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Entgeltfortzahlungsanspruch bei Krankheit bei Beschäftigten der Sozialversicherungsträger

GregorKaltschmid
§ 60 Abs 2a DO.A (Dienstordnung A für die Angestellten bei den Sozialversicherungsträgern Österreichs (DO.A)

Die Kl war vom 1.12.2017 bis 31.3.2022 beim bekl Sozialversicherungsträger beschäftigt. Auf das Dienstverhältnis waren die Bestimmungen des AngG sowie der DO.A anzuwenden.

Die Kl befand sich vom 16.2.2021 bis 10.3.2022 aufgrund einer Erkrankung durchgehend im Krankenstand. Die Bekl leistete (nur) bis 6.8.2021 Entgeltfortzahlung gem § 60 Abs 1 DO.A. Diese Bestimmung (idF 2021) lautet in ihren hier interessierenden Punkten wie folgt:

„(1) Ist der Angestellte durch Krankheit oder Unglücksfall an der Leistung seiner Dienste verhindert, werden die Dienstbezüge weitergezahlt, und zwar

1. die ständigen Bezüge gemäß § 35 Abs 2 Z 1 bis 10 – mit Ausnahme der Erschwerniszulage gemäß § 46 Abs 1 Z 3 lit l bis lit n – nach einer anrechenbaren Dienstzeit (§ 15) von

a) weniger als 5 Jahren….. 3 Monate zu 100 %,
b) 5 Jahren….. 6 Monate zu 100 %,
c) 10 Jahren….. 6 Monate zu 100 %
und….. 6 Monate zu 75 %,
d) 15 Jahren….. 9 Monate zu 100 %
und….. 3 Monate zu 75 %,
e) 20 Jahren….. 12 Monate zu 100 %;

2. die übrigen Dienstbezüge nach einer anrechenbaren Dienstzeit (§ 15) von weniger als 10 Jahren

durch….. 3 Monate,
10 Jahren durch….. 4 Monate,

wie folgt: …

(2) Tritt innerhalb von sechs Monaten nach Wiederantritt des Dienstes abermals eine Dienstverhinderung infolge Krankheit ein, so gilt diese als Fortsetzung der ersten Erkrankung. Ist der Anspruch nach Abs 1 erschöpft, sind auf alle weiteren Dienstverhinderungen infolge Krankheit ausschließlich § 8 Abs 1 und 2 AngG anzuwenden.

(2a) Ein neuerlicher Anspruch nach Abs 1 entsteht erst

1. nach sechs durchgehenden Monaten ohne Dienstverhinderung infolge Krankheit, oder …82

Die Kl begehrt von der Bekl 7.398,07 € brutto an Entgeltfortzahlung ab 1.12.2021, und zwar für die Dauer von acht Wochen volles Entgelt und für vier Wochen halbes Entgelt. Die Kl stützt ihren Anspruch auf § 8 Abs 2 AngG idF BGBl I 2017/153 (idF kurz: nF). Nach der gegenüber § 60 Abs 2a DO.A günstigeren Regelung des § 8 Abs 2 AngG nF entstehe mit Beginn eines neuen Arbeitsjahres ein neuerlicher Anspruch auf Entgeltfortzahlung.

Die Bekl bestritt das Klagebegehren dem Grunde nach und beantragte Klagsabweisung. Sie wandte zusammengefasst ein, dass § 8 Abs 1 und 2 AngG nF aufgrund der Übergangsbestimmungen in Art X Abs 2 Z 17 und Z 18 AngG nicht anzuwenden sei, weshalb mit Beginn des neuen Arbeitsjahres für die Kl kein neuer Entgeltfortzahlungsanspruch entstanden sei.

Die Vorinstanzen wiesen das Klagebegehren ab. Das Berufungsgericht ließ die Revision zu. Der OGH erachtete die Revision als zulässig, aber nicht berechtigt und führte aus:

Durch die mit 1.7.2018 in Kraft getretene Neuregelung des § 8 AngG wurde der Entgeltfortzahlungsanspruch der Angestellten an den der Arbeiter nach dem EFZG angeglichen. Hauptpunkte der Neuregelung waren ua, dass der Anspruch auf Entgeltfortzahlung bis zur Dauer von acht Wochen im Unterschied zur alten Rechtslage bereits nach einjähriger Dauer des Dienstverhältnisses entsteht sowie der Entfall der Wiedererkrankungsregelung des § 8 Abs 2 AngG. Reicht daher eine Arbeitsverhinderung von einem Arbeitsjahr ins nächste Arbeitsjahr, steht nunmehr mit Beginn des neuen Arbeitsjahres wieder der volle Entgeltfortzahlungsanspruch zu, und zwar auch dann, wenn im alten Arbeitsjahr wegen Ausschöpfung des Anspruchs keine Entgeltfortzahlung mehr bestand.

