Krankengeld: Neue Verwaltungspraxis der Österreichischen Gesundheitskasse führt zu Leistungslücken
Krankengeld: Neue Verwaltungspraxis der Österreichischen Gesundheitskasse führt zu Leistungslücken
Seit Beginn des Jahres 2023 häufen sich bei der Arbeiterkammer Wien Anfragen mit ähnlicher Problemlage: Die Versicherten beziehen Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe und werden für einen längeren Zeitraum krank. Es ist zwar eine „Krankschreibung“ durch die:den behandelnde:n Ärzt:in und eine Meldung an das Arbeitsmarktservice (AMS) erfolgt, die Österreichische Gesundheitskasse (ÖGK) gewährt für diesen Krankenstand jedoch kein Krankengeld. Begründet wird dies damit, dass der Anspruch auf Krankengeld ausgeschöpft worden sei und seitdem keine tatsächliche Arbeitsfähigkeit erlangt wurde. Auch das AMS hat ab dem vierten Tag des Krankenstandes die Leistung nicht mehr ausbezahlt.
Grund dafür ist ua die offensichtlich geänderte Vollzugspraxis der ÖGK zumindest der Landesstelle Wien hinsichtlich des Entstehens eines neuen Krankengeldanspruchs nach der sogenannten Aussteuerung.*
In diesem Beitrag möchten wir nach einer ausführlichen Darstellung der rechtlichen Grundlagen, Judikatur und einschlägigen Rechtsmeinungen einen Überblick über die aufgrund der geänderten Verwaltungspraxis der ÖGK entstehenden Problemfelder geben.
Krankengeld ist die Geldleistung der KV aus dem Versicherungsfall der „Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit“* und erfüllt damit eine Einkommensersatzfunktion.* Der Anspruch auf Krankengeld dient der zumindest teilweisen finanziellen Absicherung einer vorübergehenden Arbeitsfähigkeit, wenn der:dem Versicherten nicht eine andere Geldleistung aufgrund der Arbeitsunfähigkeit zusteht.*
Grundsätzlich haben alle in der KV Pflichtversicherten Anspruch auf Krankengeld, wenn der Krankenstand während aufrechter Versicherung oder innerhalb der ersten drei Wochen der Schutzfrist nach § 122 ASVG eingetreten ist.* Bezieher:innen einer Leistung der AlV, wie beispielsweise Arbeitslosengeld, Notstandshilfe oder Weiterbildungsgeld,* sind krankenversichert und haben gem §§ 40 und 41 AlVG einen Anspruch auf Krankengeld. Wird Krankengeld bezogen, führt dies nach § 16 Abs 1 lit a AlVG zum Ruhen der Leistung nach dem AlVG.
Keinen Krankengeldanspruch haben ua Bezieher:innen einer Pension, von Familienzeitbonus, Überbrückungsgeld, Kinderbetreuungsgeld und Rehabilitationsgeld sowie Mitversicherte und selbstversicherte Personen. Bloß beim Abschluss einer Selbstversicherung nach § 19a ASVG zu einer geringfügigen Beschäftigung* hat die:der Versicherte einen Anspruch auf Krankengeld in pauschaler Höhe.
Das Krankengeld ist kein voller Lohnersatz. Tritt die Arbeitsunfähigkeit während der aufrechten Pflichtversicherung aus einem Beschäftigungsverhältnis bzw in den ersten drei Wochen der Schutzfrist aus einem solchen ein, wird das Krankengeld anhand des letzten vollen Bruttoeinkommens bemessen. Bis zum 42. Tag des Krankenstandes beläuft sich das Krankengeld auf 50 % dieser Bemessungsgrundlage, ab dem 43. Tag erfolgt eine Erhöhung auf 60 %. Das Krankengeld wird zwölf Mal pro Jahr ausbezahlt;* wenn im Dienstverhältnis Sonderzahlungen gebühren, erfolgt eine weitere Erhöhung um 17 %.* Gem § 108i Abs 2 ASVG iVm § 29 Abs 5 der Satzung der ÖGK wird das Krankengeld mit dem Jahreswechsel um den Anpassungsfaktor erhöht.
