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Zustellung eines verfahrenseinleitenden Schriftsatzes im Ausland ohne Übersetzung in die dortige Amtssprache ist unwirksam

KLAUSBACHHOFER

Der Kl war von November 2018 bis September 2019 für die Bekl, die eine Fluglinie betreibt, als Pilot tätig. Er begehrte, die Bekl dazu zu verpflichten, ihm die Identität jenes Versicherers bekannt zu geben, mit dem über Vermittlung der Bekl im Mai 2019 ein Vertrag über die Versicherung der Berufsunfähigkeit des Kl zustande gekommen sei, sowie die Feststellung, dass die Bekl für jenen Schaden hafte, der ihm dadurch entsteht, dass sie dieser Verpflichtung nicht oder nicht so rechtzeitig nachkomme, dass ein Vermögensschaden des Kl vermieden werde.

Die Bekl habe im Mai 2019 den bei ihr beschäftigten Piloten, darunter auch dem Kl, den von ihr organisierten Abschluss einer Berufsunfähigkeitsversicherung für Piloten angeboten. Die Versicherung habe am 10.5.2019 beginnen sollen. Ihm seien aber keine Unterlagen zum Versicherungsvertrag übermittelt 357worden, weshalb ihm weder die Bedingungen, denen der Versicherungsvertrag unterliege, noch die Identität des Versicherers bekannt seien.

Er sei seit 3.6.2019 aufgrund gesundheitlicher Pro­bleme dauernd berufsunfähig. Die Bekl habe ihm mitgeteilt, dass der Versicherer eine Leistungspflicht nicht anerkenne, jedoch nicht, wer sein Vertragspartner als Versicherer sei. Er sei daher nicht in der Lage, seinen Anspruch auf eine Versicherungsleistung geltend zu machen. Gem Art 8 Abs 2 der VO (EG) 593/2008 sei auf den zwischen dem Kl und der Bekl bestehenden Vertrag österreichisches Recht anzuwenden. Die Bekl treffe die aus dem mit ihm abgeschlossenen Vertrag resultierende Nebenpflicht, ihm alle Informationen zu erteilen, die notwendig seien, damit er seine Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag geltend machen könne.

Während seiner Beschäftigung habe er seinen Wohnsitz in Wien gehabt, von wo aus er seine Dienste angetreten habe. Da er einen Anspruch aus dem Beschäftigungsverhältnis geltend mache, sei das angerufene Arbeits- und Sozialgericht Wien gem § 4 Abs 1 Z 1 lit a ASGG international und örtlich sowie gem § 3 ASGG sachlich zuständig.

Die Ladung zur vorbereitenden Tagsatzung und eine Gleichschrift der Klage wurden der Bekl ohne Übersetzung mit internationalem Rückschein in Marokko zugestellt. Da die vorbereitende Tagsatzung seitens der Bekl unbesucht blieb, erließ das Erstgericht über Antrag des Kl ein klagsstattgebendes Versäumungsurteil, das der Bekl am 26.4.2022 mit internationalem Rückschein in Marokko zugestellt wurde.

Gegen dieses Versäumungsurteil erhob die Bekl Berufung und Widerspruch.

Das Berufungsgericht hob über Berufung der Bekl das Versäumungsurteil als nichtig auf, erklärte das Verfahren für nichtig und wies die Klage zurück.

Die Zustellung von Schriftstücken in Zivil- und Handelssachen richte sich im Rechtsverkehr zwischen Österreich und Marokko nach dem Haager Übereinkommen vom 15.11.1965 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke im Ausland in Zivil- und Handelssachen (Haager Zustellungsübereinkommen 1965 – HZÜ). Danach sei die direkte Übermittlung der Klage und der Ladung zur vorbereitenden Tagsatzung per Post (mit internationalem Rückschein) grundsätzlich zulässig. Nach stRsp sei es aber mit einem fair geführten Verfahren unvereinbar, wenn der Empfänger verfahrenseinleitende Schriftstücke unmittelbar durch die Post zugestellt erhalte, die nicht in seiner Sprache abgefasst und auch nicht übersetzt seien. Da die Klage und die Ladung zur vorbereitenden Tagsatzung der Bekl daher nicht wirksam zugestellt worden seien, sei das Versäumungsurteil als nichtig aufzuheben. Von der Nichtigkeit sei auch die vorbereitende Tagsatzung umfasst. Zusätzlich sei aber auch der von der Bekl erhobene Einwand der fehlenden inländischen Gerichtsbarkeit berechtigt.

