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EuGH bekräftigt und präzisiert: Arbeitskräfteüberlassung muss als „vorübergehend“ gestaltet werden

RENÉSCHINDLER (WIEN)
§§ 10, 15 AÜG; §§ 2, 97, 144 ArbVG; §§ 3, 6 AHG
Art 1, 3, 5 RL Leiharbeit 2008/104/EG;
  1. Die Leiharbeitsrichtlinie (2008/104/EG – „RL“) legt keine bestimmte Dauer fest, bei deren Überschreitung eine Überlassung nicht mehr als „vorübergehend“ eingestuft werden kann. Allein aus ihr kann auch kein subjektives Recht auf Begründung eines Arbeitsverhältnisses mit dem Beschäftiger abgeleitet werden, wenn die nationalen Rechtsvorschriften eine solche Sanktion für den Fall einer richtlinienwidrigen Beschäftigung nicht vorsehen.

  2. Wiederholte Überlassungen auf denselben Arbeitsplatz für eine Dauer von 55 Monaten sind missbräuchlich, wenn dies länger ist als das, was vernünftigerweise als vorübergehend betrachtet werden kann und keine objektive Erklärung dafür gegeben wird. Bei der Beurteilung, was als vorübergehend betrachtet werden kann, sind Branchenbesonderheiten und der sonstige nationale Regelungsrahmen zu berücksichtigen.

  3. Eine nationale Übergangsvorschrift, die die Gerichte daran hindert, die tatsächliche Dauer der Überlassung zu berücksichtigen, verstößt gegen Unionsrecht.

  4. Die Mitgliedstaaten müssen die erforderlichen Maßnahmen und Sanktionen vorsehen, um missbräuchliche Überlassungen effektiv zu unterbinden. Insb müssen sie verhindern, dass Leiharbeit bei demselben Beschäftiger zu einer Dauersituation für einen Leih-AN wird. Behörden und Gerichte haben diese Ziele bei der Auslegung nationaler Rechtsvorschriften zu berücksichtigen. Die RL überlässt jedoch den Mitgliedstaaten die Wahl der geeigneten Mittel, um sie zu erreichen.

  5. In Rechtsstreiten zwischen Privaten besteht kein Geltungsvorrang der RL. Nationale Regelungen, deren Unionsrechtswidrigkeit auch bei Anwendung aller Auslegungsgrundsätze nicht beseitigt werden kann, bleiben anwendbar. Geschädigte AN können (nur) Staatshaftungsansprüche geltend machen.

  6. Besteht eine nationale Regelung über die zulässige Höchstdauer von Überlassungen, kann sie Ausnahmen durch KollV zulassen; auch durch Kollektivverträge, die für Beschäftiger gelten.

[...]

Deutsches Recht

[...]

16 § 1 [...] AÜG in geänderter Fassung sieht vor:

„(1) ... Die Überlassung von Arbeitnehmern ist vorübergehend bis zu einer Überlassungshöchstdauer nach Absatz 1b zulässig. [...](1b) Der Verleiher darf denselben Leiharbeitnehmer nicht länger als 18 aufeinander folgende Monate demselben Entleiher überlassen; [...] In einem Tarifvertrag von Tarifvertragsparteien der Einsatzbranche kann eine von Satz 1 abweichende Überlassungshöchstdauer festgelegt werden. [...]“

17 [...]

18 § 10 Abs 1 Satz 1 AÜG in geänderter Fassung bestimmt: „Ist der Vertrag zwischen einem Verleiher und einem Leiharbeitnehmer nach § 9 unwirksam, so gilt ein Arbeitsverhältnis zwischen Entleiher und Leiharbeitnehmer zu dem zwischen dem Entleiher und dem Verleiher für den Beginn der Tätigkeit vorgesehenen Zeitpunkt als zustande gekommen; [...]“

19 § 19 Abs 2 AÜG in geänderter Fassung enthält eine Übergangsbestimmung, in der es heißt: „Überlassungszeiten vor dem 1. April 2017 werden bei der Berechnung der Überlassungshöchstdauer nach § 1 Absatz 1b ... nicht berücksichtigt.“

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

21 NP war seit dem 1.9.2014 bei einem Leiharbeitsunternehmen beschäftigt. Von diesem Zeitpunkt an bis zum 31.5.2019 wurde er – mit Ausnahme eines zweimonatigen Elternurlaubs – ausschließlich Daimler als entleihendem Unternehmen zur Verfügung gestellt, wo er ständig in der Motorenfertigung arbeitete. Nach Angaben des vorlegenden Gerichts diente die in Rede stehende Beschäftigung nicht der Vertretung eines AN.

[...]

Zu den Vorlagefragen

Zur ersten Frage

28 Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art 1 Abs 1 der RL 2008/104 dahin auszulegen ist, dass der in dieser Bestimmung verwendete Begriff „vorübergehend“ der Überlassung eines AN, der einen Arbeitsvertrag oder ein Arbeitsverhältnis mit einem Leiharbeitsunternehmen hat, an ein entleihendes Unternehmen entgegensteht, die zur Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz erfolgt, der dauerhaft vorhanden ist und der nicht vertretungsweise besetzt wird.

