Probleme bei einer Erwerbstätigkeit neben der Waisenpension

MAXIMILIANWIELANDER

Die Ausübung einer Erwerbstätigkeit ist kein gesetzliches Ausschlusskriterium für das Vorliegen der sozialversicherungsrechtlichen Kindeseigenschaft nach Vollendung des 18. Lebensjahres bei laufender Schul- oder Berufsausbildung. Demnach ist auch ein Anspruch auf Waisenpension neben dem Bezug eines laufenden Erwerbseinkommens möglich – solange nicht aus dem Ausbildungsverhältnis heraus ein entsprechend hohes Einkommen bezogen wird. Kritisch wird eine Erwerbstätigkeit aufgrund der Rsp jedoch auch bei der Prüfung der überwiegenden Beanspruchung der Arbeitskraft durch die Schul- oder Berufsausbildung. Gerade jenen Waisen, die neben der Ausbildung durch Überspannung ihrer Arbeitskraft eine Beschäftigung mit 20 Wochenstunden oder mehr ausüben, wird diese Erwerbstätigkeit für den weiteren Bezug der Waisenpension eventuell zum Verhängnis – trotz ausreichenden Studienerfolgs.

1..
Kriterien der Kindeseigenschaft nach § 252 ASVG

Voraussetzung für den Anspruch auf Waisenpension ist die aufrechte Kindeseigenschaft nach § 252 ASVG.* Kinder und Wahlkinder, unter bestimmten Umständen auch Stiefkinder, erfüllen bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres ex lege den Kindheitsbegriff und haben demnach grundsätzlich einen Anspruch auf Waisenpension. Über die Vollendung des 18. Lebensjahres hinaus kann unter bestimmten Voraussetzungen die Kindeseigenschaft gem § 252 Abs 2 ASVG verlängert werden (zB auch durch Vorliegen von Erwerbsunfähigkeit). Dieser Beitrag beschäftigt sich in Folge mit dem Tatbestand der aufrechten Schul- oder Berufsausbildung (§ 252 Abs 2 Z 1 ASVG), wonach die Kindeseigenschaft bei Erfüllung aller Voraussetzungen bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres als absolute Grenze weiterbesteht.

Die kumulativen Kriterien in § 252 Abs 2 Z 1 ASVG sind:

  • Absolvierung einer Schul- oder Berufsausbildung,*

  • überwiegende Beanspruchung der Arbeitskraft durch die Ausbildung und

  • Bezug von Familienbeihilfe nach dem Familienlastenausgleichsgesetz 1967 oder* ernsthaftes und zielstrebiges Betreiben eines ordentlichen Studiums.

In der Praxis häufig strittig ist das auslegungsbedürftige Kriterium der überwiegenden Beanspruchung der Arbeitskraft, auf welches in den folgenden Abschnitten näher eingegangen wird.

2..
Überwiegende Beanspruchung der Arbeitskraft durch die Ausbildung

Die Auslegung dieses Kriteriums beschäftigt die Literatur und Rsp nun schon seit Jahrzehnten. Da der OGH bereits mit den verschiedensten Fallkonstellationen konfrontiert war, wurde das Verständnis der Bestimmung Schritt für Schritt ergänzt bzw konkretisiert. In der Praxis zeigte sich jedoch, dass dieses vage formulierte Tatbestandsmerkmal in ihrer Anwendbarkeit dennoch durchaus schwierig ist und die aktuelle Auslegung in der Rsp zu unsachlichen Ergebnissen führen kann.

