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Vordienstzeitenanrechnung nach VBG: Zurückverweisung an das Erstgericht bei Änderung der Rechtslage im laufenden Verfahren

RichardHalwax

Auf das Dienstverhältnis der Kl ist unstrittig das Vertragsbedienstetengesetz 1948 (VBG 1948) anwendbar. Ab 1.9.2004 war die Kl im Rahmen eines unbefristeten Dienstverhältnisses beschäftigt und in das Entlohnungsschema I L eingestuft. Mit dem „4. Nachtrag“ zum Dienstvertrag vom 27.9.2004 wurde der Kl der Vorrückungsstichtag mit 13.6.1999 bekanntgegeben. Der Kl wurde ein Berechnungsblatt zur Ermittlung des Vorrückungsstichtags ausgehändigt, in dem ihr – unter Einrechnung eines Überstellungsverlustes von 4 Jahren gem § 26 Abs 6 VBG 1948 – das Gesamtausmaß der dem Einstellungstag 1.9.2004 voranzusetzenden Zeiten mit 5 Jahren, 2 Monaten und 18 Tagen mitgeteilt wurde.

Mit Mitteilung vom 15.6.2021 wurde die besoldungsrechtliche Stellung der Kl aufgrund der 2. Dienstrechtsnovelle 2019, BGBl I 2019/58 (DRN 2019), zum Ablauf des 28.2.2015 gem den §§ 94b Abs 1 und 4, 94c VBG (Vergleichsstichtagsberechnung) neu festgesetzt. An zur Gänze zu berücksichtigenden Vordienstzeiten seien 8 Jahre, 4 Monate und 1 Tag, an sonstigen Zeiten (bereits halbiert) 1 Jahr und 6 Monate dem Tag der Anstellung voranzustellen. Unter Berücksichtigung des Überstellungsverlustes ergebe sich daraus der 30.10.1998 als um 226 Tage verbesserter Vergleichsstichtag. Weitere Zeiten – insb auch die hier verfahrensgegenständlichen – könnten nicht angerechnet werden, weil darüber bereits rechtlich bindend entschieden worden sei.

Die Kl begehrt die Zahlung von € 38.662,71 an Entgeltdifferenzen und die Feststellung, dass Vordienstzeiten vom 1.10.1991 bis 31.7.1992 und vom 8.2.1993 bis 30.9.1995, daher weitere 42 Monate, auf das Dienstalter und den Vorrückungsstichtag anzurechnen seien, sowie dass kein Überstellungsverlust in Abzug zu bringen sei. Die Bekl wandte insb ein, dass über die von der Kl geltend gemachten Zeiten nach dem 18. Lebensjahr bereits bei der Vergleichsstichtagsberechnung rechtlich bindend entschieden worden sei, sodass ihre neuerliche Beurteilung gem § 94c Abs 6 VBG 1948 ausgeschlossen sei.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Das Berufungsgericht hob diese Entscheidung über Berufung der Kl auf und verwies die Rechtssache an das Erstgericht zurück. Bereits ausgehend vom unstrittigen Sachverhalt sei die von der Bekl behauptete Bindungswirkung des § 94c Abs 6 VBG 1948 zu verneinen. Das Verfahren erweise sich daher als ergänzungsbedürftig, weil eine inhaltliche Prüfung der von der Kl geltend gemachten Zeiten dahin vorzunehmen sei, ob diese als sonstige Zeiten anzurechnen seien, wenn es sich um Zeiten einer gleichwertigen Berufstätigkeit iSd § 26 Abs 2 Z 1a VBG 1948 idgF handle. Nach Klärung dieser Frage sei die Frage des Überstellungsverlusts zu prüfen sowie die E des EuGH C-650/21 vom 20.4.2013 mit den Parteien zu erörtern.

Gegen diese E richtet sich der von der Kl beantwortete Rekurs der Bekl, mit dem diese die Abweisung der Klage anstrebt. Zur Frage der Bindungswirkung des § 94c Abs 6 VBG 1948 liege mit der OGH-E 9 ObA 123/22m vom 27.4.2023 bereits Rsp vor, aus der sich ergebe, dass diese Bindungswirkung im vorliegenden Fall zum Tragen komme, sodass eine neuerliche E über die von der Kl im Verfahren behaupteten Vordienstzeiten nicht in Frage komme.

Der Rekurs war laut OGH zulässig, aber nicht berechtigt.

