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Beurteilung, ob ein Urteil oder ein Beschluss vorliegt, richtet sich nach der vom Gesetz vorgesehenen Entscheidungsform

KlausBachhofer

Das Erstgericht wies mit Urteil das Klagebegehren, die von der Bekl am 10.9.2021 bekannt gegebene Kündigung des Kl aus dem Dienstverhältnis zur Bekl sei rechtsunwirksam, ab. Da dem Kl das Kündigungsschreiben der Bekl am 16.8.2021 durch Hinterlegung zugestellt worden sei, sei die mit der Klage vom 24.9.2021 vorgenommene Anfechtung der Kündigung außerhalb der zweiwöchigen Frist des § 105 Abs 4 ArbVG und damit verspätet erfolgt.

Das Rekursgericht wies die als Rekurs zu behandelnde „Berufung“ des Kl und die „Berufungsbeantwortung“ der Bekl als verspätet zurück. Die Anfechtungsfrist gegen eine Kündigung sei eine prozessuale Frist, nach § 105 Abs 4 ArbVG verspätete Anfechtungsklagen seien analog § 543 ZPO mit Beschluss zurückzuweisen. Die Abweisung des Klagebegehrens in Urteilsform erweise sich demnach als verfehlt. Die Zulässigkeit einer Anfechtung richte sich allein nach der vom Gesetz vorgeschriebenen Entscheidungsform. Das Vergreifen in der Entscheidungsform beeinflusse weder die Zulässigkeit noch die Behandlung des Rechtsmittels, weil selbst ein Gerichtsfehler nicht zur Verlängerung von Notfristen führen dürfe. Dies gelte auch für den vorliegenden Fall der fälschlichen Abweisung eines Klagebegehrens mit Urteil, welches richtigerweise mit Beschluss hätte zurückgewiesen werden müssen. Hier habe das Erstgericht in den Entscheidungsgründen unzweifelhaft und unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass der Kl die Anfechtungsfrist nach § 105 Abs 4 ArbVG nicht eingehalten habe, was, weil es sich um eine prozessuale Frist handle, zur Zurückweisung der Klage mit Beschluss hätte führen müssen. Das Erstgericht habe daher nur irrtümlich in Urteilsform entschieden. Die Entscheidung des Erstgerichts hätte daher nur mit Rekurs angefochten werden können. Das vom Kl dagegen erhobene Rechtsmittel erweise sich somit im Hinblick auf die Zustellung der erstgerichtlichen Entscheidung unter Beachtung der 14-tägigen Rekursfrist und das erst danach erfolgte Einlangen der „Berufung“ als verspätet. Auch die Rechtsmittelbeantwortung sei nicht innerhalb der 14-tägigen Rechtsmittelfrist eingebracht worden.

Der gegen diesen Beschluss erhobene Rekurs des Kl mit dem Antrag, den bekämpften Beschluss aufzuheben und dem Berufungsgericht die inhaltliche Entscheidung über seine Berufung aufzutragen, erwies sich als nicht berechtigt.

Nach stRsp ist für die Beurteilung, ob ein Urteil oder ein Beschluss vorliegt, nicht die tatsächlich gewählte, sondern die vom Gesetz vorgesehene Form der Entscheidung maßgebend. Demgemäß bestimmt sich auch die Anfechtbarkeit eines Beschlusses nach der gesetzlich vorgesehenen – also objektiv richtigen – Entscheidungsform. Der tatsächliche oder vermeintliche Wille des Gerichts, in einer bestimmten Form seine Entscheidung zu treffen, ist grundsätzlich ohne Bedeutung, soweit das Gericht nicht bewusst die Rechtsfrage anders qualifiziert und die seiner Rechtsauffassung entsprechende richtige Entscheidungsform wählt. Vergreift sich das Gericht in der Entscheidungsform, wählt es also fälschlich jene des Urteils statt jene des Beschlusses oder umgekehrt, so ändert dies nichts an der Zulässigkeit des Rechtsmittels und dessen Behandlung. 97

Welche Entscheidungsform die vom Gesetz vorgesehene, also objektiv richtige ist, bestimmt sich nach dem vom Gericht als entscheidend erachteten Umstand. War dieser Umstand ein solcher, der objektiv zu einem Beschluss zu führen hätte, liegt ein Beschluss, war es ein Umstand, der objektiv zu einem Urteil zu führen hätte, liegt ein Urteil vor. Damit ist stets anhand der Begründung der Entscheidung zu untersuchen, welchen Umstand das Gericht als entscheidend betrachtete.

Der Rekurswerber stimmt dem Berufungsgericht zwar insofern zu, vertritt jedoch für den gegenständlichen Fall unter Bezugnahme auf die OGH-E 10 ObS 54/22x vom 28.7.2022 die Rechtsansicht, dass es für die Art des zu erhebenden Rechtsmittels darauf ankomme, in welcher Entscheidungsform das Gericht entscheiden habe wollen. Hier habe das Erstgericht erkennbar nicht in Beschlussform, sondern in Urteilsform entscheiden wollen. Seine Berufung hätte daher auch als solche behandelt werden müssen.

Die der OGH-E 10 ObS 54/22x zugrundeliegende Rechtsauffassung, dass im Fall der Erledigung in Form eines Urteils anstatt mit Beschluss eine Entscheidung aber nur dann als Beschluss zu behandeln ist, wenn sie nach dem klar erkennbaren Entscheidungswillen des Gerichts – klar erkennbar zu Unrecht – bloß als Urteil bezeichnet wurde, wurde mittlerweile von den Senaten 1 und 3 ausdrücklich abgelehnt. Begründet wurde das Festhalten an der stRsp im Wesentlichen damit, dass das Abgrenzungskriterium der (Un-)Zweifelhaftigkeit des subjektiven gerichtlichen Entscheidungswillens – Umdeutung nur dann, wenn das Gericht in den Entscheidungsgründen „unzweifelhaft“ zum Ausdruck bringe, in der richtigen Form entscheiden zu wollen, dann aber „irrtümlich“ die andere wählt – einen beliebigen und nicht näher fassbaren Beurteilungsspielraum für die Rechtsmittelgerichte eröffne. Das schaffe Rechtsunsicherheit. Zudem könne das Abstellen auf die ausschlaggebende Bedeutung des Entscheidungswillens – als Kontrollüberlegung – sogar dazu führen, dass ein Vergreifen in der Entscheidungsform die Rechtsmittelfrist verkürze. Dies wäre dann der Fall, wenn ein Urteil fälschlicherweise als „Beschluss“ ausgefertigt werde und der Entscheidung ein unzweifelhaft auf Fällung eines Urteils gerichteter Entscheidungswille nicht zu entnehmen sei. In diesem Fall wäre von einem „echten“ Beschluss auszugehen, für dessen Anfechtung nur die zweiwöchige (Revisions-)Rekursfrist offen stünde.

Der erkennende Senat erachtet daher auch weiterhin die Beurteilung nach der gesetzlich vorgesehenen – also objektiv richtigen – Entscheidungsform für zutreffend, ohne dass es auf den subjektiven Willen des Gerichts ankommt.