Wie lang muss die wöchentliche Ruhezeit sein?

SUSANNEAUER-MAYER (WIEN)/WALTER J.PFEIL (SALZBURG)
Das österreichische Arbeitszeitrecht sieht für die meisten AN grundsätzlich einen Anspruch auf eine tägliche Ruhezeit von 11 Stunden (§ 12 Abs 1 AZG) und eine wöchentliche Ruhezeit von mindestens 36 Stunden vor (§§ 3 Abs 1 bzw 4 ARG). Das scheint problemlos mit den unionsrechtlichen Vorgaben vereinbar, verlangen diese doch ebenfalls eine tägliche Ruhezeit von 11 Stunden (Art 3 RL 2003/88/EG*, in der Folge kurz AZ-RL) und eine wöchentliche Ruhezeit von 24 Stunden, die „zuzüglich der täglichen Ruhezeit ... gewährt wird“ (Art 5 AZ-RL). Diese Vereinbarkeit ist jedoch nach der EuGH-E vom 2.3.2023, C-477/21, MÁV-START (EU:C:2023:140; zuletzt DRdA 2023/41, 373 [Bell]) strittig geworden.
  1. Zentrale Elemente des Urteils

  2. Schlussfolgerungen für das österreichische Recht

  3. Falls der österreichische Gesetzgeber doch Handlungsbedarf sieht

  4. Fazit

1.
Zentrale Elemente des Urteils

Im vorliegenden Urteil hat der EuGH in einer Vorabentscheidung zu den Ruhezeiten von Lokomotivführern nach ungarischem Recht unterstrichen, dass die in Art 3 AZ-RL vorgesehene tägliche Ruhezeit nicht Teil der wöchentlichen Ruhezeit nach deren Art 5 ist und daher zu dieser hinzukommt. Darüber hinaus hat er aber ausgesprochen, dass auch „dann, wenn eine nationale Regelung eine wöchentliche Ruhezeit von mehr als 35 zusammenhängenden Stunden vorsieht, dem Arbeitnehmer zusätzlich zu dieser Zeit die durch Art. 3 dieser Richtlinie gewährleistete tägliche Ruhezeit zu gewähren ist“ (Rn 53). Dies hat einige Verunsicherung und vor allem Kritik ausgelöst.*

Auch wenn diese Kritik durchaus berechtigt erscheint, soll im folgenden Beitrag der Fokus vorrangig auf die möglichen Auswirkungen dieser E auf die Rechtslage in Österreich gerichtet werden. Dennoch sind die Eckpunkte des Urteils zusammenzufassen:

Der EuGH verweist zunächst (Rn 30 ff) auf die vor allem aus dem Urlaubsrecht bekannte (und auch dort nicht unumstrittene*) Verbindung mit dem in Art 31 Abs 2 GRC verankerten Grundrecht, das durch die (freilich wesentlich ältere)* AZ-RL konkretisiert werde und daher nicht restriktiv zu Ungunsten der AN ausgelegt werden dürfe. Dazu komme, dass es sich bei der täglichen und der wöchentlichen Ruhezeit um zwei – in gesonderten Bestimmungen der RL statuierte – autonome Rechte handle, mit denen unterschiedliche Ziele verfolgt würden: Während es die tägliche Ruhezeit den AN ermöglichen solle, sich für eine bestimmte Anzahl von Stunden, die nicht nur zusammenhängen, sondern sich auch unmittelbar an eine Arbeitsperiode 19 anschließen müssten, aus ihrer Arbeitsumgebung zurückzuziehen, solle es die wöchentliche Ruhezeit den AN ermöglichen, sich pro Siebentageszeitraum auszuruhen. Um den AN die Inanspruchnahme der in Art 31 Abs 2 GRC und Art 3 AZ-RL verankerten täglichen Ruhezeit zu gewährleisten, müsse dieses Recht daher unabhängig von der Dauer der in der anwendbaren nationalen Regelung vorgesehenen wöchentlichen Ruhezeit gewährt werden (Rn 52). Die AN müssten diese tägliche Ruhezeit zudem sofort nach einer Arbeitsperiode erhalten, und zwar unabhängig davon, ob sich an diese (tägliche) Ruhezeit eine Arbeitsperiode anschließe oder nicht; würden die tägliche und die wöchentliche Ruhezeit zusammenhängend gewährt, dürfe die wöchentliche Ruhezeit darüber hinaus erst dann beginnen, wenn der*die AN die tägliche Ruhezeit in Anspruch genommen habe (Rn 57). Die tägliche Ruhezeit müsse daher jeweils der wöchentlichen Ruhezeit vorausgehen (Rn 58).

