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Nachträgliche Änderung der Anspruchsdauer von Kinderbetreuungsgeld ist zulässig

KrisztinaJuhasz

Mit dem in § 5a Abs 2 Satz 4 KBGG verwendeten Begriff der Bezugszeiträume sind nur Zeiten des tatsächlichen Bezugs von Kinderbetreuungsgeld, nicht jedoch Zeiten eines Ruhens desselben erfasst.

SACHVERHALT

Die Kl bezog aus Anlass der Geburt ihrer Zwillingstöchter am 22.9.2020 pauschales Kinderbetreuungsgeld als Konto in der Variante 851 Tage ab der Geburt, konkret für die Zeit von 22.9.2020 bis (geplant) 20.1.2023.

Am 14.12.2021 erfuhr die Kl von einer weiteren Mehrlingsschwangerschaft, an diesem Tag trat deshalb ein individuelles Beschäftigungsverbot (§ 3 Abs 3 MSchG iVm § 2 Abs 1 Z 6 MSchV) und ein neuer Versicherungsfall der Mutterschaft ein, der zu einem Wochengeldbezug in Höhe des bis dahin bezogenen pauschalen Kinderbetreuungsgeldes sowie zum Ruhen des Kinderbetreuungsgeldbezugs führte. Am 5.1.2022 begehrte die Kl sodann, die Anspruchsdauer des pauschalen Kinderbetreuungsgeldes auf den Zeitraum von 22.9.2020 bis 14.12.2021 zu verkürzen. Am 3.5.2022 brachte die Kl erneut Zwillinge zur Welt.

Mit Bescheid wies die bekl Österreichische Gesundheitskasse (ÖGK) den Antrag unter Hinweis auf § 5a Abs 2 Satz 4 KBGG ab.

VERFAHREN UND ENTSCHEIDUNG

Mit ihrer Klage begehrte die Kl, die Bekl für den Zeitraum von 22.9.2020 bis 13.12.2021 zur Nachzahlung eines Differenzbetrags von € 8.780,80 an pauschalem Kinderbetreuungsgeld (448 Tage zu je € 19,60) zu verpflichten.

Das Erstgericht wies die Klage ab. Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil, es ließ die Revision nicht zu und führte aus, dass der Antrag der Kl nicht berechtigt sei, weil die begehrte Änderung darauf abziele, entgegen § 5a Abs 2 Satz 4 KBGG den bereits zurückliegenden Zeitraum zwischen 14.12.2021 und dem Tag der Antragstellung (5.1.2022) zu verkürzen. Der Bewilligung des Antrags dahin, dass die Verkürzung der Anspruchsdauer bis 5.1.2022 bewilligt werde, stehe die Unzulässigkeit des Rechtswegs entgegen, weil die Bekl über ein solches Begehren nicht entschieden habe.

Dagegen richtet sich die außerordentliche Revision der Kl. Die Revision war zulässig und im Ergebnis auch berechtigt.

ORIGINALZITATE AUS DER ENTSCHEIDUNG

„2. […] Im Übrigen halten die Parteien an ihren schon bisher vertretenen Standpunkten fest, dass § 5a Abs 2 Satz 4 KBGG die begehrte (rückwirkende) Änderung des Anspruchszeitraums ermögliche [Kl] bzw nicht zulasse [Bekl].

3. Nach § 5a Abs 1 KBGG ist die Anspruchsdauer bei der erstmaligen Antragstellung verbindlich festzulegen. Nicht in Anspruch genommene Tage verfallen ausnahmslos. Eine spätere Änderung der Anspruchsdauer ist nach § 5a Abs 2 Satz 4 KBGG nur unter Einhaltung der Reziprozität und aller gesetzlichen 194 Bedingungen möglich und sie ist ausgeschlossen, sofern dadurch vergangene Bezugszeiträume nachträglich geändert werden sollen.

Der Wortlaut des § 5a Abs 2 Satz 4 KBGG unterscheidet somit zwischen der „Anspruchsdauer“ und dem „Bezugszeitraum“.

3.1. Was unter der Anspruchsdauer zu verstehen ist, ergibt sich aus § 5a Abs 1 KBGG und dem darin enthaltenen Verweis auf § 3 Abs 1 und 2 sowie § 5 Abs 1 und 2 KBGG. Demnach handelt es sich bei der Anspruchsdauer um die von den Eltern bei der ersten Antragstellung gewählte Kinderbetreuungsgeld-Variante, dh die Anzahl der Tage, für die Kinderbetreuungsgeld bezogen werden soll (Holzmann-Windhofer in Holzmann-Windhofer/Weißenböck, KBGG2 § 5 S 110; vgl auch ErläutRV 1110 BlgNR 25. GP 6 f; Holzmann-Windhofer, KBGG2 § 5 S 100 f).

3.2. Den Begriff Bezugszeitraum definiert § 5a KBGG hingegen nicht.

3.2.1. […] Der reine Wortlaut gibt zwar keinen Aufschluss darüber, ob es sich dabei um einen tatsächlichen Bezug handeln muss, weil es sich sprachlich (theoretisch) sowohl um den Zeitraum handeln könnte, in dem Kinderbetreuungsgeld gewährt wurde, als auch um jenen, in dem Kinderbetreuungsgeld zu gewähren war. Im letztgenannten Fall hätte der Begriff aber keine eigenständige Bedeutung mehr, weil der Bezugszeitraum dann der Anspruchsdauer entspräche. Dem Gesetzgeber ist im Zweifel nicht zu unterstellen, für ein und denselben Begriffsinhalt zwei verschiedene Fachausdrücke zu verwenden. Es ist daher davon auszugehen, dass mit dem Begriff „Bezugszeitraum“ jener Zeitraum gemeint ist, in dem Kinderbetreuungsgeld tatsächlich bezogen wurde. Zeiten eines Ruhens wären davon somit nicht erfasst. Diese wären zwar Teil der „Anspruchsdauer“, weil das Ruhen lediglich die Leistungspflicht des Versicherungsträgers sistiert, den Anspruch auf die ruhende Leistung hingegen nicht tangiert (RS0083756; Atria in Sonntag, ASVG14 Vor §§ 89 ff Rz 1), aber kein „Bezugszeitraum“. […]

3.2.3. Anderes ergibt sich auch aus den von der Beklagten ins Treffen geführten Gesetzesmaterialien zu BGBl I 2016/53 nicht.

