86Auch selbstständiges Einkommen ohne Pflichtversicherung ist für die Berechnung der Witwenpension zu berücksichtigen
Auch selbstständiges Einkommen ohne Pflichtversicherung ist für die Berechnung der Witwenpension zu berücksichtigen
Für die Berechnung des Hundertsatzes der Witwenpension ist jegliches selbstständige Erwerbseinkommen zu berücksichtigen. Weder der Wortlaut des § 264 Abs 5 ASVG noch die Rsp bieten Anhaltspunkte dafür, dass nur Einkünfte aus einer der Pflichtversicherung unterliegenden Tätigkeit ein Erwerbseinkommen aus selbstständiger Tätigkeit darstellen.
Der Gatte der Kl ist im Februar 2020 verstorben. Zuvor war er von 2016 bis 2019 als Rechtsanwalt selbstständig tätig, wofür er keine Beitragszeiten in einer Pflichtversicherung erwarb. Zusätzlich führte er eine freiwillige Weiterversicherung in der PV nach dem ASVG. Ab 1.7.2019 erhielt er neben dem selbstständigen Einkommen eine Korridorpension von der Pensionsversicherungsanstalt (PVA), eine Alterspension von der Pensionskasse sowie eine vorzeitige Altersrente von der Rechtsanwaltskammer.
Die PVA erkannte mit Bescheid vom Juni 2020 den Anspruch auf Witwenpension an. Aufgrund der Berechnungsgrundlagen ergebe sich ein Hundertsatz von 0 (0 %) und die Pension betrage monatlich € 16,96.
Die Kl brachte dagegen Klage ein und begehrte die Berücksichtigung des selbstständigen Einkommens ihres verstorbenen Gatten in den Jahren 2018 und 2019. Die Bekl habe nur die Korridorpension berücksichtigt, richtigerweise zähle aber auch das selbstständige Einkommen zur Berechnungsgrundlage. Die PVA hielt entgegen, dass ausschließlich Einkommen aus einer der Pflichtversicherung unterliegenden Tätigkeit zu berücksichtigen sei. Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab, wogegen die Kl Berufung erhob.
Das Berufungsgericht gab der Berufung Folge und verwies die Sache zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurück. Das für die Berechnung der Witwenpension relevante Einkommen umschließe die aus einer selbstständigen Tätigkeit erzielten Einkünfte iSd Einkommensteuerrechts. Dass für diese auch Sozialversicherungsbeiträge gezahlt worden seien, sei nicht erforderlich. 186
Das Berufungsgericht ließ den Rekurs an den OGH zu, da zur Frage, ob das Einkommen eines selbstständigen Rechtsanwalts in die Berechnungsgrundlage nach § 264 Abs 4 und 5 ASVG einzubeziehen sei, über den Einzelfall hinaus Bedeutung habe.
Die Bekl brachte den Rekurs ein, mit dem sie die Wiederherstellung des abweisenden Ersturteils anstrebt. Der Rekurs ist mangels Vorliegens einer Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.
„[…] 1. Gemäß dem hier maßgeblichen § 264 Abs 4 Satz 1 ASVG ist Berechnungsgrundlage des Verstorbenen das Einkommen nach § 264 Abs 5 ASVG in den letzten zwei Kalenderjahren vor dem Zeitpunkt des Todes, geteilt durch 24. Als Einkommen gilt gemäß § 264 Abs 5 Z 1 ASVG das Erwerbseinkommen iSd § 91 Abs 1 und 1a ASVG. Nach § 91 Abs 1 Z 2 ASVG gilt als Erwerbseinkommen bei einer selbständigen Tätigkeit der auf den Kalendermonat entfallende Teil der nachgewiesenen Einkünfte aus dieser Tätigkeit.
2. Der Begriff der Einkünfte aus selbständiger Erwerbstätigkeit wird in den Sozialversicherungsgesetzen nicht näher definiert. Es ist somit Aufgabe der Gerichte, zu klären, welche Einkünfte zu berücksichtigen sind (vgl 10 ObS 20/17i; 10 ObS 7/11v). Was die selbständig Erwerbstätigen betrifft, ist speziell der in § 25 GSVG (für die Ermittlung der Beitragsgrundlage) verwendete Begriff „Einkünfte“ dem Einkommensteuerrecht entnommen (RS0105193). Der Oberste Gerichtshof judiziert dazu in ständiger Rechtsprechung, dass weder im Bereich der Alterspensionen (RS0084294 [T4, T7]) noch der hier zu beurteilenden Witwenpension Anlass besteht, den Begriff des „Erwerbseinkommens“ anders als nach den steuerrechtlichen Vorschriften zu verstehen (10 ObS 132/18m; 10 ObS 90/08w). […]
3.1. Die Beklagte übersieht […], dass § 25 Abs 1 GSVG die „Einkünfte“ nur „für die Ermittlung der Beitragsgrundlage für Pflichtversicherte“, nicht aber für die Ermittlung der Höhe der Witwenpension nach § 264 ASVG definiert. Aus dem Umstand, dass § 25 GSVG (als beitragsrechtliche Regelung) eine der Versicherungspflicht unterliegende Erwerbstätigkeit voraussetzt, lässt sich für den Standpunkt der Beklagten daher nichts gewinnen. Es bieten auch weder der Wortlaut des § 264 Abs 5 ASVG noch die Rechtsprechung Anhaltspunkte dafür, dass nur Einkünfte aus einer der Pflichtversicherung (in der Pensionsversicherung) unterliegenden Tätigkeit ein Erwerbseinkommen aus selbständiger Tätigkeit darstellen. […]
3.2. Die Berücksichtigung von Einkünften auch aus nicht der Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung unterliegenden selbständigen Tätigkeiten im Rahmen des § 264 Abs 3 und 4 iVm Abs 5 ASVG ist entgegen der Ansicht der Beklagten auch nicht systemwidrig.
