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Übergangsgeld für Jahrgänge ab 1.1.1964 erst ab Beginn der beruflichen Rehabilitationsmaßnahme

ELISABETHHANSEMANN

Von einer planwidrigen Unvollständigkeit kann hier nicht ausgegangen werden. Hätte der Gesetzgeber einen durchgehenden Leistungsbezug auch für jüngere Versicherte etablieren wollen, dies bei der Streichung des § 306 Abs 1 dritter Satz ASVG aber übersehen, hätte er dies wohl spätestens bei Wiedereinführung des § 253e ASVG durch das Sozialversicherungs-Änderungsgesetz (SVÄG) 2016 (BGBl I 2017/29) nachgeholt.

Sachverhalt

Mit Bescheid vom 13.6.2018 lehnte die bekl Pensionsversicherungsanstalt den Antrag des 1968 geborenen Kl, ihm eine Berufsunfähigkeitspension (Stichtag: 1.5.2018) zu gewähren, ab. Das anschließende Sozialgerichtsverfahren endete mit Vergleich vom 13.12.2021, wonach 1. dauernde Berufsunfähigkeit nicht vorliegt, 2. vorübergehende Berufsunfähigkeit seit 1.8.2018 vorliegt und voraussichtlich zumindest sechs Monate dauert, 3. ein Anspruch auf Maßnahmen beruflicher Rehabilitation in näher genannten Berufsfeldern besteht und 4. ein Anspruch auf Rehabilitationsgeld nicht besteht.

Mit Bescheid vom 10.11.2020 wies die Bekl den Antrag des Kl vom 14.10.2020, ihm ab 1.5.2018 Übergangsgeld zu gewähren, ab. Mit seiner Klage begehrt der Kl Übergangsgeld im gesetzlichen Ausmaß ab 1.5.2018. Nach der „alten Rechtslage“ (§ 306 Abs 1 ASVG idF vor dem Sozialrechts-Änderungsgesetz [SRÄG] 2012, BGBl I 2013/3) hätte er ab dem Stichtag zumindest eine befristete Pension bekommen, wohingegen er nach derzeitiger Gesetzeslage erst ab Beginn der beruflichen Rehabilitationsmaßnahme Anspruch auf Umschulungsgeld (§ 39b AlVG) habe. Das führe zu einem vom Gesetzgeber nicht gewollten Zeitraum ohne Leistungsbezug, der noch vergrößert werde, wenn die Voraussetzungen für den Bezug von Umschulungsgeld erst in einem (wie hier langwierigen) sozialgerichtlichen Verfahren festgestellt werden. Es liege daher eine planwidrige Lücke vor, was sich schon daran zeige, dass die vor dem 1.1.1964 Geborenen (ältere Versicherte) weiterhin Anspruch auf Übergangsgeld ab dem (Leistungs-)Stichtag haben.

Verfahren und Entscheidung

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und ließ die Revision zu, da der OGH über die Frage, ob für ab dem 1.1.1964 Geborene Übergangsgeld schon ab dem Stichtag der Leistungsfeststellung zustehe, noch nicht entschieden hat. 319

Der OGH hielt den Rekurs des Kl für zulässig, aber nicht berechtigt.

Originalzitate aus der Entscheidung

„[14] 2.1. Jede Analogie setzt eine planwidrige Unvollständigkeit des Gesetzes, mit anderen Worten eine nicht gewollte Lücke, voraus […]. Eine solche ist nur anzunehmen, wenn Wertungen und Zweck der Regelung die Annahme rechtfertigen, der Gesetzgeber hätte einen nach denselben Maßstäben regelungsbedürftigen Sachverhalt übersehen […]. Das bloß rechtspolitisch Erwünschte kann der ergänzenden Rechtsfindung durch Analogiebildung hingegen nicht als ausreichende Grundlage dienen […]. Ordnet der Gesetzgeber für einen bestimmten Sachverhalt eine bestimmte Rechtsfolge daher bewusst nicht an, fehlt es an einer Gesetzeslücke und damit auch an der Möglichkeit ergänzender Rechtsfindung […]. Das ist mit Blick auf die Genese des § 306 ASVG hier der Fall. […]

[19] 2.2.4. Mit dem SRÄG 2012 (BGBl 2013/3) wurde für jüngere Versicherte die befristete Berufsunfähigkeits- bzw Invaliditätspension abgeschafft und der Rechtsanspruch auf berufliche Rehabilitation für dauerhaft invalide Personen beseitigt (§§ 253e, 256 iVm § 669 Abs 5 ASVG). Für vorübergehend invalide jüngere Versicherte wurden das Rehabilitationsgeld (§ 143a ASVG) sowie ein Anspruch auf medizinische Rehabilitation (§ 253f ASVG) eingeführt. Bei beruflicher Rehabilitierbarkeit wurden berufliche Maßnahmen der Rehabilitation als Pflichtleistung vom AMS und während dieser Zeit Umschulungsgeld (§ 39b AlVG) vorgesehen […].

