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Keine Entgeltfortzahlung bei Eintritt der gesundheitsbedingten Dienstverhinderung erst nach Vereinbarung der einvernehmlichen Auflösung

GREGORKALTSCHMID

Soweit § 5 Satz 2 EFZG auf eine einvernehmliche Auflösung „während der Arbeitsverhinderung“ abstellt, bleibt der Entgeltfortzahlungsanspruch nur dann über das Ende des Arbeitsverhältnisses hinaus bestehen, wenn die Dienstverhinderung bereits im Zeitpunkt des Zugangs der Beendigungserklärung vorlag, das tatsächliche Ende des Arbeitsverhältnisses ist nicht relevant. Für die einvernehmliche Auflösung (erster Fall) bedeutet das, dass die Vereinbarung während der Arbeitsunfähigkeit abgeschlossen worden sein muss, für die die Entgeltfortzahlung begehrt wird.

Die gesundheitsbedingte Dienstverhinderung fängt grundsätzlich zu jenem Zeitpunkt an, in dem der AN tatsächlich arbeitsunfähig ist. Dies ist dann der Fall, wenn er aufgrund von Krankheit oder Unfall seinen vertraglich geschuldeten Tätigkeiten nicht nachkommen kann.

Sachverhalt

Der Kl war bei der Bekl ab 1.6.2021 als LKW-Mechaniker in Vollzeit beschäftigt. Am 27.9.2021 kam der Kl zwischen 6:30 und 7:00 Uhr zu seiner Arbeitsstelle, wo er den Werkstättenleiter antraf. Dieser meinte zum Kl, dass er „zu deppert für alles“ sei und den „Chef“, gemeint der Geschäftsführer der Bekl, fragen solle, ob dieser Arbeit für ihn habe. Der Kl berichtete daraufhin dem Geschäftsführer von dem Vorfall. Dieser bot dem Kl eine einvernehmliche Auflösung des Dienstverhältnisses an, da er ihn ansonsten nicht mehr beschäftigen könne. Der Kl stimmte dem klar und deutlich zu. Dass sich der Kl zu jenem Zeitpunkt schlecht oder krank fühlte, gab er nicht an und ist nicht feststellbar.

Als der Kl nach Hause kam, fühlte er sich unwohl und es wurde ihm schwindelig. Er suchte daraufhin zwischen 13:00 und 13:15 Uhr seinen Hausarzt auf. Dieser schrieb ihn mit 27.9.2021 krank.

Verfahren und Entscheidung

Der Kl begehrte € 3.789,45 brutto sA an Entgeltfortzahlung und restlichen aliquoten Sonderzahlungen für die Zeit bis 5.12.2021. Er sei mit 5.10.2021 mit dem Grund „einvernehmliche Auflösung“ abgemeldet worden. Er habe sich seit 27.9.2021 in einem ordnungsgemäß gemeldeten Krankenstand befunden, weshalb er einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung habe.

Die Bekl bestritt, da der Kl zum Zeitpunkt der einvernehmlichen Auflösung nicht krank gewesen sei und auch keine Angaben zu gesundheitlichen Beschwerden gemacht habe.

Das Erstgericht wies die Kl ab. Das Berufungsgericht gab der Berufung Folge. Die Arbeitsunfähigkeitsbestätigung des Kl wirke zurück auf den 27.9.2021, 0:00 Uhr. Daher sei der Kl bei Abschluss der einvernehmlichen Auflösung bereits arbeitsunfähig gewesen.

Der OGH erachtete die außerordentliche Revision als zulässig und auch berechtigt.

Originalzitate aus der Entscheidung

„[15] 2. Die Erweiterung des Entgeltfortzahlungsanspruchs im Fall einer einvernehmlichen Auflösung durch § 5 Satz 2 EFZG erfolgte mit BGBl I 2982017/153 (ohne nähere Erläuterungen). Grundsätzlich dienen die Entgeltfortzahlungsbestimmungen des § 5 EFZG bzw des diesem entsprechend § 9 AngG der Lohnsicherung und damit der Sicherung der wirtschaftlichen Existenz des Arbeitnehmers während der Dienstverhinderung sowie dem Schutz seiner Gesundheit. Darüber hinaus soll es dem Arbeitgeber auch unmöglich gemacht werden, sich den Entgeltfortzahlungspflichten dadurch zu entziehen, dass er das Arbeitsverhältnis beendet (vglDrs in Neumayr/Reissner, ZellKomm³ § 9 AngG Rz 4 mwN; 9 ObA 123/10v; RIS-Justiz RS0109426 [T1]). […]

