81Kein Anspruch auf Krankengeld bei Erkrankung während unbezahlten Urlaubs
Kein Anspruch auf Krankengeld bei Erkrankung während unbezahlten Urlaubs
Erkrankt ein Versicherter während eines unbezahlten Urlaubs, besteht – ungeachtet einer aufrechten Pflichtversicherung nach § 11 Abs 3 ASVG – kein Anspruch auf Krankengeld nach § 138 Abs 1 ASVG.
Bereits der Grundsatz, dass der Inhalt der arbeitsvertraglich vereinbarten Tätigkeit des Versicherten für den Eintritt des Versicherungsfalls der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit zu beachten ist, spricht gegen einen Anspruch auf Krankengeld nach § 138 Abs 1 ASVG, wenn der Versicherte während eines unbezahlten Urlaubs erkrankte. Dazu kommt, dass es der Zweckrichtung des Krankengeldes, den durch die Arbeitsunfähigkeit erlittenen Entgeltverlust auszugleichen, widerspräche, einen Krankengeldanspruch auch in Fällen zu bejahen, in denen die versicherte Person wegen eines mit dem Arbeitgeber vereinbarten unbezahlten Urlaubs gar keinen Entgeltverlust erleiden konnte.
Die Kl stand bis 30.4.2022 in einem aufrechten Dienstverhältnis. Da sie für die Zeit des Betriebsurlaubs keinen offenen Urlaubsanspruch mehr hatte, vereinbarte sie mit ihrem AG unbezahlten Urlaub für den Zeitraum von 22.12. bis 31.12.2021. Am 22.12.2021 rutschte sie aus und erlitt dadurch eine Verletzung, aufgrund derer die behandelnde Krankenanstalt die Kl bis 23.1.2022 für arbeitsunfähig befand.
Die Bekl lehnte mit Bescheid vom 20.4.2022 den Antrag auf „Anerkennung der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit“ und Leistung von Krankengeld für den Zeitraum 22.12. bis 31.12.2021 ab. 178
Die Kl begehrte die „Anerkennung der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit“ und Leistung von Krankengeld. Ihr Anspruch ergebe sich aus der Pflichtversicherung und Arbeitsunfähigkeit im relevanten Zeitraum.
Die Vorinstanzen wiesen die Klage ab. Das Berufungsgericht ließ die Revision zu, weil keine höchstgerichtliche Rsp zum Anspruch auf Krankengeld während eines unbezahlten Urlaubs vorliege. Rechtlich begründete das Berufungsgericht seine Entscheidung damit, dass der AN in Zeiten, in denen er nicht zur Arbeitsleistung verpflichtet sei, nicht durch Krankheit oder Unfall an der Erbringung der Arbeitsleistung gehindert sein könne und zudem aufgrund des unbezahlten Urlaubs auch keinen Entgeltausfall erleide, der durch das Krankengeld zu ersetzen wäre.
Laut OGH ist die Revision aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, jedoch nicht berechtigt.
2.1. [...] Das Krankengeld hat Lohnersatzfunktion: Es soll den durch die Arbeitsunfähigkeit erlittenen Entgeltverlust (zumindest teilweise) ersetzen und den Unterhalt des Versicherten während der Zeit der Arbeitsunfähigkeit sicherstellen (RS0106773 [T1]).
2.2. Gemäß § 120 Abs 1 Z 2 ASVG tritt der Versicherungsfall der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit mit dem Beginn der durch die Krankheit herbeigeführten Arbeitsunfähigkeit ein.
Aus dieser gesetzlichen Definition ergibt sich bereits, dass zum Eintritt des Versicherungsfalls der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit zur Krankheit selbst der Eintritt der Arbeitsunfähigkeit erforderlich ist (10 ObS 143/13x SSV-NF 28/7).
Arbeitsunfähigkeit liegt in der Regel dann vor, wenn der Erkrankte nicht oder nur mit Gefahr, seinen Zustand zu verschlimmern, fähig ist, seiner bisher ausgeübten Erwerbstätigkeit nachzugehen (RS0084726 [T1]). Die Frage, ob Arbeitsunfähigkeit vorliegt, ist eine Rechtsfrage. Grundlage für die Beantwortung dieser Frage bilden einerseits Feststellungen über den Inhalt der arbeitsvertraglich vereinbarten Tätigkeit des Versicherten und andererseits solche über seinen Gesundheitszustand (10 ObS 291/01v SSV-NF 15/116; RS0084726 [T5]).