Der OGH weist darauf hin, dass sich eine Auseinandersetzung mit der im Rekurs relevierten Frage der Bindungswirkung im Hinblick auf eine nach der Berufungsentscheidung und dem Einlangen der Schriftsätze der Parteien im Rekursverfahren erfolgte Änderung der Rechtslage erübrige, auf die der OGH von Amts wegen Bedacht zu nehmen habe:

Mit BGBl I 2023/137 wurde ua das VBG 1948 geändert. Daraus ist als für das vorliegende Verfahren wesentlich hervorzuheben:

§ 94b VBG 1948 wurden die Abs 9 und 10 angefügt (Art 2, Z 1b), die lauten:

„(9) Bei der oder dem Vertragsbediensteten, deren oder dessen besoldungsrechtliche Stellung bis zum Tag der Kundmachung des Bundesgesetzes BGBl I Nr 137/2023 bereits gemäß Abs 1, 2 oder 3 neu festgesetzt wurde, ist die besoldungsrechtliche Stellung 171gemäß Abs 4 und 5 mit der Maßgabe neu festzusetzen, dass an Stelle des bereits ermittelten Vergleichsstichtags der Vergleichsstichtag gemäß § 94c in der geltenden Fassung tritt. Abs 7 ist mit Ausnahme des zweiten Satzes nicht anzuwenden. Abs 6 und 6a sind mit der Maßgabe anzuwenden, dass allfällige Nachzahlungen für denselben Zeitraum erfolgen wie bei der vorangegangenen Neufestsetzung.

(10) Der oder dem Vertragsbediensteten, deren oder dessen neu festgesetztes Besoldungsdienstalter gemäß Abs 4 hinter jenem Besoldungsdienstalter zurückbleibt, das sie oder er mit dem Monat der Kundmachung des Bundesgesetzes BGBl I Nr 137/2023 nach den bis dahin geltenden Vorschriften erreicht hatte, gebührt ab diesem Monat eine Ergänzungszulage auf das für das höhere Besoldungsdienstalter gebührende Monatsentgelt (§ 8a Abs 1 letzter Satz). […].“

§ 94c Abs 3 Z 4 VBG 1948 lautet nunmehr (Art 2, Z 1e):

„4. sind jene sonstige Zeiten, die nicht zur Gänze dem Tag der Anstellung voranzustellen sind, ausschließlich insoweit zu berücksichtigen, als diese nach dem 30. Juni jenes Kalenderjahres zurückgelegt wurden, in dem die allgemeine Schulpflicht von neun Schuljahren absolviert wurde, und das ausschließlich im Umfang von 42,86 % des Gesamtausmaßes dieser sonstigen Zeiten in Tagen; hat die oder der Vertragsbedienstete weniger als neun Schuljahre absolviert, so ist der 30. Juni jenes Kalenderjahres maßgebend, in dem sie oder er nach den inländischen Vorschriften über die allgemeine Schulpflicht neun Schuljahre absolviert hätte.“

Schließlich wurde dem § 100 VBG 1948 ein Abs 113 angefügt, der lautet (Art 2, Z 2):

„(113) Der den § 46f betreffende Eintrag im Inhaltsverzeichnis, § 94b Abs 4a, 9 und 10, § 94c Abs 1, Abs 3 Z 1, Z 4 und Abs 4 sowie der Entfall des § 94c Abs 5 und 6 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl I Nr 137/2023 treten mit dem der Kundmachung folgenden Tag in Kraft.“

Die besoldungsrechtliche Stellung der Kl wurde nach der vom Berufungsgericht als unstrittig wiedergegebenen Mitteilung vom 15.6.2021 gem § 94b Abs 1 und 4 VBG 1948 festgesetzt. Die durch die Novelle BGBl I 2023/137 geschaffene neue Rechtslage ist daher auch im vorliegenden Verfahren zu beachten.

Nach § 182a ZPO hat das Gericht das Sach- und Rechtsvorbringen der Parteien mit diesen zu erörtern und darf seine Entscheidung auf rechtliche Gesichtspunkte, die eine Partei erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten hat, nur stützen, wenn es diese mit den Parteien erörtert und ihnen Gelegenheit zur Äußerung gegeben hat. Das hat umso mehr bei geänderter Rechtslage zu gelten, zu der die Parteien Gelegenheit haben müssen, ein Vorbringen zu erstatten.

Die Bekl kann ihren – im Rechtsmittelverfahren allein zu behandelnden – Einwand, es liege bereits eine bindende Entscheidung über die von der Kl hier geltend gemachten Vordienstzeiten vor, infolge des nachträglichen (rückwirkenden) Entfalls des § 94c Abs 6 VBG 1948 aF nicht mehr auf diese Bestimmung stützen. Es bedarf daher einer Auseinandersetzung mit den von den Parteien darüber hinaus vorgebrachten Argumenten zum Bestehen bzw Nichtbestehen der von der Kl geltend gemachten Ansprüche.