2.1..
Zweck der Regelung

Durch die Prüfung der überwiegenden Beanspruchung der Arbeitskraft durch die Ausbildung soll sichergestellt werden, dass nur jene Waisen über 18 Jahre den Kindheitsbegriff erfüllen, die sich „hauptberuflich“ in Ausbildung befinden. Es kann jemandem grundsätzlich nicht zugemutet werden, neben der umfänglichen Ausbildung auch noch durch eine Erwerbstätigkeit die eigene Selbsterhaltungsfähigkeit zu sichern.* Dies war auch der Grund, 121 warum in der Stammfassung die Kindeseigenschaft dadurch bedingt war, dass man sich aufgrund der Ausbildung „noch nicht selbst erhalten kann“.* Da diese Voraussetzung explizit mit der 29. ASVG-Novelle entfallen ist, kann die Höhe des Entgelts, wenn überhaupt, nur hilfsweise als Indiz für die Feststellung des Zeitausmaßes der Beschäftigung herangezogen werden.* Genauso wenig kommt es zur Beurteilung der überwiegenden Beanspruchung darauf an, ob und wie viele Prüfungen oder Ausbildungsschritte positiv absolviert werden. Wie Panhölzl* richtig ausführt, bietet das Tatbestandsmerkmal der überwiegenden Beanspruchung – neben der Prüfung der (alternativen) Tatbestandsvoraussetzungen in lit a zum Bezug der Familienbeihilfe bzw lit b hinsichtlich des ernsthaften und zielstrebigen Betreibens eines ordentlichen Studiums – keine Grundlage für ein weiteres Erfolgskriterium hinsichtlich der Ausbildung. Erreichte ECTS-Punkte können lediglich ein Indiz für die aufgewendete Arbeitskraft sein, welches die Notwendigkeit der konkreten Feststellung des tatsächlichen Zeitaufwands durch andere Beweismittel nicht beeinflusst. Unstrittig in Rsp und Lehre ist, dass der erforderte Zeitaufwand bei der Ausbildung zur Beurteilung des Überwiegens nur anhand des konkreten Sachverhalts zu prüfen ist. Strittiger ist jedoch der Beurteilungsmaßstab der „Arbeitskraft“ bzw in Relation zu welcher Schwelle ein Überwiegen vorliegen soll.*

2.2..
Beweisschwierigkeiten bei der Feststellung

Gerade im Bereich von ordentlichen Hochschulstudien, bei denen örtliche Anwesenheit teilweise nicht verpflichtend ist und die Vorbereitung auf Leistungsabschnitte und Prüfungen – sowohl im Umfang als auch in Art und Weise – individuell ausgestaltet werden kann, ist die Objektivierung des konkreten Zeitaufwands für die Ausbildung uU äußerst schwierig. Adäquate Beweise sind objektivierbare Vorlesungszeiten mit dokumentierter Anwesenheit sowie beispielsweise die nachvollziehbaren Fahrtzeiten zum Ausbildungsort.* Daneben kann nur auf die Aussagen der Betroffenen oder jene von tauglichen Zeugen zurückgegriffen werden. Im Gegensatz zur Sachlage bei Dienstverhältnissen gibt es in Ausbildungsverhältnissen in der Regel kaum nachvollziehbare Zeitaufzeichnungen oder verbindliche Arbeitszeiten, deren Einhaltung vorausgesetzt werden kann. Erschwerend kommen bei den meisten Studiengängen zeitliche Schwankungen beim Bedarf des Arbeitseinsatzes hinzu – man denke dabei nur an die sogenannten „Prüfungswochen“.

Objektive Kriterien, wie beispielsweise die Anzahl der erreichten ECTS, werden oft langwierigen Beweisverfahren mit etlichen Parteien- und Zeugeneinvernahmen aus rein verfahrensökonomischer Sicht vorgezogen. Durch die Betrachtung der wöchentlichen Erwerbstätigkeit sind uU Rückschlüsse auf die im Vergleich dazu aufgewendete Ausbildungszeit ebenfalls denkbar – dieses In-Relation-Setzen ermöglicht aber dennoch isoliert betrachtet keineswegs konkrete Feststellungen zur Schul- oder Berufsausbildung zu treffen und führt darüber hinaus zu fragwürdigen Auslegungen des Tatbestandsmerkmals.* Grundsätzlich muss die Tauglichkeit dieser mittelbaren, objektivierbaren Beweismittel hinterfragt und jedenfalls beachtet werden, die unterschiedlichen Tatbestandsmerkmale bei der Prüfung nicht zu vermischen. Diese Gefahr zeigt sich vor allem bei Heranziehung des Studienerfolgs zur Plausibilisierung des behaupteten bzw fraglichen Zeitaufwands, welcher genau kein Erfolgskriterium darstellt.*