29, 30 [...]

31 Schon dem Wortlaut dieser Bestimmung ist somit zu entnehmen, dass der Begriff „vorübergehend“ nicht darauf abzielt, den Einsatz von Leiharbeit auf Arbeitsplätze zu beschränken, die nicht dauerhaft vorhanden sind oder die vertretungsweise besetzt werden, da dieser Begriff nicht den Arbeitsplatz kennzeichnet, der im entleihenden Unternehmen zu besetzen ist, sondern die Modalitäten der Überlassung eines AN an dieses Unternehmen.

[...]

37 [...] Im Gegenteil stützt der Umstand, dass die RL 2008/104, wie der Gerichtshof festgestellt hat, auch darauf abzielt, den Zugang der Leih-AN zu unbefristeter Beschäftigung bei dem entleihenden Unternehmen zu fördern (Urteil vom 14.10.2020, KG [Aufeinanderfolgende Überlassungen von Leiharbeit], C-681/18, EU:C:2020:823, Rn 51), die Auslegung, dass ein befristet beschäftigter AN einem entleihenden Unternehmen zur vorübergehenden Besetzung eines dauerhaft vorhandenen Arbeitsplatzes überlassen werden kann, den er später dauerhaft besetzen könnte. 565

38 Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art 1 Abs 1 der RL 2008/104 dahin auszulegen ist, dass der in dieser Bestimmung verwendete Begriff „vorübergehend“ der Überlassung eines AN, der einen Arbeitsvertrag oder ein Arbeitsverhältnis mit einem Leiharbeitsunternehmen hat, an ein entleihendes Unternehmen, die zur Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz erfolgt, der dauerhaft vorhanden ist und der nicht vertretungsweise besetzt wird, nicht entgegensteht.

Zur zweiten Frage

39-49 [...] (Zur Zuständigkeit des Gerichtshofs und zur Zulässigkeit der Frage – Anm des Autors)

50 Im vorliegenden Fall ersucht das vorlegende Gericht den Gerichtshof mit seiner zweiten Frage zwar um Auslegung von Art 1 der RL 2008/104 und insb des in dessen Abs 1 verwendeten Begriffs „vorübergehend“, doch geht aus der Begründung der Vorlageentscheidung hervor, dass es mit dieser Frage nicht wissen möchte, ob die Überlassung des betreffenden Leih-AN in den Anwendungsbereich dieser RL fällt, sondern vielmehr, ob diese Überlassung noch als „vorübergehend“ iS dieser RL angesehen werden kann, oder ob sie im Gegenteil aufgrund der aufeinanderfolgenden Verlängerungen des Einsatzes dieses AN, die sich zu einer Überlassungsdauer von 55 Monaten summieren, missbräuchlich ist, wobei das vorlegende Gericht hervorhebt, dass NP vor ihm eine solche Missbräuchlichkeit geltend gemacht habe.

52 Unter diesen Umständen ist die zweite Frage umzuformulieren und festzustellen, dass das vorlegende Gericht mit ihr im Kern wissen möchte, ob Art 1 Abs 1 und Art 5 Abs 5 der RL 2008/104 dahin auszulegen sind, dass es einen missbräuchlichen Einsatz aufeinander folgender Überlassungen eines Leih-AN darstellt, wenn solche Überlassungen auf demselben Arbeitsplatz bei einem entleihenden Unternehmen für eine Dauer von 55 Monaten verlängert werden.

53-57 (Der EuGH bekräftigt, dass die RL weder eine Höchstdauer für Überlassungen festlegt noch sonstige spezifische Maßnahmen vorsieht. Doch besteht die Pflicht der Mitgliedstaaten, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um Umgehungen zu verhindern und insb sicherzustellen, dass Leiharbeit an einem bestimmten Arbeitsplatz nicht zu einer Dauersituation wird – wie EuGH 14.10.2020, C-681/18 = DRdA 2021/25, 283; Anm des Autors)

58 Falls in den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats diese Dauer nicht genannt wird, ist es Sache der nationalen Gerichte, diese Dauer für jeden Einzelfall und unter Berücksichtigung sämtlicher relevanter Umstände, zu denen insb die Branchenbesonderheiten zählen, zu bestimmen. [...]

59 Dabei kann das vorlegende Gericht nach der Rsp des Gerichtshofs folgende Erwägungen berücksichtigen.

60 Führen aufeinanderfolgende Überlassungen desselben Leih-AN bei demselben entleihenden Unternehmen zu einer Beschäftigungsdauer bei diesem Unternehmen, die länger ist, als das, was unter Berücksichtigung sämtlicher relevanter Umstände, zu denen insb die Branchenbesonderheiten zählen, vernünftigerweise als „vorübergehend“ betrachtet werden kann, k 1 der RL 2008/104 sein. [...]

61, 62 (Wie Rz 70 f der E EuGH 14.10.2020, C-681/18 = DRdA 2021/25, 283; Anm des Autors.)