[20] Parallel dazu wurde § 306 Abs 1 ASVG für jüngere Versicherte (vgl § 669 Abs 5 ASVG) dahin geändert, dass Übergangsgeld während der Dauer der Gewährung von Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation oder einer Ausbildung nach § 198 Abs 2 Z 1 ASVG nur mehr subsidiär, das heißt dann geleistet wird, wenn kein Anspruch auf Rehabilitationsgeld (§ 143a ASVG) oder Umschulungsgeld (§ 39b AlVG) besteht. Der dritte Satz des § 306 Abs 1 ASVG, der in der vorangegangenen Fassung den Beginn des Bezugs von Übergangsgeld mit dem Stichtag für die Leistungsfeststellung festsetzte, wurde ersatzlos gestrichen. In den Materialien heißt es dazu: „Das Übergangsgeld nach § 306 ASVG ist nur mehr dann (während einer medizinischen Rehabilitationsmaßnahme oder einer beruflichen Ausbildung) zu leisten, wenn kein Rehabilitations- oder Umschulungsgeld gebührt“ (ErläutRV 2000 BlgNR 24. GP 25).

[21] 2.3. Darauf aufbauend verweist der Kläger mit Blick darauf, dass das Umschulungsgeld frühestens ab der Feststellung des Pensionsversicherungsträgers iSd § 367 Abs 4 Z 1 ASVG gebührt (§ 39b Abs 1 Satz 2 AlVG), zu Recht darauf, dass durch die Änderungen des SRÄG 2012 in diesem Bereich wieder jene Versorgungslücke für jüngere Versicherte besteht, die mit dem ASRÄG 1997 durch Einfügung des § 306 Abs 1 letzter Satz geschlossen wurde […]. […]

[23] 2.4. Von einer planwidrigen Unvollständigkeit kann hier nicht ausgegangen werden. Der auf ältere Versicherte weiter anwendbare dritte Satz des § 306 Abs 1 ASVG wurde gerade wegen der möglichen Versorgungslücke zwischen dem Leistungsstichtag und dem Beginn der Rehabilitation bzw des Bezugs des Umschulungsgeldes geschaffen. Nun ist es schon grundsätzlich schwer argumentierbar, dass dem Gesetzgeber sein – sogar konkret geäußertes – Motiv für eine bestimmte Regelung bei ihrer Abschaffung nicht bekannt ist und er ein ursprünglich verfolgtes Ziel ohne Grund wieder aufgibt. Auch wenn die Streichung des § 306 Abs 1 dritter Satz ASVG durch das SRÄG 2012 nicht näher begründet wurde, gibt es auch im Anlassfall keine Anhaltspunkte dafür, dass dies bloß versehentlich erfolgte. Wenn der Gesetzgeber die bisherige Regelung nämlich nur für die jüngeren Versicherten aufhebt, er bestimmte Folgen also für eine konkrete Gruppe anordnet, für die andere hingegen nicht, kann ihm nicht unterstellt werden, er habe die damit für die jeweils Betroffenen verbundenen Konsequenzen nicht bedacht. Wie schon das Berufungsgericht zu Recht betont hat, ergibt sich aus den Gesetzesmaterialien im Gegenteil, dass der Bezugszeitraum des nur subsidiär zu erbringenden Übergangsgeldes bewusst wieder an die Dauer der jeweiligen Rehabilitationsmaßnahme angeglichen wurde. Das steht mit dem Umstand in Einklang, dass nach dem SRÄG 2012 ein durchgehender Leistungsbezug nur mehr jenen (älteren) Versicherten zustehen sollte, die weiter einen Rechtsanspruch auf berufliche Rehabilitationsmaßnahmen hatten. Hätte der Gesetzgeber diese Regelung auch für jüngere Versicherte etablieren wollen, dies damals aber übersehen, hätte er dies wohl spätestens bei Wiedereinführung des § 253e ASVG durch das SVÄG 2016 (BGBl I 2017/29) nachgeholt.“

Erläuterung

Das Übergangsgeld ist in § 306 ASVG normiert und gebührt in der Höhe der Pension aus geminderter Arbeitsfähigkeit, die zu diesem Zeitpunkt gebührt hätte. Eingeführt wurde das Übergangsgeld mit der 32. ASVG-Novelle per 1.1.1997 als Leistung für die Dauer einer im Rahmen von beruflichen Rehabilitationsmaßnahmen gewährten Berufsausbildung sowie bei der Gewährung medizinischer Maßnahmen der Rehabilitation.

