Angemessene Vorkehrungen nach § 6 Abs 1a BEinstG können auch die Verpflichtung von Arbeitgeber:innen umfassen, den:die Arbeitnehmer:in an einem anderen Arbeitsplatz zu verwenden
Angemessene Vorkehrungen nach § 6 Abs 1a BEinstG können auch die Verpflichtung von Arbeitgeber:innen umfassen, den:die Arbeitnehmer:in an einem anderen Arbeitsplatz zu verwenden
Nach § 6 Abs 1a BEinstG haben AG die geeigneten und im konkreten Fall erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um Menschen mit Behinderungen den Zugang zur Beschäftigung, die Ausübung eines Berufes, den beruflichen Aufstieg und die Teilnahme an Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen zu ermöglichen, es sei denn, diese Maßnahmen würden den:die AG unverhältnismäßig belasten. Diese Belastung ist nicht unverhältnismäßig, wenn sie durch Förderungsmaßnahmen nach bundes- oder landesgesetzlichen Vorschriften ausreichend kompensiert werden kann.
Diese Norm wurde in § 6 BEinstG, der in gleichem Zuge auch die Überschrift „Angemessene Vorkehrungen und Förderungsmaßnahmen“ bekam, durch das BGBl I 2005/82BGBl I 2005/82* in Umsetzung des Art 5 der RL 2000/78 (Gleichbehandlungsrahmen-RL)* eingefügt. Was unter diesen „angemessenen Vorkehrungen“ zu verstehen ist, führen weder die Regelungen des BEinstG noch die Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage genauer aus.
Da alle Interpretationen nach dem ABGB zu keinem weiteren Erkenntnisgewinn führen, ist der Text des angesprochenen Art 5 der RL 2000/78 heranzuziehen und es ist ein Blick in die dazu verfassten Erwägungsgründe 20 und 21 zu werfen. Mitzuberücksichtigen ist zudem die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-BRK),* nach dem EuGH ist die RL 2000/78, soweit möglich, iSd UN-BRK auszulegen.*
Nicht zuletzt gibt die Judikatur des EuGH Aufschluss über die Auslegung einzelner Richtlinienbestimmungen und entwickelt die Rechtsanwendung weiter. So auch das jüngst ergangene Urteil des EuGH vom 10.2.2022 in der Rs HR Rail SA,* das sich insb mit der Auslegung des Begriffs „angemessene Vorkehrungen“ auseinandersetzt. Diese und bereits zuvor ergangene Entscheidungen des EuGH zum fraglichen Begriff sollen vorgestellt und deren mögliche Auswirkungen auf die innerstaatliche Rsp beleuchtet werden.
Die HR Rail ist eine öffentlich-rechtliche Aktiengesellschaft und einzige AG der Bediensteten der belgischen Eisenbahn. Im November 2016 stellte sie einen Facharbeiter für die Wartung und Instandhaltung der Schienenwege ein. Im Dezember 2017 wurde bei dem AN, der sich noch in der Probezeit 189befand, ein Herzproblem diagnostiziert, das das Einsetzen eines Herzschrittmachers erforderlich machte. Dabei handelt es sich um ein Gerät, das sensibel auf elek-tromagnetische Felder reagiert, die ua in Gleisanlagen auftreten; aus diesem Grund wurde seitens der Behörde eine Behinderung anerkannt. Nachdem im Juni 2018 eine arbeitsmedizinische Beurteilung ergab, dass der AN die Tätigkeit, für die er eingestellt worden war, nicht mehr ausüben kann, wurde er als Lagerist innerhalb desselben Unternehmens eingesetzt. Am 26.9.2018 informierte HR Rail den AN über seine Entlassung zum 30.9.2018.
Als Grund für die Beendigung wurde dem AN mitgeteilt, dass für Bedienstete in der „Bewährungszeit“, bei denen eine Behinderung anerkannt werde und die nicht mehr in der Lage seien, ihre Tätigkeit auszuüben (für die sie eingestellt wurden), eine Verwendung an einem anderen Arbeitsplatz innerhalb des Unternehmens nicht vorgesehen sei.
Der AN beschritt den Rechtsweg und begehrte, die Entscheidung über seine Entlassung für nichtig zu erklären. Das zuständige belgische Gericht legte den Fall dem EuGH vor und ersuchte ihn im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens um Erläuterungen zur Auslegung der RL 2000/78 für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf, insb zum Begriff „angemessene Vorkehrungen für Menschen mit Behinderung“.