Zur vierten Frage

64 Vorab ist festzustellen, dass die vierte Frage, die als Drittes zu prüfen ist, vom vorlegenden Gericht im Hinblick auf den von ihm dargelegten Umstand gestellt wird, dass, obwohl die nationale Regelung ab dem 1.12.2011 vorsah, dass die Überlassung des AN an das entleihende Unternehmen vorübergehenden Charakter haben musste, der deutsche Gesetzgeber erst durch eine Änderung dieser Regelung, die am 1.4.2017 in Kraft trat, dh mehr als sechs Jahre nach dem Zeitpunkt, zu dem die RL 2008/104 umzusetzen war, vorgesehen hat, dass, vorbehaltlich von Abweichungen, die in Tarifverträgen zwischen den Sozialpartnern der Entleiherbranche und in auf der Grundlage dieser Tarifverträge geschlossenen Betriebs- oder Dienstvereinbarungen vorgesehen werden können, die Höchstdauer der Überlassung eines Leih-AN auf 18 Monate festzulegen ist, wobei er in einer Übergangsvorschrift bestimmt hat, dass bei der Berechnung dieser Höchstdauer nur die Überlassungszeiten nach dem 1.4.2017 zu berücksichtigen sind.

65, 66 [...]

67 Wie der Gerichtshof bereits entschieden hat, gibt Art 5 Abs 5 Satz 1 der RL 2008/104 den Mitgliedstaaten in klaren, genauen und nicht an Bedingungen geknüpften Worten auf, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um Missbräuche zu verhindern, die darin bestehen, Überlassungen von Leih-AN mit dem Ziel aufeinander folgen zu lassen, die Bestimmungen dieser RL zu umgehen. Folglich ist diese Bestimmung dahin auszulegen, dass sie es einem Mitgliedstaat verwehrt, keine Maßnahmen zu ergreifen, um den vorübergehenden Charakter der Leiharbeit zu wahren (Urteil vom 14.10.2020, KG [...], C-681/18, EU:C:2020:823, Rn 63). 566

68-70 [...]

71 Dabei dürfen die Mitgliedstaaten jedoch nicht gegen die Bestimmungen der RL 2008/104 verstoßen. So darf zum einen ein Mitgliedstaat bei der Festlegung einer Höchstdauer für die Überlassung eines vorübergehend beschäftigten AN an ein entleihendes Unternehmen diese Dauer nicht so festlegen, dass sie über den vorübergehenden Charakter einer solchen Überlassung hinausgeht, oder aufeinanderfolgende Überlassungen eines Leih-AN in einer Weise ermöglicht, die die Bestimmungen dieser RL gemäß ihrem Art 1 Abs 1 und Art 5 Abs 5 Satz 1 umgeht. [...]

72 Da die Mitgliedstaaten nach Art 11 Abs 1 der RL 2008/104 verpflichtet waren, diesen Bestimmungen bis spätestens zum 5.12.2011 nachzukommen, ist davon auszugehen, dass sie ab diesem Zeitpunkt verpflichtet waren, sicherzustellen, dass die Überlassung von Leih-AN eine Dauer nicht überschreitet, die als „vorübergehend“ eingestuft werden kann.

73-81 [...] (Der EuGH betont die Pflicht, die praktische Wirksamkeit der RL zu wahren, ferner zur unionsrechtskonformen Auslegung nationalen Rechts; doch hat die RL keine unmittelbare Wirkung zwischen Privaten – Anm des Autors.)

82 Daraus folgt, dass ein nationales Gericht, bei dem ein Rechtsstreit ausschließlich zwischen Privatpersonen anhängig ist, nicht allein aufgrund des Unionsrechts verpflichtet ist, eine unionsrechtswidrige Übergangsvorschrift unangewendet zu lassen, die für die Anwendung einer Regelung, die eine Höchstdauer der Überlassung eines Leih-AN festlegt, die Berücksichtigung der dem Inkrafttreten dieser Regelung vorausgegangenen Überlassungszeiträume ausschließt.

83 Nach alledem ist auf die vierte Frage zu antworten, dass die RL 2008/104 dahin auszulegen ist, dass sie einer nationalen Regelung entgegensteht, die eine Höchstdauer der Überlassung desselben Leih-AN an dasselbe entleihende Unternehmen festlegt, wenn sie durch eine Übergangsvorschrift die Berücksichtigung von vor dem Inkrafttreten dieser Regelung liegenden Zeiträumen bei der Berechnung dieser Dauer ausschließt und dem nationalen Gericht die Möglichkeit nimmt, die tatsächliche Dauer der Überlassung eines Leih- AN zu berücksichtigen, um festzustellen, ob diese Überlassung iSd RL „vorübergehend“ war; dies festzustellen, ist Sache dieses Gerichts. Ein nationales Gericht, bei dem ein Rechtsstreit ausschließlich zwischen Privatpersonen anhängig ist, ist nicht allein aufgrund des Unionsrechts verpflichtet, eine solche unionsrechtswidrige Übergangsvorschrift unangewendet zu lassen.