Eine konkrete Prüfung muss bei solchen Sachverhalten stets durch ein entsprechendes Ermittlungsverfahren erfolgen. Beispielsweise kann bei Absolvierung eines Fernstudiums neben einer Teilzeitbeschäftigung ohne nähere Feststellung des für die Ausbildung aufgewendeten Aufwands nicht allein aufgrund der Tatsache, dass ein Fernstudium idR mit einer flexibleren Zeitgestaltung verbunden ist, auf das Fehlen der überwiegenden Beanspruchung der Arbeitskraft durch das Studium geschlossen werden.*

2.3..
Rechtsprechung des OGH

Aus den oben genannten Gründen musste sich der OGH bereits mehrmals mit der Anspruchsvoraussetzung der überwiegenden Beanspruchung der Arbeitskraft durch die Schul- und Berufsausbildung auseinandersetzen.

Zum einen folgte der OGH in seiner stRsp* der bereits in der Literatur* vertretenen Ansicht, durch Vergleich der konkreten Auslastung der Arbeitskraft zu dem von der geltenden Arbeitsordnung und Sozialordnung, etwa im AZG oder in den Kollektivverträgen, für vertretbar gehaltenen Gesamtbelastung zu ermitteln, ob die Arbeitskraft durch eine Schulausbildung oder Berufsausbildung überwiegend iSd § 252 Abs 2 Z 1 ASVG beansprucht wird. Grundsätzlich ist nach Ansicht des OGH das Überwiegen bei mindestens 20 Wochenstunden für 122 die Ausbildung anzunehmen.* Beispielsweise lag bei einer Studentin der Rechtswissenschaften, deren Aufwand für die Ausbildung pro Woche mehr als 20 Stunden betrug, und die daneben als Studienassistentin im Ausmaß von 20 Wochenstunden arbeitete, Kindeseigenschaft auch nach Vollendung des 18. Lebensjahres vor.*

Ein anderer Maßstab wird nun – zusätzlich – bei Waisen herangezogen, die neben der Schul- oder Berufsausbildung noch einer Erwerbstätigkeit nachgehen. Der OGH versteht den Gesetzeswortlaut so, dass das Überwiegen der konkreten Auslastung nicht nur im Vergleich zur abstrakten Grenze der geltenden Arbeits- und Sozialordnungen (daher die 20 Wochenstunden), sondern auch konkret der Beanspruchung der Arbeitskraft durch die tatsächliche Erwerbstätigkeit, die neben der Ausbildung ausgeübt wird, vorliegen muss. Überwiegt die Inanspruchnahme durch die Erwerbstätigkeit, so fehlt es an der vom Gesetz geforderten überwiegenden Beanspruchung der Arbeitskraft durch die Ausbildung.* Bei einer Teilzeitbeschäftigung muss demnach nicht nur ein auf die Ausbildung bezogener Zeitaufwand von mindestens 20 Wochenstunden vorliegen, sondern dieser auch konkret das wöchentliche Stundenmaß der Erwerbstätigkeit überschreiten. Der OGH hat sich bei dieser Prüfung bereits mit mehreren Konstellationen auseinandergesetzt: Beispielsweise bejahte er die Kindeseigenschaft einer Studentin, die neben der Ausbildung als Angestellte mit 24 Wochenstunden arbeitete, jedoch weit mehr als 24 Stunden pro Woche für ihr Studium aufwendete.* Genauso entschied der OGH auch bei einer Studentin eines Masterstudiums an einer Fachhochschule, die während des Semesters über 30 Stunden pro Woche studierte und daneben eine Angestelltentätigkeit mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 25 Stunden ausübte.* Im Fall einer Vollzeitbeschäftigung (als Rezeptionist) verneinte der OGH hingegen die Kindeseigenschaft bei einer Beanspruchung der Arbeitskraft durch die Ausbildung im Ausmaß von in etwa 30 Wochenstunden.*