2.3. In der Literatur wird zu einer Konstellation wie der vorliegenden die Ansicht vertreten, obwohl für Zeiten eines unbezahlten Urlaubs von maximal einem Monat eine Pflichtversicherung bestehe (§ 11 Abs 3 ASVG), stehe mangels Berufsarbeit, an der die betreffende Person gehindert sein könnte, also mangels Arbeitsunfähigkeit, kein Krankengeld zu (Drs in Mosler/Müller/Pfeil, SV-Komm [248. Lfg 2020] § 138 Rz 10). Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass diesen Versicherten während des unbezahlten Urlaubs kein Entgelt zustehe und es daher ohnehin zu keinem Entgeltverlust kommen könne (Drs aaO unter Hinweis auf den bei Pöltner/Pacic, ASVG [140. Erg-Lfg] § 138 Anm 1, abgedruckten Erlass des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vom 20.11.1989, 26.050/2-5/89).
2.4. Eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs über den Anspruch eines Versicherten auf Krankengeld nach § 138 Abs 1 ASVG aufgrund einer während eines mit dem Dienstgeber vereinbarten unbezahlten Urlaubs eingetretenen Krankheit liegt nicht vor.
Der Oberste Gerichtshof hat allerdings mehrfach in arbeitsrechtlichen Entscheidungen ausgesprochen, dass während der Zeitausgleichsphase bei „geblockter“ Altersteilzeit – somit in Zeiten eines aufrechten Dienstverhältnisses, in denen vereinbarungsgemäß keine Arbeitspflicht des Dienstnehmers besteht – bei Erkrankung des Dienstnehmers keine Arbeitsunfähigkeit im Rechtssinn eintreten kann:
Nach der Rechtsprechung kommt der Erkrankung in einem solchen Fall keine rechtliche Relevanz für die Entgeltzahlungspflicht des Arbeitgebers zu. Das wird daraus abgeleitet, dass der Arbeitnehmer während der Zeitausgleichsphase bei „geblockter“ Altersteilzeit zwar faktisch krank, aber nicht arbeitsunfähig im Rechtssinn sein könne, weil keine – bzw lediglich eine „virtuelle“, dem Verbrauch des Zeitguthabens in der Freizeitphase zugrunde liegende (8 ObA 23/09d) – Arbeitspflicht bestehe (9 ObA 182/05p; vgl 8 ObA 23/09d; RS0121539). Eine Arbeitsverhinderung durch Krankheit oder Unfall kann demnach nur in Zeiten auftreten, in denen der Arbeitnehmer zur Arbeitsleistung überhaupt verpflichtet ist (9 ObA 11/13b; 9 ObA 10/18p; 8 ObA 97/21d [alle zu Erkrankungen während des Verbrauchs von Zeitausgleich]).
3.1. Der vorliegende Fall unterscheidet sich von den vom Obersten Gerichtshof beurteilten Fällen der Erkrankung während des Verbrauchs von Zeitausgleich dadurch, dass die Erkrankung der Klägerin während eines Zeitraums auftrat, in dem nicht nur die Arbeitspflicht, sondern auch die Entgeltzahlungspflicht des Arbeitgebers nach der Parteienvereinbarung ausgesetzt war, ein Entgeltfortzahlungsanspruch der Klägerin gegen ihren Dienstgeber also nicht in Betracht kam.
Die in der dargestellten arbeitsrechtlichen Rechtsprechung getroffene Aussage, dass das Fehlen einer Arbeitspflicht in die Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit einzufließen hat, steht allerdings im Einklang mit dem Grundsatz, dass das Vorliegen von Arbeitsunfähigkeit nicht nur auf Grundlage des Gesundheitszustands, sondern auch ausgehend vom Inhalt der arbeitsvertraglich vereinbarten Tätigkeit des Versicherten zu beurteilen ist (vgl RS0084726 [T5]; zum Sonderfall der Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit während des Arbeitslosengeldbezugs vgl die Regelung des § 8 Abs 1 AlVG sowie RS0115875).