Worin der grundlegende Unterschied zwischen sich täglich „aus der Arbeitsumgebung zurückzuziehen“ und „sich pro Siebentageszeitraum auszuruhen“ (Rn 38) liegen soll, ist zwar nicht ersichtlich,* schon wegen der expliziten (arg „zuzüglich der täglichen Ruhezeit“) und systematischen Trennung spricht aber tatsächlich viel dafür, dass eine Umverteilung zwischen beiden Ansprüchen, etwa durch Verlängerung der täglichen Ruhezeit und entsprechende Kürzung der wöchentlichen Ruhezeit oder umgekehrt, nicht zulässig ist.* Auch eine Art Günstigkeitsvergleich kommt damit grundsätzlich nicht in Betracht. Trotz der in Art 15 AZ-RL klargestellten Möglichkeit der Mitgliedstaaten „für die Sicherheit und den Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer günstigere Rechts- und Verwaltungsvorschriften“ zu treffen oder zu gestatten, können die Rechte nach Art 3 und Art 5 nicht einer gleichsam summarischen Betrachtung unterzogen werden.* Dieser bisher wohl auch von der Europäischen Kommission vertretenen Auffassung* tritt der EuGH vielmehr in Rn 50 ausdrücklich entgegen: „Dass im Zusammenhang mit der wöchentlichen Ruhezeit solche günstigeren Bestimmungen ... vorgesehen werden, kann dem Arbeitnehmer jedoch nicht andere Rechte nehmen, die ihm diese Richtlinie gewährt, insbesondere nicht das Recht auf tägliche Ruhezeit.“ Es scheint im Lichte der Vorgaben der RL durchaus konsequent, dass folglich die tägliche Ruhezeit nach dem EuGH selbst dann zu gewähren ist, wenn die nationale Rechtsetzung die wöchentliche Ruhezeit erheblich ausdehnt (vgl Rn 18 f des Urteils).

Freilich wäre wohl auch bei Zugrundelegung dieser Prämisse gerade die durch den EuGH betonte einheitliche autonome Auslegung der Begriffe „tägliche –“ bzw „wöchentliche Ruhezeit“ in der AZ-RL (Rn 47 f) auch bezüglich des Ausgangsfalls einer Auslegung keineswegs entgegengestanden, wonach die (gesonderte) tägliche Mindestruhezeit in der im nationalen Tarifvertrag vorgesehenen wöchentlichen Ruheperiode von im Regelfall 48 Stunden bereits „mitbedacht“ sein sollte. Dass der EuGH dazu nichts ausführt, mag in der Formulierung der Vorlagefragen sowie seiner fehlenden Kompetenz zur Auslegung des nationalen Rechts begründet sein; wenn er aber schon betont, dass der Begriff „wöchentliche Ruhezeit“ in der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nationalen Regelung „keine Auswirkung auf die Auslegung von Art. 5 der Richtlinie 2003/88“ habe (Rn 48), erschließt sich kaum, warum er die national vorgesehene „wöchentliche Ruhezeit“ in weiterer Folge dann doch einfach mit der Ruhezeit nach Art 5 AZ-RL gleichsetzt. Insb wäre es ein Leichtes gewesen, auch hier den (sonst gerade auch im Arbeitszeitrecht beliebten) Verweis auf die Notwendigkeit einer abschließenden Beurteilung durch das vorlegende Gericht zu bemühen.

2.
Schlussfolgerungen für das österreichische Recht

Dennoch könnte aus dieser Entscheidung gefolgert werden, dass auch die Ruhezeiten nach § 12 Abs 1 AZG bzw §§ 3 Abs 1 oder 4 ARG zu kumulieren seien und daher grundsätzlich eine ununterbrochene Ruhezeit von 47 Stunden zu gewährleisten sei. Das würde bei AN mit einer Fünf- (oder gar Vier-) Tage-Woche regelmäßig unproblematisch sein, bei AN mit Samstags- oder Schichtdiensten dagegen könnte die Arbeitszeitgestaltung wohl sogar häufig dem Unionsrecht widersprechen.

