Der ArbeitnehmerInnen-Begriff im EU-Arbeitsrecht*, * – Status quo und Veränderungspotenzial

MARTINRISAK/THOMASDULLINGER (WIEN)
Der Begriff des/der AN steckt nicht nur im nationalen, sondern auch im europäischen Recht den Schutzbereich des Arbeitsrechts ab. Vor dem Hintergrund der Veränderungen der Arbeitsorganisation stellt sich die Frage, ob die bisher vom EuGH vorgenommene Interpretation, die wesentlich auf organisatorische und nicht auf wirtschaftliche Kriterien abstellt, noch sachadäquate Lösungen bietet bzw, ob sie schon jetzt Ansatzpunkte für eine Einbeziehung auch von schutzbedürftigen Selbständigen in den Schutzbereich aufweist. Dies ist nicht zuletzt auch deshalb von Bedeutung, da der Vorschlag für eine Richtlinie über transparente und verlässliche Arbeitsbedingungen erstmals eine Legaldefinition auf europäischer Ebene enthält, die auf die Rsp des EuGH verweist.
  1. Der Ausgangspunkt

    1. Neue Impulse durch die Europäische Säule sozialer Rechte

    2. Der Geltungsbereich des Arbeitsrechts: Wer ist geschützt und warum?

    3. Neue Rahmenbedingungen, neue Konzepte?

  2. Der ArbeitnehmerInnenbegriff im Primär- und Sekundärrecht

    1. Primärrecht

    2. Sekundärrecht

  3. Der ArbeitnehmerInnenbegriff in der EuGH-Rechtsprechung

    1. Einheitlicher ArbeitnehmerInnenbegriff

    2. Auslegung des ArbeitnehmerInnenbegriffs durch den EuGH

      1. Wirtschaftliche Tätigkeit

      2. Weisungsunterworfenheit

      3. Gegenstand der Tätigkeit

    3. Zwischenergebnis

  4. Ausblick: Gibt es Veränderungspotenzial?

1.
Der Ausgangspunkt
1.1.
Neue Impulse durch die Europäische Säule sozialer Rechte

Im Zuge der Umsetzung der Grundsätze der Europäischen Säule sozialer Rechte (ESSR)* hat die Europäische Kommission nach dem Scheitern zweier Konsultationsverfahren mit den Europäischen SozialpartnerInnen* am 21.12.2017 einen Vorschlag für eine RL über transparente und verlässliche Arbeitsbedingungen vorgelegt (idF Richtlinienvorschlag).* Dieser Vorschlag stellt formell eine Überarbeitung der Nachweis-RL 91/533/EWG hinsichtlich ihres Geltungsbereiches dar; sie geht dann aber inhaltlich weit über den bloßen Nachweis des Arbeitsvertragsinhaltes hinaus und sieht auch materielle Rechte der Arbeitenden vor. Dies ist auch auf die Entschließung des Europäischen Parlaments vom 4.7.2017 zu Arbeitsbedingungen und prekären Beschäftigungs-206verhältnissen zurückzuführen, das die Europäische Kommission auffordert, die Nachweis-RL 91/533/EWG zu überarbeiten und dabei neuen Beschäftigungsformen Rechnung zu tragen.*

Im gegebenen Zusammenhang interessiert insb der Aspekt, dass der Richtlinienvorschlag das erste Mal eine europarechtliche Legaldefinition des AN-Begriffes enthält. Dies ist darauf zurückzuführen, dass die REFIT-Evaluierung der Nachweis-RL 91/533/EG* Schwachstellen im persönlichen und sachlichen Geltungsbereich ermittelt hat, auch die öffentliche Konsultation der ESSR* hat derartige Lücken aufgezeigt. Das Problem wird darin verortet, dass der Geltungsbereich der Nachweis-RL, der auf den mitgliedstaatlichen AN-Begriff verwiesen hatte, von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat je nach der jeweiligen nationalen Definition unterschiedlich sei und dass immer mehr AN, die in atypischen Formen der Beschäftigung tätig sind,* Gefahr laufen, aus dem Geltungsbereich ausgeschlossen zu werden. Um dem vorzubeugen, schlägt die Europäische Kommission die Einführung einer Legaldefinition vor, die dazu führen soll, dass die neugefasste RL immer dann zur Anwendung kommt, wenn Arbeitende die dort niedergelegten Kriterien erfüllen (so auch ErwG 7 Richtlinienentwurf).* Die Definition in Art 2 lit a Richtlinienvorschlag lautet folgendermaßen:

„Für die Zwecke dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck(a) „Arbeitnehmerin“ oder „Arbeitnehmer“ eine natürliche Person, die während einer bestimmten Zeit für eine andere Person nach deren Weisung Leistungen erbringt, für die sie als Gegenleistung eine Vergütung erhält.“

Diese Initiative der Europäischen Kommission zeigt die Aktualität und Relevanz einer grundlegenden Untersuchung des europarechtlichen AN-Begriffs und wirft die Frage auf, inwieweit dieser noch den Anforderungen einer modernen Arbeitswelt entspricht, die immer unterschiedlichere Formen der Beschäftigung aufweist. Letztlich geht es doch bei der Definition des Anwendungsbereiches des Arbeitsrechts darum, jene Personen einzuschließen, die seines Schutzes bedürfen.

1.2.
Der Geltungsbereich des Arbeitsrechts: Wer ist geschützt und warum?

Das Arbeitsrecht soll bekanntlich jene Personen erfassen, die sich in einer besonders schutzbedürftigen Situation befinden,* was zur Frage überleitet, wie sich das Arbeitsverhältnis von anderen Austauschverhältnissen unterscheidet und worin die besondere Schutzwürdigkeit der AN liegt. Als Begründung wird dafür üblicherweise die doppelte wirtschaftliche Abhängigkeit der AN angeführt. Einerseits gehören die für die Arbeit wesentlichen Ressourcen nicht den Arbeitenden. Diese bedürfen der AG, die Ressourcen beizustellen und sind in dem Sinne von ihnen wirtschaftlich abhängig. Andererseits geht es um den Umstand, dass die Arbeitenden nichts anderes zu verwerten haben als ihre Arbeitskraft und daher auf das Entgelt aus dieser Verwertung angewiesen sind, um ihre Lebensbedürfnisse zu decken.* In den meisten Rechtsordnungen wird jedoch nicht auf diese ökonomischen Argumente Bezug genommen, sondern auf die Art und Weise, wie die Arbeit verrichtet wird.* Vor allem der zweite Aspekt (die Lohnabhängigkeit) wird als für die Abgrenzung impraktikabel angesehen, da es ja den VertragspartnerInnen unmöglich sei, auszuforschen, wovon die Arbeitenden tatsächlich leben würden.*

Deshalb haben vor allem europäische Rechtsordnungen den organisatorischen Aspekt, dh wie die Arbeit geleistet wird, in den Vordergrund gestellt und geprüft, ob die Entscheidungsspielräume bei der Arbeitsleistung eingeschränkt sind, dh ob in persönlicher Abhängigkeit gearbeitet wird.* Das war praktikabel und hat auch zufriedenstellende Ergebnisse geboten – jene Personen, die ausreichende Ressourcen hatten, waren selbständig tätig und auch in der Lage, Entgelte und sonstige Arbeitsbedingungen zu vereinbaren, die ihre Bedürfnisse ausreichend abdecken konnten. Andererseits waren die in persönlicher Abhängigkeit tätigen Personen auch jene, die keine ausreichende Verhandlungsmacht hatten, um zufriedenstellende Entgelte sicherstellen zu können.* Unter diesen Umständen war es zumindest für das Gros der Beschäftigten adäquat, die persönliche Abhängigkeit mit der wirtschaftlichen Abhängigkeit und damit der Schutzbedürftigkeit gleichzusetzen.

Ohne die dahinterstehende Begründung jemals offenzulegen, verwendet der EuGH bis dato einen ähnlichen Ansatz zur Umschreibung des AN-Begriffes, der wesentlich auf die organisatorischen Elemente der Eingliederung und Unterwerfung abstellt. Es ist stRsp,* dass AN natürliche Personen sind, die während einer bestimmten Zeit für eine andere Person nach deren Weisung Leistungen erbringen, für die sie als Gegenleistung eine Vergütung erhalten. Wesentlich ist – wie auch im österreichischen Arbeitsrecht – die (persönliche) Weisungsunterworfenheit iSd Einschränkung der Entscheidungsfreiheit hinsichtlich des Ortes, der Zeit und der Arbeitsabläufe.* Nur in sehr wenigen Entscheidungen (siehe unten Pkt 3.3.) treten wirtschaftliche Aspekte in den Vordergrund wie der Umstand, dass AN nicht an wirtschaftlichen Risiken des Unternehmens beteiligt sind* oder dass sie für die Dauer des Arbeitsverhältnisses in die Unternehmen ihrer VertragspartnerInnen eingegliedert sind und daher mit jenen eine wirtschaftliche Ein-207heit bilden.* Freilich werden diese Kriterien nur selten herangezogen, sie bieten aber nichtsdestotrotz Ansatzpunkte, den AN-Begriff auf eine Weise zu interpretieren, der diesen an geänderte Formen der Arbeitsorganisation anpasst.