Nachdem 1996 der Grundsatz „Rehab vor Pension“ auch gesetzlich verankert wurde und jeder Antrag auf Leistung einer Invaliditäts- oder Berufsunfähigkeitspension auch als Antrag auf Rehabilitation gilt, wurde mit dem Arbeits- und Sozialrechts-Änderungsgesetz (ASRÄG) 1997 (BGBl 1997/139) schließlich in § 306 Abs 1 ASVG folgender dritter Satz angefügt: „Werden in den Fällen des § 361 Abs. 1 letzter Satz medizinische oder berufliche Maßnahmen der Rehabilitation gewährt, so gebührt Übergangsgeld ab dem Zeitpunkt, in dem die Pension aus den320Versicherungsfällen der geminderten Arbeitsfähigkeit mangels dieser Rehabilitationsmaßnahmen angefallen wäre.“ Somit wurde sichergestellt, dass keine Leistungslücke zwischen Pensionsantrag und Ende der Rehabilitationsphase entsteht.

Mit der Abschaffung der befristeten Berufsunfähigkeits- bzw Invaliditätspension für ab 1.1.1964 Geborene und der Einführung des Rehabilitationsgeldes (§ 143a ASVG) und Umschulungsgeldes (§ 39b AlVG) wurde im letzten Halbsatz des § 306 Abs 1 ASVG die Einschränkung, wonach Übergangsgeld nur mehr subsidiär zu einem Anspruch auf Rehabilitationsgeld (§ 143a ASVG) oder Umschulungsgeld (§ 39b AlVG) besteht, eingeführt. Die Anwendung des § 306 beschränkt sich seither für ab 1.1.1964 Geborene auf die Fälle selbstbeantragter Rehabilitation.

Gleichzeitig wurde der mit dem ASRÄG 1997 eingefügte oben genannte Satz ersatzlos gestrichen. Dadurch lebt die einst geschlossene Versorgungslücke für jüngere Versicherte wieder auf.

Diese Versorgungslücke betrifft Personen, bei denen ein Anspruch auf Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation gem § 253e ASVG festgestellt wurde, da das Umschulungsgeld (§ 39b AlVG) frühestens ab der Feststellung des Pensionsversicherungsträgers iSd § 367 Abs 4 Z 1 ASVG gebührt (§ 39b Abs 1 Satz 2 AlVG) – somit erst ab Beginn der beruflichen Rehabilitationsmaßnahme.

Personen, bei denen hingegen gem § 255b ASVG ein Anspruch auf Rehabilitationsgeld festgestellt wurde, haben diesen Anspruch bereits ab Stichtag der Leistungsfeststellung (§ 143a Abs 1 1. Satz ASVG). Eine Leistungslücke ist bei Anspruch auf Rehabilitationsgeld daher ausgeschlossen.

Ob es sich dabei um eine planwidrige Lücke handelt oder eine bewusste Entscheidung des Gesetzgebers, wird in der Literatur unterschiedlich beantwortet.Grohs-Zach (in Poperl/Trauner/Weißenböck, ASVG § 306 ASVG Rz 2),Bergauer (inMosler/Müller/Pfeil [Hrsg], Der SV-Komm § 306 ASVG Rz 2) sowieWeiß (DRdA 2018, 64 [68]) verneinen eine planwidrige Lücke. Letzterer verneint sogar eine Leistungslücke, indem er die Auffassung vertritt, dass aufgrund des „doppelfunktionalen Verständnisses“ des Begriffs „Feststellung des Pensionsversicherungsträgers“ in § 39b Ab 1 AlVG das Umschulungsgeld bereits ab dem Pensionsstichtag zu gewähren sei.Weißensteiner (Muss Übergangsgeld gesondert beantragt werden? DRdA 2018, 338 [342]) hingegen bejaht das Vorliegen einer planwidrigen Lücke und vertritt die Ansicht, dass bis zum Anfall des Umschulungsgeldes ein Anspruch auf Übergangsgeld bestehe.

Mit der vorliegenden E stellt der OGH nun klar, dass nicht von einer planwidrigen Unvollständigkeit ausgegangen werden kann. Der OGH gesteht dem Kl allerdings zu, dass sein Argument, eine Versorgungslücke widerspreche dem Wesen einer umfassenden sozialen Absicherung, aus rechtspolitischer Sicht durchaus verständlich ist. Es liegt somit am Gesetzgeber, diese Versorgungslücke zu schließen.