Die bisherigen Einschätzungen dazu sind kontrovers. Zum einen wird im geltenden nationalen Recht kein Spielraum gesehen und dem österreichischen Gesetzgeber nahegelegt, zur Vermeidung dieser Kumulierung die Ruhezeiten im AZG und ARG wie in der AZ-RL mit 11 plus 24 Stunden zu normieren.*

Zum anderen wird doch eine differenzierte Betrachtung für möglich gehalten: So könnte laut Holuschka* argumentiert werden, dass hinsichtlich der über die von der AZ-RL vorgegebene wöchentliche Mindestruhezeit hinausgehenden, nach nationalem Recht gewährten wöchentlichen Ruhezeit von weiteren 12 Stunden, die nicht in den Anwendungsbereich der RL fallen würden, eine Anrechnung auf die tägliche Ruhezeit zulässig sei. In eine ähnliche Richtung weist die Auffassung Gerhartls,* wonach die Feststellung des EuGH zur wöchentlichen Ruhezeit nur auf diese „im engeren Sinn“ bezogen werden dürfte und bei einer im nationalen Recht fehlenden Differenzierung zwischen der täglichen Ruhezeit und einem hinzutretenden Zeitraum das Ausmaß dieser wöchentlichen Ruhezeit im engeren Sinn durch Auslegung ermittelt 20 werden müsste, was hier 25 Stunden ergäbe und damit unionrechtskonform wäre.

Noch weiter gehen Wolf/Jöst,* die zunächst zutreffend darauf verweisen, dass zu den Ruhezeiten unionsrechtlich alles zu zählen ist, was nicht Arbeitszeit ist.* Da § 12 Abs 1 AZG bzw § 3 Abs 1 ARG jeweils nur von „ununterbrochenen Ruhezeiten“ sprächen, könnten darin sowohl tägliche als auch wöchentliche Ruhezeiten gesehen werden. Anders als das ungarische Recht im Ausgangsfall, das (notabene nach der ohne weitere Prüfung zugrunde gelegten Ansicht von MÁV-Start; vgl Rn 21 und 55 des Urteils) eine Tagesruhezeit nur vorsehe, wenn am Folgetag auch gearbeitet worden sei, ergebe sich aus der österreichischen Regelungssystematik, dass eine Ruhezeit, die mindestens 36 Stunden dauere und unmittelbar an ein Arbeitsende anschließe sowie die nach § 3 Abs 1 ARG erforderlichen Teile des Wochenendes umfasse, sowohl eine Ruhezeit nach dieser Bestimmung als auch nach § 12 Abs 1 AZG sei. Da somit tägliche und wöchentliche Ruhezeit parallel liefen,* halten Wolf/Jöst die österreichische Rechtslage für mit dem Unionsrecht vereinbar und daher – im Gegensatz zu den zuvor genannten Autor*innen – nicht einmal ein klarstellendes Tätigwerden des nationalen Gesetzgebers für notwendig.

Diese Sichtweise scheint in der Tat sowohl mit Wortlaut und Systematik als auch mit dem durch den EuGH betonten Zweck der verschiedenen Ruhezeiten nach der AZ-RL und deren „Verfestigung“ durch die GRC in Einklang zu stehen. Auch bei einer Sechs-Tage-Woche ist durch das Zusammenspiel von AZG und ARG gewährleistet, dass AN nach dem jeweils letzten Tag ihrer Arbeitswoche die Ruhezeit nach Art 3 AZ-RL und danach jene nach deren Art 5 in Anspruch nehmen können. Wenn bei Schichtarbeitsmodellen anderes gilt, dann nur wegen der Ausnahme in § 5 Abs 1 und 2 ARG, jedenfalls soweit diese sich auf die Abweichungsermächtigung in Art 17 Abs 4 lit a AZ-RL stützen kann.*