Auch die von Drs vertretene Lösung, wonach während eines unbezahlten Urlaubs mangels Berufsarbeit, an der die betreffende Person gehindert sein 179 könnte, keine Arbeitsunfähigkeit vorliegen könne, beruht auf denselben Erwägungen.
3.2. Bereits der Grundsatz, dass der Inhalt der arbeitsvertraglich vereinbarten Tätigkeit des Versicherten für den Eintritt des Versicherungsfalls der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit zu beachten ist, spricht daher gegen einen Anspruch auf Krankengeld nach § 138 Abs 1 ASVG, wenn der Versicherte während eines unbezahlten Urlaubs erkrankte.
Dazu kommt, dass es der Zweckrichtung des Krankengeldes, den durch die Arbeitsunfähigkeit erlittenen Entgeltverlust auszugleichen (vgl RS0106773), widerspräche, einen Krankengeldanspruch auch in Fällen zu bejahen, in denen die versicherte Person wegen eines mit dem Arbeitgeber vereinbarten unbezahlten Urlaubs gar keinen Entgeltverlust erleiden konnte.
3.3. Soweit in der Revision – ohne weitere Ausführungen – der Grundsatz „Krankheit bricht Urlaub“ postuliert wird, ist daraus für den Rechtsstandpunkt der Klägerin nichts zu gewinnen. Das Urlaubsgesetz enthält in § 4 Abs 2 und § 5 Abs 1 ausdrückliche Regelungen zum Verhältnis von Urlaub und Krankheit (vgl 9 ObA 11/13b). […] Der im Urlaubsgesetz geregelte Urlaubsanspruch ist aber von einer im Rahmen der Vertragsfreiheit vereinbarten „Karenzierung“, bei der das Arbeitsentgelt ruht, abzugrenzen (Reissner in Neumayr/Reissner, ZellKomm zum Arbeitsrecht3 § 2 UrlG Rz 4).
Im vorliegenden Fall hat die Klägerin im relevanten Zeitraum keinen Urlaub nach dem Urlaubsgesetz in Anspruch genommen. Sie kann daher die Rechte, die sich aus dem Urlaubsgesetz ergeben, nicht in Anspruch nehmen.
Gegenständlich strittig war die Frage, ob im Krankheitsfall während der Inanspruchnahme eines unbezahlten Urlaubs mit aufrechter Pflichtversicherung für den Zeitraum dieses unbezahlten Urlaubs Anspruch auf Krankengeld gem § 138 ff ASVG besteht.
Gem § 11 Abs 1 ASVG endet die Pflichtversicherung aufgrund eines Dienstverhältnisses mit dem Ende des Beschäftigungsverhältnisses bzw mit dem Ende des Entgeltanspruchs, wenn dieser Zeitpunkt nicht mit dem Zeitpunkt des Endes des Beschäftigungsverhältnisses zusammenfällt. Während der Zeit eines unbezahlten Urlaubs besteht mangels Entgeltanspruchs daher auch keine Pflichtversicherung, es sei denn dieser Urlaub überschreitet nicht die Dauer eines Monats. In diesem Fall besteht gem § 11 Abs 2 lit a ASVG die Pflichtversicherung weiter und die Sozialversicherungsbeiträge sind für diesen Zeitraum zur Gänze vom DN zu entrichten (§ 53 Abs 3 lit c ASVG). Genau dieser Sachverhalt der aufrechten Pflichtversicherung während eines unbezahlten Urlaubs liegt der gegenständlichen E zugrunde.
§ 138 ASVG regelt den Kreis der Anspruchsberechtigten für das Krankengeld. Nach Abs 1 sind Pflichtversicherte sowie nach § 122 ASVG Anspruchsberechtigte bei Eintritt des Versicherungsfalles binnen drei Wochen nach Ausscheiden aus der Pflichtversicherung umfasst. Ausnahmen sind (taxativ) in § 138 Abs 2 ASVG aufgezählt – in der Liste der Ausnahmen nicht angeführt sind Pflichtversicherte während eines unbezahlten Urlaubs oder einer Karenz des Dienstverhältnisses. Die Anspruchsberechtigung besteht gem § 122 Abs 1 ASVG während aufrechter Pflichtversicherung und auch über dessen Ende hinaus, wenn weiterhin alle Voraussetzungen für den Anspruch gegeben sind. Der Anspruch auf Krankengeld beginnt gem § 138 Abs 1 ASVG ab dem vierten Tag der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit.