Erkranken Bezieher:innen einer Leistung aus dem AlVG, gebührt das Krankengeld in der Höhe des letzten Leistungsbezugs. Eine Inflationsanpassung erfolgt hier jedoch nicht. 202
Anspruch auf Krankengeld besteht für ein und denselben Versicherungsfall der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit grundsätzlich für 26 Wochen. Wenn die:der Versicherte jedoch innerhalb der letzten zwölf Monate vor Eintritt des Versicherungsfalls bereits mindestens sechs Monate krankenversichert war, verlängert sich die Dauer auf 52 Wochen.* Der Großteil der Praxisfälle hat somit Anspruch auf die verlängerte Dauer.
Durch § 29 Abs 3 der Satzung der ÖGK kann die Höchstdauer auf 78 Wochen erstreckt werden, wenn aufgrund einer ärztlichen Begutachtung durch den medizinischen Dienst das Erreichen der Arbeitsfähigkeit des Versicherten bzw dessen Wiedereingliederung in den Arbeitsprozess innerhalb dieses Zeitraumes zu erwarten sein wird.*
Von Aussteuerung wird gesprochen, wenn die Höchstdauer des Krankengeldanspruchs erreicht wird. Dieser Zeitpunkt fällt jedoch nicht zwingend mit der Wiedererlangung der Arbeitsfähigkeit zusammen. Somit stellt sich oftmals die Frage, ob ab Aussteuerung eine andere Leistung zusteht und wann bzw unter welchen Voraussetzungen ein neuerlicher Krankengeldanspruch entstehen kann.
Grundvoraussetzung für einen neuen Krankengeldanspruch ist der Eintritt eines neuen Versicherungsfalls der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit. Dazu muss die bestandene Arbeitsunfähigkeit – zumindest für einen Tag – wegfallen. Tritt eine neue Krankheit während einer Arbeitsunfähigkeit hinzu, liegt nämlich ein einheitlicher Versicherungsfall der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit vor.*
Ob Arbeitsfähigkeit wiedererlangt wurde, ist daher für die Prüfung eines neuen Krankengeldanspruchs von zentraler Bedeutung. Der Beurteilungsmaßstab der Arbeitsunfähigkeit* unterscheidet sich jedoch deutlich je nachdem, ob die Arbeitsunfähigkeit in einem Dienstverhältnis oder während eines Leistungsbezuges nach dem AlVG eingetreten ist.
Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit iSd § 120 Z 2 ASVG liegt vor, wenn die:der Erkrankte nicht oder nur unter Gefahr, ihren:seinen Zustand zu verschlimmern, fähig ist, ihrer:seiner Erwerbstätigkeit nachzugehen. Dabei ist auf die konkrete, vertraglich vereinbarte Erwerbstätigkeit abzustellen. Die Dauer des Krankenstands ist in jedem einzelnen Versicherungsfall individuell festzusetzen. Grund dafür ist die Unterschiedlichkeit der Schwere von Leiden, des Erfolgs von Therapiemaßnahmen und der jeweiligen Genesungsdauern. Ein Abstellen auf einen statistischen Durchschnitt, beispielsweise hinsichtlich der Dauer der Arbeitsunfähigkeit bei einer gewissen Erkrankung, ist nicht erlaubt.* Diese Individualisierung führt auch dazu, dass bei mehreren Beschäftigungsverhältnissen die Arbeitsunfähigkeit für jedes Beschäftigungsverhältnis gesondert beurteilt werden muss.
Nach stRsp* ist der Eintritt der Arbeitsunfähigkeit während der Dauer des Arbeitslosengeldbezuges nach den Verweisungsbestimmungen des pensionsrechtlichen Invaliditätsbegriffs bzw Berufsunfähigkeitsbegriffs zu bestimmen. Dabei dürfen die Zumutbarkeitskriterien des § 9 Abs 2 AlVG nicht außer Acht gelassen werden.* Gem § 8 AlVG ist arbeitsfähig, wer nicht invalid und nicht berufsunfähig iSd ASVG ist. Bestehen Zweifel an der Arbeitsfähigkeit, sind Arbeitslose verpflichtet, sich im Auftrag des AMS ärztlich untersuchen zu lassen. Die Untersuchung und Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit erfolgen dabei durch die Pensionsversicherungsanstalt (PVA); das AMS ist an dieses Ergebnis gebunden.* Dabei kommen die pensionsrechtlichen Bestimmungen gem § 255 und § 273 ASVG zur Anwendung. Prüfungsmaßstab ist die konkret ausgeübte berufliche Tätigkeit in den letzten 15 Jahren. Besteht ein pensionsrechtlicher Berufsschutz* ist das Verweisungsfeld sehr eng. Die Wahrscheinlichkeit, dass Arbeitsunfähigkeit vorliegt, ist vergleichsweise hoch. Ist dieser Schutz nicht gegeben, muss die PVA prüfen, ob noch irgendeine Tätigkeit auf dem gesamten österreichischen Arbeitsmarkt ausgeübt werden kann. Die Wahrscheinlichkeit, dass Arbeitsunfähigkeit vorliegt, ist in diesen Fällen deutlich geringer.