Zur dritten Frage

84-86 [...] (Zur Zulässigkeit der Frage – Anm des Autors)

87 Mit seiner dritten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art 10 Abs 1 der RL 2008/104 dahin auszulegen ist, dass in Ermangelung einer nationalen Rechtsvorschrift, die eine Sanktion für die Nichteinhaltung dieser RL durch Leiharbeitsunternehmen oder entleihende Unternehmen vorsieht, der Leih-AN aus dem Unionsrecht ein subjektives Recht auf Begründung eines Arbeitsverhältnisses mit dem entleihenden Unternehmen ableiten kann.

88-92 [...]

93-96 (Der EuGH betont die Pflicht der Mitgliedstaaten, geeignete Maßnahmen zur Umsetzung der RL vorzusehen, aber auch, dass sie diese frei wählen können – Anm des Autors.)

97 Daraus folgt, dass ein Leih-AN, dessen Überlassung an ein entleihendes Unternehmen unter Verstoß gegen Art 1 Abs 1 und Art 5 Abs 5 Satz 1 der RL 2008/104 nicht mehr vorübergehend wäre, in Anbetracht der in Rn 79 des vorliegenden Urteils angeführten Rsp aus dem Unionsrecht kein subjektives Recht auf Begründung eines Arbeitsverhältnisses mit diesem Unternehmen ableiten kann. 98 Eine gegenteilige Auslegung würde in der Praxis zu einem Verlust des Ermessens führen, das allein den nationalen Gesetzgebern verliehen wurde, denen in dem von Art 10 der RL 2008/104 definierten Rahmen die Schaffung einer geeigneten Sanktionsregelung obliegt (vgl entsprechend Urteil vom 4.10.2018, Link Logistik N&N, C-384/17, EU:C:2018:810, Rn 54).

99 Die durch die Unvereinbarkeit des nationalen Rechts mit dem Unionsrecht geschädigte Partei kann sich jedoch auf die mit dem Urteil vom 19.11.1991, Francovich ua (C-6/90und C-9/90, EU:C:1991:428), begründete Rsp berufen, um gegebenenfalls Ersatz des entstandenen Schadens zu erlangen (vgl in diesem Sinne Urteil vom 15.1.2014, Association de médiation sociale, C-176/12, EU:C:2014:2, Rn 50 und die dort angeführte Rsp).

100 Nach alledem ist auf die dritte Frage zu antworten, dass Art 10 Abs 1 der RL 2008/104 dahin auszulegen ist, dass in Ermangelung einer nationalen Rechtsvorschrift, die eine Sanktion für die Nichteinhaltung dieser RL durch Leiharbeitsunternehmen oder entleihende Unternehmen vorsieht, der Leih-AN aus dem Unionsrecht kein subjektives Recht auf Begründung eines Arbeitsverhältnisses mit dem entleihenden Unternehmen ableiten kann.

Zur fünften Frage

101 Mit seiner fünften Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die RL 2008/104 dahin auszulegen ist, dass sie einer nationalen Regelung entgegensteht, die die Tarifvertragsparteien ermächtigt, auf der Ebene der Branche der entleihenden Unternehmen von der durch eine solche Regelung festgelegten Höchstdauer der Überlassung eines Leih-AN abzuweichen.

102 [...]

103 Zwar können die Mitgliedstaaten, wie sich aus Art 5 Abs 3 der RL 2008/104 ergibt, den Sozialpartnern nur unter bestimmten Voraussetzungen die Möglichkeit einräumen, von den in Art 5 Abs 1 dieser VO genannten Voraussetzungen abzuweichen. Außerdem heißt es im 17. Erwägungsgrund dieser VO insoweit, dass die Mitgliedstaaten unter bestimmten, genau festgelegten Umständen auf der Grundlage einer zwischen den Sozialpartnern auf nationaler Ebene geschlossenen Vereinbarung vom Grundsatz der Gleichbehandlung in beschränktem 567 Maße abweichen dürfen, sofern ein angemessenes Schutzniveau gewährleistet ist.

104 Die Rolle der Sozialpartner bei der Umsetzung der RL 2008/104 ist jedoch nicht auf die ihnen in Art 5 dieser RL übertragene Aufgabe beschränkt.

105 Insb sieht erstens der 16. Erwägungsgrund dieser RL einen weiten Bereich für eine Intervention der Sozialpartner vor, indem er klarstellt, dass die Mitgliedstaaten den Sozialpartnern gestatten können, Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen festzulegen, sofern das Gesamtschutzniveau für Leih-AN gewahrt bleibt. [...]

106 Zweitens sieht Art 9 der RL 2008/104 im Wesentlichen vor, dass die Mitgliedstaaten Tarifverträge oder Vereinbarungen zwischen den Sozialpartnern zulassen können, sofern die Mindestvorschriften dieser RL eingehalten werden.

107, 108 [...]

109 Diese Möglichkeit befreit die Mitgliedstaaten jedoch nicht von der Verpflichtung, durch geeignete Rechts- und Verwaltungsvorschriften sicherzustellen, dass die AN in vollem Umfang den Schutz in Anspruch nehmen können, den ihnen die RL 2008/104 gewährt (vgl in diesem Sinne Urteil vom 11.2.2010, Ingeniørforeningen i Danmark, C-405/08, EU:C:2010:69, Rn 40 und die dort angeführte Rsp).

