79Krankengeldrückforderung bei rückwirkender Karenzierung
Krankengeldrückforderung bei rückwirkender Karenzierung
Erkrankt ein Versicherter während eines unbezahlten Urlaubs, besteht ungeachtet einer aufrechten Pflichtversicherung nach § 11 Abs 3 lit a ASVG kein Anspruch auf Krankengeld nach § 138 Abs 1 ASVG.
Dass Krankengeld gem § 122 Abs 1 Satz 3 ASVG über das Ende der Versicherung hinaus weiter zu gewähren ist, gilt nur solange, als weiterhin die Voraussetzungen für den Anspruch gegeben sind. Es soll damit der Anspruch nicht inhaltlich erweitert, sondern bloß ein schon eingetretener Versicherungsfall ausgeleistet werden.
Der Kl ist seit 2000 als Berufspilot beschäftigt. Sein DG kündigte ihn am 31.3.2022. Am 23.4.2022 wurde er arbeitsunfähig. Ein arbeitsgerichtliches Verfahren endete mit Vergleich am 11.8.2022. Mit diesem Vergleich wurde die Kündigung aufgehoben und für den Zeitraum ab 1.8.2022 bis 28.2.2023 ein unbezahlter Urlaub vereinbart. Ab 1.3.2023 besteht wieder Anspruch auf Entgelt.
Der gegenständliche Fall ist auf zwei OGH-Entscheidungen aufgeteilt, da die Bekl zwei Bescheide über zwei aufeinanderfolgende Zeiträume ausgestellt hat. Mit Bescheid vom 7.12.2022 sprach die Bekl aus, dass der Kl im Zeitraum 1.8. bis 19.9.2022 das Krankengeld zu Unrecht bezogen hat und forderte dieses zurück. Mit Bescheid vom 23.3.2023 wurde der Antrag auf Krankengeld ab 20.9.2022 bis 28.2.2023 abgelehnt.
Das Erstgericht wies die Klagen gegen beide Bescheide ab. Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidungen und führte aus, dass Arbeitsunfähigkeit vorliege, wenn der Erkrankte nicht oder doch nur mit Gefahr, seinen Zustand zu verschlimmern, fähig sei, seiner bisher ausgeübten Erwerbstätigkeit nachzugehen. Bestehe aber keine Arbeitspflicht, scheide die Annahme einer Arbeitsunfähigkeit aus. Daran ändere auch § 122 Abs 1 Satz 3 ASVG nichts. Zwar habe die Pflichtversicherung des Kl mit 31.7.2022 und damit erst nach dem Eintritt des Versicherungsfalls geendet. Maßgeblich sei jedoch, dass infolge des Vergleichs ab 1.8.2022 (bei aufrechtem Dienstverhältnis) weder eine Arbeitsverpflichtung noch ein Entgeltanspruch bestanden habe. Einen Einkommensverlust habe der Kl durch die Arbeitsunfähigkeit daher nicht erlitten, sodass ein Anspruch auf Krankengeld ausscheide. Die Ansicht des Kl, es komme allein auf das Ende der Pflichtversicherung an, sei abzulehnen, weil in diesem Fall bei einem unbezahlten Urlaub bis zu einem Monat mangels Erlöschens der Versicherung (§ 11 Abs 3 lit a ASVG) kein Anspruch auf Krankengeld bestehen, ein solches bei einer länger dauernden Arbeitsunterbrechung dagegen von Anfang an zustehen würde.
Das Berufungsgericht ließ jeweils die ordentliche Revision zu, da der OGH zur Frage, wie sich die Vereinbarung eines unbezahlten Urlaubs auf den Anspruch auf Krankengeld auswirke, noch nicht Stellung genommen habe. Die Revisionen sind jedoch entgegen dem Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig und wurden vom OGH mangels Vorliegens der Voraussetzung des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Die rechtliche Begründung der gegenständlichen Entscheidungen sind nahezu ident. Die Originalzitate stammen aus der OGH-E 10 ObS 131/23x, da diese auch den Rückforderungsanspruch behandelt.
