173Keine mittelbare Diskriminierung von Männern durch Einhebung eines Pensionssicherungsbeitrages zur Begrenzung von Sonderpensionen
Keine mittelbare Diskriminierung von Männern durch Einhebung eines Pensionssicherungsbeitrages zur Begrenzung von Sonderpensionen
Der Verstorbene war bis zu seiner Pensionierung DN der Bekl. Zwischen ihnen bestand eine Pensionsvereinbarung, die eine direkte Leistungszusage enthielt. In Anwendung nationaler Bestimmungen zur Begrenzung von Sonderpensionen behielt die Bekl von der (Betriebs-)Pension des Verstorbenen zum einen einen Pensionssicherungsbeitrag ein, zum anderen unterblieben bestimmte Erhöhungen der Pension.
Mit ihrer Klage begehrt die Verlassenschaft (Kl) die entsprechenden, dem Verstorbenen nicht ausgezahlten Gelder, wobei sie den Standpunkt vertritt, die angewendeten nationalen Bestimmungen über den Pensionssicherungsbeitrag und das Unterbleiben von Pensionserhöhungen seien unionsrechts- und verfassungswidrig.
Das Erstgericht wies nach Einholung einer Vorabentscheidung des EuGH (Urteil vom 24.9.2020, C-223/19, YS) die Klage ab. Das Berufungsgericht bestätigte nach Ablehnung eines Antrags der Kl nach Art 140 Abs 1 Z 1 lit d B-VG auf Aufhebung der in Rede stehenden nationalen Vorschriften durch den VfGH (Beschluss vom 29.11.2022, G 169–171/2021) das Ersturteil. Es begründete seine Entscheidung ua damit, dass selbst bei Annahme einer mittelbaren Diskriminierung, weil die Limitierung von Sonderpensionen Männer häufiger als Frauen treffe, diese hier sachlich gerechtfertigt sei, weil die Annäherung dieser Leistungen an das niedrigere Pensionsniveau ein legitimes sozialpolitisches Ziel sei.
Der OGH schließt sich den Vorinstanzen an: Eine Vorabentscheidung des EuGH bindet sowohl das vorlegende Gericht als auch alle anderen Gerichte, die in derselben Sache zu entscheiden haben. Die Entscheidung in der anhängigen Rechtssache ist so zu treffen, dass die vom EuGH vorgegebene Auslegung der fraglichen unionsrechtlichen Norm übernommen wird.365
Der EuGH hält in seiner vom Erstgericht eingeholten Vorabentscheidung vom 24.9.2020 (Rs YS) fest, dass die Mitgliedstaaten bei der Wahl der zur Verwirklichung ihrer sozial- und beschäftigungspolitischen Ziele geeigneten Maßnahmen über einen weiten Entscheidungsspielraum verfügen. Er führt aus, dass es zwar letztlich Sache des für die Beurteilung des Sachverhalts und die Auslegung des innerstaatlichen Rechts allein zuständigen nationalen Gerichts ist, festzustellen, ob und in welchem Umfang die fragliche Rechtsvorschrift (sollte sie – wie von der Kl angenommen – Männer gegenüber Frauen mittelbar diskriminieren) durch einen objektiven Faktor gerechtfertigt ist, dass er aber auf der Grundlage der Akten des Ausgangsverfahrens und der vor ihm abgegebenen schriftlichen und mündlichen Erklärungen Hinweise geben kann, die dem vorlegenden Gericht die Entscheidung ermöglichen.
Dabei sieht der EuGH ua die Verringerung des Unterschieds bei der Höhe der staatlich finanzierten Pensionen in Anbetracht des weiten Entscheidungsspielraums, über den die Mitgliedstaaten verfügen, als ein legitimes Ziel der Sozialpolitik an, das nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun hat. Weiters weist er darauf hin, dass die in Rede stehenden nationalen Vorschriften, da sie nur Leistungen betreffen, deren Höhe eine bestimmte Grenze überschreitet, eine Annäherung dieser Leistungen an das niedrigere Pensionsniveau bewirken und dass diese Vorschriften, vorbehaltlich einer Überprüfung durch das vorlegende Gericht, in kohärenter und systematischer Weise angewandt werden, da sie für alle Pensionen gelten, die von den unmittelbar oder mittelbar staatlich kontrollierten Einrichtungen und Unternehmen in Form von „direkten Leistungszusagen“ gewährt werden, bei denen die aus den einbehaltenen oder nicht gewährten Beträgen gebildeten Rücklagen somit für die Finanzierung künftiger Pensionsverpflichtungen zur Verfügung stehen.
Damit hat der EuGH die Angleichung von Höchstpensionen bei staatlichen Unternehmen an das allgemeine Pensionsniveau, die überwiegend Männer mit höheren Einkommen trifft, grundsätzlich als sachlich rechtfertigbar erachtet sowie auch grundsätzlich die Kohärenz und systematische Anwendung der entsprechenden nationalen Vorschriften bejaht.
Entgegen der Ansicht der Kl kann aus der Anordnung des EuGH, dass es letztlich Sache des nationalen Gerichts ist, darüber zu entscheiden, ob eine allenfalls vorliegende Diskriminierung sachlich gerechtfertigt ist und ob das nationale Recht insofern kohärent ist und systematisch angewendet wird, nicht abgeleitet werden, dass das nationale Gericht insofern (Tatsachen-)Feststellungen treffen muss. Die Vereinbarkeit von nationalem Recht mit Unionsrecht ist grundsätzlich – anders wohl bei der Feststellung der Grundlagen für die Annahme einer entsprechenden höheren Betroffenheit bei mittelbaren Diskriminierungen – eine Rechtsfrage, für deren Lösung es tatsächlicher Feststellungen in der Regel nicht bedarf (OGH 20.1.2015, 4 Ob 200/14m).
Dass die in Rede stehenden Vorschriften Personen mit weit überdurchschnittlicher Pension betreffen und dass durch sie deren Pensionen dem durchschnittlichen Pensionsniveau angenähert werden, zieht die Kl in ihrer außerordentlichen Revision nicht in Zweifel und es ergibt sich dieses sozialpolitische Ziel bereits aus den Erläuterungen zur Regierungsvorlage zum Sonderpensionsbegrenzungsgesetz (140 BlgNR 25. GP 1 samt Vorblatt 1 und 3). Einer Überprüfung der „Wirkung der Maßnahmen“ durch Tatsachenfeststellungen durch die nationalen Gerichte bedarf es wie oben ausgeführt regelmäßig nicht.