Einleitend wies der EuGH darauf hin, dass die RL 2000/78 einen allgemeinen Rahmen schaffen soll, der gewährleistet, dass jede:r „in Beschäftigung und Beruf“ gleich behandelt wird, indem sie Betroffenen einen wirksamen Schutz vor Diskriminierungen aus einem der in ihrem Art 1 genannten Gründe bietet, zu denen auch die Behinderung zählt.*
Folgende Vorfragen galt es sodann zu klären:
Erstens:zum allgemeinen Anwendungsbereich
Aus Art 3 Abs 1 der RL 2000/78 ergibt sich, dass diese für öffentliche und private Bereiche, einschließlich öffentliche Stellen gilt. Dass die HR RailSA eine öffentlich-rechtliche Aktiengesellschaft ist, hindert den AN also nicht daran, sich ihr gegenüber auf diese Richtlinie zu berufen.*
Zweitens:zum persönlichen Anwendungsbereich
Die Richtlinie gilt gemäß ihrem Art 3 Abs 1 Buchst a und b in Bezug auf die Bedingungen für den Zugang zu unselbständiger und selbständiger Erwerbstätigkeit und den Zugang zu allen Formen und allen Ebenen der Berufsberatung, der Berufsausbildung, der beruflichen Weiterbildung und der Umschulung. Aus dieser Bestimmung ergibt sich, dass sie weit genug gefasst ist, um auf den Fall des AN anwendbar zu sein, der nach der Einstellung durch seine AG zu Ausbildungszwecken eine Probezeit absolviert und der im Zeitpunkt seiner Entlassung noch kein endgültig eingestellter Bediensteter war.*
Drittens:zum Begriff Behinderung
Nach stRsp ist der Begriff „Behinderung“ iS dieser Richtlinie so zu verstehen, dass er eine Einschränkung von Fähigkeiten erfasst, die ua auf langfristige physische, geistige oder psychische Beeinträchtigungen zurückzuführen ist, die den Betreffenden in Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren an der vollen und wirksamen Teilhabe am Berufsleben unter Gleichstellung mit den übrigen AN hindern können. Im vorliegenden Fall musste dem AN aus gesundheitlichen Gründen ein Herzschrittmacher eingesetzt werden. Das ist ein Gerät, das empfindlich auf elektromagnetische Felder reagiert, die ua in Gleisanlagen auftreten, sodass der AN die wesentlichen Funktionen seines bisherigen Arbeitsplatzes nicht mehr erfüllen kann.* Der AN hat somit eine dauerhafte Einschränkung seiner Fähigkeiten erlitten, die auf körperliche Beeinträchtigungen zurückzuführen ist, die ihn in Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren an der vollen und wirksamen Teilhabe am Berufsleben, gleichberechtigt mit den anderen AN, hindern können.*
Daraus ergibt sich, dass unstreitig eine Behinderung vorliegt und die RL 2000/78 zur Anwendung gelangt.*
Um die Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes nach der RL 2000/78 auf Menschen mit Behinderungen zu gewährleisten, sind nach deren Art 5 angemessene Vorkehrungen zu treffen. Dabei ist die jeweilige individuelle Situation zu berücksichtigen und die AG hat die geeigneten und im konkreten Fall erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um Menschen mit Behinderung den Zugang zur Beschäftigung, die Ausübung eines Berufs, den beruflichen Aufstieg und die Teilnahme an Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen zu ermöglichen, es sei denn, diese Maßnahmen würden die AG unverhältnismäßig belasten. Deutlich weist der EuGH darauf hin, dass die RL 2000/78 nach Möglichkeit in Übereinstimmung mit der UN-BRK auszulegen ist.* Gem Art 2 Abs 3 UN-BRK umfasst die Diskriminierung aufgrund von Behinderung alle Formen der Diskriminierung, einschließlich der Versagung angemessener Vorkehrungen.*190
Der 20. Erwägungsgrund (kurz: ErwGr) der Richtlinie nimmt auf geeignete Maßnahmen Bezug und versteht darunter „wirksame und praktikable Maßnahmen, um den Arbeitsplatz der Behinderung entsprechend einzurichten, zB durch
eine entsprechende Gestaltung der Räumlichkeiten oder
eine Anpassung des Arbeitsgeräts, des Arbeitsrhythmus, der Aufgabenverteilung oder
des Angebots an Ausbildungs- und Einarbeitungsmaßnahmen“.
