137„Durchrechnung“ von Zeitausgleich für Mehrarbeit durch Kollektivvertrag bis zu 52 Wochen zulässig
„Durchrechnung“ von Zeitausgleich für Mehrarbeit durch Kollektivvertrag bis zu 52 Wochen zulässig
Eine Durchrechnung der Arbeitszeit von teilzeitbeschäftigten AN, die keine Gleitzeitvereinbarung haben, über mehr als drei Monate ohne kollektivvertragliche Rechtsgestaltung ist nicht geeignet, den Mehrarbeitszuschlag zu vermeiden. Für geleistete Mehrarbeitsstunden besteht daher gem § 19d Abs 3a AZG ein Anspruch auf einen Mehrarbeitszuschlag in Höhe von 25 %, sofern die Mehrarbeitsstunden nicht innerhalb eines Kalendervierteljahres oder eines anderen festgelegten Zeitraums innerhalb von drei Monaten, in dem sie angefallen sind, durch Zeitausgleich 1:1 ausgeglichen wurden (§ 19d Abs 3b Z 1 AZG).
Die Bestimmung [des KollV] kann nach dem gesamten Inhalt und Zusammenhang sinnvollerweise nur dahin ausgelegt werden, dass damit die Ausnahme von der Zuschlagspflicht nach § 19d Abs 3b Z 1 AZG leg cit bei Zeitausgleich von einer Dreimonatsperiode auf 295maximal 52 Wochen abgeändert wird. Eine solche Regelung lässt § 19d Abs 3f AZG zu.
Innerhalb der Periode nach § 19d Abs 3b Z 1 AZG – ursprünglich oder durch KollV verlängert – ist eine Abgeltung von Mehrarbeit durch Zeitausgleich ohne Zuschlag möglich.
Die AN war vom 2.1.2002 bis 31.12.2019 für 12,5 Stunden pro Woche bei der AG beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis unterlag dem KollV für Angestellte bei Steuerberatern und Wirtschaftstreuhändern. Im Arbeitsvertrag wurde mit Verweis auf Art III lit a des KollV ein Durchrechnungszeitraum von 52 Wochen vereinbart, wobei im Bedarfsfall (Urlaubsvertretung und Vertretung im Krankheitsfall) die wöchentliche Arbeitszeit auf maximal 40 Stunden erhöht werden könne. Bei einem länger andauernden Krankenstand (2 Wochen) wird die Arbeitszeit neu besprochen. Die Dauer der wöchentlichen Normalarbeitszeit wird jeweils im Vorhinein für drei Monate vereinbart. Innerhalb des gesamten Durchrechnungszeitraums darf die Normalarbeitszeit von 12,5 Stunden in der Woche nicht überschritten werden.
Die AN arbeitete regelmäßig mehr als 12,5 Stunden, in den Jahren 2017 bis 2019 insgesamt 548 Stunden mehr als das laut vertraglicher Vereinbarung geschuldete wöchentliche Stundenausmaß. Von diesen wurden der AN 293,25 als nicht ausgeglichene Mehrstunden vergütet. Die AN klagte auf Bezahlung der restlichen 254,75 Stunden samt Zuschlag iHv 50 % gem § 19e AZG, da die gesetzlichen und kollektivvertraglichen Voraussetzungen für eine Durchrechnung der ungleichmäßigen Arbeitszeit nicht eingehalten worden seien. Insb seien die Dauer der wöchentlichen Normalarbeitszeit und die Verteilung der Arbeitszeit auf die einzelnen Wochentage nicht jeweils fristgerecht im Vorhinein vereinbart worden.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Berücksichtige man, dass die AN schon jeweils Ende Jänner jedes Jahres gewusst habe, an welchen Tagen sie als Urlaubsvertreterin ganztägig benötigt würde, ergäben sich insgesamt nur 156,75 Stunden an kurzfristig vereinbarter Mehrarbeit, für die Zuschläge gebührten. Nachdem bereits 293,25 Mehrstunden bezahlt worden seien, bestehe kein weiterer Anspruch. Das Berufungsgericht gab dem Rechtsmittel der AN Folge, hob das Urteil des Erstgerichts zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf und ließ den Rekurs an den OGH zu, weil die Rechtsfrage, ob auch Mehrstunden einer Durchrechnung iSd § 4 Abs 6 AZG zugänglich sind und ob ein KollV diese Möglichkeit regeln kann, in der höchstgerichtlichen Rsp nicht geklärt und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung sei. Der OGH wies den Rekurs der AG ab und bestätigte die rückverweisende Entscheidung des Berufungsgerichts zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung durch das Erstgericht.
