59. Tagung der Österreichischen Gesellschaft für Arbeitsrecht und Sozialrecht

LeonieObermeyr

Anlässlich der 59. Tagung der Österreichischen Gesellschaft für Arbeitsrecht und Sozialrecht fanden sich Vertreter:innen der Wissenschaft und Praxis vom 10. bis 12. April 2024 im Ferry Porsche Congress Center in Zell am See ein. Erstmals seit der Pandemie konnte wieder die Teilnehmerzahl von 500 überschritten werden. Der Präsident der Gesellschaft, Univ.-Prof. Dr. Rudolf Mosler, hob in seinen Eröffnungsworten die langjährige Tradition der Tagung hervor und lobte insb auch die Zusammenarbeit mit der Stadt Zell am See und ihrem erst kürzlich wiedergewählten Bürgermeister Andreas Wimmreuter.

Ganz der Tradition entsprechend war der erste Veranstaltungstag, der von RAin Hon.-Prof.in Dr.inSieglinde Gahleitner (Mitglied des VfGH) moderiert wurde, von drei arbeitsrechtlichen Vorträgen geprägt. Den ersten Vortrag bestritt Univ.-Prof.in Dr.inElisabeth Brameshuber (Universität Wien) zum Thema „Freiwilligenarbeit, Praktika und Volontariate: Verhältnis zur Normalarbeit“. Dabei fokussierte sie sich auf die Fragen nach der Abgrenzung zu „normalen“ Arbeitsverhältnissen und der Anwendbarkeit arbeitsrechtlicher Vorschriften auf Freiwilligenarbeit. Zu erster Frage hielt sie fest, dass – ausgehend von den Typusmerkmalen eines Arbeitsverhältnisses – ehrenamtliches Engagement grundsätzlich an drei Merkmalen zu messen sei: (Un-)Entgeltlichkeit, Freiwilligkeit und dem Vorliegen sozialer Motive. Vor allem bei der Entgeltlichkeit stellen sich Abgrenzungsprobleme, zumal die Rechtslagen in Österreich und im Unionsrecht auseinanderfallen. IdZ verwies sie auf § 3 Abs 1 Z 42 EStG, der seit Jahresbeginn eine echt einkommensteuerbefreite Freiwilligenpauschale beinhaltet. Daraus sei abzuleiten, dass jedenfalls der steuerrechtliche Gesetzgeber in den dort genannten Fällen ehrenamtlicher Tätigkeit das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses ausschließt. Es sei hingegen fraglich, ob der EuGH, insb aufgrund rezenter Rsp (zB in EuGH 25.1.2024, C-389/22, Croce Rossa Italiana), diese Einnahmen nicht als Entgelt einstufen und damit den unionsrechtlichen AN-Begriff als erfüllt ansehen würde. Bei der Abgrenzung von Ausbildungsverhältnissen käme es auf den Ausbildungszweck an. Eine gewisse organisatorische Eingliederung sei oft systemimmanent und betriebsbedingt und deswegen in beiden Fällen unschädlich. Bezüglich der Anwendbarkeit arbeitsrechtlicher Vorschriften sei festzuhalten, dass diese bei Ausbildungsverhältnissen auf Grund eines mit Arbeitsverhältnissen vergleichbaren Schutzniveaus oftmals zu bejahen sei. Für ehrenamtliche Tätigkeiten wurde diese Frage anhand eines Beispiels veranschaulicht: So käme es für die Anwendbarkeit der Arbeitszeit-RL insb darauf an, ob der/die Freiwillige tätigkeitsbedingt zumindest partiell in der Möglichkeit, die „Arbeitszeit“ frei einzuteilen, eingeschränkt sei (zB Dienstplaneinteilung). Letztendlich käme es 217 bei der Klassifizierung ehrenamtlichen Engagements und von Ausbildungsverhältnissen aber auf den Parteiwillen an.