In allen anderen Fällen wird zunächst der Vorgabe des Art 3 AZ-RL bereits durch § 12 Abs 1 AZG entsprochen. Dort wird sogar noch viel deutlicher (argNach Beendigung der Tagesarbeitszeit“) als in der RL selbst zum Ausdruck gebracht, was der EuGH bei deren Auslegung verlangt, nämlich dass sich AN, damit sie sich tatsächlich ausruhen können, für eine bestimmte Zahl von Stunden, die nicht nur zusammenhängen, sondern sich auch unmittelbar an eine Arbeitsperiode anschließen müssen, aus ihrer Arbeitsumgebung zurückziehen können müssen (Rn 56). Zu jener Situation, wie sie der MÁV-Entscheidung zu Grunde liegt, kann bzw darf es nach österreichischem Recht insoweit gar nicht kommen, zumal es für den Anspruch nach § 12 Abs 1 AZG keine Rolle spielt, ob am nächsten Tag wieder gearbeitet werden muss oder nicht.

Damit fällt gerade jene Prämisse weg, die den EuGH erst zur Feststellung gebracht hat, dass eine „Kompensation“ des Entfalls der täglichen Ruhezeit durch ein über die Vorgabe der RL hinausgehendes Ausmaß der wöchentlichen Ruhezeit als unzulässig anzusehen sei. Es findet aber auch – abgesehen von den genannten Ausnahmen – keine Verkürzung des in Art 5 AZ-RL gewährleisteten Rechts auf eine kontinuierliche Mindestruhezeit von 24 Stunden statt und ist zudem bei unionsrechtskonformer Auslegung des § 12 AZG iVm §§ 3 und 4 ARG gewährleistet, dass diese Zeit (wie in Rn 57 der E gefordert) erst beginnt, wenn der*die AN die tägliche Ruhezeit in Anspruch genommen hat. So gesehen betrifft das Urteil C-477/21 uE einen anderen Fall als er sich bei richtiger Anwendung des österreichischen Rechts ergibt.

Was bleibt, ist damit noch die Frage, ob sich nicht gerade vor dem geschilderten Hintergrund die Notwendigkeit einer Mindestruhezeit von insgesamt 47 Stunden pro Woche ergibt, weil demnach schon bei Auslegung des nationalen Rechts die tägliche Ruhezeit nach § 12 AZG und die Ruhezeiten nach §§ 3, 4 ARG zu kumulieren wären. Dagegen spricht jedoch nicht nur eine teleologische, sondern auch eine historische Interpretation der nationalen Regelungen, die schon lange vor dem EU-Beitritt bestanden haben und immer so verstanden wurden, dass bei einem Zusammenfallen von täglicher und wöchentlicher Ruhezeit erstere in letzterer aufgeht und nicht kumulativ zu gewähren ist.* Versteht man dieses „Aufgehen“ richtig dahingehend, dass das nationale Recht den Anspruch auf tägliche Ruhezeit nach Beendigung der jeweils täglichen Arbeitszeit gerade nicht ausschließt, sondern die längere Ruhezeit in §§ 3 Abs 1 bzw 4 ARG vielmehr neben der Erfüllung des Art 5 AZ-RL auch als eine „Miterfüllung“* der Vorgaben in Art 3 AZ-RL anzusehen ist, steht dies auch nicht in Widerspruch zur MÁV-Entscheidung: Denn der EuGH schließt eben nur aus, dass die tägliche Mindestzeit durch eine längere wöchentliche Ruhezeit ausgeschlossen wird (oder umgekehrt); dies ist nach dem österreichischen Recht aber nicht der Fall. Abgesehen davon, dass der EuGH die „wöchentliche Ruhezeit“ in Art 5 AZ-RL als autonomen Begriff des Unionsrechts versteht (Rn 47 f des Urteils), ist auch in §§ 3 und 4 ARG gerade nicht die Rede von „wöchentlicher Ruhezeit“, sondern wird normiert, dass die AN „in jeder Kalenderwoche“ Anspruch auf eine „ununterbrochene Ruhezeit von 36 Stunden“ haben. Diese Ruhezeit setzt sich aus der täglichen Ruhezeit iSd Art 3 AZ-RL (und § 12 AZG) zuzüglich der wöchentlichen Ruhezeit iSd Art 5 AZ-RL zusammen.