[…]
[17] 2. Zur Behandlung des Rekurses ist zunächst die einschlägige Regelung des Kollektivvertrags für Angestellte bei Steuerberatern und Wirtschaftsprüfern […] in Erinnerung zu rufen: […]
III.a. Durchrechenbare Arbeitszeiten
3. Ein Durchrechnungszeitraum muss zu dessen Gültigkeit durch Betriebsvereinbarung – in Betrieben, in denen kein Betriebsrat errichtet ist, durch schriftliche Einzelvereinbarung – einvernehmlich festgelegt werden. […]
7. Ein sich nach dem Durchrechnungszeitraum ergebender Stundenüberhang ist mit einem Zuschlag von 50 % zur Auszahlung zu bringen. Eine Zeitschuld verfällt.
7. a) Bei Teilzeitbeschäftigten gelten diese Regelungen mit der Maßgabe, dass als Mehrarbeitsstunden nur jene Arbeitsstunden zu bezahlen sind, die nach Ablauf des Durchrechnungszeitraums über das vereinbarte Teilzeitausmaß hinausgehen. Im Übrigen gelten für Teilzeitbeschäftigte die Bestimmungen des § 19 lit d Arbeitszeitgesetz idF des BGBl I Nr 71/2013. […]
[22] 4. Die Frage, ob Mehrarbeit vorliegt, ist von der Frage zu trennen, ob für die geleistete Mehrarbeit ein Zuschlag nach § 19d Abs 3a AZG gebührt. Ob Mehrarbeitsstunden mit dem Mehrarbeitszuschlag zu vergüten sind, regeln die §§ 19d Abs 3a bis 3f AZG (9 ObA 18/13g). […]
[25] 5. Eine (sinngemäße) Anwendung der Bestimmungen über die Verteilung der Normalarbeitszeit und ihre Durchrechnung (§ 4 AZG) auf Teilzeitarbeitsverhältnisse wird in der – überwiegenden – Literatur wie auch in der höchstgerichtlichen Rechtsprechung abgelehnt. […]
[29] Schließlich hat auch der Oberste Gerichtshof zur Frage von Durchrechnungszeiträumen bei Teilzeitarbeit ausgesprochen (9 ObA 18/13g), dass aufgrund der detaillierten Regelungen des § 19d AZG auf die Absicht des Gesetzgebers geschlossen werden muss, die Teilzeitarbeit damit abschließend und umfassend zu regeln. Eine Durchrechnung der Arbeitszeit von Teilzeitbeschäftigten, die den Voraussetzungen des § 19d AZG nicht entspricht, ist daher unzulässig. Sie wäre mit der ausgesprochenen Zielsetzung, die Flexibilität der Teilzeitbeschäftigten mit dem Mehrarbeitszuschlag abzugelten, auch nicht vereinbar. Daher ist ohne kollektivvertragliche Rechtsgestaltung eine Durchrechnung der Arbeitszeit von teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmern, die keine Gleitzeitvereinbarung haben, über mehr als drei Monate nicht geeignet, den Mehrarbeitszuschlag zu vermeiden (RIS-Justiz RS0128955 = 9 ObA 18/13g). [...]
[31] Diese Bestimmung [des KollV] kann nach dem gesamten Inhalt und Zusammenhang sinnvollerweise nur dahin ausgelegt werden, dass damit die Ausnahme von der Zuschlagspflicht nach § 19d Abs 3b Z 1 AZG leg cit bei Zeitausgleich von einer Dreimonatsperiode auf maximal 52 Wochen abgeändert wird. Eine solche Regelung, auf deren Grundlage die Par296teien einen Durchrechnungszeitraum von 52 Wochen vereinbart haben, lässt § 19d Abs 3f AZG zu […].
[32] Innerhalb der Periode nach § 19d Abs 3b Z 1 AZG – ursprünglich oder durch Kollektivvertrag verlängert – ist eine Abgeltung von Mehrarbeit durch Zeitausgleich ohne Zuschlag möglich. […]
[34] 7. Daraus ergibt sich für den vorliegenden Fall, dass von der Klägerin geleistete Mehrstunden innerhalb eines Zeitraums von 52 Wochen (nach dem Dienstvertrag ident mit einem Kalenderjahr), in dem sie angefallen sind, durch Zeitausgleich ohne Berücksichtigung eines Zuschlags abgegolten werden konnten. Nur Mehrstunden, die nach Ende des Jahres danach noch offen verblieben sind, waren mit Zuschlag zu entlohnen. […]
§ 4 AZG regelt die Möglichkeiten „anderer Verteilung der Arbeitszeit“, also solcher, die nicht dem Regelfall einer möglichst gleichmäßigen Verteilung der Normalarbeitszeit auf 5 bzw 6 Tage entsprechen. Bei der Durchrechnung der Arbeitszeit iSd §§ 4 Abs 4 und 6 AZG kann die Arbeitszeit demnach ungleichmäßig verteilt werden, sofern sie im Durchschnitt die wöchentlich vereinbarte Normalarbeitszeit nicht überschreitet, wobei § 4 Abs 6 AZG hierfür die Zulassung durch KollV als Voraussetzung vorsieht.
