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Vibrationsbedingte Durchblutungsstörung durch Tätigkeit mit Richthämmern stellt keine Berufskrankheit dar

ElisabethBischofreiter

Auch die vibrationsbedingten Durchblutungsstörungen müssen durch Erschütterungen verursacht worden sein, die in ihrer Form (vor allem Intensität und Frequenz der Schwingungen) jenen Erschütterungen gleichartig sind, die durch die in der Nr 20 der Anlage 1 genannten Werkzeuge und Maschinen – Pressluftwerkzeuge und gleichartig wirkende Werkzeuge und Maschinen (wie zB Motorsägen) – verursacht werden.

Sachverhalt

Der Kl ist seit dem Jahr 1985 in einer Gießerei beschäftigt. Im Zuge seiner Tätigkeit hat er Gussteile mit Messgeräten zu prüfen und anschließend Verwerfungen mit verschiedenen Richthämmern aus Hartkunststoff oder Eisen mit einem Gewicht von bis zu 8 kg zu richten. Aufgrund der durch diese Arbeit bewirkten Überbelastung der Hände und Finger und der Erschütterungen durch die Schlagbelastung sind bei ihm vibrationsbedingte Durchblutungsstörungen iS eines Raynaud-Syndroms und damit verbunden Einschränkungen der Feinmotorik (vorwiegend in der rechten Hand) aufgetreten. Die Erkrankung lag mit hoher Wahrscheinlichkeit am 27.1.2022 vor; ab diesem Zeitpunkt besteht eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 20 %. Erschütterungen bei der Arbeit mit Pressluftwerkzeugen oder gleichartig wirkenden Werkzeugen lagen beim Kl nicht vor.

Verfahren und Entscheidung

Mit Bescheid vom 17.6.2022 sprach die bekl Allgemeine Unfallversicherungsanstalt (AUVA) aus, dass die Erkrankung nicht als Berufskrankheit anerkannt werde.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil, ließ jedoch die ordentliche Revision zu, da zur Frage, ob Durchblutungsstörungen auch durch Vibrationen aufgrund von Tätigkeit mit Handwerkzeugen unter die Nr 20 der Anlage 1 fallen, noch keine Rsp des OGH vorliege.

Der OGH erachtete die Revision als zulässig, jedoch nicht berechtigt.

Originalzitate aus der Entscheidung

2. […]

Gemäß der hier einschlägigen Nr 20 der Anlage 1 (idF des SVÄG 2012) zählen – ohne Beschränkung auf bestimmte Unternehmen – „vibrationsbedingte Durchblutungsstörungen an den Händen sowie andere Erkrankungen durch Erschütterung bei der Arbeit mit Pressluftwerkzeugen und gleichartig wirkenden Werkzeugen und Maschinen (wie zB Motorsägen) sowie durch Arbeit an Anklopfmaschinen“ zu den Berufskrankheiten.

[…]

4. Mit der Berufskrankheit Nr 20 der Anlage 1 in der Fassung des SVÄG 2012, mit dem dem bisherigen Wortlaut die Wortfolge „Vibrationsbedingte Durchblutungsstörungen an den Händen sowie andere“ vorangestellt wurde, hat sich der OGH noch nicht befasst.

4.1. Die Gesetzesmaterialien führen dazu (nur) aus, dass damit eine Erweiterung der Berufskrankheitenliste erfolgen soll und von der Nr 20 der Anlage 1 nicht mehr nur durch Erschütterungen hervorgerufene Erkrankungen, sondern auch vibrationsbedingte Durchblutungsstörungen erfasst werden sollen (ErläutRV 2001 BlgNR 24. GP 7).

4.2. Stellungnahmen der Lehre liegen nicht vor. Müller (in SV-Komm § 177 ASVG Rz 50), hält nur fest, dass es bei der Nr 20 der Anlage 1 um Hand-Arm-Vibrationen durch niederfrequent (Abbruchhämmer, Vibrationsverdichter, Schlagbohrer) oder hochfrequent schwingende Werkzeuge (zB Kettensägen, Trennschleifer, Schleifmaschinen, Fräsen) gehe und seit dem SVÄG 2012 auch vibrationsbedingte Durchblutungsstörungen Teil der Nr 20 der Anlage 1 seien. […]

6.1. Nach ihrem Wortlaut setzt die Nr 20 der Anlage 1 in beiden Varianten, also sowohl hinsichtlich der vibrationsbedingten Durchblutungsstörungen als auch der anderen Erkrankungen, Erschütterungen bei der Arbeit mit Pressluftwerkzeugen oder gleichartig wirkenden Werkzeugen und Maschinen voraus. Wie schon das Berufungsgericht zu Recht betont hat, hätte es des Wortes „andere“ ansonsten nicht bedurft.