Nach der Rsp müsse der geltend gemachte Anspruch seine Wurzel im Arbeitsverhältnis haben. Dieser Z­u­sammenhang sei im vorliegenden Fall zu verneinen. Dass das (behauptete) Arbeitsverhältnis Beweggrund für die Vermittlung des Versicherungsvertrages gewesen sei, rechtfertige noch nicht den für die arbeitsgerichtliche Zuständigkeit geforderten Zusammenhang. Das Fehlen der inländischen Gerichtsbarkeit stelle einen Nichtigkeitsgrund dar, der zur Nichtigerklärung des Verfahrens und Zurückweisung der Klage führe.

Der dagegen gerichtete Rekurs des Kl wurde vom OGH für zulässig und teilweise berechtigt erkannt, die Rechtssache nach Aufhebung der Entscheidung zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Nach oberstgerichtlicher Rsp ist es mit einem fair geführten Verfahren unvereinbar, wenn der Empfänger (außerhalb des österreichischen Staatsgebiets) verfahrenseinleitende Schriftstücke unmittelbar durch die Post zugestellt erhält, die nicht in seiner Sprache abgefasst und auch nicht übersetzt sind, sodass eine solche Zustellung unwirksam ist. Grundvoraussetzung jeder wirksamen Vertretung sei, dass der Betroffene verstehe, worum es gehe. Daran fehle es, wenn Schriftstücke zugestellt werden, die nicht in der Amtssprache des Zustelllandes abgefasst und auch nicht übersetzt seien.

Bereits das Berufungsgericht hat aufgezeigt, dass sich diese Rsp nicht ausschließlich auf natürliche Personen bezieht. Entgegen der Ansicht des Kl ist allein aus dem Umstand, dass die Bekl weltweit Flughäfen in unterschiedlichsten Ländern anfliegt, nicht darauf zu schließen, dass in diesem Unternehmen auch die entsprechenden Sprachen in ausreichendem Umfang und mit ausreichendem Sprachniveau vertreten ­werden, ist doch die relevante Sprache im weltweiten Flugverkehr Englisch. Auch das Vorhandensein verschiedensprachiger Websites bietet noch keine Grundlage für die Annahme, dass im Unternehmen diese Sprachen auch vertreten sind, sofern dar­aus nicht geschlossen werden kann, dass die Geschäftstätigkeit des Unternehmens besonders auf einen bestimmten Markt ausgerichtet ist oder dort eine relevante Zahl von Kunden bedient. Für eine solche Annahme bietet das Vorbringen des Kl im vorliegenden Fall aber keine ausreichende Grundlage.

Zu Recht ist daher das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass die Klage nicht wirksam zugestellt wurde und daher das Versäumungsurteil und das vorangegangene Verfahren wegen Verletzung des rechtlichen Gehörs der Bekl nichtig sind.

Der Kl hat die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts auf § 4 Abs 1 Z 1 lit a ASGG gestützt. Die 358VO (EU) 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12.12.2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (kurz: EuGVVO) sei nicht anwendbar, weil die Bekl ihren Sitz außerhalb der Europäischen Union habe.

Der Kl hat seinen Wohnsitz in Österreich, die Bekl ihren Sitz in Marokko. Dies schließt entgegen der Ansicht des Kl eine Anwendbarkeit der EuGVVO nicht aus, da diese Verordnung in gewissen Fällen, darunter Klagen aus dem Arbeitsverhältnis, die Geltendmachung von Ansprüchen auch gegen Personen, die ihren Sitz außerhalb des Gebiets der Europäischen Union haben, regelt.

Im vorliegenden Fall hat sich der Kl zwar ausdrücklich auf den (Wahl-)Gerichtsstand nach § 4 Abs 1 Z 1 lit a ASGG gestützt; es ist jedoch aus dem Vorbringen nicht ableitbar, dass er die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts ausschließlich auf diesen Gerichtsstand stützen wollte und nicht auf alle, die sich aus den Klagsangaben ableiten lassen.

Nach Art 21 Abs 2 EuGVVO kann ein AG, der seinen Wohnsitz nicht im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, vor dem Gericht eines Mitgliedstaats gem Art 21 Abs 1 lit b EuGVVO verklagt werden.