Insgesamt erscheint daher mit guten Gründen vertretbar, dass die österreichische Rechtslage trotz 21

der E C-477/21 unionsrechtskonform ist und aus AZG und ARG auch nicht im Wege einer unionsrechtskonformen Auslegung die Notwendigkeit einer Mindestruhezeit von insgesamt 47 Stunden pro Woche abzuleiten ist.*

3.
Falls der österreichische Gesetzgeber doch Handlungsbedarf sieht

Das schließt nicht aus, dass sich der nationale Gesetzgeber doch zumindest um eine Klarstellung bemühen sollte, wie es im bisherigen Schrifttum ganz überwiegend gefordert bzw befürwortet wird. Dies könnte vor allem in der Form erfolgen, dass die Wochen(end)ruhe in §§ 3 Abs 1 bzw 4 ARG aus einer wöchentlichen Ruhezeit und der täglichen Ruhezeit iSd § 12 Abs 1 AZG besteht, wobei letztere ersterer ausdrücklich voranzugehen hat. Ob dabei allerdings das jeweilige Mindestausmaß nach der AZ-RL übernommen werden könnte, also 11 plus 24 = 35 Stunden,* erscheint zweifelhaft.

Damit könnte ein anderer Widerspruch zur AZ-RL auftreten, sieht doch deren Art 23 vor, dass „die Durchführung dieser Richtlinie keine wirksame Rechtfertigung für eine Zurücknahme des allgemeinen Arbeitnehmerschutzes dar[stellt]“. Hinsichtlich der Reichweite dieses offenkundigen Verschlechterungsverbotes und seiner Relevanz für die vorliegende Problemstellung stellen sich vor allem zwei Fragen. Zum einen könnte zweifelhaft sein, ob unter „Durchführung“ nur die erstmalige Umsetzung der Vorgaben der RL zu verstehen ist oder ob eine Schutzposition der AN, die unabhängig von dieser RL besteht, schlechthin nicht mehr zurückgenommen, also zum Nachteil der AN verändert werden darf. Zum anderen könnte fraglich sein, welche Bereiche nicht von Verschlechterungen betroffen sein dürfen, wenn hier von „allgemeinem Arbeitnehmerschutz“ die Rede ist.

Der letztgenannte Begriff wird wohl weit zu verstehen sein. Das ergibt sich schon aus der gemeinsamen Grundlage im Primärrecht (Art 153 AEUV [ex-Art 137 EGV]) und dem engen Regelungszusammenhang, den die AZ-RL zum allgemeinen Arbeitsschutzrecht aufweist: Hier sei zunächst der Gleichlauf im Anwendungsbereich erwähnt, hinsichtlich dessen Art 1 Abs 3 AZ-RL auf Art 2 der Arbeitsschutz-Rahmen-RL 89/391/EWG verweist. Auf die Vorschriften bzw Grundsätze der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der AN nehmen aber auch zahlreiche andere Bestimmungen der AZ-RL (insb deren Art 6, 12, 15 und vor allem 17) Bezug. Insofern können Verbesserungen für die AN, die sich aus der Durchführung der AZ-RL ergeben, nicht durch Verschlechterungen in anderen Bereichen des AN-Schutzes „kompensiert“ werden. Da zum AN-Schutz aber unzweifelhaft – und zwar nach nationalem wie nach unionalem Recht – auch das Arbeitszeitrecht gehört, steht Art 23 AZ-RL auch der Zurücknahme von AN-Rechten im Arbeitszeitrecht entgegen, sofern sich diese auf die Durchführung dieser RL gründet.*

Als Durchführung kann nun nicht bloß die erstmalige Umsetzung der AZ-RL verstanden werden. Dass vielmehr jede Änderung, die in Zusammenhang mit dieser RL im nationalen Recht erfolgt, als „Zurücknahme des allgemeinen AN-Schutzes“ und damit potenziell im Widerspruch zum Unionsrecht zu sehen ist (argkeine wirksame Rechtfertigung“), ergibt sich schon aus dem Umstand, dass die jeweils erforderlichen Maßnahmen nicht nur auf Gesetzes- oder Verordnungsebene, sondern auch in „Tarifverträgen oder Vereinbarungen zwischen den Sozialpartnern“ (vgl nur die Art 15 oder 17 Abs 2 AZ-RL) getroffen werden können. Dazu kommt auch und vor allem, dass der Arbeitszeitschutz nach Art 31 GRC ein Unionsgrundrecht darstellt. Bei der Durchführung geht es somit um einen permanenten Prozess, so dass jede einschlägige Änderung an Art 23 AZ-RL zu messen ist.