In der Praxis kommen § 8 AlVG-Untersuchungen selten vor. Stellt die PVA im Rahmen dieses Verfahrens Arbeitsunfähigkeit fest, wird das AMS informiert. In weiterer Folge wird die betroffene Person im Rahmen einer Niederschrift beim AMS darüber 203 aufgeklärt, dass die Leistung zum nächsten Monatsersten eingestellt wird. Diese Vorgangsweise ist erforderlich, damit ausreichend Zeit für einen Pensionsantrag bleibt, um Leistungslücken zu verhindern. Wird hingegen Arbeitsfähigkeit festgestellt, ändert sich nichts. Der bzw die Leistungsbezieher:in steht der Arbeitsvermittlung wie zuvor zur Verfügung.
Viel häufiger ist folgende Konstellation: Die betroffene Person wird im AlVG-Leistungsbezug krank und beantragt Krankengeld. Bevor es zur Aussteuerung kommt, wird Invaliditäts- bzw Berufsunfähigkeitspension bei der PVA beantragt. Bis zum Vorliegen des negativen Ergebnisses ist Aussteuerung eingetreten. Ab diesem Zeitpunkt besteht Anspruch auf Pensionsvorschuss gem § 23 AlVG. Ab dem Vorliegen des negativen PVA-Gutachtens gilt die betroffene Person für das AMS als arbeitsfähig und wird wieder vermittelt. Dabei spielt es keine Rolle, ob gegen den negativen PVA-Bescheid Klage beim Arbeits- und Sozialgericht eingebracht wird oder nicht.
Es stellt sich die Frage, wann ein neuer Krankengeldanspruch gem § 139 Abs 4 ASVG entsteht. Nach stRsp kommen die pensionsrechtlichen Bestimmungen zur Anwendung. In den oben genannten Fällen ist die PVA zum Ergebnis gekommen, dass seit Antragstellung Arbeitsfähigkeit vorliegt. Spätestens 13 Wochen ab Antragstellung entsteht uE somit ein neuer Anspruch auf Krankengeld.
Für den Erwerb eines neuen Krankengeldanspruches reichte jahrelang ein 13-wöchiger AlVG-Leistungsbezug aus. Die eingangs geschilderte neue Verwaltungspraxis der ÖGK ignoriert dabei nicht nur die Höchstjudikatur des OGH, sondern auch regelmäßig Entscheidungen der zuständigen Pensionsversicherungsanstalten. Für die Versicherten führt das zu enormen Problemen und Unsicherheiten: Sie melden sich krank, weil sie oftmals schwerwiegende Krankheiten haben und der Arbeitsvermittlung de facto nicht zur Verfügung stehen können, erhalten aber kein Krankengeld. Auf Grund der Krankmeldung erhalten sie keine Leistung aus der AlV, weil das AMS davon ausgeht, dass der:die Versicherte wieder Anspruch auf Krankengeld hat.
Ob die Beendigung eines Arbeitsverhältnisses im Krankenstand auch einen Einfluss auf das anzuwendende Verweisungsfeld hat, wird von der Judikatur und Lehre kontrovers beurteilt.
Ein bereits eingetretener Krankengeldanspruch ist vom Weiterbestand des Dienstverhältnisses unabhängig.* Wird das Dienstverhältnis während eines laufenden Krankenstandes beendet, bleibt für die Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit der zuletzt vertraglich geschuldete Tätigkeitsbereich ausschlaggebend. Dies gilt auch für Schutzfristfälle.* Hierbei sind Lehre und Judikatur noch derselben Meinung. Meldet sich diese Person jedoch beim AMS und bezieht AlVG-Leistungen, gehen die Rsp und Meinungen in der Lehre hinsichtlich des anzuwendenden Verweisungsfeldes auseinander.