Die Verletzung der Kl ereignete sich zwar im Zeitraum der aufrechten Pflichtversicherung, jedoch zu einem Zeitpunkt, in dem weder eine Arbeitsverpflichtung noch ein Entgeltanspruch gegenüber dem DG bestand.
Der OGH stellt in gegenständlicher E klar, dass aus der stRsp hervorgeht, dass die Rechtsfrage der Arbeitsunfähigkeit anhand der arbeitsvertraglich vereinbarten Tätigkeit zu beurteilen ist und demnach im gegebenen Sachverhalt während des unbezahlten Urlaubs mangels Arbeitsverpflichtung für diesen Zeitraum der Versicherungsfall der Arbeitsunfähigkeit gar nicht eintreten konnte. Dabei verweist der OGH auf bereits ergangene Judikate im arbeitsrechtlichen Kontext, in denen sowohl für die Freizeitphase der geblockten Altersteilzeit als auch für Zeiten des Verbrauchs von Zeitausgleich eine Arbeitsverhinderung infolge Krankheit verneint wurde. Als weiteres Argument wird die Lohnersatzfunktion des Krankengeldes hervorgehoben – ein Entgeltverlust aus dem Dienstverhältnis kann während eines unbezahlten Urlaubs nicht eintreten.
In der E wurde zum in der Revision vorgebrachten Grundsatz „Krankheit bricht Urlaub“ klargestellt, dass es sich beim (mit Weiterleistung des Entgelts verbundenen) Urlaubskonsum nach dem Urlaubsgesetz (UrlG) um eine andere Konstellation handle, für die nach den gesetzlichen Bestimmungen der Urlaub bei Eintritt der Arbeitsunfähigkeit unterbrochen wird. Bei einem unbezahlten Urlaub oder einer Karenzierung ist das UrlG nicht anzuwenden.
Nicht Gegenstand des Verfahrens war die Anerkennung des Krankenstandes sowie des Krankengeldanspruchs ab Ende des unbezahlten Urlaubs am 31.12.2021. Der OGH musste sich daher nicht explizit zur Frage äußern, ob der Versicherungsfall der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit mit dem Datum des (geplanten) Wiederantritts der Erwerbstätigkeit eintrete und ab dem vierten Tag der Arbeitsunfähigkeit dann Anspruch auf Krankengeld bestehe. Angesichts der vom OGH vorgebrachten Argumente ist dies jedoch mE zu bejahen. 180
Für die Praxis ist auf Grund dieser Rsp jedenfalls bei Vereinbarung einer Karenz oder eines unbezahlten Urlaubs zu beachten, dass bei Eintritt eines Krankheitsfalls und damit verbundener Arbeitsunfähigkeit während dieses Zeitraums kein Anspruch auf Krankengeld bestehen kann. Problematisch wird das insb in jenen Konstellationen, in denen Versicherte über einen längeren Zeitraum arbeitsunfähig sind und die Vertragsparteien aufgrund der langfristigen krankheitsbedingten Abwesenheit eine solche Karenzierung vereinbaren wollen oder bereits vereinbart haben. Dies gilt auch während offener Gerichtsverfahren über die Zuerkennung (oder Entziehung) einer Berufsunfähigkeits- oder Invaliditätspension bzw des Rehabilitationsgeldes – gerade dann sind die Betroffenen aber auf die Leistung des Sonderkrankengeldes nach § 139 Abs 2a ASVG angewiesen.
Mittlerweile bestätigte der OGH diese Rsp auch in zwei Judikaten zu einem karenzierten Dienstverhältnis (OGH 13.2.2024, 10 ObS 131/23x sowie 10 ObS 1/24 f) – Besprechung ebenfalls in diesem Heft (Fabian Gamper).