2.4..
Ungleichbehandlung durch das Erfordernis des „doppelten Überwiegens“

Im Ergebnis führt die oben angeführte stRsp des OGH dazu, dass erwerbstätige Waisen in hauptberuflicher Ausbildung im Vergleich zu nicht-erwerbstätigen Waisen, die sich ausschließlich ihrer Berufs- und Schulausbildung widmen, dadurch schlechter gestellt werden, dass eine zusätzliche höhere Schwelle hinsichtlich der Beanspruchung der Arbeitskraft herangezogen wird.* Der OGH setzt also als Maßstab für den Begriff der Arbeitskraft einerseits eine objektiv-abstrakte (Normalarbeitszeit von 40 Stunden), andererseits aber eine subjektiv-konkrete (Vergleich der tatsächlich aufgewendeten Stunden) Schwelle an.* Eine sachliche Begründung dafür lässt sich nicht erkennen. Wenn man bei Auslegung des Begriffs die geltende Arbeits- und Sozialordnung als Maßstab heranzieht, muss diese für alle Betroffenen in gleicher Weise gelten. Der OGH versucht jedoch in diesen Konstellationen dem (ursprünglichen) Zweck der Regelung besser zu entsprechen und nimmt dabei eine teleologische Reduktion bei der Begriffsauslegung vor.* Darüber hinaus wäre selbst bei einem solchen In-Relation-Setzen ein simpler Vergleich der Zeitaufwände für Ausbildung und Erwerbstätigkeit zu kurz gefasst – die Art und Intensität der neben der Ausbildung ausgeübten Erwerbstätigkeit ist jedenfalls zu beachten.*

Demnach kann Panhölzl* dahingehend gefolgt werden, dass die oben genannte Gruppenbildung durch den OGH zu unsachlichen und auch absurden Fällen führen kann. Eine Waise, die nicht oder weniger als 20 Stunden pro Woche erwerbstätig ist, muss für den Erhalt der Kindeseigenschaft nach § 252 Abs 2 Z 1 ASVG weniger Zeit für die Ausbildung aufwenden als eine andere Waise, die sich auch in einer aufrechten Berufsausbildung befindet, aber aus finanzieller Notwendigkeit oder aus anderen Gründen einer Erwerbstätigkeit in größerem Ausmaß nachgeht. Abgesehen von den Bedenken gegen die Rechtsanwendung des OGH könnte eine andere gesetzliche Regelung – wie beispielsweise in Deutschland* – dieser Auslegung die Grundlage entziehen.

3..
Relevanz des Erwerbseinkommens
3.1..
Entfall des Negativkriteriums der Selbsterhaltungsfähigkeit

Auslöser für die im Pkt 2. angeführten Überlegungen und Judikaturlinien war die 29. ASVG-Novelle 1973,* in derem Zuge der Kindesbegriff im ASVG von jenem der zivilrechtlichen Normen zum Unterhaltsrecht losgelöst wurde. Die Voraussetzung der 123 fehlenden Selbsterhaltungsfähigkeit wurde damit aufgegeben und durch das Merkmal der überwiegenden Inanspruchnahme der Arbeitskraft durch die Schul- oder Berufsausbildung ersetzt.*

3.2..
Heranziehung bei der Auslegung in der Rechtsprechung

Hinsichtlich der Frage, ob der Gesetzgeber mit der Novellierung des ASVG das Kriterium der fehlenden Selbsterhaltungsfähigkeit vollständig für die Beurteilung der Kindeseigenschaft aufgeben wollte, gibt es verschiedene Ansichten in Literatur und Rsp.* Der OGH geht jedenfalls in seiner stRsp davon aus, dass bei einer die Arbeitskraft überwiegend beanspruchenden Schul- oder Berufsausbildung die Arbeitskraft so in Anspruch genommen wird, dass eine die Selbsterhaltung garantierende Berufstätigkeit nicht zugemutet werden kann.* Aufgrund des Entfalls der fehlenden Selbsterhaltungsfähigkeit als normierte Voraussetzung ist es aber für den Anspruch auf Waisenpension nicht schädlich, wenn dennoch eine solche Berufstätigkeit ausgeübt wird.* Der OGH begründet dies ua damit, dass dieser besondere Einsatz (neben der Ausbildung) nicht mit dem Verlust der Waisenpension zu sanktionieren ist.* Anhand dieser Überlegungen stellt sich die Frage, weshalb das Argument des Vorliegens eines die Selbsterhaltungsfähigkeit sichernden Erwerbseinkommens noch immer – in gewisser Weise wertend bzw als Indiz – eine Rolle in der Rsp zu § 252 Abs 2 Z 1 ASVG einnimmt.

