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COVID-19-Test als Teil der Krankenbehandlung – Anspruch auf Kostenzuschuss bei Durchführung durch Wahlarzt

ELISABETHHANSEMANN

Es ist weder aus dem Gesetzeswortlaut noch aus den Materialien ableitbar, dass COVID-19-Tests nicht auch von § 133 ASVG erfasst sein können. Die mit § 742 ASVG etablierte Testmöglichkeit besteht vielmehr unabhängig bzw losgelöst von einer etwaigen Leistungspflicht der Krankenversicherungsträger.

SACHVERHALT

Am 27.10.2020 suchte die Kl aufgrund des Verdachts einer viralen Infektion die Ordination des Dr. S*, der in keinem Vertragsverhältnis zur bekl Österreichischen Gesundheitskasse steht, auf. Dieser führte aufgrund der beschriebenen Symptome (Husten, Veränderung des Geschmackssinns, erhöhte Körpertemperatur) sowohl einen Antigen-Schnelltest als auch einen PCR-Test durch.

Für die erbrachten Leistungen zahlte die Kl insgesamt € 107,50 an Dr. S*. Am 29.10.2023 langte das negative Testergebnis des PCR-Tests ein und die Kl wurde aufgrund eines „banalen“ viralen Infekts krankgeschrieben.

VERFAHREN UND ENTSCHEIDUNG

Mit Bescheid vom 25.3.2021 stellte die Bekl fest, dass für die am 27.10. und 29.10.2020 erbrachten ärztlichen Leistungen eine Kostenerstattung im Ausmaß von € 19,41 gebühre und wies das auf Erstattung weiterer € 88,09 (für den Antigen- und den PCR-Test) gerichtete Mehrbegehren ab.

Mit ihrer Klage begehrt die Kl den Ersatz auch der Kosten des Antigen- und des PCR-Tests iHv € 52,- sA (80 % des in § 3 Abs 1 Z 1 der Verordnung betreffend nähere Bestimmungen über die Durchführung von COVID-19-Tests im niedergelassenen Bereich, BGBl II 2020/453 [TestV] vorgesehenen Pauschalbetrags von € 65,-). Die Tests seien notwendig gewesen, um eine mögliche Erkrankung an COVID-19 zu bestätigen oder auszuschließen und danach die weitere Behandlung auszurichten. Die Tests seien daher Teil ihrer Krankenbehandlung gewesen und nicht im Zuge der Bekämpfung der COVID-19-Pandemie vorgenommen worden, sodass die Bekl auch die dafür notwendigen Kosten zu tragen habe. Da die Behandlung durch einen Wahlarzt erfolgt sei, stehe ihr eine Erstattung gem § 131 ASVG zu. § 742 ASVG ändere daran nichts, weil die dadurch geschaffene Testmöglichkeit keine Krankenbehandlung iSd § 133 ASVG darstelle und den §§ 131 ff ASVG dadurch nicht derogiert worden sei. Da für die Tests kein Tarif existiere, sei auf die in der TestV vorgesehenen Beträge abzustellen.

Die Bekl hielt dem entgegen, dass § 742 Abs 1 ASVG nur die im niedergelassenen Bereich tätigen Vertragspartner berechtige, COVID-19-Tests durchzuführen. Die Kosten würden nicht vom Krankenversicherungsträger getragen, sondern vom Bund ersetzt werden. Es handle sich daher nicht um eine Leistung der SV. Der Gesetzgeber habe sich in § 742 ASVG – im Gegensatz zu § 735 ASVG (COVID-19-Risiko-Attest) – bewusst dazu entschieden, Wahlärzte nicht einzubeziehen.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Das Berufungsgericht folgte der Argumentation der Kl und gab dem Klagebegehren mit Ausnahme des Zinsbegehrens statt. Die Revision ließ das Berufungsgericht zu, da höchstgerichtliche Rsp zur Frage fehle, ob ein Versicherter Anspruch auf Kostenersatz für einen bei einem Wahlarzt durchgeführten COVID-19-Test habe.

Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, sie ist aber nicht berechtigt.

Originalzitate aus der Entscheidung

„1. Nach dem – seit seiner Einführung mit dem am 1. Oktober 2020 in Kraft getretenen Bundesgesetz BGBl I 2020/105 in den hier relevanten Passagen unveränderten – § 742 Abs 1 ASVG sind die im niedergelassenen Bereich tätigen Vertragsärztinnen und Vertragsärzte bzw Vertragsgruppenpraxen sowie die selbständigen Vertragsambulatorien für Labormedizin unter den in der TestV genannten Voraussetzungen berechtigt, Tests für den Nachweis des Vorliegens einer Infektion mit SARS-CoV-2 (COVID-19-Test) durchzuführen.