In der diesbezüglichen Diskussion wurde vor allem das Schutzbedürfnis der Freiwilligen hervorgehoben. Fraglich war, ob es möglich wäre, Freiwillige grundsätzlich in den Anwendungsbereich des Arbeitsrechts aufzunehmen, jedoch manche Bestimmungen mittels teleologischer Reduktion für unanwendbar zu erklären. Alternativ wären die dem Schutzzweck entsprechenden Bestimmungen analog auf ehrenamtliche Tätigkeiten anzuwenden, was insb auch hinsichtlich des Gleichbehandlungsrechts wichtig wäre. Fraglich sei hier jedoch, ob in den arbeitsrechtlichen Normen bezüglich des persönlichen Anwendungsbereichs derartige planwidrige Lücken vorliegen, die eine Analogie erst ermöglichen. In dieser Diskussion wurde von Schlachter (Universität Trier) vorgebracht, dass die Ausdehnung der Arbeitsschutzbestimmungen auch Dritten zugutekommen würden, da diese sich darauf verlassen würden, dass die Freiwilligen bspw nicht bereits mehrere Stunden ohne Pause im Dienst seien. Bezüglich der analogen Anwendung wurde von Marhold angemerkt, dass das Arbeitsschutzrecht verwaltungsstrafrechtlich abgesichert sei, im Strafrecht aber ein Analogieverbot herrsche. Dh, eine effektive Absicherung der Einhaltung des Arbeitsschutzes per analogiam wäre nicht möglich.

Im zweiten Vortrag befasste sich ao. Univ.-Prof. Dr. Martin Gruber-Risak (Universität Wien) mit dem kollektiven Arbeitsrecht, genauer dem „Dislozierten Arbeiten und Betriebsbegriff“. Gerade im Zeitalter der Digitalisierung und vor allem seit der Pandemie sei die physische Anwesenheit am Arbeitsplatz nicht mehr in allen Fällen zwingend erforderlich. Dieser Umstand wird auch dadurch verstärkt, dass der digitale Informationsraum als „Arbeitsort“ immer häufiger werde. Dabei könnte fraglich sein, ob ein derartiger Informationsraum einen einheitlichen Betrieb darstellen könne, wobei es gem § 34 Abs 1 ArbVG hauptsächlich auf das Vorliegen einer organisatorischen Einheit ankomme. Diese helfe auch bei der Abgrenzung mehrerer Betriebe untereinander. AN müssen stets im Rahmen eines Betriebs beschäftigt, dh immer einem solchen zugeordnet sein. Dies gelte auch für disloziert Arbeitende. Hier komme es ebenso auf die organisatorische Zuordnung an. Eine Mehrfachzuordnung zu mehreren Betrieben sei seines Erachtens möglich, es dürfe bloß nicht zu Vertretungsdefiziten kommen. Besonders kritisch seien jene Fälle, in denen AN im Ausland tätig sind und potenziell in einen inländischen Betrieb integriert sein könnten. Gruber-Risak sprach sich hier für das Territorialitätsprinzip aus, das nach herrschender Rsp auch ins Ausland ausstrahlen könne. Ob sich ein digitaler Betrieb im Inland befinde, müsse anhand einer Gesamtschau der Betriebselemente beurteilt werden.

In der nachfolgenden Diskussion wurde vor allem in Frage gestellt, ob organisatorische und virtuelle Gegebenheiten für die Qualifizierung eines Betriebes genügen. Zudem wären virtuelle Einheiten oft nur von zeitlich kurzem Bestand, sodass das Vorliegen eines Betriebes nur von geringfügiger Dauer wäre. Dem hielt der Referent jedoch entgegen, dass das ArbVG kurzfristige Projektarbeit sehr wohl kenne. Baustellen seien hierfür ein Musterbeispiel. Hier kämen insb die Mehrfachzuordnungen in Betracht, da das Dauerelement des Betriebsbegriffs kurzfristige Zuordnungen ausfiltern könne und demnach eine übergeordnete „Klammer“ eines anderen beständigen Betriebs dies abfedern könnte.

