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Sonderurlaub gemäß § 20 Abs 1 DO.B: keine Anrechnung als Vordienstzeiten für Einstufung in das Gehaltsschema

CHRISTOSKARIOTIS
§§ 12a Abs 3 Z 4, 13 Abs 1 Z 3, 20 Abs 1 DO. B

Der Kl war bis zu seiner Versetzung in den Ruhestand im Jahr 2020 als angestellter Arzt im Unfallkrankenhaus G* der Bekl beschäftigt. Auf sein Dienstverhältnis kam die Dienstordnung B (DO.B) für die Ärzte bei den Sozialversicherungsträgern Österreichs zur Anwendung.

Im Jahr 2011 wurde dem Kl auf sein Ansuchen Sonderurlaub für die Zeit von 1.4.2001 bis 31.5.2002 bewilligt. In dieser Zeit war der Kl im A.ö D*krankenhaus S* im Rahmen eines (zweiten) Dienstverhältnisses als Oberarzt für Unfallchirurgie tätig.

Der Kl begehrt von der Bekl € 2.897,89 brutto sA an Entgeltdifferenzen, da die Bekl ihm die Zeit des Sonderurlaubs nicht für die Einstufung in das Gehaltsschema angerechnet hat. § 12a Abs 3 Z 4 DO.B, wonach Zeiten eines Sonderurlaubs hinsichtlich der Dienstzeitenanrechnung nicht anzurechnen wären, stelle eine Ungleichbehandlung dar, weil jene DN, die durchgehend bei der Bekl beschäftigt gewesen seien, die gesamten Zeiten angerechnet erhalten. Auch im Fall der Beendigung seines Dienstverhältnisses und einer Neueinstellung wäre die gesamte im D*krankenhaus zugebrachte Zeit angerechnet worden. Außerdem verstoße die Regelung gegen EU-Recht.148

Die Vorinstanzen gaben dem Klagebegehren statt.

Der OGH hat in Abänderung der Urteile der Vorinstanzen das Klagebegehren abgewiesen und führte wie folgt aus:

Nach § 20 Abs 1 DO.B (in der zum Zeitpunkt des Endes des Dienstverhältnisses gültigen Fassung 2018) kann einem Arzt über begründetes Ansuchen ein Sonderurlaub unter Verzicht auf die Dienstbezüge bewilligt werden.

Nach § 12a Abs 2 DO.B sind Zeiten eines während des Dienstverhältnisses in Anspruch genommenen Sonderurlaubs gem § 20 Abs 1 DO.B für das Ausmaß des Erholungsurlaubs, für die Bezüge bei Erkrankung, für die Kündigungsfrist und für das Ausmaß der Abfertigung anzurechnen, nicht aber für die Einstufung in das Gehaltsschema (§ 12a Abs 3 Z 2 und 4 DO.B).

§ 13 Abs 1 Z 3 DO.B, den der Kl als Anspruchsgrundlage heranziehen will, regelt die anrechenbare Dienstzeit für die Einstufung in das Gehaltsschema. Er lautet auszugsweise:

„Für die Einstufung in das Gehaltsschema (§ 40) sind nachstehende … zurückgelegte Dienstzeiten anzurechnen:

… 3 … . a) die in anderen Dienstverhältnissen als angestellter Arzt zugebrachten Dienstzeiten bzw in einem freien Dienstverhältnis als Arzt gemäß § 4 Abs 4 ASVG, wenn die einzelnen Dienstverhältnisse mindestens sechs Monate ununterbrochen gedauert haben …“

Nach § 40 Abs 1 und 2 DO.B sind die Ärzte in die Bezugsstufe 1 der […] gebührenden Gehaltsgruppe einzustufen, in der sie ein Jahr bleiben. Von der folgenden Bezugsstufe an rücken sie nach Vollendung von je zwei Dienstjahren in die nächste höhere Bezugsstufe vor (Zeitvorrückung).

Nach stRsp ist die DO.B ein KollV (RS0054394 [T8]), dessen normativer Teil nach den Auslegungsregeln der §§ 6, 7 ABGB auszulegen ist.

Da bei wörtlicher Interpretation und isolierter Betrachtung des § 12a Abs 3 Z 4 und des § 13 Abs 1 Z 3 DO.B beide Regelungen auf den vorliegenden Sachverhalt anwendbar erscheinen, miteinander jedoch nicht vereinbar sind, ist es erforderlich, beide Normen im Zusammenhang mit der Gesamtregelung zu betrachten (systematische Interpretation). Vor allem ist zu klären, ob eine der beiden Regelungen die andere verdrängt.

Betrachtet man diese Regelungen im Zusammenhang ergibt sich, dass die DO.B – wie viele andere Kollektivverträge auch – grundsätzlich zwischen der Anrechnung von bei anderen DG zurückgelegten Vordienstzeiten (§§ 13 bis 18) und der Berücksichtigung von Dienstzeiten während des laufenden Arbeitsverhältnisses unterscheidet.

Für Zeiten eines Sonderurlaubs wird angeordnet, dass sie als Dienstzeiten anzusehen sind, auf die die in Betracht kommenden Regelungen der §§ 12 und 13 bis 18 DO.B („sinngemäß“) Anwendung finden, dies jedoch mit der Einschränkung („im übrigen“), dass die speziellen, in den Abs 2 bis 4 des § 12a DO.B für Sonderurlaube enthaltenen Regelungen gelten sollen.