Nach der Übergangsregelung des Art X Z 17 AngG bleiben aber Normen der kollektiven Rechtsgestaltung (KollV, BV), die bereits vor Inkrafttreten der Neuregelung für die Angestellten bei Ersterkrankungen günstigere Regelungen auf Entgeltfortzahlung vorsahen (zB längere Entgeltfortzahlungsdauer), aufrecht. Es ist daher jeweils zu prüfen, ob bereits bestehende Regelungen des KollV bzw der BV günstiger sind als die gesetzliche Neuregelung. Nach der Übergangsregelung des Art X Z 18 AngG gilt darüber hinaus für den Fall, dass der KollV bzw die BV für die Angestellten eine günstigere Regelung für den Fall der Wiedererkrankung vorsieht (zB Zuschuss zum gesetzlichen Krankengeld), § 8 Abs 2 für die vom KollV bzw die BV erfassten AN bis zu einer Neuregelung des KollV bzw der BV weiterhin in der alten Fassung. Diese Sonderbestimmung ist notwendig, da das neue Entgeltfortzahlungsrecht bei einer Wiedererkrankung auf das Arbeitsjahr abstellt, während das Altrecht von einer Wiedererkrankung sprach, wenn die Dienstverhinderung binnen eines halben Jahres ab Wiederantritt des Dienstes nach einer Ersterkrankung eintrat und diese beiden Systeme nicht zusammenpassen.

Im Fall der Kl gilt zunächst § 8 Abs 1 und 2 AngG idF BGBl I 2017/153. Für die Anspruchsberechtigung der Kl sind aber die Übergangsbestimmungen maßgebend. Danach ist eine Günstigkeitsprüfung vorzunehmen, und zwar zwischen den Normen der DO.A und § 8 Abs 1 AngG nF (Art X Abs 2 Z 17 AngG) einerseits und § 8 Abs 2 AngG aF (Art X Abs 2 Z 18 AngG) andererseits. Damit ordnet das Gesetz selbst eine punktuelle Günstigkeitsprüfung im jeweiligen Regelungsteil an. Nach Auffassung des Senats erscheint daher eine normenbezogene Günstigkeitsprüfung geboten, wobei die jeweils objektiv günstigere Regelungsgruppe (Art X Abs 2 Z 17 AngG bzw Art X Abs 2 Z 18 AngG) als solche gilt.

Die Revision teilt grundsätzlich die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, dass die Regelung des § 60 Abs 2 DO.A günstiger sei als § 8 Abs 2 AngG aF, dies aber mit der Einschränkung, dass sich die Günstigkeit nur auf das erste Erkrankungsjahr mit jahresübergreifendem Krankenstand beziehe, weil nach der Rsp bei ununterbrochen fortdauernder krankheitsbedingter Arbeitsverhinderung mit Beginn des nächsten Arbeitsjahres ein neuer Entgeltfortzahlungsanspruch auch dann entstehe, wenn der AN zuerst wegen Ausschöpfung des Entgeltfortzahlungsanspruchs kein Entgelt mehr erhalten hatte. Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass sich diese von der Revisionswerberin zitierte Rsp (RS0111429) nur auf das EFZG bezieht. Vor der Novelle BGBl I 2017/153 galt das Arbeitsjahrprinzip für das AngG nicht. Dies war ja auch ein wesentlicher Grund für die Angleichung der (insoweit günstigeren) Entgeltfortzahlungsbestimmungen der Arbeiter und der Angestellten.

Soweit die Revisionswerberin ihren – auf § 8 Abs 2 AngG nF gestützten – Anspruch aus § 60 Abs 2 Satz 2 DO.A ableiten will, übersieht sie, dass § 60 Abs 2 DO.A auf ihren Krankenstand gar nicht anwendbar ist. Diese Bestimmung regelt den Fall einer abermaligen Dienstverhinderung nach Wiederantritt des Dienstes (§ 60 Abs 1 Satz 1 DO.A). Wie die Kl in ihrer Revision aber selbst betont, sind sämtliche Bestimmungen, die sich inhaltlich auf eine Wiedererkrankung beziehen, schon inhaltlich nicht auf den gegenständlichen Fall anwendbar, weil bei ihr ein durchgehender Krankenstand vorlag.

