Transparent, verlässlich, mit Sanktionen abgesichert – die fehlende Umsetzung der Richtlinie über transparente und verlässliche Arbeitsbedingungen in Österreich und deren Bedeutung für die Praxis

RUTHETTL
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Hintergrund der Richtlinie über transparente und verlässliche Arbeitsbedingungen*

Die Richtlinie über transparente und verlässliche Arbeitsbedingungen* geht zunächst auf die Europäische Säule sozialer Rechte* zurück, die verstärkt auf atypische und prekäre Beschäftigung reagieren will und dies in eingeschränktem Ausmaß auch tut.* Sie verfolgt das Ziel, die Arbeitsbedingungen zu verbessern, indem diese transparenter und vorhersehbarer werden sollen.

Die bisherige Nachweis-RL,* die durch die neue Transparente-Arbeitsbedingungen-RL ersetzt wird, hatte zur Einführung des Anspruchs aller AN auf einen Dienstzettel geführt,* der auch regelmäßig aktualisiert werden muss. Dies war vor allem im Hinblick darauf wichtig, dass AN ihre Rechte erst kennen müssen, um sie auch geltend machen zu können. Rechtsunkenntnis führt in der Praxis der Arbeitswelt zu erheblichen Nachteilen* und nährt den Boden für Lohn- und Sozialdumping. Die neue Transparente-Arbeitsbedingungen-RL verbessert nun die bisherigen Regelungen zum Dienstzettel und geht dabei über bloße Informationspflichten hinaus. Sie regelt zusätzliche materielle Rechte von AN, etwa hinsichtlich Probezeit, Mehrfachbeschäftigung, Mindestvorhersehbarkeit der Arbeit und gibt damit vereinzelte europaweit einheitliche Mindeststandards für Arbeitsbedingungen vor (Kapitel III Mindestanforderungen an die Arbeitsbedingungen Art 8 bis 14).

Für Österreich ist die Transparente-Arbeitsbedingungen-RL nicht so sehr im Hinblick auf das materielle Schutzniveau interessant (bspw sind in Österreich Arbeit auf Abruf bzw „Zero-hours contracts“ schon verboten), sondern vor allem im Zusammenhang mit der Vorgabe von wirksamen, angemessenen und abschreckenden Sanktionen im Falle des Verstoßes gegen Verpflichtungen aus der Richtlinie, da die schon bestehenden Schutzrechte in der Praxis der österreichischen Arbeitswelt oft nicht ankommen.*

Bereits vor mehr als einem Jahr, mit 1.8.2022, hätte die Transparente-Arbeitsbedingungen-RL umgesetzt werden müssen, Österreich ist hier nach wie vor säumig.*

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Informationsrechte

Vorab legt Art 3 fest, dass der/die AG den AN die in der RL genannten Informationen schriftlich zur Verfügung zu stellen hat – und zwar in Papierform oder in elektronischer Form, sofern die Informationen für den/die AN zugänglich sind, gespeichert und ausgedruckt werden können und der/die AG einen Übermittlungs- oder Empfangsnachweis erhält.

Für Österreich wird dies mE aufgrund von Fragen der nicht selbstverständlichen Zugänglichkeit zu elektronischen Kommunikationsmitteln und aus Beweisgründen wohl bedeuten, dass die bisher vorgesehene Unterschriftlichkeit* beizubehalten ist und eine elektronische Form höchstens als zusätzliches Wahlrecht für die AN normiert werden könnte. Bei der Umsetzung der RL ist nämlich das in Art 20 vorgesehene Regressionsverbot zur berücksichtigen, das keine Verringerung des den AN in den Mitgliedstaaten bereits jetzt gewährten, allgemeinen Schutzniveaus erlaubt.