Prof. Dr. Adam Sagan, Mjur (Oxon) von der Universität Bayreuth beendete den ersten Veranstaltungstag mit seinem Vortrag zur „Lohntransparenz: Gleichbehandlung, Mitbestimmung und Datenschutz“. Sehr detailliert fasste er die wichtigsten Inhalte der neuen Entgelttransparenz-RL ([EU] 2023/970) zusammen. Das erste Themengebiet umfasste die individuellen Rechte auf Gleichbehandlung im Arbeitsverhältnis. So deklariere die RL nicht nur Informationsrechte für die AN, sondern auch für Stellenwerber:innen. Letztere haben das Recht, ua die vorgesehene Entlohnung laut KollV schon in der Stellenausschreibung zu erfahren. Hier verwies Sagan auf die bereits dementsprechende österreichische Rechtslage. AN können vom AG ihre eigene Entgelthöhe und die durchschnittliche Entgelthöhe anderer AN, die gleiche oder gleichwertige Arbeit verrichten, verlangen. Außerdem treffe gewisse Unternehmen eine Berichtspflicht, die mit § 11a GlBG vergleichbar sei. Die RL verlange zudem, dass die Mitgliedstaaten wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen bei Verstößen vorsehen, wobei der Referent für fraglich befand, ob schadenersatzrechtliche oder strafrechtliche Sanktionen effektiver seien. In einem zweiten Block wurde auf die Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmerschaft eingegangen, wobei nach der Meinung des Referenten aus der RL zwei echte Beteiligungsrechte hervorgehen: einerseits die gemeinsame Entgeltbewertung und andererseits die Vereinbarung von Arbeitsplatzkriterien zur Feststellung gleicher oder gleichwertiger Arbeit. Zum Datenschutzrecht führte er ua aus, dass die Datenverwertungen im Rahmen der RL der DSGVO entsprechen müssen. Rechtspolitisch wurde zuletzt festgehalten, dass die Sozialpartner einen stärkeren Fokus in der RL verdient hätten. Laut Sagan hätten sich Unionsbürgerinnen mehr vom Unionsgesetzgeber erwarten dürfen. Die RL sei zwar ein guter Anfang in Richtung Lohngerechtigkeit, mehr jedoch nicht.

In der darauffolgenden, durchaus lebhaften Diskussion wurde ua für kritisch befunden, ob aus Art 5 der RL hervorgehe, dass die AG von sich aus den AN Informationen bereitstellen oder ob diese erst verlangt werden müssen, wobei ersterer Lösungsansatz teleologisch einleuchtender wäre. Seitens 218 der Wirtschaftskammer wurde kritisiert, dass durch die RL die Bürokratie für AG abermals erhöht werde und es wünschenswert wäre, die RL auf ihre Eignung zur Zweckerreichung zu prüfen, da Lohntransparenz auch die Zufriedenheit am Arbeitsplatz senken würde. Außerdem wurde von anderer Seite vorgebracht, dass Entgeltungleichheit ein strukturelles Problem sei, das durch die RL zur Lösung auf die individuelle Ebene verschoben wurde. Es sei fraglich, inwiefern die Einzelnen bereit seien, ihre Ansprüche tatsächlich durchzusetzen. Zu begrüßen sei jedoch, dass erneut ein struktureller Blick auf Entgeltsysteme gelegt werde, der die Möglichkeit biete, traditionelle Entgeltbewertungen und die Abwertung von Frauenarbeit zu beseitigen.

