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Vorläufige Wirksamkeit eines erstinstanzlichen Rechtsgestaltungsurteils

KLAUSBACHHOFER

Die Bekl kündigte das Dienstverhältnis des Kl zunächst zum 31.12.2012 auf. Die Kündigungsanfechtung des Kl war erfolgreich (Ersturteil vom 13.3.2018, Berufungsurteil vom 21.9.2018). Eventualiter sprach die Bekl am 13.12.2017 die Kündigung des Kl zum 30.6.2018 aus. Auch diese Kündigung focht der Kl wegen Sozialwidrigkeit (§ 105 Abs 3 Z 2 ArbVG) an.

Mit Klage vom 14.11.2018 begehrte der Kl von der Bekl ua das laufende Entgelt und eine jährliche Bonuszahlung für den Zeitraum 1.1.2013 bis 30.6.2018, eine Treueprämie, eine Ausgleichszulage, Pensionskassenbeiträge sowie einen Differenzbetrag aus der bereits gezahlten Abfertigung (alt) und der gezahlten Urlaubsersatzleistung.

Mit Urteil vom 23.1.2020, den Parteien am 31.7.2020 zugestellt, wurde die Eventualkündigung für rechtsunwirksam erklärt.

Zunächst fällte das Erstgericht am 23.4.2019 ein Teilurteil, mit dem es dem Klagebegehren mit 651.685,96 € brutto sA stattgab. Es sprach dem Kl gem § 1155 ABGB das laufende Entgelt sowie einen Teil der begehrten Bonuszahlungen bis 30.6.2018, 146die geltend gemachten Pensionskassenbeiträge sowie die Differenz der Abfertigung alt ohne Berücksichtigung der Ausgleichszulage und auf Basis der festgestellten Bonuszahlungen zu.

Mit Teilanerkenntnisurteil vom 6.11.2020 gab das Erstgericht dem restlichen Klagebegehren (Ausgleichszulage, restlicher Bonus, Treueprämie) statt und wies das Klagebegehren zum Teil (restliche Differenz Abfertigung und Urlaubsersatzleistung) mit Endurteil ab. Die Klagsabweisung stützte es darauf, dass zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung am 6.11.2020 das Dienstverhältnis infolge der erfolgreichen Kündigungsanfechtungsklage (Ersturteil vom 23.1.2020) im Hinblick auf die vorläufige Urteilswirkung gem § 61 ASGG aufrecht gewesen sei. Der Zuspruch der geltend gemachten Beendigungsansprüche setze aber eine Beendigung des Dienstverhältnisses voraus.

Das Berufungsgericht teilte die Rechtsauffassung des Erstgerichts und gab der Berufung des Kl nicht Folge.

Die außerordentliche Revision des Kl wurde vom OGH zurückgewiesen.

Allgemein wird mit Wirksamwerden der Kündigung das Arbeitsverhältnis zum Kündigungstermin beendet. Wird der Rechtsgestaltungsklage auf Anfechtung einer Kündigung (nach § 105 ArbVG) rechtskräftig stattgegeben, so wird die Kündigung für rechtsunwirksam erklärt. Sie wird ex tunc vernichtet. Das Arbeitsverhältnis lebt mit all seinen Rechten und Pflichten rückwirkend wieder auf.

Wird schon der Kündigungsanfechtung mit einem erstinstanzlichen Urteil stattgegeben, so hat der AN aufgrund der vorläufigen Wirksamkeit des Urteils gem § 61 ASGG sogar schon während des laufenden Verfahrens Anspruch auf das Entgelt nach § 1155 ABGB, allerdings nur vorläufig. Wird die Anfechtungsklage später endgültig abgewiesen, so muss der AN die für die Dauer des Prozesses erhaltenen Beträge zurückzahlen. Die Folge dieser vorläufigen Verbindlichkeitswirkung nach § 61 ASGG besteht darin, dass das Arbeitsverhältnis vorläufig als fortbestehend fingiert wird, was die vorläufige Anwendbarkeit des § 1155 ABGB ermöglicht, der ein Bestehen des Arbeitsverhältnisses voraussetzt. Die Änderung der materiellen Rechtslage durch das erstgerichtliche Rechtsgestaltungsurteil bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 61 Abs 1 ASGG tritt mit der Urteilszustellung für die weitere Prozessdauer ein. Auch in anderen Prozessen zwischen den Arbeitsvertragsparteien besteht eine Bindung an diese neu geschaffene Rechtslage.

Die gegenteilige Rechtsansicht des Kl, die vorläufige Verbindlichkeitswirkung des § 61 ASGG trete nur dann ein, wenn sich der AN darauf berufe, findet weder in der höchstgerichtlichen Rsp noch im Schrifttum eine Stütze. Auch Gahleitner (in Gahleitner/Mosler [Hrsg], Arbeitsverfassungsrecht6 § 105 Rz 186), auf die sich der Revisionswerber beruft, hält fest, dass während der Zeit, in der das Urteil erster Instanz vorläufig wirksam ist, sämtliche Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis aufrecht sind. Sie spricht sich (nur) dafür aus, dass der AN aber nicht dazu gezwungen werden dürfe, aufgrund eines noch nicht rechtskräftigen Urteils das Arbeitsverhältnis wieder aufzunehmen, wenn ihm dies, etwa weil er in der Zwischenzeit ein anderes Arbeitsverhältnis eingegangen sei, nicht zumutbar sei. Diese Frage stellte sich im gegenständlichen Verfahren aber nicht.

Die außerordentliche Revision führt zwar insoweit zutreffend aus, dass unter dem Begriff „Ansprüche auf das rückständige laufende Arbeitsentgelt“ in § 61 Abs 1 Z 1 ASGG die Beendigungsansprüche nicht erfasst sind, dies ändert aber nichts an der durch die rechtsgestaltende Wirkung des klagsstattgebenden Ersturteils neu geschaffenen materiellen Rechtslage. Insofern bestimmt § 61 Abs 1 Z 1 ASGG nur die Verfahren („Rechtsstreitigkeiten ... über“), in denen der Erstentscheidung eine vorläufig verbindliche Wirkung zukommt und bezieht sich nicht unmittelbar auf die Ansprüche, hinsichtlich dieser eine sofortige Vollstreckbarkeit in Frage kommt. Die vom Kl relevierte Rechtsfrage, ob die Kündigungsanfechtungsklage nach § 105 ArbVG der Bestimmung des § 61 Abs 1 Z 1 ASGG oder jener des § 61 Abs 1 Z 5 ASGG unterfällt, ist daher im Anlassfall nicht entscheidend.

Ausgehend von der materiellen Rechtslage zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung erster Instanz sind die Vorinstanzen dem OGH zufolge zutreffend davon ausgegangen, dass die für einen Zuspruch der begehrten Beendigungsansprüche erforderliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht vorlag.147