SchauppTechnopolitik von unten – Algorithmische Arbeitssteuerung und kybernetische Proletarisierung

Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2021, 352 Seiten, kartoniert, € 22,-

KLAUSFIRLEI

Das Werk vonSimon Schaupp – es handelt sich um dessen mehrfach ausgezeichnete Dissertation – thematisiert Umwälzungen, die auf die Digitalisierung der Arbeitswelt zurückzuführen sind. Der Autor ist derzeit Gastprofessor am Karlsruher Institut für Technologie.Schaupp ist ua Träger des Kurt-Rothschild-Preises des Renner Instituts in Wien. In seiner Arbeit verbindet er politisch-ökonomische mit ethnografischen Zugängen.

Im Mittelpunkt der primär industriesoziologischen Untersuchung steht die These, dass die Digitalisierung der Arbeitswelt nicht deterministisch verstanden werden kann, sondern ein umkämpftes Terrain ist und sich damit als politisch gestaltbar erweist. Anders als bei vielen Untersuchungen zum Thema Digitalisierung und Arbeit rücken bei Schaupp die Beschäftigten in den Mittelpunkt. Der Autor stellt die Frage, wie diese auf neue Proletarisierungstendenzen reagieren. Algorithmische Arbeitssteuerung wird umfassend als Mittel der Verdichtung und Entwertung menschlicher Arbeit eingesetzt. Sie hat in vielen Bereichen die Anleitung und Kontrolle durch menschliche Vorgesetzte ersetzt.Schaupp untersucht dabei sowohl Plattform- als auch Industrieunternehmen.

Er unterscheidet klug und kenntnisreich drei Aushandlungsarenen, man könnte auch sagen Konfliktbereiche: Eine „Regulationsarena“, eine „Implementierungsarena“ und eine „Aneignungsarena“. In letzterer diagnostiziert der Autor die „technopolitische Selbstorganisation“ als jene Aneignungspraktik, die mit dem höchsten Widerstandspotenzial ausgestattet ist. Die technische Entwicklung werde dadurch zu einer zentralen Ressource des Protests, unterstützt durch die Standardisierung der Prozesse sowie durch die hohe Störungsanfälligkeit der eingesetzten digitalen Steuerungsmethoden.

Das Buch ist gut lesbar, auch wegen seiner ethnografischen Perspektiven sowie den Interviews, die unmittelbare und anschauliche Einblicke ermöglichen. Hervorzuheben ist, dass der Autor als Kurierfahrer und in der Elektroindustrie gearbeitet hat, um sich vor Ort Erfahrungen zum Thema anzueignen. Interviews führt er mit Manager:innen, Ingenieur:innen und Arbeiter:innen. Dabei zeigte sich, dass die Beschäftigten nicht nur als „passive Opfer“ der Digitalisierungsprozesse angesehen werden können. Die Betonung der Widerstandsfähigkeit der Beschäftigten hebt sich, mE etwas zu optimistisch eingefärbt, von marxistischen Ansätzen ab, die sich auf die drückende Übermacht des Kapitals konzentrieren und daher zu einem gewissen ökonomischen und technischen Determinismus neigen. Auch das macht dieses empfehlenswerte Buch sehr bereichernd und herausfordernd für die laufenden Arbeitsdiskurse im progressiven Milieu. Wie so oft geht es um die Kernfrage der politischen Gestaltbarkeit unter den gegebenen sozioökonomischen und rechtlichen Rahmenbedingungen, also um die Überzeugungskraft der sich zunehmend erhärtenden Hypothese, dass ohne „System Change“ kein wirklicher (sozialer) Fortschritt realisierbar ist.