[16] 3. Schon nach der bisherigen Rechtslage kam es auf die Kenntnisse des Arbeitgebers von einer Arbeitsunfähigkeit nicht an (vglMelzer-Azodanloo in Löschnigg, AngG10 § 9 AngG Rz 12 ua). Bei der einvernehmlichen Auflösung ist dagegen zu unterscheiden, da § 5 Satz 2 EFZG zwei Anwendungsfälle erfasst: Einerseits die einvernehmliche Beendigung während einer Arbeitsverhinderung nach § 2 EFZG, andererseits die einvernehmliche Beendigung im Hinblick auf eine solche Arbeitsverhinderung. Bei der einvernehmlichen Beendigung während des Krankenstands ist das Motiv der Beendigung ohne Bedeutung. Dagegen muss bei der einvernehmlichen Beendigung im Hinblick auf einen Krankenstand das Motiv zur Beendigung im (bevorstehenden) Krankenstand liegen, was die diesbezügliche Kenntnis des Arbeitgebers voraussetzt (vgl 9 ObA 100/22d).

[17] 4. Soweit die Bestimmung auf die Auflösung „während der Arbeitsverhinderung“ abstellt, bleibt der Entgeltfortzahlungsanspruch nur dann über das Ende des Arbeitsverhältnisses hinaus bestehen, wenn die Dienstverhinderung bereits im Zeitpunkt (des Zugangs) der Beendigungserklärung vorlag, das tatsächliche Ende des Arbeitsverhältnisses ist nicht relevant (Drs aaO Rz 18 mwN). Für die einvernehmliche Auflösung (erster Fall) bedeutet das, dass die Vereinbarung während der Arbeitsunfähigkeit abgeschlossen worden sein muss, für die die Entgeltfortzahlung begehrt wird (so auch Haider, DRdA 2022/13 [246]).

[18] 5. Dass keine Kenntnis des Arbeitgebers von der Arbeitsverhinderung erforderlich ist, ist insbesondere in jenen Fällen relevant, in denen der Arbeitnehmer nach Ausspruch der Beendigungserklärung bzw Vereinbarung der einvernehmlichen Auflösung noch für den Tag der Erklärung oder der Auflösung krank geschrieben wird – was teilweise auch rückwirkend erfolgt (vgl die Beispiele aus der Rechtsprechung des Oberlandesgerichts bei Eibensteiner, Rückwirkende Krankschreibung und Arbeitgeberkündigung, RdW 2017/248) – und das ärztliche Attest dem Arbeitgeber erst danach vorgelegt wird.

[19] Die gesundheitsbedingte Dienstverhinderung fängt grundsätzlich zu jenem Zeitpunkt an, in dem der Arbeitnehmer tatsächlich arbeitsunfähig ist. Dies ist dann der Fall, wenn er aufgrund von Krankheit oder Unfall seinen vertraglich geschuldeten Tätigkeiten nicht nachkommen kann (Melzer-Azodanloo in Löschnigg, AngG10 § 9 AngG Rz 12). Es kommt daher auf das objektive Vorliegen der Arbeitsunfähigkeit an.

[20] 6. Dem Berufungsgericht ist darin zuzustimmen, dass in der Regel der Zeitpunkt, in dem die Krankschreibung erfolgt, nicht mit dem Zeitpunkt der objektiven Dienstverhinderung gleichzusetzen ist, wird durch die Krankschreibung diese Dienstverhinderung ja nur dokumentiert. Erfolgt daher eine Krankschreibung rückwirkend, kann regelmäßig davon ausgegangen werden, dass die Arbeitsverhinderung schon zu diesem Zeitpunkt vorgelegen ist. Da es in die fachliche Kompetenz des Arztes fällt, zu entscheiden, ob Arbeitsunfähigkeit besteht, wird es teilweise in der Lehre sogar als unerheblich erachtet, wenn der Arbeitnehmer einen Arbeitsversuch unternommen hat, weil er sich für ausreichend arbeitsfähig hielt (Eibensteiner, Rückwirkende Krankschreibung und Arbeitgeberkündigung, RdW 2017/248 [315]). Dessen ungeachtet muss aber dem Arbeitgeber die Möglichkeit offenstehen zu beweisen, dass unabhängig von der Krankschreibung objektiv keine Arbeitsunfähigkeit vorlag.

[21] 7. Im vorliegenden Fall hat das Erstgericht zwar formal eine negative Feststellung zur Arbeitsfähigkeit des Klägers zum Zeitpunkt der Vereinbarung getroffen, disloziert in der Beweiswürdigung verwies es dazu jedoch darauf, dass aufgrund der aufgenommenen Beweise „nicht davon auszugehen ist, dass der Kläger zu Beginn des Tages des 27.9.2021 arbeitsunfähig oder krank war“, was nach dem Erstgericht dazu führte, dass „eine Negativfeststellung zu treffen war“. Gemeint war also offenkundig die positive Feststellung, dass der Kläger zu Beginn des Tages nicht arbeitsunfähig oder krank war.

