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Keine Bescheidpflicht bei Streit um Abschläge von bereits angefallenen Leistungen?

RUDOLFMÜLLER (WIEN/SALZBURG)
  1. Für einen Antrag auf Entfall eines Pensionsabschlages iSd § 236 Abs 4b ASVG idF des PAG 2020 zu einer bereits vor dem 1.1.2020 angefallenen Alterspension sieht § 367 ASVG keine Bescheidpflicht vor.

  2. Die abschlagsfreie Gewährung von Pensionsleistungen (sogenannte „Hacklerpension“) nur für Neuanfall ab 1.1.2020 verstößt nicht gegen den Gleichheitssatz.

[1] Mit rechtskräftigem Bescheid vom 17.3.2016 anerkannte die bekl Pensionsversicherungsanstalt (PVA) den Anspruch des am ***1.1954 geborenen Kl auf vorzeitige Alterspension bei langer Versicherungsdauer ab 1.2.2016 in Höhe von 2.476,44 € monatlich brutto. Der Pensionsberechnung wurden 558 Versicherungsmonate (davon 552 Beitragsmonate) zugrunde gelegt. Ab 1.1.2020 betrug die Pension monatlich 2.612,57 € brutto.

[2] Mit Bescheid vom 31.3.2020 wies die Bekl den Antrag des Kl vom 25.2.2020 auf Gewährung einer abschlagsfreien Pensionsleistung ab 1.1.2020 zurück. Eine Neuberechnung der dem Kl bereits rechtskräftig zuerkannten Alterspension sei gesetzlich nicht vorgesehen, es bestehe keine Bescheidpflicht.

[3] Mit seiner gegen diesen Bescheid erhobenen Klage begehrt der Kl die Zuerkennung einer Pensionsleistung [...] ab 1.1.2020 ohne Verminderung nach dem ASVG sowie nach dem APG. [...]

[5] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. [...] § 236 Abs 4b ASVG beziehe sich auf die Erfüllung der Wartezeit und sei (nur) auf alle neuen Pensionen bzw Pensionsberechnungen ab 1.1.2020 anwendbar.

[6] Das Berufungsgericht gab der Berufung des Kl nicht Folge. [...] Die Revision sei zulässig [...].

[7] Gegen dieses Urteil richtet sich die von der Bekl beantwortete Revision des Kl. [...]

[8] Die Revision ist zulässig, weil eine Nichtigkeit der Entscheidungen der Vorinstanzen aufzugreifen ist.

[9] Der Revisionswerber macht geltend, dass § 236 Abs 4b ASVG ausschließlich den Erwerb von 540 Beitragsmonaten als Voraussetzung für die Gewährung einer abschlagsfreien vorzeitigen Alters pension vorsehe. Weder spiele ein Stichtag eine Rolle noch der Umstand, dass eine Pension bereits vor Inkrafttreten dieser Bestimmung gewährt wurde. Bei Dauerrechtsverhältnissen sei die neue Rechtslage ab der Rechtsänderung zu berücksichtigen. Ab dem 1.1.2020 sei die Alterspension des Kl daher abschlagsfrei zu gewähren. [...] Bei anderer Auslegung wäre § 236 Abs 4b ASVG gleichheitswidrig: [...]

1. Zulässigkeit des Rechtswegs

[10] [...]

[11] 1.2 An einem die Zulässigkeit des Rechtswegs eröffnenden Sachbescheid, mit dem die Bekl „darüber“ (RS0085867), dh über den Anspruch des Kl auf abschlagsfreie Berechnung seiner Alterspension seit 1.1.2020, entschieden hätte, fehlt es im vorliegenden Fall. Liegt wie hier keine meritorische Entscheidung des Versicherungsträgers vor, ist grundsätzlich – von § 68 ASGG und anderen hier nicht in Betracht kommenden Ausnahmen abgesehen – eine Überprüfung durch das Gericht im Rahmen der sukzessiven Kompetenz ausgeschlossen (RS0085867 [T13]).

[12] 1.3 Fehlt es an einem anfechtbaren Sachbescheid, ist Voraussetzung für eine Klageerhebung nach § 67 ASGG das Vorliegen eines Säumnisfalls. Der Säumnisfall erfordert, dass der Versicherungsträger zur Erlassung eines Bescheids verpflichtet ist (10 ObS 119/15wDRdA 2016/39, 349 [Panhölzl] = SSV-NF 30/3). Wenn der Versicherungsträger zur Erlassung eines Bescheids nicht verpflichtet ist, steht dem Versicherten eine Säumnisklage nicht zu (RS0083900 [T1]). Es ist daher zu prüfen, ob die Bekl zur Erlassung eines Bescheids über die vom Kl beantragte Neuberechnung seiner vorzeitigen Alterspension bei langer Versicherungsdauer ab 1.1.2020 verpflichtet war.

2. Keine Bescheidpflicht der bekl PVA gem § 367 Abs 1 ASVG

[13] 2.1 Die vorzeitige Alterspension bei langer Versicherungsdauer (§ 253b ASVG idF BGBl I 2003/71iVm § 607 Abs 10 ASVG) war eine Pflichtleistung der PV gem § 222 Abs 1 Z 1 ASVG aus dem Versicherungsfall des Alters. Sie zählte damit zu den Leis tungen gem § 222 Abs 1 ASVG, über die der Pensionsversicherungsträger aufgrund eines Antrags der versicherten Person gem § 367 Abs 1 ASVG mit Bescheid zu entscheiden hat. Die Feststellung des Bestands, des Umfangs oder des Ruhens eines Anspruchs auf eine Versicherungsleis tung – wie der Alterspension – ist, soweit dabei nicht die Versicherungszugehörigkeit, die Versicherungszuständigkeit, die Leistungszugehörigkeit oder die Leistungszuständigkeit in Frage steht, gem § 354 Z 1 ASVG eine Leistungssache.