Eine Anpassung insb des § 3 Abs 1 ARG dahingehend, dass die wöchentliche Ruhezeit nur mehr das Mindestmaß nach der AZ-RL von 11 plus 24 Stunden umfasste, wäre nun eindeutig eine Verschlechterung im Vergleich zum status quo ante. Und schon allein der zeitliche Zusammenhang mit der MÁV-Entscheidung und die darauf entstandene Diskussion im arbeitsrechtlichen Schrifttum wären schwer zu entkräftende Hinweise darauf, dass es sich hier um Änderungen handeln würde, die im Zuge der „Durchführung dieser Richtlinie“ vorgenommen werden. Selbiges wäre wohl anzunehmen, wenn künftig tägliche und wöchentliche Ruhezeit nicht mehr zwingend zusammenhängend gewährt werden müssten.

Keine Änderung, die als „Zurücknahme des allgemeinen AN-Schutzes“ verstanden werden kann, läge dagegen vor, wenn die Differenzierung zwischen täglicher und wöchentlicher Ruhezeit klargestellt würde, das bisherige Ausmaß von ununterbrochener Ruhezeit von 36 Stunden je Kalenderwoche, die den Sonntag oder einen anderen ganzen Wochentag einschließt, aber gewahrt bliebe. Ein Konflikt mit dem Verschlechterungsverbot könnte hier nur dann entstehen, wenn man der Auffassung wäre, dass aus dem Urteil des EuGH zu C-477/21 die Notwendigkeit resultieren würde, die Zeiten nach § 12 Abs 1 AZG und §§ 3 Abs 1 bzw 4 ARG zu kumulieren, und daher eine Ruhezeit von insgesamt 47 Stunden eingehalten werden müsste. Da das Zusammenspiel zwischen diesen beiden Bestimmungen uE jedoch so zu verstehen ist, dass eine andere Situation vorliegt als sie in der MÁV-Entscheidung zu beurteilen war, sollte auch das Verschlechterungsverbot in Art 23 AZ-RL kein Problem darstellen.

4.
Fazit

Wie leider nicht so selten bei arbeitsrechtlichen EuGH-Entscheidungen ruft auch das Urteil in der Rs C-477/21, MÁV-START, erhebliche Unsicherheiten hervor. Es scheint in der Tat unglücklich 22

formuliert und lässt viel Raum für Spekulationen offen.* Reduziert man allerdings seine Aussagen auf Konstellationen wie im dortigen Ausgangsfall, in dem ein Anspruch, nämlich jener nach Art 3 AZ-RL, ausgeschlossen wurde, wird erkennbar, dass sie nicht auf die österreichische Rechtslage übertragbar sind. Mit Wolf/Jöst* kann daher auch uE davon ausgegangen werden, dass die nationalen Regelungen über die tägliche und wöchentliche Ruhezeit und deren Zusammenspiel mit dem Unionsrecht in Einklang stehen.

Nicht zuletzt zur Stärkung der Rechtssicherheit und der Stabilität der Rechtsanwendung wäre dennoch eine gesetzliche Klarstellung wünschenswert. Dafür könnte etwa folgende Neuformulierung des ersten Satzes in § 3 Abs 1 ARG in Betracht kommen: „Der*Die Arbeitnehmer*in hat in jeder Kalenderwoche Anspruch auf eine ununterbrochene Ruhezeit von 25 Stunden, die unmittelbar an eine Ruhezeit nach § 12 Abs 1 AZG anzuschließen und in die der Sonntag zu fallen hat (Wochenendruhe).“ Die Parallelregelung in § 4 Satz 1 ARG könnte dann lauten: „Der*Die Arbeitnehmer*in, der*die ... während der Zeit der Wochenendruhe beschäftigt wird, hat in jeder Kalenderwoche an Stelle der Wochenendruhe Anspruch auf eine ununterbrochene Ruhezeit von 25 Stunden, die unmittelbar an eine Ruhezeit nach § 12 Abs 1 AZG anzuschließen hat (Wochenruhe).