110 Zu dem Umstand, dass im vorliegenden Fall die Tarifvertragsparteien aus der Branche der entleihenden Unternehmen zuständig wären, ist festzustellen, dass die RL 2008/104 insoweit keine Einschränkung oder Verpflichtung vorsieht, so dass eine solche Entscheidung in den Wertungsspielraum der Mitgliedstaaten fällt.

111 Nach alledem ist auf die fünfte Frage zu antworten, dass die RL 2008/104 dahin auszulegen ist, dass sie einer nationalen Regelung nicht entgegensteht, die die Tarifvertragsparteien ermächtigt, auf der Ebene der Branche der entleihenden Unternehmen von der durch eine solche Regelung festgelegten Höchstdauer der Überlassung eines Leih-AN abzuweichen.

ANMERKUNG

1. Der EuGH hat bereits in seiner E 14.10.2020, C-681/18, KG(DRdA 2021/25, 283 [Gagawczuk]) klar ausgesprochen, dass alle Mitgliedstaaten verpflichtet sind, die Beschäftigungsform Arbeitskräfteüberlassung mit den Mitteln ihrer nationalen Rechtsordnung so zu gestalten, dass sie eine lediglich vorübergehende Form der Beschäftigung darstellt. Der Übergang zu einer unbefristeten Beschäftigung beim Entleiher (Beschäftiger) darf nicht unterlaufen werden, indem dieser ohne Sanktion dauerhaft Leih-AN auf einem Arbeitsplatz einsetzen kann (diesen Zusammenhang übersieht Schrank, Betriebsverfassungsrechtliche Leiharbeitsbeschränkungen, RdW 2022/35, 33 leider völlig). Die nunmehrige E bekräftigt das und betont erneut, dass mangels horizontaler Drittwirkung der RL der Staat bei unzureichender Umsetzung haftet, da diese Pflicht „klar, genau und unbedingt“ aus der RL hervorgeht (Rz 67).

2. Er betont auch diesmal, dass die RL keine konkreten Vorgaben macht, durch welche Regelungen und Sanktionen die Mitgliedstaaten dieses Ziel erreichen müssen. In Übereinstimmung mit der Vorentscheidung spricht er aus, dass ein vorübergehender Einsatz von Leih-AN auch auf Dauerarbeitsplätzen zulässig ist. Die RL selbst ordnet auch keine bestimmten Sanktionen an. Sie sieht insb nicht vor, dass unzulässige Leiharbeit zu einem Arbeitsverhältnis beim Entleiher führt. Das alles ändert aber nichts daran, dass die Mitgliedstaaten durch effektive Regelungen und Sanktionen jeden Missbrauch von Leiharbeit verhindern müssen, für sie also eine „Ergebnispflicht“ gilt (EuGH 5.3.1996, C-46/93, Brasserie du Pecheur, Rz 46).

Und für welche Vorgangsweise immer ein Mitgliedstaat sich entscheidet, er darf sie nicht unionsrechtswidrig gestalten: Hier zB durch eine Übergangsregelung, die Einsatzzeiten eines Leih-AN nach dem Dezember 2011 (Ende der Umsetzungsfrist der RL) zum Teil unberücksichtigt lässt. Der verständliche Wunsch, durch ein erst 2017 geschaffenes Gesetz nicht plötzliche oder gar rückwirkende Übergänge von Arbeitsverträgen auf den Entleiher, auszulösen, hätte anders umgesetzt werden müssen. Eine Regel etwa, die zunächst (nur) eine finanzielle Abgeltung der Unsicherheit der Beschäftigung, natürlich über das betriebsübliche Entgelt hinaus, vorgesehen hätte und erst in der nächsten Stufe, zB ab 2018 den Übergang des Arbeitsvertrages, wäre wohl zulässig gewesen.

3. In der Vorentscheidung war ziemlich unklar geblieben, was als „vorübergehend“ gilt (Gagawczuk, DRdA 2021/25, 283). Klar war nur, dass einerseits die Häufigkeit und andererseits die Dauer von Einsätzen bei demselben Entleiher maßgeblich sind. Zur Häufigkeit hat der EuGH auf die mittelbare Bedeutung der Vorgaben der RL über befristete Arbeitsverträge (RL 99/70/EG) verwiesen. Zur Dauer liefert das Gericht nun zwei Anhaltspunkte:

  • Es ist auf die Verhältnisse in der Branche des Entleihers Bedacht zu nehmen.

  • Aber auch die nationalen Gepflogenheiten sind zu berücksichtigen.