[14] 2.2 Der Versicherungsfall des Alters gilt mit der Erreichung des Anfallsalters für eine Alterspension als eingetreten (RS0111060). Beim Versicherungsfall handelt es sich um eine primäre Leistungsvoraussetzung der PV (RS0110083). Im Fall des Kl trat der Versicherungsfall des Alters, der seinen Anspruch auf vorzeitige Alterspension bei langer Versicherungsdauer begründete, unstrittig mit Erreichung des 62. Lebensjahres, daher im Jänner 2016, ein (§ 253b iVm § 607 Abs 10 und 12, § 617 Abs 13 ASVG).

[15] 2.3 Gem § 223 Abs 2 ASVG hat die Feststellung, ob der Versicherungsfall (in der PV) eingetreten ist, ausschließlich zu dem durch die Antragstellung ausgelösten Stichtag zu erfolgen (vgl RS0111054). Die Frage, ob überhaupt der Versicherungsfall eingetreten ist, kann somit nur zum Stichtag geprüft werden. Die Bedeutung des Stichtags liegt nicht nur darin, dass zu diesem Zeitpunkt die allgemei- 421 nen Anspruchsvoraussetzungen zu prüfen sind; es sind vielmehr zu diesem Zeitpunkt auch die besonderen Anspruchsvoraussetzungen zu prüfen und auch der Anfall der Leistungen tritt regelmäßig mit dem Stichtag ein (§ 86 Abs 3 Z 2 ASVG; RS0085980; RS0084524). Dazu gehört auch die Beurteilung, in welchem Ausmaß eine Leistung gebührt (10 ObS 322/89 SSV-NF 3/134), also auch die Entscheidung über die Pensionshöhe.

[16] 2.4 Der Versicherungsfall des Alters kann nach allen Systemen nur einmal eintreten. Er wird durch die Entscheidung eines Sozialversicherungsträgers über die Gewährung der (vorzeitigen) Alterspension nicht nur für den Bereich dieses Sozialversicherungsgesetzes, sondern auch für den Bereich der anderen Sozialversicherungsgesetze konsumiert (RS0107674). Nach den unstrittigen Unterlagen im Verwaltungsakt der Bekl (Entscheidungsantrag vom 27.3.2020 bei Beil ./2) wurde die vorzeitige Alterspension bei langer Versicherungsdauer mit Erreichen des gesetzlichen Regelpensionsalters des Kl am 1.2.2019 in eine gesetzliche Alterspension umgewandelt (§ 253b Abs 4 ASVG aF). Durch diese Umwandlung wird kein neuer Stichtag ausgelöst (10 ObS 130/09d SSV-NF 23/83).

[17] 2.5 Pensionsleistungen werden für die Zukunft zuerkannt. Eine – wie hier in Bezug auf § 236 Abs 4b ASVG – erst nach rechtskräftiger Zuerkennung der (vorzeitigen) Alterspension erfolgte Rechtsänderung vermag die Rechtskraft der Entscheidung über die Zuerkennung einer Pension nicht zu berühren (RS0085980 für eine erst während des Rechtsmittelverfahrens erfolgte Rechtsänderung).

[18] 2.6 Damit ist der Versicherungsfall des Alters im vorliegenden Fall aufgrund des Antrags des Kl vom 9.10.2015 (Beil ./2) auf Zuerkennung einer vorzeitigen Alterspension bei langer Versicherungsdauer am 1.2.2016 eingetreten. Zu diesem Stichtag wurde über den Anspruch des Kl dem Grund und der Höhe nach entschieden: infolge der vorzeitigen Inanspruchnahme wurde die Pension unstrittig unter Berücksichtigung des Abschlags von 8 % zuerkannt (§ 607 Abs 23 ASVG). Durch den neuerlichen Antrag vom 25.2.2020 auf Gewährung einer abschlagfreien Pensionsleistung ab 1.1.2020 wurde weder ein „neuer“ Versicherungsfall des Alters noch ein neuer Stichtag ausgelöst. Eine Bescheidpflicht der Bekl über die Zuerkennung einer Leistung gem § 222 Abs 1 ASVG aus der PV gem § 367 Abs 1 ASVG bestand daher nicht.

[19] 3. Infolge der Rechtskraft der Entscheidung auch über die Höhe der dem Kl zuerkannten Pension ab 1.2.2016 kann eine nachträgliche Änderung der Höhe dieser Pension nur dann stattfinden, wenn das Gesetz selbst eine Grundlage für deren Anpassung (§ 367 Abs 3 lit a ASVG) oder Neufeststellung (§ 367 Abs 2 ASVG) bietet.

