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Zurückverweisung wegen geänderter Rechtslage zur Anrechnung von Vordienstzeiten vor Vollendung des 18. Lebensjahres

RichardHalwax

Der Kl absolvierte bei der Bekl von 5.10.1994 bis 4.4.1998 eine Kfz-Mechanikerlehre und ist seit 5.4.1998 bei der Bekl als Kfz-Mechaniker beschäftigt. Anlässlich der Begründung des Dienstverhältnisses wurde der Vorrückungsstichtag aufgrund der Anrechnung der Lehrzeit nach Vollendung des 18. Lebensjahrs am 28.1.1997 von einem Jahr, zwei Monaten und sechs Tagen mit 29.1.1997 festgelegt. Nachdem die besoldungsrechtliche Stellung des Kl nach §§ 94b und 94c VBG neu festzusetzen war, wurden zusätzlich zu den bereits angerechneten Vordienstzeiten weitere vier Jahre und zwei Tage an „sonstigen Zeiten“ festgestellt, darunter die vor Vollendung seines 18. Lebensjahres absolvierte Lehrzeit von zwei Jahren, drei Monaten und 24 Tagen und ein Praktikum von 28 Tagen, die dem Kl zur Hälfte angerechnet wurden, soweit sie das Ausmaß von vier zur Hälfte zu berücksichtigenden Jahren überstiegen. Die Zeit nach Vollendung seines 18. Lebensjahres wurde ihm zur Gänze als Vordienstzeit angerechnet. Damit ergab sich ein Vergleichsstichtag am 27.1.1997, was einer Verbesserung des bisherigen Besoldungsdienstalters um zwei Tage entspricht.

Der Kl begehrt die Feststellung seines Vergleichsstichtags mit 17.11.1993 sowie die sich daraus ergebende Gehaltsdifferenz von € 11.706,- sA. Die Bekl hätte ihm bei der Neufestsetzung seines Vorrückungsstichtags die vor Vollendung seines 18. Lebensjahres absolvierte Lehr- und Praktikumszeit zur Gänze anrechnen müssen, weil § 94c Abs 4 VBG, wonach „sonstige Zeiten“ nur beschränkt anrechenbar seien, aufgrund der damit verbundenen Altersdiskriminierung unionsrechts- und verfassungswidrig sei.

Das Erstgericht wies die Klage ab. Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und ließ die ordentliche Revision nicht zu. Dagegen richtet sich die außerordentliche Revision des Kl. Die Bekl beantragte, der Revision nicht Folge zu geben.

Die Revision ist entgegen dem den OGH nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts im Hinblick auf die zwischenzeitlich ergangene E des EuGH vom 20.4.2023 zu C-650/21, Landespolizeidirektion Niederösterreich und Finanzamt Österreich, zulässig und iSd Aufhebungsantrags auch berechtigt. Die Rechtssache war zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen.

Der EuGH sprach zu C-88/08, Hütter (vom 18.6.2009), aus, dass die damalige österreichische Rechtslage, nach welcher bei der Festlegung des Besoldungsdienstalters von Vertragsbediensteten die Berücksichtigung von vor Vollendung des 18. Lebensjahrs liegenden Dienstzeiten ausgeschlossen war, gegen Art 1, 2 und 6 der RL 2000/78/EG zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf verstößt, was eine Änderung des österreichischen Vertragsbedienstetengesetzes erforderlich gemacht hat.

Später ordnete der Gesetzgeber der 2. Dienstrechts-Novelle 2019, BGBl I 2019/58, mit § 94b Abs 1 VBG eine Neueinstufung jener Vertragsbediensteten an, deren Vorrückungsstichtag unter Ausschluss der Anrechnung der vor dem 18. Geburtstag zurückgelegten Zeiten festgesetzt wurde. Nach § 94c Abs 2 Z 1 VBG ist für die Ermittlung des Vergleichsstichtags die Bestimmung des § 26 Abs 1 Z 2 lit b VBG idF der 2. Dienstrechts-Novelle 2007, BGBI I 2007/96, anzuwenden, wonach bestimmte sonstige Zeiten bis zu drei Jahren zur Gänze und bis zu weiteren drei Jahren zur Hälfte anzurechnen sind. Abweichend von diesen Bestimmungen sind sonstige Zeiten, die bis zum Höchstausmaß von drei Jahren zur Hälfte zu berücksichtigen sind, nach § 94c Abs 3 Z 4 VBG bis zum Höchstausmaß von sieben Jahren zur Hälfte zu berücksichtigen, nach § 94c Abs 4 VBG aber bei der Ermittlung des Vergleichsstichtags nur insoweit voranzustellen, als sie das Ausmaß von vier zur Hälfte zu berücksichtigenden Jahren übersteigen.