6.2. Diese Auslegung ist aber nicht zwingend, weil nach dem möglichen Wortsinn zumindest theoretisch auch eine Aufzählung gemeint sein könnte, bei der die „anderen Erkrankungen“ eine eigenständige, von den vibrationsbedingten Durchblutungsstörungen unabhängige Kategorie bilden und daher nur für sie Erschütterungen durch die genannten Werkzeuge und Maschinen notwendig sind. Das deuten zwar die Gesetzesmaterialien zum SVÄG 2012 insofern an, als sie ausdrücklich von der Erweiterung der Berufskrankheitenliste sprechen. 182 Aus den kurz gehaltenen Erläuterungen ergeben sich allerdings keine Hinweise dafür, dass der Gesetzgeber des SVÄG 2012 das Konzept der Nr 20 der Anlage 1, nur durch bestimmte Einwirkungen verursachte Erkrankungen unter Versicherungsschutz zu stellen, grundlegend ändern oder wenigstens partiell aufgeben wollte. Vielmehr sollte bloß der Kreis der Erkrankungen um eine weitere (nicht die Gelenke, sondern primär die Gefäße betreffende) ergänzt werden, ohne dass dafür – was sonst zu erwarten gewesen wäre – ein anderer Schutzgedanke ins Treffen geführt wurde.

6.3. Auch wenn in den Gesetzesmaterialien zum SVÄG 2012 daher von einer Erweiterung der Berufskrankheitenliste die Rede ist, lässt sich daraus nicht ableiten, dass sich dies auf die Ursache der Erkrankungen bezieht. Für eine Auslegung der Nr 20 der Anlage 1 im Sinn des Kl besteht angesichts ihres Wortlauts (vgl 6.1.) daher kein Anlass.

7. Darauf aufbauend sind die Vorinstanzen zu Recht davon ausgegangen, dass auch die vibrationsbedingten Durchblutungsstörungen durch Erschütterungen verursacht worden sein müssen, die in ihrer Form (vor allem Intensität und Frequenz der Schwingungen) jenen Erschütterungen gleichartig sind, die durch die in der Nr 20 der Anlage 1 genannten Werkzeuge und Maschinen verursacht werden. Diese Voraussetzungen liegen bei den vom Kl verwendeten Richthämmern nach den Feststellungen nicht vor.

Erläuterung

In gegenständlicher E hat sich der OGH erstmals mit der Frage beschäftigt, ob auch Durchblutungsstörungen, die durch Vibrationen aufgrund von Tätigkeiten mit Handwerkzeugen hervorgerufen wurden, unter die Berufskrankheit Nr 20 (mit dem am 1. März 2024 in Kraft getretenen „Berufskrankheiten-Modernisierungs-Gesetz“ nunmehr wortgleich in die Nr. 5.2.1. übernommen) der Anlage 1 des ASVG fallen können und dies verneint.

Die Berufskrankheit Nr 20 war bereits in der Stammfassung des ASVG mit folgendem Wortlaut enthalten: „Erkrankungen durch Erschütterung bei der Arbeit mit Pressluftwerkzeugen und gleichartig wirkenden Werkzeugen und Maschinen sowie durch Arbeit an Anklopfmaschinen“ (BGBl 1955/189). Seither erfuhr die Bestimmung zwei Novellierungen:“ Mit dem SRÄG 1978 wurde der Klammerausdruck „(wie zB Motorsägen)“ eingefügt. Der Regierungsvorlage zum SRÄG 1978 kann diesbezüglich entnommen werden, dass die Ergänzung dazu dienen sollte, dass die Weißfingerkrankheit (= vibrationsbedingte Durchblutungsstörungen an den Händen) als Berufskrankheit berücksichtigt wird. Es sollte festgelegt werden, dass die Motorsägen den als „gleichwertig wirkenden Maschinen und Werkzeugen“ zuzurechnen sind. Angeregt wurde diese Ergänzung durch den Österreichischen Landarbeiterkammertag, da die Weißfingerkrankheit auch in Deutschland aufgrund von Untersuchungen von Waldarbeitern in die Berufskrankheitenliste aufgenommen wurde (ErläutRV 1084 BlgNR 14. GP 54)

Mit dem SVÄG 2012 wurde die Bestimmung insofern ergänzt, als „vibrationsbedingte Durchblutungsstörungen an den Händen sowie andere“ vorangestellt wurde. Den Gesetzesmaterialien folgend sollten künftig nicht nur durch Erschütterungen hervorgerufene Erkrankungen erfasst werden, sondern auch vibrationsbedingte Durchblutungsstörungen (ErläutRV 2001 BlgNR 24. GP 7). Diesbezüglich hat der OGH nunmehr klargestellt, dass auch die Durchblutungsstörungen durch Erschütterungen verursacht worden sein müssen, die in ihrer Form (vor allem Intensität und Frequenz der Schwingungen) jenen Erschütterungen gleichartig sind, die durch die in der Nr 20 der Anlage 1 genannten Werkzeuge und Maschinen – Pressluftwerkzeuge und gleichartig wirkende Werkzeuge und Maschinen (wie zB Motorsägen) – verursacht werden.

Wie den Ausführungen zum SRÄG 1978 entnommen werden kann, konnten die vibrationsbedingten Durchblutungsstörungen bereits vor dem SVÄG 2012 unter die „Erkrankungen“ subsumiert werden und bei Verursachung durch Erschütterung durch die angeführten Werkzeuge und Maschinen als Berufskrankheit anerkannt werden. Insofern erfolgte durch die Einfügung von „vibrationsbedingten Durchblutungsstörungen“ durch das SRÄG 2012 keine Erweiterung der Berufskrankheit Nr 20 (bzw 5.2.1).