Der EuGH hält fest, dass ErwGr 20 eine nicht abschließende Aufzählung geeigneter Maßnahmen enthält, die die Arbeitsumgebung, die Arbeitsorganisation und/oder die Aus- und Fortbildung betreffen können und dass die Definition des Begriffs „angemessene Vorkehrungen“ nach Art 5 der Richtlinie im Licht der UN-BRK eine weite ist.*
Der Generalanwalt hebt diesbezüglich in seinen Schlussanträgen hervor, dass der Einrichtung des „Arbeitsplatzes“ zwar Vorrang gegenüber anderen Maßnahmen zur Anpassung des Arbeitsumfelds zukommt, sollte aber eine entsprechende Gestaltung der Räumlichkeiten oder eine Anpassung des Arbeitsgeräts, des Arbeitsrhythmus, der Aufgabenverteilung oder des Angebots an Ausbildungs- und Einarbeitungsmaßnahmen in der individuellen Situation des AN keine geeignete Maßnahme iS von Art 5 der Richtlinie darstellen, dann sind davon auch weitere Maßnahmen der AG umfasst, die es einem AN mit Behinderung ermöglichen, seine Beschäftigung zu behalten – zB auch durch Versetzung auf einen anderen Arbeitsplatz.*
Der EuGH schließt sich daher, auch unter Verweis auf Art 21 und 26 der Grundrechtecharta,* dem Generalanwalt an und kommt zum Ergebnis, dass es im Rahmen „angemessener Vorkehrungen“ eine geeignete Maßnahme darstellen kann, einen AN, der wegen des Entstehens einer Behinderung für seinen Arbeitsplatz endgültig ungeeignet geworden ist, an einem anderen Arbeitsplatz zu verwenden. Eine solche Auslegung ist mit diesem Begriff vereinbar, der dahin zu verstehen ist, dass er die Beseitigung der verschiedenen Barrieren umfasst, die die volle und wirksame Teilhabe der Menschen mit Behinderung am Berufsleben, gleichberechtigt mit den anderen AN, behindern.
Allerdings weist der EuGH darauf hin, dass Art 5 der RL 2000/78 die AG nicht dazu verpflichten kann, Maßnahmen zu ergreifen, die sie „unverhältnismäßig belasten“. Bei der Prüfung der Frage, ob diese Maßnahmen zu übermäßigen Belastungen führen, sollten insb
der mit ihnen verbundene finanzielle Aufwand und sonstige Aufwand sowie
die Größe,
die finanziellen Ressourcen und
der Gesamtumsatz der Organisation oder des Unternehmens und
die Verfügbarkeit von öffentlichen Mitteln oder
andere Unterstützungsmöglichkeiten
berücksichtigt werden (siehe dazu auch 21. ErwGr der Richtlinie).*
Abschließend hält der EuGH fest, dass die Möglichkeit, eine Person mit Behinderung an einem anderen Arbeitsplatz zu verwenden, jedenfalls voraussetzt, dass es zumindest eine freie Stelle gibt, die der betreffende AN einnehmen kann, dh er die notwendige Kompetenz, Fähigkeit und Verfügbarkeit aufweist.*
2006 entschied der EuGH in der Rs Chacón Navas, dass die RL 2000/78 einer Entlassung wegen einer Behinderung entgegensteht, die unter Berücksichtigung der Verpflichtung, angemessene Vorkehrungen für Menschen mit Behinderung zu treffen, nicht dadurch gerechtfertigt ist, dass die betreffende Person für die Erfüllung der wesentlichen Funktionen ihres Arbeitsplatzes nicht kompetent, fähig oder verfügbar ist.*
2013 hatte der EuGH in der Rs HK Danmark ein weiteres Mal zum Begriff „angemessene Vorkehrungen“ iSd Art 5 der RL 2000/78RL 2000/78 abzusprechen und ausgeführt, dass der im 20. ErwGr angeführte Begriff „Arbeitsrhythmus“ nicht nur als Takt oder Geschwindigkeit, mit der die Arbeit verrichtet wird, zu verstehen ist, sondern auch die Gestaltung der Arbeitszeit, insb die Möglichkeit für AN mit Behinderung, die nicht oder nicht mehr Vollzeit arbeiten können, ihre Arbeit in Teilzeit zu verrichten, umfasst. Es kann daher auch die Verkürzung der Arbeitszeit als eine Vorkehrungsmaßnahme nach Art 5 der Richtlinie angesehen werden, die ein AG ergreifen muss – sofern sie für ihn keine unverhältnismäßige Belastung darstellt –, damit Menschen mit Behinderungen ihre Beschäftigung ausüben können.*