Art 5 regelt den Zeitpunkt der Information und legt diesen grundsätzlich für „zwischen dem ersten Arbeitstag und spätestens dem siebten Kalendertag“ fest. Hier ist – ebenso unter Berücksichtigung des Regressionsverbots – die in Österreich bestehende Rechtslage 337 beizubehalten, die eine Aushändigung „unverzüglich nach Beginn des Arbeitsverhältnisses“ (§ 2 Abs 1 AVRAG) vorsieht oder bspw bei Angestellten noch früher, nämlich gem § 6 Abs 3 AngG bereits bei Abschluss des Dienstvertrages.*

Auch über Änderungen des Arbeitsverhältnisses muss der/die AG den/die AN informieren, und das „bei erster Gelegenheit, spätestens aber an dem Tag, an dem diese Änderungen wirksam werden“. Das bedeutet, die in der RL vorgesehenen Informationen müssen auch regelmäßig aktualisiert werden. Die österreichische Rechtslage sieht auch hier die unverzügliche Information vor, es besteht jedoch Änderungsbedarf, da § 2 Abs 6 AVRAG hier noch eine Frist von „spätestens jedoch einen Monat nach ihrer Wirksamkeit“ zulässt.*

Durch den Dienstzettel soll insb der individuell vereinbarte Vertragsinhalt den AN transparent gemacht werden.* Änderungen der Rechts- und Verwaltungsvorschriften bzw der Satzungsbestimmungen oder Kollektivverträge (Art 6) müssen nicht aktualisiert werden. Bestimmte Informationen (bspw Probezeit, vom/von der AG bereit gestellte Fortbildung, Dauer des bezahlten Urlaubs) können grundsätzlich durch Verweise auf die Rechts- und Verwaltungsvorschriften bzw die Satzungsbestimmungen oder Kollektiv- bzw Tarifverträge erfolgen (Art 4 Abs 3). Dies entspricht auch der Regelung in § 2 Abs 5 AVRAG.

2.1..
Unterrichtung über das Arbeitsverhältnis – „Dienstzettel“ (Kapitel II Art 4 bis 7)

AG haben, wie schon bisher, die AN über die wesentlichen Aspekte des Arbeitsverhältnisses zu unterrichten. Ausnahmen für AN, deren Arbeitsverhältnis kürzer als ein Monat dauert, sind nicht mehr zulässig und ist dementsprechend die österreichische Rechtslage zu ändern (siehe § 2 Abs 4 Z 1 AVRAG).*

Der Mindestinhalt des Dienstzettels ist in den Art 4 bis 7 geregelt und entspricht im Wesentlichen der österreichischen Rechtslage (§ 2 AVRAG bspw Beginn des Arbeitsverhältnisses, vereinbarte tägliche oder wöchentliche Normalarbeitszeit, betragsmäßige Höhe des Grundgehalts oder -lohns, weitere Entgeltbestandteile).

Neu ist etwa, dass die Dauer und Bedingungen einer allfälligen Probezeit anzugeben sind (Art 4 Abs 2 lit g), wobei hier auch die österreichische Rechtslage entsprechend zu ändern wäre (§ 2 Abs 2 AVRAG). Eine Verweisung auf eine diesbezügliche konkrete kollektivvertragliche Regelung wäre aber zulässig.

Spannend ist Art 4 Abs 2 lit j, der vorsieht, dass das bei der Kündigung des Arbeitsverhältnisses einzuhaltende Verfahren, einschließlich der formellen Anforderungen und der Länge der Kündigungsfristen, anzugeben ist. § 2 Abs 2 Z 5 AVRAG sieht jetzt schon als Dienstzettelinhalt die Dauer der Kündigungsfrist und den Kündigungstermin vor. Aus AN-Sicht wäre darüber hinaus ein Hinweis auf die Rechte eines im Betrieb bestehenden BR im Rahmen des AG-Kündigungsverfahrens (§ 105 ff ArbVG) sehr hilfreich für die Praxis und kann dazu beitragen, den allgemeinen Kündigungsschutz sichtbarer zu machen und damit zu stärken. Die rechtzeitige Einbindung des BR ist in diesem Zusammenhang besonders wichtig, um zeitnah andere Möglichkeiten wie bspw eine Versetzung auszuloten und zu einer guten Lösung zu finden.

3..
Beispiele für materielle Rechte aus der Richtlinie

Neu ist in der RL, dass sie nun nicht nur Informationsrechte und -pflichten regelt, sondern auch materielle Rechte der AN, die im Rahmen dieses Artikels aber nur exemplarisch behandelt werden.

3.1..
Art 9: Mehrfachbeschäftigung

Ein/e AG darf einer/einem AN nicht verbieten, außerhalb des mit ihm/ihr festgelegten Arbeitsplans ein Arbeitsverhältnis mit anderen AG aufzunehmen. Das bedeutet, grundsätzlich sind Nebenbeschäftigungen erlaubt. Außerdem darf ein/e AN deswegen nicht benachteiligt werden.