4. Keine Bescheidpflicht der Bekl gem § 367 Abs 3 lit a ASVG

[20] Die Anpassung von Pensionen aus der PV regeln im Dauerrecht die §§ 108h, 108k ASVG. Darüber hinaus erfolgen Pensionsanpassungen mit einfachgesetzlichen Eingriffen des Gesetzgebers. Die Pensionsanpassung für das Kalenderjahr 2020 hat ihre Rechtsgrundlage in dem mit dem Pensionsanpassungsgesetz 2020 (PAG 2020), BGBl I 2019/98geschaffenen § 728 ASVG. Der Kl stützt weder seinen Antrag noch sein Begehren auf eine dieser Bestimmungen, sondern allein auf § 236 Abs 4b ASVG. Gem § 367 Abs 3 lit a ASVG sind Bescheide über die Auswirkung von Renten- oder Pensionsanpassungen gemäß den Bestimmungen des Abschnitts VIa des Ersten Teils des ASVG (§§ 108-108l ASVG) nur zu erlassen, wenn der Berechtigte dies bis zum Ablauf des Kalenderjahres verlangt, für das die Anpassung (Vervielfachung) vorgenommen wurde. Da § 236 Abs 4b ASVG nicht zu Abschnitt IV a des Ersten Teils des ASVG gehört, war die Bekl schon aus diesem Grund nicht verpflichtet, einen Bescheid nach § 367 Abs 3 lit a ASVG auszustellen.

5. Keine Bescheidpflicht der Bekl gem § 367 Abs 2 ASVG

[21] 5.1 § 367 Abs 1 ASVG ist gem § 367 Abs 2 ASVG entsprechend anzuwenden bei Entziehung, Versagung, Neufeststellung, Widerruf, Abfindung, Abfertigung oder Feststellung des Ruhens eines Leistungsanspruchs, ferner bei Geltendmachung des Anspruchs auf Rückersatz einer unrechtmäßig bezogenen Leistung, bei Aufrechnung auf eine Geldleistung oder Zurückhaltung der Ausgleichszulage. Einziger hier in Frage kommender Tatbestand wäre nach § 367 Abs 2 ASVG die „Neufeststellung“ der dem Kl gewährten Alterspension.

[22] 5.2 Eine „Neufeststellung“ einer Leistung kennt das ASVG etwa in der UV bei der Neufeststellung einer Rente, wenn sich die Verhältnisse wesentlich geändert haben (§ 183 ASVG). In der PV ordnet § 254 Abs 8 ASVG die Neufeststellung des Prozentsatzes einer Teilpension bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen an. Aus Anlass jeder Anpassung von Pensionen gem § 108h ASVG ist die Erhöhung der Witwen-(Witwer-)pension gem § 264 Abs 6 ASVG neu festzustellen (§ 264 Abs 7 letzter Satz ASVG). Bei einer Änderung der für die Zuerkennung der Ausgleichszulage maßgebenden Sach- und Rechtslage ordnet § 296 Abs 3 ASVG die Neufeststellung einer Ausgleichszulage über Antrag des Berechtigten oder von Amts wegen an (weitere Fälle einer Neufeststellung einer Leistung s bei Kneihs in SV-Komm [236. Lfg] § 367 ASVG Rz 34).

[23] 5.3 Die „Neufeststellung“ einer Alterspension kennt das ASVG hingegen nur in Regelungen, die das Übergangsrecht betreffen. So ist in den Fällen des § 607 Abs 10 ASVG, in denen eine vorzeitige Alterspension bei langer Versicherungsdauer wegen Aufnahme einer Erwerbstätigkeit (§ 253b Abs 2 ASVG) weggefallen ist, die Leistung – mit Ausnahme eines besonderen Steigerungsbetrags (§ 248 ASVG) – mit dem Monatsersten nach dem Erreichen des Regelpensionsalters von Amts wegen neu festzustellen (§ 607 Abs 11 ASVG). Darüber hinaus finden sich zahlreiche Übergangsbestimmungen zur (Neu-)Feststellung (Neu-)Bemessung von Altrenten aus der PV nach der Einführung des ASVG (§§ 522 ff ASVG; BGBl 1960/294[Art II]; BGBl 1963/320 [Art II Abs 2 ff] ua).

[24] 6.1 Damit stellt sich die Frage, ob § 236 Abs 4b ASVG eine Bestimmung ist, die die Rechtsgrundlage 422 für die Neufeststellung (Neubemessung) einer Alterspension wie jener des Kl mit einem Stichtag vor dem 1.1.2020 iSd § 367 Abs 2 ASVG bietet.

[25] 6.2 Auch § 236 Abs 4b ASVG wurde mit dem PAG 2020 geschaffen. Diese Bestimmung lautet: „(4b) Hat die versicherte Person mindestens 540 Beitragsmonate der Pflichtversicherung auf Grund einer Erwerbstätigkeit erworben, so ist eine Verminderung der Leistung nach diesem Bundesgesetz sowie nach dem APG unzulässig; § 261 Abs. 4 dieses Bundesgesetzes sowie die §§ 5 Abs. 2 und 6 Abs. 1 APG sind nicht anzuwenden. Als Beitragsmonate auf Grund einer Erwerbstätigkeit gelten auch bis zu 60 Versicherungsmonate für Zeiten der Kindererziehung (§§ 8 Abs. 1 Z 2 lit. g, 227a oder 228a dieses Bundesgesetzes oder §§ 3 Abs. 3 Z 4, 116a oder 116b GSVG oder §§ 4a Abs. 1 Z 4, 107a oder 107b BSVG), wenn sie sich nicht mit Zeiten einer Pflichtversicherung auf Grund einer Erwerbstätigkeit decken.“ § 236 Abs 4b ASVG trat mit 1.1.2020 in Kraft (§ 727 Abs 1 Z 1 ASVG idF BGBl I 2019/98) und mit Ablauf des 31.12.2021 wieder außer Kraft (§ 745 Abs 2 ASVG). Auf Personen, die die Anspruchsvoraussetzungen nach § 236 Abs 4b ASVG spätestens mit 31.12.2021 erfüllen, bleibt diese Bestimmung aber weiter anwendbar (§ 745 Abs 4 ASVG).