3.3..
Quelle des Erwerbseinkommens – neben oder aus der Ausbildung

Nachdem der OGH in seiner stRsp ein die Selbsterhaltungsfähigkeit sicherndes Erwerbseinkommen (aus einer Beschäftigung neben der Ausbildung) für den Anspruch auf Waisenpension als nicht schädlich erachtet, hat sich dennoch eine andere Judikaturlinie des OGH für diejenigen Sachverhalte entwickelt, bei denen aus der Ausbildung unmittelbar ein die Selbsterhaltungsfähigkeit* sicherndes Einkommen bezogen wird.* Laut OGH soll die zuvor geschilderte Wertung, dass ein entsprechendes Einkommen für die Kindeseigenschaft nicht schädlich ist, auf alle Fälle nicht zutreffen, wo eine Erwerbstätigkeit gleichzeitig der Ausbildung dient. Begründet wird dies mit der Subsidiarität der Pensionsgewährung gegenüber der Arbeitskraftbetätigung sowie einer vorliegenden Funktionsüberlagerung von Erwerbstätigkeit und Ausbildung. Anders als sonst schließt hier die Ausbildung die gleichzeitige Betätigung der Arbeitskraft nicht aus.* Ein im Rahmen einer solchen Arbeitstätigkeit bezogenes Erwerbseinkommen, das die Selbsterhaltungsfähigkeit ebenso sichert wie jedes andere Erwerbseinkommen aus einer Berufstätigkeit, die nicht als Ausbildungsverhältnis deklariert ist, beendet daher die Kindeseigenschaft aus.

3.4..
Analyse

ME kann anhand des Gesetzeswortlauts die Einkommenshöhe (Selbsterhaltungsfähigkeit) kein unmittelbares Prüfungskriterium mehr sein. Eine Heranziehung als Indiz für die überwiegende Beanspruchung der Arbeitskraft durch die Ausbildung kommt uU bei der Beweiswürdigung für Feststellungen zum tatsächlichen Zeitaufwand der Ausbildung in Frage. Eine allzu hohe Beweiskraft sollte man aber der reinen Einkommenshöhe jedenfalls nicht zumuten, schon allein deshalb, weil die Einkommenshöhe per se nur bedingt eine Aussage über das Zeitausmaß der Beschäftigung abgibt.*

Aus welcher Überlegung sich die unterschiedliche Behandlung von Waisen – je nachdem, ob sie einer Erwerbstätigkeit nachgehen oder nicht – ergeben soll, erschließt sich nicht wirklich. Unter gleichheitsrechtlichen Gesichtspunkten dürfen hierbei keine unterschiedlichen Maßstäbe angelegt werden.* Diese verschiedenen Maßstäbe führen besonders dann zu Problemen, wenn die Abgrenzung zwischen Berufstätigkeit und Ausbildungsverhältnis nur schwer vorgenommen werden kann.* Die Einkommenshöhe bei einem Einkommen aus der Ausbildung heraus kann nur insofern eine Rolle spielen, wenn der Erwerbszweck dem Ausbildungszweck der Tätigkeit insgesamt überwiegt und demnach gar nicht von einer Berufsausbildung auszugehen ist.* Diese Prüfung erfolgt jedoch auf einer anderen Stufe. Im Ergebnis bleibt festzuhalten, dass dem Kriterium der Selbsterhaltungsfähigkeit (dh die Höhe eines Einkommens), unabhängig davon, ob das Erwerbseinkommen aus oder neben der Ausbildung resultiert, für die Kindeseigenschaft nach § 252 Abs 2 Z 1 ASVG idgF keine Relevanz zukommt.* Bei realistischer Betrachtungsweise kann bei einer durchschnittlich hohen Waisenpension* nicht davon ausgegangen werden, dass das Kind damit allein seinen Lebensunterhalt bestreiten kann.*124

4..
Veranschaulichung anhand eines Praxisfalls

Angesichts eines aktuellen Erkenntnisses des OLG Wien vom 23.11.2023 zu 8 Rs 64/23z zeigen sich anschaulich die problematischen Ergebnisse der oben geschilderten Rechtsprechungspraxis des OGH.