„[…] Zum Krankengeldanspruch
[13] 1. Das Vorliegen einer Rechtsfrage erheblicher Bedeutung ist nach dem Zeitpunkt der Entscheidung über das Rechtsmittel durch den Obersten Gerichtshof zu beurteilen […]. Eine bei Einbringung des Rechtsmittels tatsächlich aufgeworfene Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO verliert daher ihre Erheblichkeit, wenn sie durch eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs zwischenzeitig geklärt wurde […]. Das ist hier der Fall.
[14] 2. Der Oberste Gerichtshof hat sich erst jüngst in der (im RIS noch nicht veröffentlichten) Entscheidung vom 16.1.2024 zu 10 ObS 23/23i mit der Frage befasst, ob Krankengeld auch während eines unbezahlten Urlaubs zusteht, und kam zu folgendem Ergebnis:
[15] Erkrankt ein Versicherter während eines unbezahlten Urlaubs, besteht ungeachtet einer aufrechten Pflichtversicherung nach § 11 Abs 3 lit a ASVG kein Anspruch auf Krankengeld nach § 138 Abs 1 ASVG.
[16] 3. Die Entscheidungen der Vorinstanzen stehen damit im Einklang.
[17] Zwar unterscheidet sich der vorliegende Sachverhalt insofern von jenem, der der Entscheidung zu 10 ObS 23/23i zugrunde lag, als dort die Versicherung aufrecht war, wohingegen sie hier durch die Karenzierung bzw das vereinbarte Ruhen der Hauptpflichten aus dem Arbeitsvertrag beendet wurde […]. Der Verweis des Klägers auf § 122 Abs 1 ASVG gibt aber keinen Anlass zu einer anderen Beurteilung.
[18] Richtig ist, dass Krankengeld gemäß § 122 Abs 1 Satz 3 ASVG über das Ende der Versicherung hinaus weiter zu gewähren ist. Der Kläger übergeht allerdings, dass das nur solange gilt, als weiterhin die 174 Voraussetzungen für den Anspruch gegeben sind. Wie das Berufungsgericht mit dem von ihm angestellten Vergleich zwischen langen und kürzeren unbezahlten Urlauben im Ergebnis zu Recht betont hat, soll damit der Anspruch nicht inhaltlich erweitert, sondern bloß ein schon eingetretener Versicherungsfall ausgeleistet werden […]. Mit der überzeugenden Argumentation des Berufungsgerichts, der Krankengeldanspruch könne nach Ende der Versicherung nicht weiter reichen als während aufrechter Versicherung, befasst sich der Kläger im Übrigen nicht weiter.
Zum Rückforderungsanspruch
[19] 4. Auch zum Rückforderungstatbestand des § 107 Abs 1 Satz 1 3. Fall ASVG zeigt die Revision keine Fehlbeurteilung des Berufungsgerichts auf.
[20] 4.1. Nach dieser Bestimmung sind zu Unrecht erbrachte Geldleistungen dann zurückzufordern, wenn der Zahlungsempfänger den Bezug durch Verletzung der Meldevorschriften (§ 40 ASVG) herbeigeführt hat, wofür schon leichte Fahrlässigkeit genügt […]. Gelingt dem Sozialversicherungsträger der Nachweis einer objektiven Verletzung einer Meldevorschrift, ist es Sache des Versicherten nachzuweisen, dass ihn daran kein Verschulden trifft […].
[21] 4.2. Wenn der Kläger dazu darauf beharrt, dass die Beklagte schon durch den Eintrag seines Dienstgebers im elektronischen System der Sozialversicherungsträger (die Abmeldung zur Sozialversicherung wegen des länger als einen Monat dauernden unbezahlten Urlaubs) über die Karenzierung informiert gewesen sei, hat dem schon das Berufungsgericht die ständige Rechtsprechung entgegengehalten, dass dadurch allein die Meldepflicht nicht aufgehoben wird […]. Besondere Gründe, aufgrund derer er annehmen durfte, die Meldung durch ihn würde auf das Vorgehen der Beklagten keinen Einfluss haben […], hat er schon in erster Instanz nicht behauptet. Ebenso wenig hat er sonstige Umstände vorgebracht, die ein Verschulden ausschließen könnten.