Eine der augenscheinlichsten Veränderungen der Arbeitswelt des beginnenden 21. Jahrhunderts ist nicht nur die Flexibilisierung der Arbeitsverhältnisse, sondern auch das Anwachsen der Anzahl der Selbständigen. Dies kann auf viele Ursachen zurückgeführt werden, wie insb den digitale Wandel, die Verbreitung von mobilen Endgeräten, immer wiederkehrende Wirtschaftskrisen und fortschreitende Globalisierung, die Veränderung der Lebensstile und einen allgemeinen gesellschaftlichen Wertewandel.* Diese Solo-Selbständigen oder Ein-Personen-Unternehmen unterscheiden sich von denen der „freien Berufe“ der Vergangenheit, wie Rechtsanwälten und Architektinnen, und ähneln eher den ArbeiterInnen des 19. Jahrhunderts, die keine anderen Alternativen hatten, als ihre Arbeitskraft auf einem heiß umkämpften Markt anzubieten. So wie herkömmliche AN arbeiten sie höchstpersönlich und verkaufen ihre Arbeitskraft; sie agieren idR nicht auf einem Markt, sondern kontrahieren nur mit einer eingeschränkten Anzahl von VertragspartnerInnen, was ihre Verhandlungsmacht diesen gegenüber schwächt, da sie ja auf dieses eine konkrete Arbeitseinkommen zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts angewiesen sind. Der einzige Unterschied zwischen ihnen und herkömmlichen AN ist die formale Freiheit zu entscheiden, was und wie viel sie wann arbeiten wollen – aber auch diese ist massiv eingeschränkt durch den Umstand, dass ihre wirtschaftliche Situation es mangels anderer Alternativen erfordert, ihre Arbeitskraft dann ihren VertragspartnerInnen zur Verfügung zu stellen, wenn diese einen entsprechenden Bedarf haben.

Dieser Umstand wurde auch auf EU-Ebene erkannt und im 2006 aufgelegten Grünbuch „Ein modernes Arbeitsrecht für die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts“* führt die Kommission aus, dass die „herkömmliche Unterscheidung zwischen abhängigen „Beschäftigten“ und nicht abhängigen „Selbstständigen“ [...] die wirtschaftlichen und sozialen Gegebenheiten der Arbeitswelt nicht mehr angemessen [widerspiegelt]. Diskussionen über die Rechtsnatur eines Beschäftigungsverhältnisses können aufkommen, wo es entweder verschleiert ist oder wo echte Schwierigkeiten beim Versuch auftreten, neue und dynamische Arbeitsregelungen in den Rahmen traditioneller Beschäftigungsverhältnisse einzufügen.* Damit wird in diesem Grünbuch auch die Problematik der schutzbedürftigen Selbständigen angesprochen und dazu ausgeführt:

„Der Begriff der „wirtschaftlich abhängigen Arbeit“ deckt Situationen ab, die zwischen den beiden herkömmlichen Begriffen der abhängigen Erwerbstätigkeit und der selbstständigen Erwerbstätigkeit stehen. Die betreffenden Personen haben keinen Arbeitsvertrag. Unter Umständen sind sie nicht durch das Arbeitsrecht gedeckt, da sie sich in einer „Grauzone“ zwischen Arbeitsrecht und Handelsrecht bewegen. Wenn auch formal „selbstständig“, sind sie doch von einem einzigen Hauptkunden/Arbeitgeber als Einkommensquelle wirtschaftlich abhängig.“*
1.3.
Neue Rahmenbedingungen, neue Konzepte?

Diese bereits 2006 von der Europäischen Kommission beschriebenen Veränderungen der Arbeitswelt haben durch die gerade stattfindende digitale Transformation* an Fahrt zugenommen und werfen daher nun erneut die sich mit erhöhter Dringlichkeit stellende Grundfrage des Arbeitsrechts auf: Wer ist geschützt und warum? Oder, wie es die Europäische Kommission in ihrem Grünbuch ausdrückt: „Braucht man einen Grundstock an Vorschriften, welche die Beschäftigungsbedingungen aller Beschäftigten, unabhängig von der Form ihres Vertrags, regeln?* Auch im begleitenden Dokument zur Konsultation der ESSR* wird betont, dass die Unterscheidung zwischen AN (worker) und Selbständigen (self-employed) und auch zwischen Selbständigen (self-employed) und UnternehmerInnen (entrepreneur) immer mehr verschwimme. Dies sei gerade in der „kollaborativen Wirtschaft“ (der Plattformökonomie) der Fall, die darauf beruhe, dass Individuen ihr Eigentum wie Häuser und Autos verwerten, während die dort tätigen Unternehmen (die Plattformen) nur Teildienstleistungen anbieten würden und nicht ein abgeschlossenes Endprodukt.* Dies mache eine Einordnung der Verträge und eine Zuordnung von Verantwortung schwierig.