[…]

2. [Es] ist der Beklagten zuzustimmen, dass § 742 ASVG nicht zuletzt deshalb einen epidemiologischen Hintergrund hat, weil die Bestimmung auf Beratun372gen des parlamentarischen Gesundheitsausschusses über einen Antrag auf Änderung des EpiG 1950, des TuberkuloseG und des COVID-19-MaßnahmenG zurückgeht (AB 371 BlgNR 27. GP 1). Zu den 2021 in Kraft getretenen §§ 742a und 742b ASVG verweisen die Materialien (Bericht des Gesundheitsausschusses vom 22. Februar 2021) auch ausdrücklich auf die (damit fortgesetzte) umfassende Teststrategie zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie (AB 673 BlgNR 27. GP 1). Für die darauf basierende Ansicht der ­Beklagten, aus § 742 ASVG folge e contrario, dass COVID-19-Tests niemals Teil einer Krankenbehandlung sein könnten, weil es der Regelung andernfalls nicht bedurft hätte, fehlt jedoch eine Grundlage.

2.1. Ihr Standpunkt unterstellt zunächst, dass bei den von § 742 ASVG, § 1 Abs 1 TestV erfassten Personen, bei denen wegen Symptomen ein Infektionsverdacht besteht, stets auch eine Krankheit im sozialversicherungsrechtlichen Sinn vorliegt. Wie sie an anderer Stelle der Revision aber selbst betont, bedarf es für die Erfüllung des Begriffs der Krankheit im sozialversicherungsrechtlichen Sinn neben der Regelwidrigkeit auch der Notwendigkeit ihrer Behandlung […]. Diese liegt vor, wenn der regelwidrige Zustand ohne ärztliche Hilfe nicht mit Aussicht auf Erfolg behoben, zumindest aber gebessert oder vor einer Verschlimmerung bewahrt werden kann oder wenn die Behandlung erforderlich ist, um Schmerzen oder sonstige Beschwerden zu lindern […]. Äußert ein Versicherter wegen (subjektiv) als störend empfundener Symptome das Bedürfnis nach ärztlicher Behandlung, obliegt es dem Arzt, festzustellen, wann diese ein Ausmaß erreicht haben, dass Behandlungsbedürftigkeit medizinisch geboten ist (10 ObS 57/16d mwN). Ist das bei Personen, die Symptome einer möglichen Erkrankung an COVID-19 aufweisen, (noch) nicht der Fall, besteht zwar aus epidemiologischer Sicht ein Interesse an einer Testung und der Verhinderung einer weiteren Übertragung des Virus, es liegt aber (noch) keine Krankheit iSd § 120 Z 1 ASVG vor. Vor diesem Hintergrund ist festzuhalten, dass der Krankheitsbegriff des ASVG nicht unbedingt auf alle jene (symptomatischen) Personen zutrifft, die von der verfolgten Teststrategie erfasst werden sollten. Dass der Gesetzgeber mit § 742 ASVG eine überflüssige Regelung geschaffen hätte, wenn ohnedies schon im Rahmen der Krankenbehandlung ein Anspruch auf einen solchen Test bestünde, trifft daher nicht zu.

2.2. Zudem ist weder aus dem Gesetzeswortlaut noch den Materialien ableitbar, dass COVID-19-Tests nicht auch von § 133 ASVG erfasst sein können. Erklärtermaßen sollten mit § 742 ASVG die niedergelassenen Vertragsärzte nämlich nur ermächtigt werden, die vom Bund verfolgte Teststrategie für ihn im übertragenen Wirkungsbereich gegen Kostenersatz im Wege der Krankenversicherungsträger umzusetzen (AB 371 BlgNR 27. GP 3). Für die Annahme, dass durch die Schaffung der kostenlosen Testmöglichkeit Leistungsansprüche aus der gesetzlichen Krankenversicherung verdrängt oder abgeändert werden sollten, finden sich keine Anhaltspunkte. Sowohl nach dem keine Einschränkungen und keinen Bezug zur Krankenbehandlung aufweisenden Wortlaut, dem erklärten Ziel der Bestimmung und ihrer systematischen Stellung in den Schlussbestimmungen (Zehnter Teil, Abschnitt II) des ASVG ist § 742 ASVG keine Regelung, die zwingend den Leistungen der Krankenversicherung zuzuordnen wäre. Die mit § 742 ASVG etablierte Testmöglichkeit besteht vielmehr unabhängig bzw losgelöst von einer etwaigen Leistungspflicht der Krankenversicherungsträger. […]