[22] 4.3. Die Ansicht, die Frist für die Meldung habe zwar mit Abschluss des Vergleichs am 11. August 2022 begonnen, aber erst am 25. August 2022 (und nicht schon am 18. August 2022) geendet, beruht auf einem Missverständnis der Entscheidung des Berufungsgerichts. Dieses ist nicht von der 14-tägigen Frist des Satzes 1, sondern der kürzeren Frist des Satzes 2 des § 40 Abs 1 ASVG ausgegangen. Demnach ist jede Änderung der Höhe des Erwerbseinkommens binnen sieben Tagen zu melden, soweit dies für den Fortbestand und das Ausmaß des (hier:) Krankengeldbezugs maßgebend ist. Warum diese Ansicht unzutreffend sein soll, obwohl er aufgrund des Vergleichs (keine Arbeitspflicht und vor allem) keinen Entgeltanspruch mehr hatte, zeigt der Kläger nicht auf und ist auch nicht ersichtlich. Dass die Auszahlung des zurückgeforderten Krankengeldes bei einer Meldung der Karenzierung innerhalb dieser Frist (also bis 18. August 2022) unterblieben wäre, bestreitet der Kläger nicht. […]
Diese beiden Entscheidungen führen die Argumentation der rezenten OGH-E 10 ObS 23/23i vom 16.1.2024 weiter. Diese E wird ebenso in diesem Heft behandelt, daher wird zu den Auswirkungen einer Karenzierung auf den Krankengeldanspruch auf die dortigen Erläuterungen verwiesen. In den gegenständlichen Entscheidungen wurde ausdrücklich klargestellt, dass die Voraussetzungen für einen Krankengeldanspruch nicht bloß beim Eintritt des Versicherungsfalls, sondern laufend vorliegen müssen (vgl § 122 Abs 1 letzter Satz ASVG).
Zur Beurteilung der Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung:
Der OGH stellt klar, dass zur Beurteilung der Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung der Zeitpunkt der Entscheidung über das Rechtmittel durch den OGH ausschlaggebend ist. Da in der Zwischenzeit der OGH die Rechtsfrage in der E 10 ObS 23/23i geklärt hat, hat sie die Erheblichkeit verloren und die Revision war daher zurückzuweisen.
Zur Meldepflichtverletzung und Rückforderung:
§ 107 Abs 1 ASVG regelt fünf Tatbestände, in denen zu Unrecht erbrachte (Geld-)Leistungen zurückgefordert werden können. In der vorliegenden E 10 ObS 131/23x war der 3. Fall – die Verletzung von Meldevorschriften – zentral. § 40 Abs 1 Z 1 ASVG bestimmt, dass Krankengeldbezieher während des Leistungsbezugs jede Aufnahme einer Erwerbstätigkeit sowie die Höhe des Erwerbseinkommens und jede Änderung der Höhe des Erwerbseinkommens binnen sieben Tagen melden müssen, soweit dies für den Fortbestand und das Ausmaß der Bezugsberechtigung maßgebend ist. Im gegenständlichen Fall hat der Kl den Standpunkt vertreten, dass sein DG bereits die Karenzierung gemeldet habe, daher der Bekl schon der Sachverhalt bekannt war und er somit nicht gegen eine Meldeverpflichtung verstoßen habe. Dabei übersieht der Kl jedoch die stRsp des OGH zu dieser Rechtsfrage: Dadurch, dass der zu meldende Sachverhalt dem Versicherungsträger schon bekannt ist, wird die Meldepflicht nicht aufgehoben. Nur wenn der Leistungsempfänger aus besonderen Gründen annehmen durfte, dass die Meldung auf das Vorgehen des Versicherungsträgers keinen Einfluss haben würde, wenn also etwa der Versicherungsträger schon zum Ausdruck gebracht hat, dass er die zu meldende Tatsache für nicht erheblich hält, oder wenn er schon ergänzende Erhebungen zu dem zu meldenden, ihm aber schon bekannten Sachverhalt veranlasst hat, muss dem Leistungsempfänger zugebilligt werden, dass er seine Meldung für völlig bedeutungslos hält und er daher davon ausgehen darf, dass er hiezu nicht mehr verpflichtet ist (RS0083623).175