Das traditionell am Donnerstagabend stattfindende Seminar bestritt dieses Jahr Prof. Dr. Martin Greifeneder, Richter am Landesgericht Wels und wohl der nationale Experte für Pflegegeld schlechthin, weswegen er – wenig überraschend – zu genau diesem Thema referierte. Die Relevanz des Pflegegeldes in der Gesellschaft steige stark an, zumal die Zahl der Bezieher:innen jährlich steige. Greifeneder ging insb auf das Verhältnis der Rechtsgrundlagen, den anspruchsberechtigten Personenkreis, den gewöhnlichen Aufenthalt im Inland und die Pflegegeldstufe 7 ein. Abgehandelt wurde etwa die E des OGH 22.8.2023, 10 ObS 62/23z, in der es um den Pflegegeldanspruch für anerkannte Kriegsflüchtlinge ging. Gem Art 13 Abs 4 der MassenzustromRL zähle das Pflegegeld zur erforderlichen Hilfe für Menschen mit besonderen Bedürfnissen. IdF konnte die Kl derartige besondere Bedürfnisse auch nachweisen. Sie war als Person mit vorübergehendem Schutz nach der MassenzustromRL auch österreichischen Staatsbürgern gleichgestellt, weshalb ihr der Anspruch zugestanden sei. Der Referent ging hier unter Verweis auf § 27 Abs 5 BPGG auch davon aus, dass der zuständigen Behörde hier ein offenkundiges Versehen bei der Ablehnung der Leistung unterlaufen sei, weshalb der gesetzliche Zustand, also der Anspruch, ohnehin herzustellen gewesen sei. Dazu entspann sich eine lebhafte Diskussion. Von Greifeneder beanstandet wurde zudem die zu restriktive Rsp zur Pflegegeldstufe 7. So werde eine „praktische Bewegungsunfähigkeit“ gefordert; willentlich geplante Bewegungen schließen daher die Stufe 7 aus. Dies werde in der Judikatur doch nicht so umgesetzt. So wurde bspw eine E des OGH 2.12.1997, 10 ObS 385/97h erörtert, in der eine die Stufe 7 ausschließende Restbeweglichkeit bei einer Person festgestellt wurde, die zwar ganzkörperlich gelähmt und auch auf eine dauerhafte Beaufsichtigung durch eine Pflegeperson angewiesen war, jedoch durch eine geringe Beweglichkeit von Daumen und Zeigefinger einen Rollstuhl im Wohnbereich lenken konnte. Der Referent stellte idZ in Frage, ob derartige Ergebnisse, wie sie zahlreich in der Judikatur zu finden seien, vom Gesetzgeber auch tatsächlich gewollt waren. Wenn eine Person für nahezu alle Tätigkeiten Hilfe brauche, könne eine geringfügige Restbeweglichkeit die Stufe 7 nicht ausschließen.