Wie bereits erwähnt, stützt die Kl im erstinstanzlichen Verfahren ihren Klagsanspruch auf § 8 Abs 2 AngG nF, welche Bestimmung sie gem § 60 Abs 2 und 2a DO.A angewendet wissen möchte. Auf die Bestimmung des § 60 Abs 2a DO.A (iVm § 60 Abs 1 DO.A) nimmt die Bekl in ihrer Revision – anders als in der Klage – zwar nicht mehr Bezug. Dennoch ist zu prüfen, ob der Klagsanspruch aus diesem Grund oder anderen rechtlichen Erwägungen nicht doch berechtigt ist. 83

Geht man davon aus, dass das durch die Novelle BGBl I 2017/153 eingeführte Arbeitsjahrprinzip (auch) in § 8 Abs 1 AngG nF verankert ist, weil auch bei einer Ersterkrankung, die ins nächste Arbeitsjahr reicht, nach der neuen Rechtslage mit Beginn des neuen Arbeitsjahres wieder der volle Entgeltfortzahlungsanspruch zusteht, selbst wenn im alten Arbeitsjahr wegen Ausschöpfung des Anspruchs keine Entgeltfortzahlung mehr bestand, dann kann Grundlage für den Klagsanspruch nur § 8 Abs 1 AngG nF sein. Nach Art X Abs 2 Z 17 AngG kommt § 8 Abs 1 AngG nF aber nur zur Anwendung, wenn die kollektivvertraglichen Bestimmungen der DO.A im Zusammenhang mit Ersterkrankungen keine günstigeren Regelungen vorsehen.

Vergleicht man nun § 60 Abs 1, 2a DO.A mit § 8 Abs 1 AngG nF, so ist zunächst das in § 8 Abs 1 AngG nF normierte Arbeitsjahrprinzip gegenüber dem nach § 60 Abs 2a Z 1 DO.A herrschenden Anlassfallprinzip für den Angestellten dann günstiger, wenn seine (Erst-)Erkrankung über ein Arbeitsjahr hinausgeht, weil mit Beginn des neuen Arbeitsjahres das Entgeltfortzahlungskontingent wieder aufgefüllt wird. Treten jedoch beim Angestellten innerhalb eines Arbeitsjahres zwei Ersterkrankungen auf, dann ist das Anlassfallprinzip insofern günstiger, als nach sechs durchgehenden Monaten ohne Dienstverhinderung infolge Krankheit (§ 60 Abs 2a Z 1 DO.A) wieder das volle Entgeltfortzahlungskontingent nach § 60 Abs 1 DO.A zur Verfügung steht, wohingegen nach § 8 Abs 1 AngG nF innerhalb eines Arbeitsjahres das Kontingent nur einmal zusteht. Ein Vergleich der Bezugsdauer fällt jedoch eindeutig zugunsten der DO.A aus. § 60 Abs 1 Z 1 lit a DO.A sieht schon nach einer anrechenbaren Dienstzeit von weniger als fünf Jahren eine Weiterzahlung des Entgelts für drei Monate im Ausmaß von 100 % bestimmter ständiger Dienstbezüge (§ 60 Abs 1 Z 1 DO.A) vor, während dem Angestellten nach § 8 Abs 1 AngG nF nur ein voller Entgeltanspruch bis zur Dauer von sechs Wochen und nach einer einjährigen Dauer des Dienstverhältnisses von acht Wochen zusteht. Erst wenn das Dienstverhältnis des Angestellten 25 Jahre ununterbrochen gedauert hat, hat er einen vollen Entgeltfortzahlungsanspruch von zwölf Wochen. Durch je weitere vier Wochen behält der Angestellte jeweils den Anspruch auf das halbe Entgelt. Zudem sind die in § 60 Abs 1 Z 1 lit a) bis e) DO.A normierten Verlängerungen der Entgeltfortzahlungszeiträume nach der Dauer der Dienstzeit für Angestellte, die der DO.A unterliegen, viel günstiger, als für jene Angestellten, die in den Geltungsbereich des § 8 Abs 1 AngG fallen.

Dies führt zusammengefasst zum Ergebnis, dass (auch) § 8 Abs 1 AngG nF auf den (Erst-)Erkrankungsfall der Kl nicht zur Anwendung kommt, weil der insoweit zu vergleichende Regelungsgegenstand der DO.A in seiner Gesamtheit unter Anlegung eines objektiven Maßstabs günstigere Entgeltfortzahlungsregelungen aufweist.

Der Revision der Kl war daher nicht Folge zu geben.