[26] 6.3 § 236 Abs 4b ASVG geht auf einen Abänderungsantrag zum Bericht und Antrag des Budgetausschusses über den Entwurf des PAG 2020 (688 BlgNR 26. GP) zurück. Zu diesem Antrag wird in den Gesetzesmaterialien ausgeführt (AA-130 26. GP 2): „Wer mindestens 45 Jahre lang erwerbstätig war, soll in Zukunft keine Pensionsabschläge mehr haben, auch wenn der Pensionsantritt vor dem 65. Lebensjahr erfolgt. Dabei werden auch bis zu 60 Versicherungsmonate der Kindererziehung als Beitragsmonate der Erwerbstätigkeit berücksichtigt.“

[27] 6.4 Mit dem PAG 2020 wurde (wieder) die Abschlagsfreiheit bei allen Pensionsarten eingeführt, wenn 540 Beitragsmonate (davon können 60 Beitragsmonate Kindererziehungszeiten sein) vorliegen. Diese Regelung gilt also nicht nur für vorzeitige Alterspensionen, sondern auch für die Schwerarbeitspension, das Sonderruhegeld nach dem NSchG und die Pensionen aus den Versicherungsfällen der geminderten Arbeitsfähigkeit (Invaliditätspension, Berufsunfähigkeitspension, Erwerbsunfähigkeitspension; krit Pöltner/Pacic, ASVG § 236 ASVG Anm 7d).

[28] 7.1 § 6 ABGB bestimmt, dass einem Gesetz in der Anwendung kein anderer Verstand beigelegt werden darf, als welcher aus der eigentümlichen Bedeutung der Worte in ihrem Zusammenhang und aus der klaren Absicht des Gesetzgebers hervorleuchtet. Am Anfang jeder Gesetzesauslegung steht daher die wörtliche (sprachliche) Auslegung, der nach stRsp große Bedeutung zukommt (9 ObA 71/20m mwH). Die Gesetzesauslegung darf aber bei der Wortinterpretation nicht stehen bleiben (RS0008788 ua). Der Sinn einer Bestimmung ist unter Bedachtnahme auf deren Zweck zu erfassen (objektiv-teleologische Interpretation). Die gesetzgeberische Regelung und die darin zum Ausdruck kommenden Wertmaßstäbe sind selbständig weiter und zu Ende zu denken (RS0008836).

[29] 7.2 § 236 ASVG regelt die Erfüllung der Wartezeit, einer sekundären Voraussetzung für den Erwerb eines Pensionsanspruchs (RS0106536). Diese Bestimmung ergänzt die für die vorzeitige Alterspension bei langer Versicherungsdauer vorhandenen Wartezeitregelungen in den §§ 607 Abs 10 und 12 ASVG. Sie stellt überdies eine Vorschrift für die Berechnung einer solchen Pension dar (vgl Marek in Poperl/Trauner/Weißenböck, ASVG [72. Lfg] § 236 Rz 29; Sonntag in Sonntag, ASVG12 § 236 ASVG Rz 7).

[30] 7.3 Weder der Wortlaut des § 236 Abs 4b ASVG noch jener des § 727 Abs 1 Z 1 ASVG enthalten einen Hinweis darauf, dass § 236 Abs 4b ASVG für bereits zuerkannte Alterspensionen mit einem Stichtag vor dem Inkrafttreten dieser Bestimmung am 1.1.2020 gelten sollen (vgl demgegenüber etwa die ausführlichen Übergangsregeln für Altrenten und neue Pensionen aus der PV in den §§ 522 ff ASVG). Ausgehend vom bereits dargestellten Stichtagsprinzip in der PV, das die Leistung nicht nur an den Eintritt des Versicherungsfalls (hier: des Alters), sondern auch an eine entsprechende formelle Antragstellung bindet, ergibt sich bereits daraus, dass § 236 Abs 4b ASVG nur auf die Berechnung von (ua) Alterspensionen anwendbar ist, deren Stichtag nach dem Inkrafttreten dieser Bestimmung, also am 1.1.2020 oder danach, liegt (so auch Marek, Ab Stichtag 1.1.2020 kein Abschlag bei Hacklerpensionen für Männer [aber nicht immer], ARD 6672/5/2019; Marek in Poperl/Trauner/Weißenböck, ASVG [72. Lfg] § 236 ASVG Rz 31, 32, 37; Sonntag, ASVG12 § 236 ASVG Rz 7; implizit auch Weißensteiner, Aus für Abschlagsfreiheit – Neuer Frühstarterbonus kommt, DRdA-infas 2021, 61 [62]).