Beides wird leider nicht näher ausgeführt. Daher ist nicht eindeutig, wie jedes dieser Kriterien und insb deren Wechselwirkung zu verstehen ist. Der EuGH bekräftigt aber, dass eine dauerhafte („unbefristete“) Beschäftigung – und zwar beim Entleiher (Beschäftiger)! – der Regelfall der Beschäftigung ist, den die RL sichern will. Dabei muss man bedenken, dass ein unbefristetes Arbeitsverhältnis in praktisch sämtlichen EU-Staaten nur mit Begründung gekündigt werden kann. Nach dem Brexit dürfte Österreich das letzte EU-Mitglied sein, das jederzeit begründungslos kündbare Arbeitsverhältnisse kennt. Dass auch die Arbeitsverhältnisse von Leih-AN „unbefristet“ sind, bedeutet daher nicht, dass die Ziele der RL erreicht wären: Sie sind ebenso unsicher wie die in anderen Ländern üblichen, befristeten Verträge. Sie sind nicht „dauerhaft“.

Dem EuGH geht es aber sichtlich darum, dass nicht durch dauernde Überlassungen sichere(re) Stammarbeitsplätze in jederzeit „abbaubare“ Leiharbeitsplätze umgewandelt werden. Vor diesem Hinter 568 grund kann die Bedachtnahme auf die Einsatzbranche nur bedeuten, dass es auf die dort übliche Beschäftigungsdauer von Stamm-AN ankommt (Greiner, ASoK 2022, 249, 251): Überlassungen müssen wesentlich kürzer dauern. So wird in Saisonbranchen die Beschäftigung während einer gesamten Saison bereits nicht mehr „vorübergehend“ sein, weil das ja die dort generell übliche Dauer der Beschäftigung ist. In einer Branche, in der ein Regelarbeitsverhältnis zB durchschnittlich zehn Jahre dauert, wird hingegen eine Beschäftigung für 1,5 Jahre gerade noch als vorübergehend beurteilt werden können. Die Höchstgrenze ist nach den österreichischen Gepflogenheiten im Regelfall wohl mit 18 Monaten anzunehmen (Gagawczuk, DRdA 2021, 286). Die 4-Jahres-Frist des § 10 Abs 1a AÜG markiert mE, europarechtskonform interpretiert (siehe Pkt 4.), das für extreme Ausnahmefälle geltende Limit. Zur jeweiligen Dauer in einzelnen Branchen (und den Schwierigkeiten sie sicher zu ermitteln) sei auf die einschlägige WIFO-Studie (Mayrhuber/Url, WIFO-Monatsbericht 10/1999) verwiesen. Die dort erläuterte Unterscheidung zumindest zwischen den Gruppen der „instabil“ (durchschnittliche Beschäftigungsdauer ca vier Monate) und der „stabil“ Beschäftigten (2,6 bis 12,4 Jahre) zeigt die Relationen und Grenzen. Auch die AMS-Daten zur Fluktuation in den verschiedenen Branchen könnten nützlich sein.

Entgegen Greiner (ASoK 2022, 249) lässt sich aus der E mE nicht ableiten, dass der EuGH die im Anlassfall gegebene Überlassungsdauer von 55 Monaten noch als evtl „vorübergehend“ akzeptiert: Er lehnt es vielmehr generell ab, irgendeine konkrete Grenze aus der RL „herauszulesen“. Die Besonderheiten einer Branche und die nationalen Gegebenheiten sind ausschlaggebend – und die darf nicht der EuGH beurteilen, sondern nur die nationalen Gerichte. Auch aus den OGH-E im Gefolge der Albron-E des EuGH (OGH9 ObA 19/18mDRdA 2019/21, 236 [Reissner] ua) lässt sich dazu mE nichts ableiten: Der OGH hat betont, dass es bei der Beurteilung, ob Schutzbedarf für überlassene AN bei einem Betriebsübergang des Entleihers besteht, gerade nicht auf die Dauer der Überlassung, sondern wesentlich auf sonstige „atypische“ Umstände ankommt (OGH9 ObA 50/19xDRdA 2020/21, 252 [Schrattbauer]). Dogmatisch ist es auch überzeugend, die Plausibilität einer weiteren Beschäftigung beim bzw durch den vertraglichen AG für entscheidend zu erachten (Reissner, DRdA 2019/21, 236, 240 mwH). Die hier maßgebliche Frage eines Missbrauchs von Leiharbeit ist eine ganz andere.

4. Entgegen Gagawczuk (DRdA 2021, 287) bin ich der Meinung, dass die österreichische Rechtslage durchaus eine korrekte Umsetzung der RL möglich macht: § 15 Abs 1 Z 2 AÜG überträgt – richtlinienkonform interpretiert – dem zuständigen Minister die Pflicht (siehe unten), den vorübergehenden Charakter von Leiharbeit durch VO zu sichern. Die dort vorgesehene Verordnungsermächtigung macht es möglich, in Beachtung der E jedoch zur Pflicht, die Dauer der Beschäftigung überlassener AN zeitlich zu beschränken. Eine solche Begrenzung bezieht sich auf den Arbeitsplatz beim Entleiher. Auch bei aufeinander folgendem Einsatz verschiedener AN auf demselben bzw einem gleichartigen (austauschbaren) Arbeitsplatz bleibt sie gültig (Schrattbauer, AÜG § 15 Rz 5 mwH; Gagawczuk, DRdA 2021, 287). Damit entspricht sie exakt dem vom EuGH festgestellten Gebot der RL zum vorübergehenden Charakter von Leiharbeit.