Zahlreiche Kollektivverträge machen von dieser Regelung Gebrauch und enthalten Durchrechnungsbestimmungen, so auch der hier gegenständliche KollV für Angestellte bei Steuerberatern und Wirtschaftstreuhändern.
§ 19d AZG enthält Bestimmungen über die Teilzeitarbeit, wobei Abs 2 festhält, dass eine ungleichmäßige Verteilung der Arbeitszeit zulässig ist, sofern sie im Vorhinein vereinbart wird. § 19d Abs 3b AZG bestimmt, dass entstandene Mehrarbeitsstunden entgegen § 19d Abs 3a AZG nicht zuschlagspflichtig (iHv 25 %) sind, sofern sie innerhalb des Kalendervierteljahres oder eines anderen festgelegten Zeitraumes von drei Monaten, in dem sie angefallen sind, durch Zeitausgleich im Verhältnis 1:1 ausgeglichen werden. Gem § 19d Abs 3f AZG können Kollektivverträge Abweichungen von den Bestimmungen des § 19d Abs 3a-3e AZG vorsehen.
In der E 9 ObA 18/13g vom 25.6.2013 hatte der OGH einen Sachverhalt zu beurteilen, der keinem KollV unterlag. Er sprach dabei aus, dass ohne kollektivvertragliche Rechtsgestaltung eine Durchrechnung der Arbeitszeit von teilzeitbeschäftigten AN, die keine Gleitzeitvereinbarung haben, über mehr als drei Monate nicht geeignet ist, den Mehrarbeitszuschlag zu vermeiden (RIS-Justiz RS0128955). Die (sinngemäße) Anwendbarkeit der Durchrechnungsbestimmungen der §§ 4 Abs 4, 6 AZG auf Teilzeitbeschäftigte verneinte er.
Im gegenständlichen Verfahren war nun fraglich, ob eine kollektivvertragliche Regelung eine solche Durchrechnung bewirken kann. In der Literatur wurden dazu unterschiedliche Meinungen vertreten, wobei insbHeilegger (DRdA 2008, 283) undWinkler (DRdA 2015, 458) diese als nicht zulässig erachteten.
Während § 4 Abs 6 AZG Vorgaben für die Verteilung der Normalarbeitszeit und das Anfallen von Überstunden trifft, regelt § 19d AZG die Teilzeit abschließend, so der OGH bereits in 9 ObA 18/13g. Ein KollV kann also nur in den von § 19d Abs 3f AZG aufgestellten Grenzen – somit nur hinsichtlich der §§ 19d Abs 3a-3e AZG – dispositive Wirkung entfalten. Ein KollV kann daher nur Abweichungen vom Entfall der Zuschlagspflicht für entstandene Mehrstunden vorsehen, nicht hingegen von der Regelung des § 19d Abs 2 AZG betreffend das Nichtentstehen von Mehrstunden durch Vorausverteilung der Arbeitszeit. Im Unterschied zu einer Durchrechnungsbestimmung muss im Falle der Vorausverteilung nämlich bereits bei Beginn der betreffenden Periode die Verteilung für die gesamte Periode bekannt sein (Winkler, DRdA 2015, 458).
Die Regelung betreffend Teilzeitbeschäftigte im Rahmen der Durchrechnungsbestimmung des gegenständlichen KollV kann laut OGH somit sinnvollerweise nur als Regelung über den Entfall der Zuschlagspflicht gem § 19d Abs 3b Z 1 AZG verstanden werden. Die Verlängerung der „Durchrechnung“, die der OGH hier als zulässig erachtet, ist also die Verlängerung des dreimonatigen Zeitraumes zur vereinbarten Konsumation von Zeitausgleich im Verhältnis 1:1 auf die 52 Wochen des „Durchrechnungszeitraumes“ laut KollV.
In welchem Ausmaß im Hinblick auf eine allfällige Vorausverteilung gem § 19d Abs 2 AZG überhaupt Mehrstunden angefallen sind, ist von der Frage über deren Vergütung aber grundsätzlich zu trennen und wird nun vom Erstgericht zu erheben sein, da die Feststellungen zur Beurteilung laut OGH noch nicht ausreichen.