Am Freitag stand wie immer das Sozialrecht im Vordergrund. RA em. o.Univ.-Prof. Dr. Franz Marhold führte durch diesen Vormittag. Den Beginn machte Hon.-Prof.in Dr.inAngela Julcher (Hofrätin des VwGH) zum Thema „Verfassungsrechtliche Fragen der Pensionsanpassung“. Gerade in Zeiten mit hohen und schwankenden Inflationsraten sei dies ein höchst relevantes Thema, bei dem ein Spannungsfeld zwischen hohen Kosten und Wertverlusten entsteht. Die Pensionsanpassung sei dabei als Erhöhung bereits angefallener Pensionen zu verstehen. Dies ist seit dem PensionsharmonisierungsG 2004 in § 108h ASVG festgelegt, wobei die dortige Vorgangsweise in den vergangenen 20 Jahren nur zweimal tatsächlich eingehalten wurde. Regelmäßig finde man abweichende sondergesetzliche Anpassungen. Julcher legte zunächst die verfassungsrechtlichen Prüfmaßstäbe für die Beurteilung der Verfassungskonformität der Pensionsanpassungen fest. Aus dem Kompetenztatbestand des Sozialversicherungswesens folge, dass massive Kaufkraftverluste zumindest abzumildern seien. Aus dem Vertrauensschutz ergebe sich, dass der Gesetzgeber nicht plötzlich und intensiv in Rechtsansprüche eingreifen dürfe, wobei § 108h ASVG einen solchen Anspruch und ein Vertrauen auf eine dauerhaft wertgesicherte Pension darstelle. Ein Eingriff durch eine einmalige Minder- oder Nichtanpassung sei aber noch nicht intensiv; die absolute Untergrenze stelle das Erreichen des soziopolitischen Existenzminimums dar. Stichtagsregelungen seien grundsätzlich gleichheitsrechtlich zulässig. Laut der Referentin seien aber Anpassungsverzögerungen bei schwankender Inflation problematisch. Hinsichtlich der degressiven Anpassungen verwies sie auf die Rsp des VfGH, der dem Gesetzgeber hier einen weiten Gestaltungsspielraum einräumte. Soziale Gesichtspunkte dürfen hier anerkannt werden, wobei die Rsp des EuGH in der Rs Brachner hier ebenfalls berücksichtigt werden müsse. Die verfassungsrechtliche Grenze bilde hier eine „Einheitspension“, die entstehen würde, wenn die Pensionshöhen durch wiederholte degressive Anpassungen zu stark nivelliert würden. Zu den Anpassungsverzögerungen wurde ausgeführt, dass der VfGH bereits festhielt, dass die Aliquotierung unbedenklicher, weil differenzierter sei als das ehemalige Wartejahr (VfGH G 197-202/203 ua). Julcher sah diese Rsp jedoch kritisch. Durch die Aliquotierung finde auch bei gleichbleibender Inflationsrate eine Ungleichbehandlung statt, sie falle nur bei groben Schwankungen massiver aus. Sie sprach sich für eine Schutzklausel im Dauerrecht aus, mit der zu hohe Verluste abgefedert werden können. Der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers im Bereich des Pensionssystems sei hier jedoch sehr weit. Verfassungswidrig wären idZ nur extreme Ergebnisse, wie etwa die Gefährdung des Existenzminimums. Selbst den Gleichheitssatz habe der VfGH in letzter Zeit 219 nur grobmaschig verwendet. Dementsprechend sei aus dem Verfassungsrecht in dieser Thematik nur wenig zu gewinnen.

In der diesbezüglich Diskussion wurde vor allem vorgebracht, dass die Aliquotierung auch ein Problem der Geschlechterdiskriminierung sei, da Frauen durch die Angleichung des Pensionsantrittsalters stärker betroffen seien. Dies würde der Problematik der Aliquotierung noch ein zusätzliches Element hinzufügen; es sei fraglich, wie der EuGH darüber entscheiden würde. Zudem wurde die Frage gestellt, ob das Erwerbseinkommen bis zum Stichtag im Jahr des Pensionseintritts als Rechtfertigungsgrund für die Aliquotierung in Frage käme, was die Referentin verneinte, zumal sich der Verlust, der durch die Aliquotierung entstehe, auf die gesamte Pensionsdauer auswirke. Marhold warf zudem die potenzielle Verfassungswidrigkeit des § 108h ASVG selbst auf, zumal dieser jahrelang durch Sondergesetze ausgehebelt werde. Er sprach in diesem Zusammenhang von einer „normativ organisierten Lüge“.