[31] 7.4 Demgegenüber vertritt Beck (Pensionsanpassung, Pensionsbonus, abschlagfreie „Frühpension“ sowie Beitragsentlastung versus Sachlichkeitsgebot und Generationengerechtigkeit [Teil III], SozSi 2020, 123 [126]), dass der Gesetzgeber mit der Einführung des § 236b Abs 4 ASVG keine neue vorzeitige Alterspension geschaffen, sondern ganz allgemein festgelegt habe, dass bei Vorliegen von 540 Beitragsmonaten aus der Erwerbstätigkeit bzw beim Sonderruhegeld eine Verminderung der Leistung nicht mehr zulässig sei. Eine Einschränkung auf einen bestimmten Stichtag bzw auf Neuzugänge sei der gesetzlichen Regelung nicht zu entnehmen. Dies zeige auch ein Vergleich mit dem – ebenfalls mit 1.1.2020 in Kraft getretenen – Ausgleichszulagen-/Pensionsbonus, der ebenfalls auf das Vorliegen einer bestimmten Anzahl von Beitragsmonaten aus der Erwerbstätigkeit abstelle. Diese Bestimmung werde in der Vollziehung auf alle Versicherten erstreckt, unabhängig davon, mit welchem Stichtag ihnen eine Pension zuerkannt worden sei. Versicherte mit einem Stichtag vor dem 1.1.2020 dürften daher nicht von der Abschlagsfreistellung ausgeschlossen werden, wenn sie 540 Beitragsmonate erworben hätten.

[32] 8.1 Die Ansicht Becks findet bereits im Wortlaut des § 236 Abs 4b ASVG keine Deckung. Denn diese Bestimmung erfasst – worauf die Bekl hingewiesen 423 hat – nur „versicherte Personen“, nicht aber Personen, die wie der Kl bereits eine Pension beziehen. Das Pensionsversicherungsrecht des ASVG unterscheidet durchaus die Personengruppen der Versicherten, die (noch) nicht Bezieher einer Pension sind (zB § 247 Abs 2, §§ 253e, 253f, 255, 255a ASVG), von den Beziehern einer Pension (zB §§ 254 Abs 4, 265 ASVG). Beide Gruppen werden zB in den §§ 248c, 254 Abs 1 und 4, 300 Abs 1, 302 Abs 4 ASVG genannt.

[33] 8.2 Wie ausgeführt, regelt § 236 ASVG die Wartezeit, deren Erfüllung eine (sekundäre) Voraussetzung für einen Pensionsanspruch ist. Auch gem § 236 Abs 4b ASVG gebührt erst bei Erfüllung der dort normierten Voraussetzungen eine vorzeitige Alterspension bei langer Versicherungsdauer in der in dieser Bestimmung vorgesehenen Höhe, wenn der Versicherungsfall eingetreten ist. Damit ergibt sich auch aus der systematischen Einordnung des § 236 Abs 4b ASVG, dass von dieser Bestimmung nur versicherte Personen erfasst sind, nicht aber Bezieher einer Pension wie der Kl.

[34] 8.3 Sowohl nach dem Wortlaut als auch nach der systematischen Stellung stellt § 236 Abs 4b ASVG daher keine Regelung über die Neubemessung einer schon zu einem Stichtag vor dem Inkrafttreten dieser Bestimmung rechtskräftig zuerkannten Pension dar. [...]

[35] 8.4 Aus diesen Gründen war die Bekl auch nicht gem § 367 Abs 2 ASVG verpflichtet, über den Antrag des Kl auf Gewährung einer abschlagfreien Pensionsleistung ab 1.1.2020 einen meritorischen Bescheid zu erlassen.

[36] 9. Zur behaupteten Verfassungs- und Unionsrechtswidrigkeit des § 236 Abs 4b ASVG

[37] Der in Art 7 B-VG normierte Gleichheitsgrundsatz verbietet unsachliche Differenzierungen (RS0053981). Dem Gesetzgeber steht aber ein Gestaltungsspielraum insofern zu, als er in seinen rechts- und wirtschaftspolitischen Zielsetzungen frei ist, sofern keine unsachliche Differenzierung vorliegt (RS0117654 [T5]; RS0053889). Der Ansicht des Revisionswerbers, die Anwendbarkeit des § 236 Abs 4b ASVG lediglich auf Pensionsanträge ab dem Stichtag 1.1.2020 sei gleichheitswidrig, hat bereits das Berufungsgericht zutreffend entgegengehalten, dass nach stRsp eine zeitliche Differenzierung bei den Anspruchsvoraussetzungen durch eine Stichtagsregelung grundsätzlich nicht gleichheitswidrig ist (10 ObS 30/12b ua; RS0053393 ua).

[...]

[40] Aus Anlass der Revision sind daher die Urteile der Vorinstanzen und das ihnen vorangegangene Verfahren wegen Unzulässigkeit des Rechtswegs als nichtig aufzuheben (RS0042080). Die Klage ist nach § 73 ASGG zurückzuweisen.

ANMERKUNG
1.
Die Vorgeschichte

In einer Nacht- und Nebelaktion einer Parlamentsmehrheit im „Interregnum“ zwischen dem Ende der schwarz-blauen Koalition und der Konstituierung des Nationalrats nach den Herbstwahlen 2019 wurde die bereits verblichene „Hacklerpension“, dh eine abschlagsfreie Alterspension trotz Pensionsantritts vor dem 65. Geburtstag, unter der Voraussetzung des Erwerbs von mindestens 540 Beitragsmonaten der Pflichtversicherung aus Erwerbstätigkeit (wobei auch höchstens 60 Monate an Kindererziehungszeiten als solche Beitragszeiten zählten), erfolgreich wiederbelebt. Am Ort der Wiederbelebung, nämlich § 236 ASVG, wurde im Zuge der parlamentarischen Beratungen über das Pensionsanpassungsgesetz 2020, ein Abs 4b hineingezwängt (Art I Z 1b des PAG 2020, BGBl I 2019/98). Dessen erster Halbsatz lautete: „Hat die versicherte Person mindestens 540 Beitragsmonate der Pflichtversicherung auf Grund einer Erwerbstätigkeit erworben, so ist eine Verminderung der Leistung nach diesem Bundesgesetz sowie nach dem APG unzulässig.“ Das wird dann noch näher umschrieben. Nach dieser Bestimmung war also die Verminderung von Pensionen, welche diese Voraussetzungen erfüllen, um Altersabschläge unzulässig. Die Übergangsbestimmung des § 727 Z 1 ASVG begnügt sich mit der Anordnung, dass diese Bestimmung am 1.1.2020 in Kraft tritt.