2.3. Aus denselben Erwägungen kann auch nicht davon ausgegangen werden, § 742 Abs 1 ASVG schränke den Grundsatz der freien Arztwahl ein. Auch dafür geben weder der Gesetzeswortlaut, die systematische Stellung der Regelung oder die Gesetzesmaterialien tragfähige Hinweise. Aus letzteren lässt sich vielmehr ableiten, dass der Bund durch die Einschränkung auf die Vertragspartner der Krankenversicherungsträger bloß deren bereits vorhandene Verrechnungsstruktur nutzen wollte.

[…]

3. Nicht zu folgen ist der Beklagten auch, wenn sie die Notwendigkeit der Testungen mit dem Argument bestreitet, es gebe weder eine Therapie noch ein wirksames Medikament zur Behandlung einer SARS-CoV-2-Infektion, sodass die Tests bzw deren Ergebnisse von vornherein nicht geeignet gewesen seien, sich auf die konkrete Behandlung der Klägerin auszuwirken. Sie übergeht dabei, dass auch der Krankheitsverdacht dem Versicherungsfall der Krankheit zuzurechnen ist, unabhängig davon, ob er sich bewahrheitet oder nicht […]. Bestehen objektiv diagnostizierbare Symptome, hat der Versicherte somit Anspruch auf Krankenbehandlung in Form der Klärung des Verdachts […]. Bei Unklarheit über die Behandlungsbedürftigkeit besteht zunächst ein Anspruch auf die entsprechende Diagnostik […]. Mit diesen, schon vom Berufungsgericht dargelegten Grundsätzen setzt sich die Revision nicht näher auseinander. Ebenso wenig klärt sie (nachvollziehbar) auf, warum der Ausschluss einer von mehreren möglichen Erkrankungen keinen Einfluss auf die weitere Therapie haben sollte. Eine Fehlbeurteilung des Berufungsgerichts zeigt sie damit nicht auf.

4.1. Richtig ist, dass Kosten eines Wahlarztes nicht nach § 131 Abs 1 ASVG ersetzt werden können, wenn die Leistungen nicht Gegenstand eines Vertragsverhältnisses sind (RS0084810). Auf § 131 ASVG hat sich das Berufungsgericht aber nicht gestützt, sondern ausgeführt, dass sich der begehrte Ersatz an den für vergleichbare Pflichtleistungen festgelegten Tarifen zu orientieren habe. Dass der Versicherte insoweit einen Anspruch auf einen Kostenzuschuss hat, wenn eine (neuartige) ärztliche Leistung vertraglich (noch) nicht erfasst ist und daher ein anwendbarer Tarif und – wie die Beklagte in ihrer Berufungsbeantwortung vorgetragen hat – auch eine einschlägige Satzungsregelung ­fehlen, entspricht der ständigen Rechtsprechung (10 ObS 100/22m; 10 ObS 43/15v SSV-NF 29/35; RS0113972). Eine Fehlbeurteilung wird auch insoweit nicht dargetan.373

4.2. Gegen die vom Kläger angestrebte und vom Berufungsgericht als sachgerecht erachtete Bemessung der Höhe des Ersatzbetrags anhand der Honorarpositionen des § 3 Abs 1 TestV hat sich die Beklagte nicht unmittelbar ausgesprochen, sondern auf das degressive Entlohnungsschema der TestV verwiesen. Sie behauptet(e) auch nicht, dass eine Orientierung anhand eines bestehenden Tarifs für vergleichbare Pflichtleistungen für sie günstiger wäre.“

Erläuterung

§ 742 ASVG (COVID-19-Test im niedergelassenen Bereich) wurde im Zuge der Pandemie mehrfach novelliert. Die derzeit gültige Fassung ist seit 1.7.2023 in Kraft und tritt am 31.12.2023 außer Kraft. Der gegenständlichen E liegt § 742 ASVG idF BGBl I 2020/105 zugrunde. In weiterer Folge bezieht sich die Nennung des § 742 ASVG immer auf diese Fassung.

§ 742 ASVG berechtigt niedergelassene Vertragsärzt:innen sowie Vertragsambulatorien für die Dauer der durch die WHO ausgerufenen COVID-19-Pandemie, Tests für den Nachweis des Vorliegens einer COVID-19-Infektion durchzuführen. Der Krankenversicherungsträger hat für das Material, die Durchführung und die Auswertung der Testung ein pauschales Honorar zu bezahlen, welches ihm schließlich vom Bund ersetzt wird. Nähere Bestimmungen zur Durchführung der Testung und zur Höhe des Honorars sind in der Verordnung betreffend nähere Bestimmungen über die Durchführung von COVID-19-Tests im niedergelassenen Bereich, BGBl II 2020/453 (TestV) normiert.