Den Abschluss der Tagung bildete das Referat von Univ.-Prof.in MMag.a Dr.inDiana Niksova (Universität Innsbruck) über „Rechtsfragen der Telemedizin“. Hervorgehoben wurde, dass sich – insb seit der Pandemie – das Gesundheitswesen im digitalen Wandel befinde. Eine allgemein gültige Definition der Telemedizin gebe es nicht, jedoch komme es im Wesentlichen darauf an, dass es sich um Leistungen des Gesundheitswesens handle, bei der Ärzt:innen und Patient:innen nicht am selben Ort anwesend seien. Im Fokus standen die sogenannten „Digitalen Gesundheitsanwendungen“ (DiGAs), also Apps mit gesundheitsbezogener Zweckbestimmung, die dazu dienen, Krankheiten zu erkennen, zu überwachen, zu behandeln oder zu lindern. Fraglich sei hier die Einstufung als Ärztliche Hilfe, Heil- oder Hilfsmittel oder Heilbehelf, woran die Frage der Kostenerstattung durch die KV geknüpft ist. Niksova verwies hier auf die Rechtslage in Deutschland, in die bereits vor einigen Jahren Bestimmungen zu DiGAs aufgenommen wurden. Dort werde die Erstattungsfähigkeit bejaht, wenn die Voraussetzungen für die Definition als DiGA in § 33a SGB V erfüllt seien und ein Prüfverfahren (§ 138e Abs 2 SGB V) erfolgreich durchlaufen wurde. Es gebe derzeit in Deutschland 56 derartige DiGAs. In Österreich gebe es derzeit keine vergleichbaren Bestimmungen. Anhand von Fallbeispielen prüfte die Referentin deren Einstufung im ASVG, wobei sie zum Schluss kam, dass die meisten Apps als Hilfsmittel einzuordnen seien. Zudem erörterte sie die Problematik der Kostenerstattung bei grenzüberschreitenden Sachverhalten. Niksova plädierte hier dafür, rechtliche Rahmenbedingungen zu schaffen, da ansonsten zweifelsohne der Binnenmarkt und die PatientenmobilitätsRL unter Berücksichtigung der bisherigen EuGH-Rsp (zB Rs Kohll und Decker) eine Kostenerstattung bei Inanspruchnahme der DiGAs im Ausland notwendig machen würden. Zuletzt verwies die Referentin auf berufs- und haftungsrechtliche sowie datenschutzrechtliche Aspekte der Telemedizin.

In der darauffolgenden Diskussion wurde vorgebracht, dass gesundheitsökonomische Aspekte und der Erstattungskodex nicht außer Acht gelassen werden dürfen. Gibt es im Inland keine vergleichbare Leistung, so haben die Versicherten auch keinen Anspruch auf deren Ersatz bei Inanspruchnahme im Ausland. Seitens der Ärztekammer wurde dafür plädiert, die Diskussion zur Zulässigkeit der DiGAs zu beenden. Wichtig wäre hier nicht nur die Anwenderfreundlichkeit der Apps, aber auch dass das Fehlen einer prüfenden Stelle, die Zertifizierungen von DiGAs durchführen sollte, endlich gelöst werde. Die Rechtssicherheit stehe hier an erster Stelle. Weiters solle man aus den Fehlern Deutschlands in diesem Bereich lernen. Insb die dortigen Preisverhandlungen wurden kritisiert. Diese finden aktuell erst im zweiten Jahr nach Markteintritt statt, davor lege der Hersteller selbst den Preis fest. Dass durch Abstellen auf den Nutzen einer App von den traditionellen Preisbestimmungsmethoden abgekehrt werde, sei hier ganz besonders problematisch.

Ebenso Tradition hat das mittlerweile bewährte Nachwuchsforum, in dem aufstrebende Nachwuchswissenschaftler:innen ihre Dissertationsvorhaben vor einem Fachpublikum präsentieren können. Dieses fand am späten Nachmittag des 10.4.2024 statt. Die diesjährigen Vorträge bestritten Univ.-Ass. Mag. André Flatscher (Universität Salzburg, Die Bedeutsamkeit der Whistleblowing-RL und des HSchG für das österreichische Arbeitsrecht), Univ.-Ass.in Mag.aInes Kager (Wirtschaftsuniversität Wien, Sozialplan und Insolvenz) und Univ.-Ass. Mag. Sascha Obrecht (Universität Wien, Die vom Arbeitszeitgesetz Ausgenommenen) und eröffneten damit die Tagung auf höchstem Niveau.

Der Präsident, Univ.-Prof. Dr. Rudolf Mosler, dankte in seinen Schlussworten allen Vortragenden, Teilnehmer:innen, Diskutant:innen und insb den vielen an der Organisation beteiligten Personen, die – wie jedes Jahr – für einen reibungslosen Ablauf der Tagung sorgten. Die nächste Tagung der Gesellschaft für Arbeitsrecht und Sozialrecht wird – ganz traditionell und schon zum 60. Mal – vom 9. bis 11.4.2024 im Ferry Porsche Congress Center Zell am See stattfinden. 220