3.2.1. Wie schon das Berufungsgericht betont hat, besteht der Zweck der Witwenpension darin, den durch den Tod eines Ehegatten entstehenden Unterhaltsausfall auszugleichen (RS0117422). […]
3.2.2. Bei Berechnung des Hundertsatzes geht es demgemäß im ersten Schritt bloß darum, das Verhältnis zu ermitteln, mit dem der Verstorbene zum Haushaltseinkommen beigetragen hat (§ 264 Abs 2 Satz 1 ASVG). […] Damit wird im Ergebnis erreicht, dass von der Pension des Verstorbenen ein Teil gebührt, der sich an dem prozentuellen Anteil orientiert, mit dem (auch) diese Pension verhältnismäßig zum Haushaltseinkommen beigetragen hat. Das spricht zwar nicht zwingend gegen die Ansicht der Beklagten. Angesichts des Ziels der Witwenpension, den Lebensunterhalt des Ehegatten durch eine dem zuletzt erworbenen Lebensstandard nahe kommende Versorgung zu sichern (VfGH G 300/02 ua, VfSlg 16.923), ist letztlich aber eindeutig, dass alle Einkommen des Verstorbenen iSd § 265 Abs 5 ASVG und nicht nur die sozialversicherungspflichtigen zu berücksichtigen sind, weil nur dadurch ein tatsächlicher Unterhaltsausfall ausgeglichen werden kann. […]
4. Auch die gegen dieses Ergebnis ins Treffen geführten weiteren Befürchtungen der Beklagten überzeugen nicht.
4.1. Die Einkünfte des Verstorbenen aus seiner selbständigen Tätigkeit als Rechtsanwalt bestimmen im Wege des § 264 Abs 4 ASVG zwar mittelbar die Höhe der Witwenpension. Die von ihm bezogene Korridorpension beruht aber ausschließlich auf von ihm (großteils im Rahmen der freiwilligen Weiterversicherung) geleisteten Beiträgen, für die seine Einkünfte als Rechtsanwalt nicht relevant waren. Da die Witwenpension nur als Prozentsatz der Korridorpension gebührt (§ 264 Abs 1 ASVG), wird nur deren Wegfall und weder direkt noch indirekt der Wegfall der Einkünfte aus der selbständigen Tätigkeit des Verstorbenen als Rechtsanwalt kompensiert. Die Sorge, letzten Endes müsse die Versichertengemeinschaft den Verlust eines Einkommens ausgleichen, für den keine Beiträge zur Sozialversicherung geleistet worden seien, ist daher unberechtigt. Das Einkommen als (selbständiger) Rechtsanwalt ist zwar der Ausgangspunkt für die Ermittlung des Hundertsatzes, begründet aber keinen Leistungsanspruch.
4.2. Auch das Argument der „Doppelverwertung“ der Einkünfte aus der selbständigen Tätigkeit des Verstorbenen ist nicht stichhältig. […]
6. Die Ansicht des Berufungsgerichts, im Rahmen des § 264 Abs 5 Z 1 iVm § 91 Abs 1 Z 2 ASVG sei jegliches selbständige Erwerbseinkommen zu berücksichtigen, entspricht daher der Rechtslage. Dass Einkünfte als Rechtsanwalt Einkünfte im Sinn des Steuerrechts sind (vgl § 22 Z 1 lit b EStG), bestreitet die Beklagte zu Recht nicht.“
In der gegenständlichen E hat der OGH den Rekurs zurückgewiesen, da keine Rechtsfrage erheblicher 187 Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO vorliegt. Inhaltlich beschäftigt er sich dennoch auch mit der Frage der Berücksichtigung des selbstständigen Einkommens ohne Pflichtversicherung für die Berechnung der Witwenpension.
Berechnungsgrundlage ist nach § 264 Abs 4 ASVG das Einkommen des Verstorbenen in den letzten zwei Jahren vor dem Tod. Für die Frage, was unter Einkommen zu verstehen ist, ist grundsätzlich § 91 ASVG relevant. Hier wird neben dem Entgelt aus einer unselbstständigen Erwerbstätigkeit auch der auf den Kalendermonat entfallende Teil der nachgewiesenen Einkünfte aus einer selbstständigen Tätigkeit genannt.
Nach stRsp ist für die Feststellung der selbstständigen Einkünfte auf das Einkommensteuerrecht zurückzugreifen. Somit kommt es nicht darauf an, ob die Einkünfte der Pflichtversicherung unterliegen.
Zu den Argumenten der PVA führt der OGH aus, dass die selbstständigen Einkünfte ja bloß bei der Berechnung des Hundertsatzes herangezogen werden und nicht für den Leistungsanspruch. Diesen erhalte die Kl nur von der Korridorpension des Verstorbenen. Somit liege auch keine Doppelverwertung oder eine übermäßige Belastung der Versichertengemeinschaft vor.