Man verzichtete also darauf – entgegen einer im Sozialversicherungsrecht seit den Fünfziger-Jahren geltenden Übung –, ausdrücklich anzuordnen, dass diese Bestimmung nur für Versicherungsfälle gelten soll, die ab 1.1.2020 eintreten (vgl zur Praxis in dieser Hinsicht nur Art II BGBl 1963/184; § 547 Abs 4, 10 und 11; § 551 Abs 6 und 8; aus jüngerer Zeit § 698 Abs 2, § 734 uva). Die Begründung des Abänderungsantrages AA-130 26. GP beschränkt sich auf zwei Sätze: „Wer mindestens 45 Jahre lang erwerbstätig war, soll in Zukunft keine Pensionsabschläge mehr haben, auch wenn der Pensionsantritt vor dem 65. Lebensjahr erfolgt. Dabei werden auch bis zu 60 Versicherungsmonate der Kindererziehung als Beitragsmonate der Erwerbstätigkeit berücksichtigt.“ Diese Wiederbelebung der „Hacklerpension“ war von kurzer Dauer: Sie wurde durch Art 1 Z 2 des SVÄG 2020, BGBl I 2021/28, mit Wirksamkeit vom 31.12.2021, wieder beendet.

Über die sozialpolitische Sinnhaftigkeit der Aktion will ich hier nicht richten: Was jedoch unter Benützung des Hausverstandes vorhersehbar hätte sein können, ist der Ärger all jener Pensionsbezieher:innen, die in den Monaten vor dem Inkrafttreten dieser (überraschend beschlossenen) Novelle bereits ihre Pension angetreten haben und Altersabschläge in Kauf nehmen mussten, obwohl auch sie über mindestens 540 Beitragsmonate der Pflichtversicherung verfügten. Ein Verdacht, dass eine derartige Ungleichbehandlung gleicher Sachverhalte in einer zeitlichen Nähe unter dem Gesichtspunkt des Gleichheitssatzes verfassungsrechtlich bedenklich sein könnte, ist nicht von der Hand zu weisen; keinesfalls aber war er absurd (der VfGH wurde im Zusammenhang mit § 236 Abs 4b ASVG offenbar nur wegen der unterschiedlichen Behandlung von Ersatzzeiten angerufen und nahm aber keinen Antrag zur Entscheidung an vgl VfGH 30.11.2021, G 107/2021, G 140/2021, G 200/2021, G 278/2021, G 326/2021). 424 Noch weniger absurd war aber der sogar naheliegende Gedanke, dass – angesichts der unüblichen Übergangsbestimmung – die Bestimmung des § 236 Abs 4b ASVG auch für bereits laufende Leistungen ab 1.1.2020 gelten sollte, sofern deren Bezieher die darin genannten Voraussetzungen am Pensionsstichtag erfüllt haben. Der Wortlaut der Norm stand dem nicht entgegen, insb bedurfte es keiner ausdrücklichen Bestimmung, die eine Anwendung auf laufende Leistungen ausdrücklich angeordnet hätte (wie der OGH meinte – siehe Rz 30).

Der Weg, den unser Kl gewählt hatte, zielte also mitnichten auf eine „Neuberechnung der Pension“ ab, die dem Stichtagsprinzip widerspräche, sondern lediglich auf den Entfall der Abschläge ab 1.1.2020, und zwar aus zwei Gründen: Erstens, weil das Gesetz nach Meinung des Kl die „Unzulässigkeit der Verminderung“ ab 1.1.2020 ohne ausdrückliche Einschränkung auf „Neufälle“ anordnete und zweitens, weil er eine andere Lesart des Gesetzes für verfassungswidrig hielt.

2.
Die Erledigung der PVA

Die PVA wies den Antrag des Kl auf Entfall der Abschläge gem § 236 Abs 4b ASVG nicht etwa ab, sondern zurück: Eine Neuberechnung der dem Kl bereits rechtskräftig zuerkannten Alterspension sei gesetzlich nicht vorgesehen, es bestehe keine Bescheidpflicht.

Dieser Bescheid der PVA ist in mehrfacher Hinsicht problematisch:

  1. „Es bestehe keine Bescheidpflicht“ ist in dieser Allgemeinheit schon deshalb falsch, da der VfGH mehrfach aus dem Rechtsstaatsprinzip das Gebot abgeleitet hat, die behördliche Festlegung von Rechtsfolgen an eine Form zu knüpfen, die einen verfassungsgesetzlich vorgesehenen Rechtsschutz sowie eine inhaltliche Überprüfung des entsprechenden Aktes ermöglicht (VfGHG 75/12 VfSlg 19.728; VfGH 1994/VfSlg 13.699 unter Hinweis auf VfGH 1987/VfSlg 11.590, 800 f und VfGH 13.10.1992, G 119/92, allgemein auch VfGH 6.10.1993, B 1120/92). Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass der Streit um Abschläge von der Pension des Kl dessen subjektive Rechtssphäre betrifft (und eine Abweisung daher schon aus Rechtsschutzgründen bescheidpflichtig ist) und es ist denkunmöglich, dass eine nachträgliche Gesetzesänderung an der Rechtskraft eines zeitlich früher erlassenen Bescheides abprallen kann.

