69Kollektivvertrag für Arbeiter im Güterbeförderungsgewerbe: Entgeltfortzahlung bei Arbeitsunfall
Kollektivvertrag für Arbeiter im Güterbeförderungsgewerbe: Entgeltfortzahlung bei Arbeitsunfall
Der Kl war bei der mittlerweile insolventen A* GmbH als Lkw-Fahrer beschäftigt und erlitt am 9.12.2021 einen Arbeitsunfall, den er weder vorsätzlich noch grob fahrlässig herbeigeführt hat. Er befand sich im Krankenstand und bezog ab 6.2.2022 Krankengeld. Auf das Arbeitsverhältnis ist der KollV für Arbeiter im Güterbeförderungsgewerbe anzuwenden, der in Art XIII Pkt 6 folgende Regelung vorsieht: „Ist ein Dienstnehmer oder Lehrling durch Krankheit (Unglücksfall) an der Arbeitsleistung verhindert, ohne dass er die Verhinderung vorsätzlich oder durch grobe Fahrlässigkeit herbeigeführt hat, sind entgeltfreie Zeiten der Arbeitsverhinderung bei der Berechnung von Urlaubszuschuss und Weihnachtsremuneration voll zu berücksichtigen (keine Aliquotierung).
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Die bekl IEF-Service GmbH lehnte den Antrag des Kl auf Gewährung von Insolvenz-Entgelt im Teilbetrag von € 166,- ab. Der Kl habe während der entgeltfreien Zeit keinen Anspruch auf Urlaubszuschuss und Weihnachtsremuneration, weil Art XIII Pkt 6 des KollV nicht für Arbeitsunfälle gelte. Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Der KollV sei iS einer verfassungskonformen Auslegung dahin zu verstehen, dass Sonderzahlungen auch im Fall einer Dienstverhinderung aufgrund eines Arbeitsunfalls gebühren, weil es nicht sachgerecht wäre, die davon betroffenen AN schlechter zu stellen. Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und ließ die Revision mangels höchstgerichtlicher Rsp zur Auslegung von Art XIII Pkt 6 des KollV zu. Der OGH wies die Revision der Bekl mit folgender Begründung ab:
Der normative Teil eines KollV ist gem §§ 6 und 7 ABGB nach seinem objektiven Inhalt auszulegen. In erster Linie ist der Wortsinn – auch im Zusammenhang mit den übrigen Regelungen – zu erforschen und die sich aus dem Text des KollV ergebende Absicht der Kollektivvertragsparteien zu berücksichtigen. Bei Übernahme gesetzlicher Begriffe durch einen KollV ist im Zweifel davon auszugehen, dass der KollV diese Begriffe im gleichen Sinne verwendet wie das Gesetz.
§ 2 EFZG sieht bei „Krankheit (Unglücksfall)“ eine sechswöchige, bei „Arbeitsunfall oder Berufskrankheit“ eine achtwöchige Fortzahlung des Entgelts vor. Dies entspricht den Reglungen in § 1154b ABGB und § 8 AngG. Der Arbeitsunfall unterliegt damit im Vergleich zu den sonstigen Unglücksfällen einer besonderen Regelung. Daraus kann aber nicht abgeleitet werden, dass ein Arbeitsunfall kein Unglücksfall iSd Art XIII Pkt 6 des KollV ist. Nach dem herrschenden Begriffsverständnis ist der Begriff „Unglücksfall“ mit „Unfall“ gleichzusetzen und bezeichnet ein von außen kommendes, plötzliches oder zumindest zeitlich begrenztes Ereignis, das die körperliche oder seelische Integrität beeinträchtigt. Damit umfasst der Begriff „Unglücksfall“ nicht nur Freizeitunfälle, sondern auch Arbeitsunfälle, die nach den gesetzlichen Entgeltfortzahlungsregelungen eine längere Entgeltfortzahlungspflicht auslösen.
Bei der Auslegung von Kollektivverträgen ist im Zweifel davon auszugehen, dass die Kollektivvertragsparteien eine vernünftige, zweckentsprechende und praktisch durchführbare Regelung treffen, einen gerechten Ausgleich der sozialen und wirtschaftlichen Interessen herbeiführen sowie unsachliche Differenzierungen vermeiden wollten. Darüber hinaus sind die Kollektivvertragsparteien bei der Gestaltung des KollV an den mittelbar wirkenden verfassungsrechtlichen Gleichheitsgrundsatz und das sich daraus ergebende Sachlichkeitsgebot gebunden.
Im Anlassfall ist kein sachlicher Grund ersichtlich, der es rechtfertigen könnte, den AN nach einem Arbeitsunfall schlechter zu stellen als nach einem Freizeitunfall, weshalb auch den Parteien des KollV für Arbeiter im Güterbeförderungsgewerbe keine solche Absicht unterstellt werden darf. Der Begriff „Krankheit (Unglücksfall)“ in Art XIII Pkt 6 des KollV für Arbeiter im Güterbeförderungsgewerbe ist daher im Ergebnis dahin auszulegen, dass auch Arbeitsunfälle mitumfasst sind.