Gem § 15 Abs 2 AÜG ist die Erlassung dieser VO zwar davon abhängig, dass im geplanten Geltungsbereich mehr als 10 % der Beschäftigten Leih-AN sind. Aber die jeweils für den Kompetenzbereich „Arbeit“ zuständigen Minister*innen, als Organe der Verwaltung haben und hatten diese gesetzliche Grenze unangewendet zu lassen. Der Anwendungsvorrang europäischen Rechts findet hier ja nicht zwischen Privaten seine Grenze, sondern ist durch ein Staatsorgan in Ausübung dessen hoheitlicher Aufgaben zu beachten. Da die RL keinerlei Ermächtigung enthält, den vorübergehenden Charakter von Leiharbeit nur in Branchen mit mehr als 10 % Leih-AN zu wahren, ist diese Begrenzung als Verstoß gegen EU-Recht unbeachtlich.

Die Verordnungsermächtigung des § 15 muss verpflichtend genützt werden, da jede nationale Behörde alles ihr Mögliche tun muss, um eine EU-konforme Rechtslage herzustellen. Dies umso mehr, da in Österreich (fast) nur diese Möglichkeit besteht, den vorübergehenden Charakter von Leiharbeit de lege lata zu sichern. Die Anordnung lediglich einer prozentualen Grenze der Gesamtzahl der in einer Branche beschäftigten Leih-AN (§ 15 Abs 1 Z 1 AÜG) würde mE nicht genügen, weil sie keinen effektiven Schutz des einzelnen Leih-AN bewirkt. Dieser aber ist EU-rechtlich geboten (Rz 58, 60 der E).

Schon angesichts der EuGH-E 2018 hätte eine entsprechende VO erlassen werden müssen. Selbst wenn man eine kurze Frist für deren Erarbeitung einräumt, lag spätestens ab 2019 qualifiziert schuldhaftes Unterlassen iSd EuGH-Rsp zur Staatshaftung vor. Nun liegt aber auch noch eine gefestigte Rsp vor und der EuGH gibt inhaltliche Hinweise zur Ausgestaltung der VO, so dass überhaupt keine Rechtfertigung für weiteres Zögern mehr besteht! Und sachgerechterweise sieht § 15 AÜG ohnedies eine branchenweise differenzierte VO vor. Auch eine einheitliche Frist nach deutschem Vorbild wäre aber, abgesehen von Saisonbranchen, möglich, wenn sie relativ kurz ist: Besserstellungen gegenüber den verpflichtenden Mindeststandards der RL sind zulässig.

Mit Erlassung einer VO wäre aber erst die grundsätzliche Pflicht erfüllt, Arbeitskräfteüberlassung als vorübergehend zu gestalten. Von wirksamen Sanktionen ist damit noch keine Rede! Was Überlasser betrifft, ist schon fraglich, ob ein Verstoß gegen die VO wenigstens strafbar wäre (zu Recht skeptisch Schrattbauer, AÜG § 15 Rz 7 mwH). Gewiss droht bei mehrfachen Verstößen der Entzug der Konzession gem § 135 GewO, aber das ist eine sehr späte und wenig wirksame Maßnahme. Gegenüber rechtswidrig vorgehenden Entleihern (Beschäftigern) besteht überhaupt keine Sanktionsmöglichkeit, obwohl gerade deren Verhalten 569 entscheidend ist! De lege ferenda müssen daher auch wirksame Sanktionen geschaffen werden. Nach deutschem Vorbild wäre wohl der Übergang von Arbeitsverhältnissen unzulässig lang eingesetzter Leih-AN auf den Beschäftiger eine angemessene Lösung – er benötigt diese ja ohnedies.

Unter dem Gesichtspunkt einer EU-konformen Interpretation scheint mir ferner geboten, die Vier- Jahres-Frist des § 10 Abs 1a AÜG als jenen Zeitpunkt zu betrachten, ab dem jedenfalls – auch bei doppelter Kollektivvertragsbindung – betriebsübliche Entgelte zustehen (Schindler in Neumayr/Reissner [Hrsg], ZellKomm 13 § 10 AÜG Rz 31/4). Eine solche Auslegung wahrt die Grenze der national (noch) zulässigen Interpretation. Sie ist geboten, um die mangelnde Umsetzung der RL immerhin teilweise zu beseitigen: Generell angewendet ist diese Frist zwar zu lange, aber sie vermindert den Schaden immerhin. Nicht zuletzt müssen auch die Schlichtungsstellen in Verfahren zur Erzwingung einer BV gem § 97 Abs 1 Z 1a ArbVG den vorübergehenden Charakter von Leiharbeit umsetzen.