Der VwGH hatte zu Ra 2020/12/0068 vom 18.7.2023 Bedenken an der Unionsrechtskonformität der § 94c Abs 4 VBG entsprechenden Regelung in § 169g Abs 4 GehG, weil die beschränkte Anrechnung dazu führe, dass DN, die ihre sonstigen Zeiten vor Vollendung des 18. Lebensjahrs zurückgelegt haben, keine Verbesserung ihrer besoldungsrechtlichen Stellung erfahren würden, und leitete deshalb ein Vorabentscheidungsverfahren ein.

Nunmehr hat der EuGH zu C-650/21, Landespolizeidirektion Niederösterreich und Finanzamt Österreich, ausgesprochen, dass Art 1, 2 und 6 Gleichbehandlungsrahmen-RL 2000/78/EG iVm Art 21 der Grundrechtecharta dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, nach der ein Besoldungssystem, das für diskriminierend befunden wurde, weil nur nach Vollendung des 18. Lebensjahrs zurückgelegte Vordienstzeiten berücksichtigt wurden, durch die Ermittlung eines Vergleichsstichtags korrigiert wird, bei dem die zur Hälfte zu berücksichtigenden „sonstigen Zeiten“ zwar von drei auf sieben Jahre angehoben wurde, aber nur insoweit anzurechnen sind, als sie vier Jahre übersteigen. Nach Ansicht des EuGH wird die zur Hälfte erfolgende Berücksichtigung der im Alter von 14 bis 18 Jahren zurückgelegten anrechenbaren Zeiten durch den in § 169g Abs 4 GehG 2020 vorgesehenen Pauschalabzugs von vier Jahren neutralisiert, sodass Beamte, die nur über solche vor Vollendung des 18. Lebensjahrs zurückgelegte Zeiten verfügen, 96 trotz der Anhebung der Obergrenze der zu berücksichtigenden Zeiten um vier Jahre wohl keinen Anspruch auf eine wesentliche Verbesserung ihrer besoldungsrechtlichen Stellung haben. Eine solche Rechtslage scheint daher nicht geeignet zu sein, ein diskriminierungsfreies System zu schaffen, sondern vielmehr die durch das frühere System geschaffene Diskriminierung wegen des Alters festzuschreiben.

Der Gesetzgeber hat auf diese E des EuGH mittlerweile dadurch reagiert, dass die verfahrensgegenständlichen Anrechnungsbestimmungen in § 94c Abs 3 Z 4 und Abs 4 VBG mit BGBl I 2023/137 dahin geändert wurden, dass sonstige Zeiten, die nicht zur Gänze dem Tag der Anstellung voranzustellen sind und nach dem Ende der allgemeinen Schulpflicht von neun Jahren absolviert wurden, im Umfang von 42,86 % des Gesamtausmaßes dieser Zeiten und allenfalls nur bis zum Höchstausmaß von insgesamt drei Jahren und sechs Monaten zu berücksichtigen sind. Bei Vertragsbediensteten, deren besoldungsrechtliche Stellung bereits nach § 94b Abs 1 VBG neu festgesetzt wurde, ist die besoldungsrechtliche Stellung nach § 94b Abs 9 VBG idF BGBl I 2023/137 mit der Maßgabe neu festzusetzen, dass an Stelle des bereits ermittelten Vergleichsstichtags der Vergleichsstichtag gem § 94c VBG in der geltenden Fassung tritt. Diese Neuregelung betrifft auch den Kl.

Nach § 182a ZPO hat das Gericht das Sach- und Rechtsvorbringen der Parteien mit diesen zu erörtern und darf seine Entscheidung auf rechtliche Gesichtspunkte, die eine Partei erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten hat, nur stützen, wenn es diese mit den Parteien erörtert und ihnen Gelegenheit zur Äußerung gegeben hat. Daraus folgt, dass das Klagebegehren nach Maßgabe der neuen Rechtslage zur Neufestsetzung der besoldungsrechtlichen Stellung des Kl und der Bemessung seiner Bezüge zum Gegenstand einer Erörterung vor dem Erstgericht zu machen ist.