[22] Unabhängig davon hat aber der Kläger im Verfahren überhaupt nicht geltend gemacht, vor und bei der Vereinbarung der einvernehmlichen Auflösung krank gewesen zu sein. Zwar brachte er vor, dass er aufgrund der allgemeinen Situation, wie man im Unternehmen mit ihm umgegangen sei, psychische Probleme gehabt habe, zum konkreten Vorfallstag berief er sich jedoch darauf, dass ihm erst nach dem Gespräch mit dem Geschäftsführer der Beklagten, als er den Vorfall schockiert seiner Mutter schilderte, schwindelig wurde und er sich zum Hausarzt begab. Das heißt, auch der Kläger geht nicht davon aus, dass er am Morgen dieses Tages arbeitsunfähig war, sondern dass seine Beschwerden aus dem Vorfall am Vormittag resultieren. Damit ist aber die einvernehmliche Auflösung nicht „während der Arbeitsverhinderung“ vereinbart worden, unabhängig davon, dass die Krankschreibung ohne näheres Anführen eines Zeitpunkts für diesen Tag erfolgte.

[23] Auf ein „Vertrauen in die Krankschreibung“ kommt es in diesen Zusammenhang nicht an. Soweit in der Revisionsbeantwortung darauf verwiesen wird, dass es „nicht außerhalb der allgemeinen Lebenserfahrung liegt, dass der Kläger nur aufgrund von Druck wegen seiner bisherigen Krankenstände und seiner langen Krankengeschichte 299sowie der Angst hinsichtlich eines möglichen Jobverlustes trotz Krankheit zur Arbeit ging“, so hat er ein diesbezügliches Vorbringen in erster Instanz gerade nicht erstattet, weshalb darin eine unzulässige Neuerung liegt.

[24] 8. Es besteht daher kein Anspruch auf Entgeltfortzahlung, weshalb das klagsabweisende Ersturteil wiederherzustellen war.“

Erläuterung

Immer wieder kommt es zu Situationen, in denen nicht klar ist, ob eine Arbeitsunfähigkeit oder eine Beendigungserklärung zeitlich früher gegeben war. Üblicherweise enthält eine Arbeitsunfähigkeitsbestätigung nämlich keine Uhrzeit als Beginnzeitpunkt, sondern nur ein Datum. Die Dauer des Entgeltfortzahlungsanspruchs hängt aber ua davon ab, ob eine Beendigungserklärung durch den AG (oder eine einvernehmliche Auflösung) vor einer Arbeitsunfähigkeit ausgesprochen worden ist oder nach deren Eintritt.

Im hier vom OGH zu entscheidenden Fall war der Kl im Zeitpunkt der einvernehmlichen Auflösung nicht gesundheitlich eingeschränkt. Nach der Vereinbarung, aber noch vor der schriftlichen Bestätigung, verschlechterte sich der Gesundheitszustand des Kl, sodass er seinen Arzt aufsuchte. Dieser stellte ihm eine Arbeitsunfähigkeitsbestätigung für den betreffenden Tag aus, ohne eine Uhrzeit anzugeben. Das Berufungsgericht ging rechtlich von einer Arbeitsunfähigkeit mit Beginn des vom Arzt angegebenen Tages aus, also ab 0:00 Uhr. Die einvernehmliche Auflösung war zeitlich naturgemäß später. Das Berufungsgericht ging daher davon aus, dass die einvernehmliche Auflösung während einer Arbeitsunfähigkeit abgeschlossen worden war. Für die Dauer des Entgeltfortzahlungsanspruchs hätte dies bedeutet, dass er erst mit der Genesung des Kl oder mit Erreichen der Höchstfristen der Entgeltfortzahlung geendet hätte. Im konkreten Fall war der Kl noch einige Wochen krank.

Der OGH stellte nun aber klar, dass eine Arbeitsunfähigkeitsbestätigung nicht per se auf 0:00 Uhr des Beginntages zurückwirkt. Die rechtlich relevante Arbeitsunfähigkeit tritt auch nicht mit Ausstellung einer entsprechenden Bestätigung ein. Ein AN ist vielmehr arbeitsunfähig, sobald er aufgrund von Krankheit oder Unfall seine vertraglichen Pflichten nicht mehr erfüllen kann. Nach diesem Zeitpunkt richtet es sich in der Folge, ob eine Beendigungserklärung vor oder während einer Arbeitsunfähigkeit erfolgt ist.