Der OGH stellt in der gegenständlichen E klar, dass § 742 ASVG einen epidemiologischen Hintergrund hat und Teil einer umfassenden Teststrategie zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie ist. Der Umkehrschluss, dass ein COVID-19-Test niemals Teil einer Krankenbehandlung sein kann, da es ansonsten der Regelung nicht bedurft hätte, ist allerdings falsch: Nicht bei jeder von § 742 ASVG iVm § 1 TestV erfassten Person, bei denen aufgrund ihrer Symptome ein Infektionsverdacht besteht, liegt auch eine Krankheit im sozialversicherungsrechtlichen Sinn vor. Für die Erfüllung des Krankheitsbegriffes ist neben dem regelwidrigen Körper- oder Geisteszustand auch die Notwendigkeit einer Behandlung Voraussetzung (RS 084692). Hat ein Versicherter wegen (subjektiv) als störend empfundener Symptome das Bedürfnis nach ärztlicher Behandlung, so obliegt es dem Arzt oder der Ärztin festzustellen, ob die Behandlungsbedürftigkeit auch medizinisch geboten ist. Die Behandlungsbedürftigkeit kann aber bei Personen, die (milde) Symptome einer COVID-19-Infektion aufweisen, gerade noch nicht vorliegen. In diesem Fall liegt zwar (noch) keine Krankheit iSd § 120 Z 1 ASVG vor, aus epidemiologischer Sicht besteht aber dennoch ein Interesse an einer Testung, um einer weiteren Übertragung des Virus vorzubeugen. Der OGH zieht daraus den Schluss, dass § 742 ASVG schon aus diesem Grund keine überflüssige Regelung ist, sondern von einer etwaigen Leistungspflicht der Krankenversicherungsträger losgelöst besteht. Dies auch unter Bedachtnahme darauf, dass die Krankenversicherungsträger im Ergebnis oft von der Leistungspflicht befreit sind, da die im Rahmen des § 742 ASVG erfolgten Testungen in vielen Fällen wohl auch Teil einer Krankenbehandlung sind.

Die gegenständliche E befasst sich weiters mit der Frage, ob eine Testung für SARS-CoV-2 überhaupt eine Krankenbehandlung iSd §§ 133 Abs 1 Z 1 iVm 120 Z 1 ASVG darstellt, da es zum Zeitpunkt der Testung weder eine Therapie noch ein wirksames Medikament zur Behandlung einer SARS-CoV-2 Infektion gab. Die Testung konnte daher keine konkrete Behandlung auslösen. Dahingehend verweist der OGH auf gängige Rsp, die besagt, dass der Versicherte bei objektiv diagnostizierbaren Symptomen Anspruch auf Krankenbehandlung in Form der Klärung des Verdachts hat. Bei Unklarheit über die Behandlungsbedürftigkeit besteht somit zunächst ein Anspruch auf die entsprechende Dia­gnostik.

Als Zwischenergebnis des gegenständlichen Falls kann zusammengefasst festgehalten werden, dass die Testung auf COVID-19 Teil der Krankenbehandlung war und § 742 den §§ 131 ff ASVG nicht derogiert. Somit stellt sich zuletzt die Frage, ob und in welcher Höhe die für die Testungen angefallenen Kosten ersetzt werden können.

Da die Testung auf COVID-19 nicht Gegenstand eines Vertragsverhältnisses ist, können die Kosten eines Wahlarztes nicht nach § 131 ASVG ersetzt werden. Bei Inanspruchnahme (neuartiger) ärztlicher Leistungen, die vertraglich (noch) nicht erfasst sind und daher ein anwendbarer Tarif oder eine einschlägige ­Satzungsregelung fehlen, haben Versicherte gem § 131b ASVG-Anspruch auf einen Kostenzuschuss. Im gegenständlichen Fall hat das Berufungsgericht zwar einen Kostenersatz zugesprochen, welcher sich an den für vergleichbare Leistungen festgelegten Tarifen orientiert hat (nämlich an der Honorarposition des § 3 Abs 1 TestV). Gegen die Bemessung der Höhe des Ersatzbetrages hat sich die Bekl allerdings nicht unmittelbar ausgesprochen.374