In diesem Fall hatte der OGH die Arbeitsunfähigkeit einer ehemaligen Reinigungskraft zu beurteilen. Deren Dienstverhältnis endete mit 25.8.2009 und mit diesem Tag hat sie sich aufgrund einer Kniearthrose krankgemeldet. Bis zum 30.8.2010 bezog sie Krankengeld und war ausgesteuert. Ab 1.9.2010 bis 31.5.2011 bezog sie Pensionsvorschuss und ab 1.6.2011 Notstandshilfe. Am 8.8.2011 erlitt sie einen Herzinfarkt. Den Beruf als Reinigungskraft konnte sie nie mehr ausüben.
Der OGH entschied, dass der Versicherungsfall der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit ab 8.8.2011 längst nach Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses und nach Ablauf der Schutzfrist erfolgte, sodass für die Beurteilung der Frage der Arbeitsunfähigkeit der Kl nicht mehr von den Anforderungen in der von ihr zuletzt ausgeübten Tätigkeit als Reinigungskraft auszugehen ist. „Die Klägerin bezog im Zeitpunkt des möglichen Eintritts des neuerlichen Versicherungsfalls der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit am 8.8.2011 Notstandshilfe. Nach ständiger Rechtsprechung ist der Eintritt der Arbeitsunfähigkeit während der Dauer des Arbeitslosengeldbezugs (bzw der Notstandshilfe) nicht mehr nach der zuletzt ausgeübten Berufstätigkeit (hier einer Reinigungskraft), sondern nach den Verweisungsbestimmungen des pensionsrechtlichen Invaliditäts- bzw Berufsunfähigkeitsbegriffs (§§ 255, 273 ASVG) zu bestimmen, wobei die Zumutbarkeitskriterien des § 9 Abs 2 AlVG nicht außer Acht gelassen werden dürfen (RIS-Justiz RS0115875). Im vorliegenden Fall ist daher für einen neuerlichen Eintritt des Versicherungsfalls der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit entscheidend, ob die Klägerin vor ihrem am 8.8.2011 erlittenen Herzinfarkt arbeitsfähig im Sinn des für sie maßgebenden pensionsrechtlichen Invaliditäts- bzw Berufsunfähigkeitsbegriffs
204war und sie diese Arbeitsfähigkeit durch ihre neuerliche Erkrankung wieder verloren hat. […]“
Drs* und Auer-Mayer* kritisieren die E des OGH, da nach ihrer Ansicht die Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit durchgehend bestand und daher ein einheitlicher Versicherungsfall vorgelegen sei. Für die gesamte Dauer dieses Versicherungsfalls sei die beim Eintritt des Versicherungsfalls maßgebliche Erwerbstätigkeit als Reinigungskraft heranzuziehen. Die Beurteilung der Arbeitsfähigkeit nach der angeführten Rechtsansicht würde nach einer Beschäftigung erfolgen, die schon lange beendet wurde. Dieses Ergebnis würde zwangsläufig zu unsachlichen Härtefällen führen. Es würde nämlich bedeuten, dass AN, die gem § 120 Z 2 ASVG aus einem Dienstverhältnis arbeitsunfähig geworden sind und bei denen keine Besserung des Gesundheitszustands eintritt, der die Ausübung dieser konkreten Tätigkeit wieder erlauben würde, als dauerhaft arbeitsunfähig einzustufen wären und nach erfolgter Aussteuerung nie mehr einen neuerlichen Krankengeldanspruch erwerben könnten.
Der Rechtsansicht von Drs und Auer-Mayer ist uE nicht zu folgen. AlVG-Leistungsbezieher:innen sind dann arbeitsfähig, wenn sie nicht invalid bzw berufsunfähig iSd ASVG sind und der Arbeitsvermittlung zur Verfügung stehen. Um vom AMS vermittelt werden zu können, müssen sie sich insb bewerben und an verschiedenen Kurs- und Weiterbildungsmaßnahmen teilnehmen können. Prüfungsmaßstab kann uE nicht die zuletzt ausgeübte Tätigkeit (in diesem Fall Reinigungsfachkraft) sein, sondern, ob der:die Versicherte der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht.
Dieser im Ergebnis bedenklichen Rechtsmeinung von Drs und Auer-Mayer wird zumindest in mehreren Fällen von Seiten der ÖGK Landesstelle Wien gefolgt. Dabei wird trotz oben genannter OGH-Rsp auf die bereits beendete Erwerbstätigkeit zur Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit abgestellt. Dies führt in der Praxis zu multiplen Problemen bei den Versicherten.