Die Mitgliedstaaten dürfen aber Bedingungen festlegen, bei deren Vorliegen die AG aus objektiven Gründen Unvereinbarkeitsbestimmungen anwenden (dh, den AN eine Nebenbeschäftigung verbieten) dürfen, etwa aus Gründen der Gesundheit und der Sicherheit, zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen, zur Wahrung der Integrität des öffentlichen Dienstes oder zur Vermeidung von Interessenkonflikten.

In Österreich gibt es in diesem Bereich nur vereinzelte Regelungen,* die bspw Konkurrenzierung hintanhalten wollen (§ 7 AngG) oder dem Gesundheitsschutz dienen. Gem § 82 lit e GewO 1859 dürfen bspw Arbeiter:innen ohne Einwilligung des/der AG kein abträgliches Nebengeschäft betreiben. Oder auch § 2 Abs 2 Satz 2 AZG, der vorschreibt, dass die einzelnen Beschäftigungen von AN bei mehreren AG zusammen die gesetzliche Höchstgrenze der Arbeitszeit nicht überschreiten dürfen.

Die Umsetzung der Richtlinie böte eine gute Gelegenheit, hier fortschrittliche Regelungen zu finden. Die derzeitige Rechtslage ist für AN mobilitätshindernd und nicht mehr zeitgemäß. Das Interesse der AN, von ihrer Arbeit auch leben zu können und nicht in ihrer Erwerbsfreiheit eingeschränkt zu werden, wiegt aus meiner Sicht schwer und gehört end338lich berücksichtigt – Konkurrenzverbot und Konkurrenzklauseln entsprechen nicht mehr den Realitäten der Arbeitswelt (bspw Teilzeit). Die Schaffung einer diesbezüglichen zeitgemäßen Regelung hängt jedoch vom politischen Gestaltungswillen ab.

3.2..
Art 10: Mindestvorhersehbarkeit der Arbeit und Art 11: Zusatzmaßnahmen bei Abrufverträgen

AN ohne garantierte Arbeitszeit, etwa diejenigen mit Null-Stunden-Verträgen oder bestimmten Abrufverträgen, sind besonders gefährdet.* Deshalb sieht die RL Mindestschutzbestimmungen für Mitgliedstaaten vor, die solche Verträge grundsätzlich zulassen.

In Österreich sind diese Arbeitsformen verboten.* Bei Verstoß können AN Ansprüche wegen Verletzungen des Arbeitszeitrechtes gerichtlich geltend machen, die meist in zusätzlichem Geld (etwa Mehr- und Überstunden etc) bestehen. Oftmals werden diese Ansprüche in der Praxis jedoch erst nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses erhoben* und sind dann faktisch nicht mehr durchsetzbar. Aus der Beratung der Arbeiterkammern wissen wir, dass auch Praktiken, wie bspw sogenannte „Minusstunden“, die Rechte von AN untergraben (https://www.arbeiterkammer.at/minusstundenhttps://www.arbeiterkammer.at/minusstunden). Es darf daher nicht weiter überraschen, dass allein im Jahr 2022 in Österreich über 47 Mio Mehr- bzw Überstunden weder in Zeit noch in Geld abgegolten wurden, wobei der Einkommensverlust der Beschäftigten damit bei 1,2 Mrd Euro lag.* Mangelnde Planbarkeit von Arbeit hat für AN daher gravierende Folgen (bspw auch bei Betreuungsverpflichtungen) und führt zu prekären Arbeitsverhältnissen.

Die alleinige Möglichkeit der gerichtlichen Geltendmachung stellt somit keine abschreckende Sanktion iSd RL dar. Es braucht hier aber wirksame und abschreckende Sanktionen für AG, die zwingende Rechte aus der RL vorenthalten, wie bspw Verwaltungsstrafsanktionen wegen Nichteinhaltung der Vorankündigungsfristen (§ 19c AZG) oder eine Abschaffung der Verfallsfristen und die doppelte Bezahlung (Duplum), wenn Mehr- und Überstunden mutwillig nicht ausbezahlt werden.