Diese führen zu § 5a KBGG aus, dass eine Änderung der Gesamt-Anspruchsdauer – zur Vermeidung von Ungleichbehandlungen – immer rückwirkend ab der Geburt gilt und vergangene Bezugszeiträume nicht rückwirkend geändert, also nicht verschoben, verkürzt oder rückgängig gemacht werden können (ErläutRV 1110 BlgNR 25. GP 7). Daraus ergibt sich, dass die Änderung nur möglich sein soll, wenn sich lediglich der Tagsatz ändert, die Bezugstage hingegen unverändert bleiben (Holzmann-Windhofer, KBGG2 112). Das ist hier der Fall.

Es ergeben sich auch keine Hinweise dafür, dass die vorliegende Änderung dem mit § 5a Abs 2 KBGG verfolgten Ziel widerspricht. Erklärter Wille des Gesetzgebers bei Umwandlung der Pauschalvarianten in ein Kinderbetreuungsgeld-Konto mit der Novelle BGBl I 2016/53 war es, Eltern die Möglichkeit zu geben, die Dauer des Leistungsbezugs flexibel an ihre individuelle Lebens-, Berufs- und Einkunftssituation sowie ihre Zukunftspläne anzupassen (ErläutRV 1110 BlgNR 25. GP 1). Dieses Bestreben liegt auch der Schaffung der Möglichkeit einer nachträglichen Änderung des Anspruchsdauer zugrunde (vgl 10 ObS 47/21s [Rz 14]). […]

4. Vor diesem Hintergrund führt die am 5. Jänner 2022 begehrte Änderung der Anspruchsdauer zu keiner nachträglichen Änderung vergangener Bezugszeiträume, weil diese mit Ablauf des 13. Dezember 2021 infolge des ab 14. Dezember 2021 (gemäß § 3 Abs 3 MSchG iVm § 2 Abs 1 Z 6 MSchV) geltenden Beschäftigungsverbots, Bezugs von Wochengeld und Ruhens des Kinderbetreuungsgeldbezugs endeten.

5. Das Ergebnis der vorstehenden Erwägungen wird folgendermaßen zusammengefasst: Mit dem in § 5a Abs 2 Satz 4 KBGG verwendeten Begriff der Bezugszeiträume sind nur Zeiten des tatsächlichen Bezugs von Kinderbetreuungsgeld, nicht jedoch Zeiten eines Ruhens desselben erfasst.

6. Insgesamt erweist sich das Änderungsbegehren daher als berechtigt, was nach § 5a Abs 2 Satz 5 KBGG zur Neuberechnung des Tagsatzes und – aufgrund der Verkürzung der Anspruchsdauer – einem Nachzahlungsanspruch der Klägerin führt. Auch wenn die Vorinstanzen dazu keine ausdrücklichen Feststellungen getroffen haben, ist die Sache spruchreif, weil die Beklagte die Höhe des Klagebegehrens bzw die ihm zugrunde liegende Berechnung der Klägerin nicht bestritten hat. […]“

ERLÄUTERUNG

Gegenstand des Verfahrens war die Frage, ob und inwieweit eine nachträgliche Änderung von Zeiträumen, für die bereits pauschales Kinderbetreuungsgeld bezogen wurde, zulässig ist. Nach § 5a Abs 2 Satz 4 KBGG ist eine spätere Änderung der Anspruchsdauer dann ausgeschlossen, wenn dadurch vergangene Bezugszeiträume nachträglich geändert werden sollen. Der OGH hat daher die Frage der Interpretation der Begriffe „Anspruchsdauer“ und „Bezugszeitraum“ beantwortet.

Nach § 5a Abs 1 KBGG ist unter „Anspruchsdauer“ die Anzahl der Tage zu verstehen, für die das Kinderbetreuungsgeld bezogen werden soll. Hingegen wird der Begriff „Bezugszeitraum“ im § 5a KBGG nicht definiert. Das Ergebnis der Wortinterpretation ergab, dass mit dem Begriff „Bezugszeitraum“ jener Zeitraum gemeint ist, in dem Kinderbetreuungsgeld tatsächlich bezogen wurde. Zeiten eines Ruhens wären davon somit nicht erfasst. Diese wären aber Teil der „Anspruchsdauer“. Auch die teleologische Interpretation führte zum selben Ergebnis. Wenn die Kl versucht, die Anspruchsdauer an die durch die 195 erneute Zwillingsschwangerschaft eingetretene neue Situation anzupassen, steht das nicht im Gegensatz zu den mit § 5a Abs 2 KBGG verfolgten Zielen, welche geradezu eine an die Lebenssituation angepasste, flexible Inanspruchnahme ermöglichen sollen.

Mit ihrem Antrag bezweckte die Kl somit die Änderung der „Anspruchsdauer“, nicht aber der „Bezugsdauer“, welche ohnehin beim Eintritt des Mutterschutzes endete.

Der Revision war daher Folge zu geben und die Bekl zur Zahlung des pauschalen Kinderbetreuungsgeldes zu verpflichten.