehen, die pflegende Angehörige beraten und so die Betreuungsqualität verbessern sollen. Pflegende Angehörige müssen zudem innerhalb eines Jahres ab Dienstantritt an einer Grundausbildung für die Betreuung teilnehmen, sie können außerdem innerhalb dieses Jahres kostenfrei die Ausbildung zur Heimhelferin oder zum Heimhelfer gem § 5 Abs 3 Burgenländisches Sozialbetreuungsberufegesetz* absolvieren.* Diese Ausbildungsoption stellt auch eine berufliche Perspektive nach Ende 187des Betreuungsverhältnisses dar, allerdings ist diese fachlich stark eingeschränkt. Für das Land ist die Gewinnung zusätzlichen Personals in diesem Bereich ein erklärtes Ziel des Anstellungsmodells.*
Welche Vor- und Nachteile birgt das burgenländische Modell nun im Vergleich zu den bislang andernorts geltenden arbeits- und sozialrechtlichen Maßnahmen für pflegende Angehörige und pflegebedürftige Personen?
Ein wesentlicher Vorteil ist, dass es die langfristige Pflege zuhause durch Angehörige ermöglicht und zwar ohne die pflegende Person in die Erwerbsarbeitslosigkeit zu drängen. Die Pflegekarenz ist zwar iVm dem Pflegekarenzgeld eine effektive Maßnahme, um die Pflege naher Angehöriger kurzzeitig zu ermöglichen, insb seit 2020 ein Rechtsanspruch darauf besteht. Allerdings erstreckt sich der Anspruch auf maximal vier Wochen, eine vereinbarte Karenz auf maximal drei Monate. Gerade im Bereich der Altenpflege verbessert sich die gesundheitliche Situation der zu pflegenden Personen jedoch häufig nicht mehr, sondern verschlechtert sich sogar eher. Wer Langzeitpflegetätigkeiten selbst durchführen möchte oder muss, hatte bislang keine Möglichkeit, dies langfristig mit einer Berufstätigkeit zu vereinbaren, die Erwerbsarbeit musste dauerhaft reduziert oder gänzlich aufgegeben werden. Als einzige Einkommensquelle verbleibt sodann das Pflegegeld, das allerdings nur zur Deckung von Mehraufwendungen und nicht als Einkommensersatz gedacht und daher zu niedrig ist, den Lebensunterhalt zu bestreiten.* Das Pflegegeld steht zudem der pflegebedürftigen Person und nicht der pflegenden Angehörigen zu, was diese finanziell abhängig macht. Freilich ist das Abhängigkeitsverhältnis in der Altenpflege komplex – die zu pflegende Person ist in ihrer gesundheitlich eingeschränkten Situation von denen abhängig, die sich um sie kümmern; zugleich ist aber nicht zu vernachlässigen, dass es auch seitens der Pflegenden mangels eigenen Einkommens zu Abhängigkeiten kommen kann. Bereits vor diesem Hintergrund erweist sich die Möglichkeit der Anstellung als gute Alternative. Die Anstellung bringt neben voller sozialversicherungsrechtlicher Absicherung und dem Erwerb von Beitragszeiten für die Pension die Möglichkeit einer Ersatzkraft bei Krankheit und Anspruch auf Erholungsurlaub, dieser ist freilich uU mangels Ersatzkraft schwer einzulösen.
Auch aus einer Gleichstellungsperspektive erscheint das Anstellungsmodell vorteilhaft. 73 % der pflegenden Angehörigen sind Frauen,* ihre finanzielle und sozialrechtliche Situation verbessert sich durch die Anstellung. Die Tätigkeit wird als Arbeit anerkannt und aufgewertet, fraglich bleibt allerdings, ob das Modell auch das Potential hat, eine gerechtere Verteilung von Sorgearbeit unter den Geschlechtern zu forcieren.*
Die Anstellung pflegender Angehöriger kann einerseits als tatsächliche Umsetzung einer vornehmlich symbolisch vorgebrachten Forderung der Frauenbewegung der 1970er-Jahre gesehen werden: Lohn für Hausarbeit.* Diese Kampagne hatte es sich zum Ziel gesetzt, die unbezahlte Arbeit von Frauen als Arbeit sichtbar zu machen: „Demanding a wage was, first of all, to discover oneself as a worker.“* Dieses Verständnis von Sorgearbeit als Arbeit wirkt auch der Feminisierung dieser Tätigkeit entgegen. Pflegetätigkeiten werden somit nicht mehr als Resultat „natürlich“ weiblicher Fürsorglichkeit,* sondern als Arbeit verstanden, die grundsätzlich ebenso gut von Männern erbracht werden kann.
Dem muss entgegengehalten werden, dass auch bezahlte Pflegetätigkeiten vornehmlich von Frauen erbracht werden.* Gerade im Bereich häuslicher Betreuung durch familienexterne Personen ist der Frauenanteil hoch, unter den Personenbetreuer*innen ist er mit 94 % noch wesentlich höher als unter den pflegenden Angehörigen.* Personenbetreuer*innen können zwar auf Grundlage des Hausbetreuungsgesetzes angestellt werden, in der Praxis geschieht dies jedoch äußerst selten.* Denn trotz Förderung nach § 21b BPGa ist es für den betreuten Haushalt finanziell von Vorteil, eine*n selbstständige*n Personenbetreuer*in zu beauftragen.* Für die Personenbetreuer*innen ist diese Situation äußerst prekär, in vielen Fällen liegt Scheinselbstständigkeit nahe.* Es wäre zu begrüßen, wenn auch die Anstellung von nichtverwandtem Pflege- 188und Betreuungspersonal ähnlich dem Burgenländischen Modell gefördert und administrativ erleichtert würde.*
§ 14 Bgld SHG 2000 ermöglicht die Anstellung von pflegenden Angehörigen bei der Pflegeservice Burgenland GmbH. Der Umfang des Dienstvertrags ist von der Pflegestufe des zu betreuenden Angehörigen abhängig. Das Gehalt wird durch einen Selbstbehalt der pflegebedürftigen Person und der Förderung des Landes Burgenland finanziert.
Das Burgenländische Modell ermöglicht dadurch die langfristige innerfamiliäre Pflege zuhause und sichert pflegende Angehörige finanziell und sozialrechtlich ab. Die Formalisierung vormals informeller Betreuungsbeziehungen fördert zudem die Anerkennung von Sorgearbeit als Arbeit und kann zu deren gesellschaftlicher Aufwertung beitragen.