4.1..
Sachverhalt

In gegenständlichen Fall handelte es sich um einen Universitätsassistenten (Prädoc), welcher ein Doktorratsstudium der technischen Wissenschaften an jener Universität, an der er auch als Universitätsassistent tätig war, absolvierte. Seine vertraglichen Aufgaben für die Erwerbstätigkeit von 30 Wochenstunden umfassten neben Forschungs- und Lehrtätigkeiten auch die Abfassung einer Dissertation. Das Erwerbseinkommen betrug über € 2.000,- brutto. Nach den vertraglich vereinbarten Arbeitszeiten blieb er stets für durchschnittlich weitere vier Stunden an der Universität, um Vorarbeiten an seiner Dissertation durchzuführen, und auch am Wochenende wendete er im Schnitt ca zehn Stunden für das Studium auf. Eine genaue Abgrenzung seiner Forschungstätigkeiten zu Vorbereitungen auf die Dissertation gestaltete sich ex ante schwierig. In Summe wendete er für die Ausbildung nach den Feststellungen des Erstgerichts jedoch höchstens 29,5 Wochenstunden auf.

4.2..
Zur Qualifikation des Erwerbseinkommens

Das Erstgericht verneinte die Kindeseigenschaft nach § 252 Abs 2 Z 1 ASVG schon deshalb, weil ein die Selbsterhaltungsfähigkeit sicherndes Erwerbseinkommen aus einer Schul- und Berufsausbildung vorliege, die nach stRsp des OGH* dem Weiterbestehen der Kindeseigenschaft entgegensteht. Die Erwerbstätigkeit als Universitätsassistent soll auch gemäß Arbeitsvertrag den Abschluss des Doktoratsstudiums fördern und biete zudem ideale Rahmenbedingungen für die Ausbildung, wonach die Zumutbarkeit der Erwerbstätigkeit neben der Ausbildung in diesem Fall gegeben sei. Zur überwiegenden zeitlichen Beanspruchung durch die Ausbildung hielt sich das Erstgericht aufgrund der davor getroffenen rechtlichen Beurteilung eher kurz, verneinte diese in Relation zur Erwerbstätigkeit jedoch auch.

Das OLG stimmte dem Kl insofern zu, dass die Tätigkeit als (prädoc) Universitätsassistent nicht als „Ausbildungstätigkeit“ zu qualifizieren ist und deswegen das Erwerbseinkommen und dessen Höhe für die Kindeseigenschaft irrelevant ist. Auch wenn die Tätigkeit nur Doktoratsstudierenden offensteht, dient sie jedoch nicht dem Abschluss des Doktoratsstudiums, sondern unterstützt dieses bloß durch die Rahmenbedingungen. Das Studium kann auch ohne einer entsprechenden Tätigkeit als Universitätsassistent absolviert werden.

4.3..
Zum Überwiegen der Beanspruchung der Arbeitskraft

Das OLG Wien beurteilte das Erwerbseinkommen als grundsätzlich nicht schädlich für den Anspruch auf Waisenpension, folgte jedoch in weiterer Folge den Feststellungen des Erstgerichts, die laut OLG als ausreichend übernommen werden konnten, bezüglich des zeitlichen Ausmaßes der Ausbildung. Die Erwerbstätigkeit übte der Kl unstrittig im Ausmaß von 30 Wochenstunden aus. Anhand der Feststellungen des Erstgerichts zu der für das Studium aufgewendeten Zeit inklusive der Pausen lägen, trotz fehlender Ableitbarkeit einer absoluten Stundenanzahl, höchstens 29,5 Wochenstunden vor, die der Kl für das Doktoratsstudium aufwende. Somit überwiege die für die Ausbildung aufgewendete Zeit nicht der Arbeitskraft des Kl im Vergleich zu der Erwerbstätigkeit mit 30 Stunden pro Woche. Das OLG bestätigte somit die „doppelte“ Subsumtion des Überwiegens gemäß der Judikatur des OGH* mit Verweis auf den Wortlaut in § 252 Abs 2 ASVG. Durch die überwiegende Berufstätigkeit entscheide sich eine Waise gegen eine „hauptberufliche“ Ausbildung und sei nicht mehr als Kind zu qualifizieren. Eine unsachliche Schlechterstellung erwerbstätiger Waisen liege nach Ansicht des Berufungsgerichts nicht vor.