5. Aber bis jetzt hat Österreich die RL nicht umgesetzt. Die Staatshaftung ist bereits schlagend, da schon nach Ergehen der Vorentscheidung die Rechtslage klar war. Und ihr Umfang sollte nicht unterschätzt werden: Die von Gagawczuk (DRdA 2021, 287) bereits erwähnten Schäden durch frühere Beendigung von Arbeitsverhältnissen dürften gerade während der Pandemie vielfach eingetreten sein: Für Stamm-AN war sehr oft Kurzarbeit vereinbart worden, die Leih-AN hingegen wurden zurückgestellt und gekündigt.

Zusätzlich geht es insb um die Entgeltdifferenz zwischen der beim Entleiher (Beschäftiger) betriebsüblichen und der kollektivvertraglichen Bezahlung! Österreich hat bekanntlich von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, gem Art 5 Abs 3 RL vom strikten Gebot gleicher Bezahlung (equal pay) abzuweichen. Aber die RL erteilt diese Ermächtigung natürlich nur für jenen Zeitraum, in dem eine zulässige, also vorübergehende Überlassung vorliegt. Wird er überschritten, entsteht ein kausaler Schaden aus mangelnder Richtlinienumsetzung: Die danach fortgesetzte Beschäftigung wäre nur mehr direkt beim Entleiher zulässig gewesen, dann aber wäre die Bezahlung in betriebsüblicher Höhe erfolgt.

Es handelt sich (vgl Pkt 4) um administratives Unrecht. Zwar wurde trotz des Inkrafttretens der RL die 10 %-Sperre des § 15 AÜG nicht aufgehoben, was legislatives Unrecht darstellt. Wegen des diesbezüglichen Anwendungsvorranges des Unionsrechts (siehe oben) ist dies aber nicht die Schadensursache: Die VO hätte dennoch erlassen werden können und müssen. Die Rsp (vgl VfGHA 23/00 VfSlg 16.107; OGH 16.3.2017, 1 Ob 215/16y, JusGuide 2017/17/15728) muss und wird deshalb mE als Ursache eintretender Schäden eher das administrative Unrecht ansehen. Daher sind einschlägige Ansprüche nach den Regeln des Amtshaftungsgesetzes (also zunächst durch ein Aufforderungsschreiben an die Finanzprokuratur) geltend zu machen. Die Verjährungsfrist beträgt drei Jahre (§ 6 AHG).

aufgehoben, was legislatives Unrecht darstellt. Wegen des diesbezüglichen Anwendungsvorranges des Unionsrechts (siehe oben) ist dies aber nicht die Schadensursache: Die VO hätte dennoch erlassen werden können und müssen. Die Rsp (vgl VfGHA 23/00 VfSlg 16.107; OGH 16.3.2017, 1 Ob 215/16y, JusGuide 2017/17/15728) muss und wird deshalb mE als Ursache eintretender Schäden eher das administrative Unrecht ansehen. Daher sind einschlägige Ansprüche nach den Regeln des Amtshaftungsgesetzes (also zunächst durch ein Aufforderungsschreiben an die Finanzprokuratur) geltend zu machen. Die Verjährungsfrist beträgt drei Jahre (§ 6 AHG).

6. Neu – bezogen auf die Leiharbeits-RL – aber wenig überraschend sind die Ausführungen zu der Möglichkeit, die Ziele der RL auch durch Regelungen der Sozialpartner zu erreichen. Mangels spezieller gesetzlicher Ermächtigung kann die Begrenzung der Dauer von Leiharbeit in Österreich aber durch KollV nicht vorgenommen werden. § 2 ArbVG bietet keine Grundlage für solche Regelungen.

Die einschlägigen Ausführungen der E geben jedoch Anlass zu Bedenken in anderer Hinsicht: Sie betont (Rz 103, 109), dass die Mitgliedstaaten zwar den Sozialpartnern alle Regelungen überlassen können, aber Vorkehrungen zu treffen haben, dass diese dann auch die RL korrekt umsetzen. Österreich hat bekanntlich hinsichtlich des „equalpay“-Gebotes des Art 5 RL genau das Gegenteil getan: Sofern nur Überlasser wie Entleiher einem KollV, gleich welchen Inhalts, unterliegen, gilt es nicht bzw nur auf Ebene des Branchen-KollV (§ 10 Abs 1 lS AÜG). Die verpflichtende „Achtung des Gesamtschutzes von Leiharbeitnehmern“ (Art 5 Abs 3 RL) stellt das Gesetz in keiner Weise sicher (Schrattbauer, AÜG, Einleitung Rz 20, § 10 Rz 54 mwH). Und er ist auch nicht gegeben: Jedenfalls der KollV für Angestellte im Gewerbe und Handwerk und in der Dienstleistung enthält keine Regelungen, die den entfallenen Anspruch auf betriebsübliche Löhne ausgleichen oder sonst diesen „Gesamtschutz“ herstellen würden. Der OGH wird mE, trotzdem er bisher (obiter) keine Bedenken hatte (OGH8 ObA 50/14gDRdA 2015/32, 250 [krit Felten] = ZAS 2015/52, 315 [Schörghofer]), nun doch eine Vorabentscheidung zu § 10 Abs 1 lS AÜG einholen müssen. 570