Die systematische Auslegung ergibt somit, dass bei Sonderurlaub unter Verzicht auf die Bezüge nach § 20 Abs 1 DO.B nicht § 13 DO.B (über die vor der Anstellung zurückgelegten anrechenbaren Vordienstzeiten für die Einstufung in das Gehaltsschema) zur Anwendung gelangt, sondern die für den Sonderurlaub in den § 12a Abs 2 bis 4 DO.B spezifisch getroffenen Regelungen, denen nach der Systematik der DO.B der Vorrang eingeräumt wird.

Der Kl kann seine Klageansprüche daher nicht erfolgreich auf § 13 Abs 1 Z 3 DO.B stützen.

Die Gerichte haben die Kollektivverträge dahin zu überprüfen, ob sie gegen höherrangiges Recht, also das Unionsrecht, die Verfassung, zwingendes Gesetzesrecht, die guten Sitten oder tragende Grundsätze des Arbeitsrechts verstoßen.

Zu dem – auch in der Revisionsbeantwortung aufrechterhaltenen – Vorbringen des Kl, § 12a Abs 3 Z 4 DO.B sei wegen eines Verstoßes gegen den Grundsatz der Freizügigkeit (Art 45 AEUV) unwirksam, ist auszuführen, dass die Bestimmungen des AEUV über die Freizügigkeit den Angehörigen der Mitgliedstaaten die Ausübung beruflicher Tätigkeiten aller Art im Gebiet der Union erleichtern sollen und Maßnahmen entgegenstehen, die sie benachteiligen könnten, wenn sie eine unselbständige Erwerbstätigkeit im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats ausüben wollen (EuGH 5.12.2013, C-514/12, Salk, Rn 32, 34; EuGH 8.5.2919, C-24/17, Österreichischer Gewerkschaftsbund; EuGH 10.10.2019, C-703/17, Krah, Rn 40 f).

Vom Schutzzweck der Regelungen über die Freizügigkeit der AN innerhalb der Union ist aber ein Fall wie der vorliegende nicht umfasst, in dem ein AN bereits über ein aufrechtes Dienstverhältnis verfügt, ihm auf sein Ansuchen hin vom AG Sonderurlaub gewährt wird, den er zur Eingehung eines zweiten Dienstverhältnisses im Inland nutzt. Liegt kein aktueller grenzüberschreitender Sachverhalt oder Unionsrechtsbezug vor, ist der Anwendungsbereich von Art 45 AEUV als unionsrechtliches Primärrecht nicht eröffnet (EuGH 15.11.2016, C-268/15, Fernand Ullens de Schooten; OGH 25.10.2017, 8 ObA 8/17k; zu in Österreich 149zurückgelegten Vordienstzeiten inländischer AN OGH 15.12.2021, 9 ObA 95/21t mwN).

Wenn der Kl weiters vorbringt, er sei dadurch diskriminiert, dass ihm im Fall der Beendigung seines Dienstverhältnisses und einer Neueinstellung die gesamte im D*krankenhaus zugebrachte Zeit angerechnet worden wäre, macht er offenbar geltend, § 12a Abs 4 Z 4 DO.B sei wegen eines Verstoßes gegen den verfassungsrechtlichen Gleichheitssatz rechtswidrig.

Der Gleichheitssatz besagt, dass an gleiche Tatbestände gleiche Rechtsfolgen zu knüpfen sind bzw unterschiedliche Regelungen, die nicht in den entsprechenden Unterschieden im Tatsächlichen ihre Grundlage haben, verfassungswidrig sind (RS0053509). Sachliche Differenzierungen sind somit zulässig. Es entspricht einer Durchschnittsbetrachtung, dass DN Sonderurlaub in der Regel deshalb beantragen, um die Zeit der Entbindung von der Dienstpflicht für private Zwecke zu nützen, etwa um familiären Verpflichtungen nachzukommen (siehe § 20 Abs 4 und 6 DO.B), aus gesundheitlichen Gründen (siehe § 20 Abs 5) oder auch zu Erholungszwecken. Im Hinblick auf eine derartige Verwendung erscheint es sachgerecht, dass die Zeiten des Sonderurlaubs nicht für 150die Einstufung in das Gehaltsschema, wohl aber für das Ausmaß des Erholungsurlaubs, für die Bezüge bei Erkrankung, für die Kündigungsfrist und für das Ausmaß der Abfertigung angerechnet werden (§ 12a Abs 2 DO.B). Normgeber können bei einer Regelung zulässigerweise von einer Durchschnittsbetrachtung ausgehen und auf den Regelfall abstellen. Sollten dabei Härtefälle entstehen, macht dies die Regelung nicht gleichheitswidrig (OGH 9.11.2000, 8 ObA 30/00w; OGH 26.1.2000, 9 ObA 195/99p). Dass die Zeiten des vom Kl konsumierten Sonderurlaubs nicht auf die Einstufung in das Gehaltsschema anzurechnen sind, widerspricht somit bei Auslegung einer Durchschnittsbetrachtung nicht dem verfassungsrechtlichen Gleichheitssatz. Auch aus diesem Grund ist die Regelung des § 12a Abs 3 Z 4 DO.B daher weder rechtswidrig noch unwirksam.

Auch die Berufung auf den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz kann zu keinem für den Kl günstigeren Ergebnis führen. Dieser Grundsatz verpflichtet den AG, einzelne AN nicht willkürlich, also ohne sachliche Rechtfertigung, schlechter zu behandeln als die übrigen (RS0060204). Dieser Verpflichtung ist die Bekl nachgekommen.