5..
Fazit

Wie im Fall des Abschnitts 4. ersichtlich, zeigen sich in bestimmten Konstellationen unsachliche Ergebnisse der entwickelten Rsp des OGH zur Auslegung der überwiegenden Beanspruchung der Arbeitskraft. Der für 30 Wochenstunden erwerbstätige Universitätsassistent wird in erster Instanz schon vor konkreter Prüfung des Zeitaufwands aufgrund seiner Erwerbstätigkeit rechtlich schlechter gestellt als eine Waise, die neben demselben Studium (mit demselben Aufwand) eine andere Erwerbstätigkeit im selben zeitlichen Ausmaß mit derselben Einkommenshöhe nachgeht. Nachdem das Erwerbseinkommen nach Ansicht des Berufungsgerichts doch nicht aus einem Ausbildungsverhältnis stamme, folgt im darauffolgenden Schritt die nächste Ungleichbehandlung aufgrund des vorliegenden Zeitaufwands für die Erwerbstätigkeit. Unabhängig davon, dass nach den Feststellungen eventuell nur 30 Minuten an zeitlicher Differenz zwischen der Beanspruchung durch die Ausbildung im Verhältnis zur Berufstätigkeit standen, hätte der Kl mit dem vorliegenden Zeitaufwand für die Ausbildung die Kindeseigenschaft nach § 252 Abs 2 Z 1 ASVG zweifellos erfüllt, wenn er neben der Ausbildung nur 25 Wochenstunden oder gar nicht gearbeitet hätte.125

Da sich der OGH zu den oben angeführten rechtlichen Problemstellungen in seiner Rechtsprechungspraxis seit mittlerweile Jahrzehnten regelrecht festgefahren hat, scheint eine Judikaturwende mit dem momentanen Gesetzeswortlaut des § 252 Abs 2 Z 1 ASVG nicht realistisch. Das vage Tatbestandsmerkmal und die von der Rsp herangezogenen Auslegungsmaßstäbe sind mittlerweile völlig überholt und bedürfen einer Novellierung. Das Kriterium der überwiegenden Beanspruchung muss ähnlich zu den Erfolgskriterien klar definiert werden. Im Optimalfall sollte durch eine Neuerung auch der vom Gesetzgeber intendierte Zweck aus dem Gesetzestext und den Erläuterungen klarer hervorkommen, um eine ähnliche richterliche Auslegungsbedürftigkeit der Norm wie nach der 29. ASVG-Novelle zu vermeiden.

Hinsichtlich der zeitlichen Komponente ist vor dem Hintergrund der Rechtssicherheit die Einführung einer für alle Betroffenen gleich geltenden Grenze des für die Ausbildung zumindest aufzubringenden tatsächlichen Zeitaufwands, ähnlich der deutschen Regelung, durchaus überlegenswert. Wenn man – Binder* folgend – absolute Zeitgrenzen ablehnt, könnte auch durch normierten Hinweis auf die geltende Arbeits- und Sozialordnung eine Konkretisierung des Maßstabs erreicht werden, der für alle Waisen gleich zu gelten hätte und welcher gemäß den rechtlichen Entwicklungen bzw den aktuellen Umständen entsprechend auszulegen wäre.

Eine finanzielle Überversorgung von Waisen ist anhand der niedrigen Durchschnittspensionen zwar in den seltensten Fällen zu befürchten,* sollte eine Hintanhaltung solcher Konstellationen jedoch gewünscht und hohe Erwerbseinkommen als schädlich für die sozialversicherungsrechtliche Leistung einer Waisenpension angesehen werden, kann der Gesetzgeber dies durch Zuverdienstgrenzen oder (Teil-)Ruhensbestimmungen klar regeln.*

Die momentane Auslegungspraxis bezogen auf § 252 Abs 2 Z 1 ASVG ist inkonsistent und für einige Sachverhaltskonstellationen leider nicht sachgerecht. Weshalb eine Regelung für idR niedrige und zeitlich begrenze Pensionsleistungen für verwaiste Kinder in Ausbildung derart restriktiv und unsachlich differenziert angewendet wird, kann auch durch die umfassenden rechtlichen Ausführungen des OGH in seiner langjährigen Rsp nicht wirklich nachvollzogen werden.