4..
Schutz vor „Vergeltungs“maßnahmen
4.1..
Art 17: Schutz vor Benachteiligung oder negativen Konsequenzen

Die wirksame Durchführung dieser Richtlinie erfordert einen angemessenen gerichtlichen und administrativen Schutz vor Benachteiligungen [...].*

Die Mitgliedstaaten müssen notwendige Maßnahmen ergreifen, um AN (und auch AN-Vertreter:innen, bspw Betriebsräte) vor Benachteiligung durch den/die AG bzw vor jedweden negativen Konsequenzen zu schützen, „weil sie Beschwerde beim Arbeitgeber eingereicht oder ein Verfahren angestrengt haben mit dem Ziel, die Einhaltung der im Rahmen dieser Richtlinie gewährten Rechte durchzusetzen“.*

Diese Vorgabe stellt ebenfalls eine gute Möglichkeit dar, ein darüber hinausgehendes Benachteiligungsverbot auf nationaler Ebene zu implementieren, das alle AN schützt, die ihre Rechte – und nicht nur die aus der Richtlinie – geltend machen, wie es bspw die deutsche Regelung in § 612a Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) mit dem sogenannten „Maßregelungsverbot“ vorsieht.*

4.2..
Art 18 Kündigungsschutz und Beweislast

In diesem Zusammenhang können AN, die bspw der Ansicht sind, dass sie aufgrund der Inanspruchnahme der in dieser Richtlinie vorgesehenen Rechte gekündigt wurden, vom/von der AG eine schriftliche Begründung für die erfolgte Kündigung verlangen.* Diesbezüglich ist auch eine Beweiserleichterung vorgesehen.

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Sanktionen und die österreichische Praxis

Die Richtlinie sieht in Art 19 vor, dass die Mitgliedstaaten wirksame, angemessene und abschreckende Sanktionen festlegen müssen. Anhand des Beispiels des Anspruchs auf einen schriftlichen Dienstzettel soll veranschaulicht werden, weshalb hier seitens Österreichs großer Umsetzungsbedarf* besteht.

Einen Anspruch auf einen schriftlichen Dienstzettel gibt es in Österreich schon jetzt* – das Problem ist nur, dass dies in der Praxis oft nicht eingehalten wird.

Eine Erhebung der Arbeiterkammer Wien im Mai 2023 hat klar gezeigt: Mehr als jede:r achte Anrufer:in in der telefonischen Arbeitsrechts-Beratung der Arbeiterkammer Wien hat weder einen schriftlichen Arbeitsvertrag noch einen Dienstzettel erhalten. Das sind im Monat fast 300 Menschen, die sich telefonisch an die Arbeiterkammer Wien gewandt haben und denen diese grundlegenden Informationen rechtswidrig vorenthalten werden.*339

Die Erfahrungen aus der persönlichen Beratung der Arbeiterkammern zeigen zudem, dass das Problem vorenthaltener Unterlagen in bestimmten Branchen noch viel massiver ist. In Bereichen, wie bspw im Gastgewerbe, am Bau und in der Güterbeförderung und dem Kleintransport, haben noch viel mehr AN weder einen Dienstzettel noch einen schriftlichen Arbeitsvertrag erhalten und können daher grundlegende Rahmenbedingungen wie Arbeitszeit oder Entlohnung nicht nachvollziehen.

Die Möglichkeit, den Dienstzettel vor Gericht einzuklagen, reicht sichtlich als Abschreckung gegen den/die AG nicht aus. Die AN trauen sich oft aus Angst vor dem Verlust ihres Arbeitsplatzes nicht, ihre Ansprüche im aufrechten Arbeitsverhältnis einzuklagen.*

Die RL verlangt aber eben wirksame, angemessene und abschreckende Sanktionen. Solche wären wichtig, damit das Recht in der Praxis auch tatsächlich ankommt und wirksam wird. In Frage käme eine Bandbreite an Reaktionsmöglichkeiten bspw Verwaltungsstrafsanktionen, Schadenersatz, Ausschluss von Verfall* und Verjährung etc.* Auch dies hängt jedoch vom politischen Gestaltungswillen ab.

6..
Weiteres Prozedere

Gegen Österreich wurde wegen Nichtumsetzung der Transparente-Arbeitsbedingungen-RL ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet.* Ob und wann es zu einer Klage beim EuGH gegen Österreich kommt, liegt im Ermessen der Europäischen Kommission. Eine diesbezügliche Entscheidung der Kommission lag bei Redaktionsschluss nicht vor. Ein österreichischer Gesetzesentwurf zur Umsetzung der RL befand sich bis zu diesem Zeitpunkt ebenso nicht in Begutachtung.340