2019 urteilte der EuGH in der Rs Nobel Plastiques Ibérica, dass die Kündigung einer AN mit Behinderung aus sachlichen Gründen, die auf den Kriterien der Produktivität, der vielseitigen Einsetzbarkeit auf 191den Arbeitsplätzen des Unternehmens und der Fehlzeitenquote beruht, eine mittelbare Diskriminierung darstellt, wenn der AG nicht zuvor angemessene Vorkehrungen getroffen hat. Es ist Aufgabe des nationalen Gerichtes zu prüfen, ob konkrete Anpassungen ausreichen, um sie als angemessene Vorkehrungen iSd Art 5 der RL 2000/78 zu qualifizieren.*
2021 befand der EuGH in der Rs Tartu Vangla, dass eine nationale Regelung der RL 2000/78 entgegensteht, wenn es nach der nationalen Regelung absolut unmöglich ist, einen Strafvollzugsbeamten weiter zu beschäftigen, dessen Hörvermögen nicht die in dieser Regelung festgelegten Mindesthörschwellen erreicht und wenn diese Regelung nicht die Prüfung gestattet, ob dieser Beamte in der Lage ist, seine Aufgaben – gegebenenfalls nachdem angemessene Vorkehrungen iSv Art 5 der RL 2000/78 getroffen wurden – zu erfüllen.*
Welche Auswirkungen hat die neue E des EuGH auf die Beendigung von Arbeitsverhältnissen von AN mit Behinderungen? Die Beratungspraxis zeigt, dass behinderungsbedingte Einschränkungen und krankheitsbedingte Fehlzeiten, die auf eine Behinderung zurückzuführen sind, leider allzu oft die Beendigung des Arbeitsverhältnisses, sei es durch einvernehmliche Auflösung, Kündigung* oder allenfalls sogar Entlassung* durch den:die AG zur Folge haben. Selbst kündigungsgeschützte Personen, wie beispielsweise solche nach der VBO 1995, können aufgrund langer Krankenstände gekündigt werden.
2014 hatte sich der OGH mit der Frage „Kündigung aufgrund langer Krankenstände und Verpflichtung zu angemessenen Vorkehrungen“ auseinanderzusetzen.* Nach dem Sachverhalt wies eine Pflegehelferin (Vertragsbedienstete nach der VBO 1995) mit einem Grad der Behinderung von 30 % in den letzten Jahren vor ihrer Kündigung überdurchschnittlich hohe Krankenstände auf (zuletzt durchgehend 202 Tage). Sie war nicht mehr in der Lage, die vereinbarte Tätigkeit als Pflegehelferin auszuüben, sie hätte allerdings noch eine Tätigkeit im Rahmen der Patientenanimation, in einem Callcenter, allgemeine Sekretariatstätigkeiten oder eine administrative Tätigkeit erledigen können. Die Kündigung erfolgte jedenfalls auch wegen eines iZm einer Behinderung stehenden monatelangen Krankenstandes. Nach der Rsp können die weit überdurchschnittlichen Krankenstände durch einen langen Zeitraum und die ungünstige Prognose die Kündigung nach § 42 Abs 2 Z 2 VBO 1995 rechtfertigen. Die betroffene Pflegehelferin macht geltend, die Kündigung nach der VBO verstoße gegen das Diskriminierungsverbot* und sei mittelbar diskriminierend.*
Der OGH gesteht der AN unter Hinweis auf den EuGH Rs HK Danmark* durchaus zu, dass eine mittelbare Diskriminierung aufgrund der Behinderung vorliegen kann, wenn die Kündigung (auch) wegen eines iZm einer Behinderung stehenden monatelangen Krankenstandes erfolgt: So sind AN mit einer Behinderung typischerweise einem erhöhten Risiko mit der Behinderung zusammenhängender Krankenstände und daher einem höheren Risiko einer aus diesem Grund erfolgenden Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses ausgesetzt. Eine mittelbare Diskriminierung liegt allerdings dann nicht vor, wenn das Beurteilungskriterium bzw die Maßnahme durch rechtmäßige Ziele sachlich gerechtfertigt und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind.* Nach dem OGH war zu prüfen, ob die AG im vorliegenden Fall erforderliche und angemessene Maßnahmen iSd RL 2000/78 zur Vermeidung der Kündigung der AN ergriffen hat oder nur deshalb nicht ergriffen hat, weil sie gar nicht möglich sind bzw die AG unverhältnismäßig belasten würden. Dabei anerkennt er ein weites Verständnis des Begriffes „angemessene Vorkehrungen“. Der OGH bejaht in seiner bisherigen Rsp grundsätzlich eine Verpflichtung des:der AG zur Zuweisung anderer Arbeiten, die Grenze aber bildet die vereinbarte Tätigkeit.* Auch im gegenständlichen Fall kommt der OGH zum Ergebnis, dass die AG nicht verpflichtet ist, die Pflegehelferin, die ihre arbeitsvertraglich vereinbarte Tätigkeit aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr ausüben kann, außerhalb der vertraglich vereinbarten Tätigkeit weiterzubeschäftigen.*
Die Beratungserfahrungen zeigen, dass Behinderungen oder chronische bzw längerdauernde Erkrankungen (die ebenfalls unter den Begriff Behinderung fallen können*) oft erst im Laufe des Arbeitslebens erworben werden bzw mit der Behinderung zusammenhängende Krankenstände mit der fortschreitenden Anzahl der Arbeitsjahre stärker auftreten. Das kann zur Folge haben, dass die bisherige, vielleicht viele Jahre lang innegehabte Tätigkeit nicht oder nicht mehr zur Gänze ausgeübt werden kann. Wollte man die oben angeführte E des OGH nun so verstehen, dass bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses rein darauf abzustellen ist, ob AN „die wesentlichen Funktionen des (iS ihres bisherigen) Arbeitsplatzes noch erfüllen können“ und dass eben „keine Verpflichtung des:der AG besteht, die AN außerhalb der vertraglich vereinbarten Tätigkeit weiter zu beschäftigen“, dann wird dem gebotenen Diskriminierungsschutz – das zeigt auch die vorliegende E des EuGH Rs HR Rail SA – wohl ungenü192gend Rechnung getragen. Sowohl im Fall der krankheitsbedingten Kündigung als auch bei der fristlosen Entlassung wegen Arbeitsunfähigkeit ist daher die Frage nach der Vereinbarkeit mit den antidiskriminierungsrechtlichen Vorgaben der EU zu stellen.*
Mittelbare Diskriminierungen aufgrund einer Behinderung, wie etwa eine Kündigung aufgrund längerer Krankenstände, können zwar durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt sein, die Mittel, um dieses Ziel zu erreichen, müssen jedoch geeignet, erforderlich und angemessen, dh verhältnismäßig, sein.* Zudem sind AG nach Art 5 der RL 2000/78 bzw § 6 Abs 1a BEinstG verpflichtet, angemessene Vorkehrungen zu treffen, um AN den Zugang zur Beschäftigung, die Ausübung des Berufes, Aufstiegs- und Karrierechancen, zu ermöglichen. Diese Verpflichtung hat nun zur Folge, dass die Beendigung des Arbeitsverhältnisses wegen bestehender Leistungseinschränkungen aufgrund einer Behinderung oder vermehrter Krankenstände, die auf eine Behinderung zurückzuführen sind, dann jedenfalls eine unzulässige Diskriminierung darstellt, wenn der:die AG nicht zuvor ihm:ihr zumutbare Vorkehrungsmaßnahmen prüft und ergreift, um die Arbeitsumgebung des:der AN anzupassen und das Arbeitsverhältnis aufrechtzuerhalten. Nach dem EuGH ist der Begriff der „angemessenen Maßnahmen“ jedenfalls weit auszulegen: Die Prüfung von zumutbaren Maßnahmen hat anhand des konkret vereinbarten Tätigkeitsbereichs, aber jedenfalls auch unter Berücksichtigung sonstiger Einsatzmöglichkeiten des:der AN zu erfolgen.*Eine Beschränkung auf die vereinbarte Tätigkeit widerspricht dem EU-Recht, das der EuGH mit der eingangs geschilderten E nun bestätigt.