Im konkreten Fall hat die Bekl nach dem Klagsvorbringen als AG auch des Kl ihren AN den von ihr organisierten Abschluss von Berufsunfähigkeitsversicherungen angeboten und, nachdem der Kl sich für eine der angebotenen Varianten entschieden hat, die entsprechenden Prämien vereinbarungsgemäß von seinem Gehalt eingezogen. Ob Ansprüche aus dem Versicherungsverhältnis arbeitsrechtliche Ansprüche darstellen könnten, muss hier nicht geprüft werden, da solche nicht geltend gemacht werden. Vielmehr handelt es sich, entgegen der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, um die Geltendmachung von Fürsorgepflichten des AG, der für seine AN Zusatzleistungen durch Dritte organisiert hat und diesen daher auch die für die Geltendmachung von Ansprüchen erforderlichen Basisinformationen zur Verfügung zu stellen hat. Dazu kommt, dass nach dem Vorbringen des Kl die Prämien (jedenfalls zunächst) von seinem Lohn abgezogen wurden. Behält der AG aber einen Teil des Entgelts mit der Begründung ein, dass damit eine Versicherungsprämie aus einer vom AN über Vermittlung des AG abgeschlossenen Versicherung beglichen wird, ist der Anspruch des AN auf Bekanntgabe des Rechtssubjekts, an das sein Gehalt ausbezahlt wurde, jedenfalls ein solcher aus dem Arbeitsverhältnis.

Voraussetzung für den Gerichtsstand des § 21 Abs 1 lit b (i) EuGVVO ist, dass es sich um den Ort handelt, an dem oder von dem aus der AN gewöhnlich seine Arbeit verrichtet oder zuletzt gewöhnlich verrichtet hat.

Im Hinblick auf die Besonderheiten der Arbeit im Verkehrssektor ist zur Bestimmung dieses Orts nach dem EuGH auf eine Reihe von Indizien abzustellen. Für den gewöhnlichen Arbeitsort kommt es auf den Ort an, von dem aus der AN seine Dienste erbringt, zu dem er danach zurückkehrt und an dem sich seine Arbeitsmittel befinden. Die sogenannte „Heimatbasis“ bei Piloten sei dafür ein (gewichtiges) Indiz, jedoch nicht notwendigerweise damit gleichzusetzen.

Wäre dieser Ort – wie vom Kl behauptet – Wien, könnte daher die internationale Zuständigkeit zu bejahen sein.

Im Verfahren vor dem Erstgericht war allerdings die Bekl noch nicht beteiligt. Nunmehr hat die Bekl sowohl in der Berufung als auch im Widerspruch den Einwand der fehlenden internationalen Zuständigkeit erhoben und entsprechendes Tatsachenvorbringen erstattet.

Zwischen den Parteien ist demnach strittig, ob ein Arbeitsvertrag iSd EuGVVO vorliegt. Der Kl hat dazu vorgebracht, auf Basis eines Arbeitsvertrags als Pilot beschäftigt gewesen zu sein. Die Bekl behauptet eine Tätigkeit auf selbstständiger Basis. Auch zu den für die Beurteilung des gewöhnlichen Arbeitsorts des Kl erforderlichen Umständen wurde unterschiedliches Vorbringen erstattet. Der Kl behauptet, gewöhnlich seine Arbeit von Wien aus verrichtet zu haben, die Bekl, dass der Kl seinen Dienst von seiner Homebase in Marokko aus angetreten habe.

Bei der Zuständigkeitsprüfung ist trotz Gegenbehauptungen des Bekl dann nur von den Klagebehauptungen auszugehen, wenn diese sowohl zuständigkeitsbegründend als auch Anspruchsvoraussetzung sind – doppelrelevante Tatsachen. Richtig ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass das auf die für die Zuständigkeit relevanten Tatsachen im vorliegenden Fall nicht zutrifft, weshalb die widerstreitenden Tatsachenbehauptungen der Bekl grundsätzlich zu berücksichtigen sind.

Von den Vorinstanzen wurden aber bislang zu den widerstreitenden Vorbringen der Parteien noch keine Feststellungen getroffen. Daher lässt sich die internationale Zuständigkeit nach § 21 Abs 2 EuGVVO noch nicht beurteilen, weil noch nicht feststeht, ob zwischen den Parteien ein Arbeitsverhältnis besteht und ob der Ort, an dem oder von dem aus der AN gewöhnlich seine Arbeit verrichtet oder zuletzt gewöhnlich verrichtet hat, in Österreich liegt.359