  2. Die Begründung der PVA ist auch dann falsch, wenn man dem Begriff der „Neufeststellung“ der Pension jenen Inhalt beilegt, den der OGH in den Rz 21-24 seiner Begründung umschreibt. Der Kl wollte gerade keine Neufeststellung seiner Pension, sondern er wollte – wie sein Antrag und die von ihm angezogenen gesetzlichen Bestimmungen bei verständiger Würdigung zeigen – lediglich erreichen, dass ab 1.1.2020 keine Abschläge von seiner Pension mehr abgezogen werden. Das betrifft mitnichten die an einen Stichtag gebundene Errechnung der Pensionshöhe anhand Beitragsgrundlage und Versicherungszeiten. Ein solcher Abzug wegen Inanspruchnahme der Pension vor dem gesetzlichen Pensionsalter (§ 261 Abs 4 ASVG, § 5 Abs 2 und § 6 Abs 1 APG) kann – wie auch ein Zuschuss, zB der Kinderzuschuss nach §§ 207 bzw 262 ASVG – nach Maßgabe des Gesetzes auch zeitraumbezogen später wegfallen, ohne dass es zu einer Neuberechnung der Pension kommen müsste, geschweige denn, dass ein „Versicherungsfall“ vorliegen müsste (vgl aber Rz 14-16 der Begründung des OGH). Über die rechtliche Begründetheit der Ansicht des Kl lässt sich trefflich streiten, nicht aber darüber, dass das von ihm angestrebte Ziel ein anderer Verfahrensgegenstand war als eine womöglich stichtagsgebundene „Neufeststellung“ iSd § 367 Abs 2 ASVG.

  3. Schließlich erweist sich der Bescheid der PVA in sich widersprüchlich, weil nach dem in den Entscheidungsgründen wiedergegebenen Inhalt seiner Begründung sehr wohl meritorisch über den Antrag des Kl entschieden wurde, nämlich dahin, dass es – nach Auffassung der PVA – für die begehrte „Neubemessung der Pension“ an einer gesetzlichen Grundlage mangle. Dies entspricht inhaltlich einer Abweisung. Dieser Begründung zufolge wäre die richtige Erledigungsart im Spruch eine Abweisung des Antrages gewesen. Das war der PVA, wie die Begründung zeigt, offenbar auch bewusst, aber vielleicht wollte sie den Kl ja vom justizgerichtlichen Rechtsweg fernhalten und ihn auf eine verwaltungsgerichtliche Schleife (dank der Auffangbestimmung des § 355 ASVG) schicken. Das macht die Sache nicht besser: Es kann nämlich für die Verpflichtung zur Erlassung eines Bescheides in der Sache, außerhalb der Fälle der Pensionszuerkennung zum Stichtag, nicht darauf ankommen, ob der Antrag auch begründet erscheint; dies jedenfalls dann, wenn der Wegfall von Abschlägen oder das Hinzutreten von Zuschlägen zu einer Pensionsleistung strittig ist.

3.
Taxative Aufzählung der Fälle von Bescheidpflicht in § 367 ASVG?

Die eingangs wiedergegebene Rsp des VfGH ließe schon erheblich daran zweifeln, ob – wie der OGH in seinem Vorverständnis dieser Norm offenbar meint – § 367 ASVG sämtliche Fälle der Pflicht zur bescheidmäßigen Sacherledigung taxativ aufzählt, sodass wir es – soweit darüber hinaus andere leistungsrechtliche Streitfälle entstehen – mit einem lückenhaften System zu tun hätten. Bei genauerer Untersuchung der Norm zeigt sich aber, dass die Prämisse des OGH nicht begründet ist.

  1. § 367 ASVG regelt nicht originär, ob und wann ein Bescheid zu erlassen ist. Denn dass behördliche Erledigungen über subjektive Rechte von Einzelnen grundsätzlich in Bescheidform zu erledigen sind, ergibt sich schon aus allgemeinen verfassungsrechtlichen Rechtsschutzüberlegungen, worauf schon oben hingewiesen 425 wurde. Im Übrigen gilt für die Sozialversicherungsträger im behördlichen Verfahren wie für alle anderen Behörden das AVG, wenngleich mit einigen Abweichungen, vor allem im Ermittlungsverfahren (vgl Art I Abs 2 Z 1 Einführungsgesetz zu den Verwaltungsverfahrensgesetzen [EGVG] und § 360b ASVG), also jenes Verfahren, das zur Erlassung von Bescheiden führt.