Wie oben beschrieben, werden Versicherte durch ihre:n behandelnde:n Ärzt:in krankgeschrieben und der Krankenstand dem AMS gemeldet. Ab dem vierten Tag stellt das AMS die Leistung mittels Bescheid ein. Im Nachhinein müssen die Versicherten jedoch feststellen, dass die ÖGK diesen Krankenstand nicht akzeptiert und den Krankengeldanspruch ablehnt.
In diesen Fällen kommt § 16 Abs 1 lit a AlVG zur Anwendung: Die Leistung ruht während des Bezuges von Krankengeld, dh, das Krankengeld muss tatsächlich bezogen werden. In der Praxis unterstützen wir die Versicherten in teilweise mühsamen und langwierigen Beschwerdeverfahren. Diese wären nicht erforderlich, wenn die ÖGK die höchstgerichtliche Judikatur richtig vollziehen würde.
In der Regel stellen Personen, bei denen die Arbeitsunfähigkeit voraussichtlich über den Zeitpunkt der Aussteuerung hinausgeht, einen Antrag auf Invaliditäts- bzw Berufsunfähigkeitspension. Wird dieser vom Pensionsversicherungsträger abgelehnt, da die Arbeitsfähigkeit (im pensionsrechtlichen Sinne) festgestellt wurde, ist das AMS daran gebunden. Dies gilt unabhängig davon, ob der Bescheid vor den Arbeits- und Sozialgerichten bekämpft wird oder rechtskräftig geworden ist. Hinsichtlich der ÖGK entfaltet der Bescheid keine Bindungswirkung. Es ist keine Seltenheit, dass dieselbe Person von PVA und AMS für arbeitsfähig angesehen und von der ÖGK als arbeitsunfähig eingestuft wird. Im Ergebnis ist das für den:die einzelne:n Versicherte:n schwer nachvollziehbar und führt zwangsläufig zu Missverständnissen.
Wie oben unter 2.2. beschrieben, ist für die Beurteilung der Arbeitsfähigkeit nach dem AlVG der pensionsrechtliche Invaliditäts- bzw Berufsunfähigkeitsbegriff maßgeblich. Für Beurteilung dieses Begriffs ist der Berufs- und Tätigkeitsschutz von zentraler Bedeutung. Es ist äußerst fraglich, inwieweit der medizinische Dienst der ÖGK diese Beurteilung vornehmen kann, wenn diesem keine maßgeblichen Dokumente, wie Ausbildungszeugnisse oder DG-Bestätigungen, vorliegen. Darüber hinaus stellt die Frage der Invalidität bzw Berufsunfähigkeit eine Rechtsfrage dar. Es ist fraglich, ob der medizinische Dienst der ÖGK bei der rechtlichen Beurteilung fachkundige Jurist:innen zu Rate zieht. Wahrscheinlich ist viel mehr, dass die pensionsrechtlichen Bestimmungen im Verwaltungsverfahren der ÖGK keine Rolle spielen. Eine dem Gesetz entsprechende Entscheidung ist unter diesen Umständen aber nicht möglich. 205
Während des Krankengeldbezugs müssen die Versicherten der ÖGK die laufende Arbeitsunfähigkeit durch die Vorlage neuer (Facharzt-)Befunde oder im Rahmen von Untersuchungen durch den medizinischen Dienst der ÖGK nachweisen. Nach der Aussteuerung erfolgen im Regelfall keine weiteren Untersuchungen durch die ÖGK, auch werden keine neuen Befunde verlangt. Da bereits eine eintägige Arbeitsfähigkeit einen neuerlichen Krankengeldanspruch bedingen kann, ist dies wohl als notwendig anzusehen. Die Annahme einer durchgehenden Arbeitsunfähigkeit ohne eine regelmäßige Kontrolle erscheint bei gewissen Erkrankungen mit linearem Verlauf möglicherweise noch plausibel; bei „wellenartigen“ Krankheits- bzw Genesungsverläufen ist dies definitiv nicht mehr der Fall.
Wie dargelegt, führt die neue Verwaltungspraxis der ÖGK zu erheblichen Problemen und Unsicherheiten bei Betroffenen. Dieser Wechsel des Vollzugs erscheint weder rechtlich aufgrund der klaren OGH-Judikatur noch verwaltungsökonomisch nachvollziehbar. Darüber hinaus könnte ein rechtswidriger Vollzug zu Schadenersatzansprüchen nach dem Amtshaftungsgesetz (AHG) führen.