  2. § 367 ASVG sieht vor dem Hintergrund der grundsätzlichen Bescheidpflicht des Versicherungsträgers eine gewisse Lockerung der Formstrenge des Verwaltungsverfahrens für Massenverfahren zB in der KV vor, in denen die faktische Gewährung von (Natural-)Leistungen die Regel und die Nichtgewährung die Ausnahme ist. Abs 1 erster Satz verzichtet zulässigerweise in jenen Fällen auf die Bescheidpflicht, in denen dies nicht aus Gründen des Rechtsschutzes geboten ist (aufgezählt werden die „Rechtsschutzfälle“ in Abs 1 Z 1 bis 3). Der zweite Satz des § 367 Abs 1 stellt klar, dass in den dort genannten Fällen nicht nur aus Gründen des Rechtsschutzes, sondern wohl auch aus jenen der Rechtssicherheit „jedenfalls“ ein Bescheid zu erlassen ist. Nichts deutet aber darauf hin, dass die Aufzählung der bescheidpflichtigen Verfahren eine taxative sein soll. Dies kann schon vor dem Hintergrund des erwähnten verfassungsrechtlichen Formzwanges nicht wahr sein. Der Tatbestand des § 367 Abs 1 Z 2 ASVG (wonach selbst in jenen Fällen, in denen die Zuerkennung formfrei erfolgt, bei Versagung der beantragten Leistung auf Antrag der Partei jedenfalls ein Bescheid zu erlassen ist) ist insofern keine Ausnahme, sondern spiegelt einen allgemeinen Rechtsgrundsatz wider, der selbst dort gilt, wo sonst weitgehende Freiheit in der Form der Erledigung herrschen soll.

  3. Dass Abs 1 und 2, soweit es um die PV geht, nicht in einem taxativen Sinne zu verstehen sind, sondern auch andere denkbare Fälle einer angestrebten Veränderung der Pensionsleistung umfassen, zeigt Abs 3, der „abweichend von den Bestimmungen der Abs 1 und 2“ Bescheide über die Auswirkungen der Renten- und Pensionsanpassung bzw der Aufwertung nur dann vorsieht, wenn das Verlangen innerhalb eines Jahres gestellt wird. Nun ist aber in den Abs 1 und 2 nirgends von Pensionsanpassung und Vervielfachungen mit dem Anpassungsfaktor die Rede. Dennoch geht der Gesetzgeber davon aus, dass Abs 3 von Abs 1 und 2 „abweicht“, und zwar durch die Befristung des möglichen Bescheidantrages mit einem Jahr.

  4. Die Rsp zum – nach seinem Wegfall zB während der Zivildienstes – neu zu beantragenden Kinderzuschuss zeigt am deutlichsten, dass § 367 ASVG keine taxative Aufzählung bescheidmäßig zu erledigender Rechtssachen enthält: Der Kinderzuschuss ist in § 367 nirgends

erwähnt, doch besteht kein Zweifel darüber, dass der Versicherungsträger da rüber auch bei bereits laufender Pension einen (weiteren) Leistungsbescheid zu erlassen hat (vgl OGH 24.11.1998, 10 ObS 386/98g; OGH 9.11.1999, 10 ObS 287/99z).

Richtigerweise sind daher Abs 1 und 2 des § 367 ASVG so zu lesen, dass nachträgliche Veränderungen in der Pensionshöhe, sei es, dass sie kraft Gesetzes ausdrücklich vorgenommen werden (was ja denkbar ist), sei es, dass sie von einer Partei unter Berufung auf eine unklare gesetzliche Bestimmung angestrebt werden, zumindest dann mit Sachbescheid zu erledigen sind, wenn dies von der Partei beantragt wurde. Es genügt, dass es sich um eine Leistungssache iSd § 354 Abs 1 ASVG handelt, dh wenn es um die Feststellung des Bestandes, des Umfanges oder des Ruhens eines Anspruches auf eine Versicherungsleistung einschließlich einer Feststellung nach § 367 Abs 1 ASVG (und nicht um einen Zuständigkeitsstreit) geht und die Erlassung eines Bescheides nicht ausdrücklich ausgeschlossen ist.

Die den größten Teil der Begründung umfassenden Ausführungen des OGH auf der Suche nach einer Rechtsgrundlage für die Bescheidpflicht der PVA in § 367 ASVG gehen also schon im Ansatz fehl, weil der OGH an der falschen Stelle sucht. Es schien mir daher auch nicht zweckmäßig zu sein, diesen Fehlschlag zu einem einleitenden allgemeinen Rechtssatz zu adeln.

Irgendwie passen in die Begründung die Rz 29-34 nicht hinein, in denen der OGH ausführlich und unter Heranziehung von Literatur begründet, warum § 236 Abs 4b ASVG nur für neu anfallende, nicht aber – wie der Kl meinte – für bereits früher zuerkannte Leistungen gilt. Ob der Kl recht hat oder nicht, davon kann doch nicht die Zulässigkeit des Rechtsweges abhängen?!

4.
Alternative Entscheidungsmöglichkeiten des OGH

Wenn man also die These des OGH vom Fehlen einer Bescheidpflicht in der Sache nicht teilen kann, dann hätte der OGH den Bescheid der PVA (vor dem rechtlichen Hintergrund einer die PVA treffenden Verpflichtung zur Erlassung eines Sachbescheides) angesichts von dessen Begründung durchaus als Sachbescheid deuten können, bei dem sich die PVA im Spruch bloß im Ausdruck vergriffen hat. Er hätte sich einen beträchtlichen Begründungsaufwand erspart, wäre er doch mit Rz 29 bis 34 (ausgenommen die Schlussfolgerung der fehlenden Bescheidpflicht) sowie Rz 37 ausgekommen. Aber bei aller Kritik: Es ehrt den Senat durchaus, dass er versuchte, in einem vermeintlich nichtigen Verfahren seine Rechtsauffassung in der Sache doch noch an den Kl zu bringen. 426