Wenn man unter diesen Rahmenbedingungen einen Bedarf an einer zumindest teilweisen Ausweitung des Schutzbereichs des Arbeitsrechts diagnostiziert, dann gibt es unterschiedliche Möglichkeiten, dies zu bewerkstelligen: Entweder man definiert den AN-Begriff grundlegend neu oder man dehnt den Anwendungsbereich einzelner Normen auf schutzbedürftige Selbständige aus, wie dies bekanntlich in Österreich hinsichtlich der arbeitnehmerInnenähnlichen Personen im Bereich des GlBG, AÜG, ASGG und des DHG passiert ist. In diesem Beitrag soll der erste Lösungsweg, nämlich die Ausweitung des AN-Begriffes, diskutiert werden, wobei auch hier zwei Möglichkeiten bestehen: Einerseits kann dies regulativ iS einer gesetzlichen Neudefinition erfolgen und andererseits im Wege der Interpretation des bestehenden AN-Begriffes durch die Gerichte. Hier soll der zweite Lösungsweg ausgelotet werden, nämlich ob und inwieweit der208EuGH in der Vergangenheit die Schutzbedürftigkeit bestimmter Gruppen von Selbständigen wahrgenommen und darauf in seiner Rsp entsprechend reagiert hat. Fraglich ist somit, inwiefern dies Ansatzpunkte bietet bei der Definition des/der AN über ein bloß formal-organisatorisches Konzept hinauszugehen und auch wirtschaftliche Elemente miteinzubeziehen.

2.
Der ArbeitnehmerInnenbegriff im Primär- und Sekundärrecht

Ausgangspunkt jeder Rsp-Analyse ist das der Judikatur zu Grunde liegende Rechtsmaterial, in concreto das einschlägige Primär- und Sekundärrecht der EU. Dabei fällt auf, dass das EU-Recht kein in sich geschlossenes System des Arbeitsrechts aufweist, das in umfassender Weise die mit dem Arbeitsverhältnis im Zusammenhang stehenden Probleme behandelt, sondern, dass diese nur punktuell und dann aber oft sehr detailliert geregelt sind. Primärrechtlich sind ohnehin nur zwei Bereiche behandelt, nämlich die Entgeltgleichheit (Art 157 AEUV) und die AN-Freizügigkeit (Art 45 AEUV); der Großteil des europäischen arbeitsrechtlichen Rechtsbestands findet sich hingegen im Sekundärrecht in Form von Richtlinien.* Wie unten dargelegt wird, stellte der EuGH in der Vergangenheit wiederholt klar, dass es keine einheitliche Definition des AN im EU-Recht gäbe, nichtsdestotrotz bringt der Gerichtshof aber im Wesentlichen ein einheitliches Begriffsverständnis zur Anwendung.

2.1.
Primärrecht

Alle Überlegungen zum europarechtlichen AN-Begriff setzen üblicherweise bei der AN-Freizügigkeit in Art 45 AEUV an.*) Dies ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass sich eine erstmalige Definition des AN-Begriffes in der Grundsatzentscheidung in der Rs Lawrie Blum* findet, die dann für alle anderen Bereiche des Arbeitsrechts angewendet wird.* Es ist jedoch zweifelhaft, ob das zu einer Grundfreiheit entwickelte Verständnis von deren Anwendungsbereich der adäquate Ausgangspunkt für die Definition des Schutzbereichs des klassischen Arbeitsrechtes als AN-Schutzrecht ist. Bei der AN-Freizügigkeit geht es nämlich im Wesentlichen um einen Marktzugang aller EU-BürgerInnen und um die Beseitigung aller Formen von Diskriminierung, die diesen verhindern können. Dieser an der Markteffizienz orientierte Zweck der Regelung unterscheidet sich nun doch wesentlich von jenem des Arbeitsrechts, das in erster Linie die auf mehreren Ebenen bestehende Unterlegenheitsposition der AN ausgleichen möchte. Bei zweiteren geht es um die Gewährleistung von angemessenen Arbeitsbedingungen (equity) und die Möglichkeit der Mitgestaltung des Arbeitsumfeldes (voice)* oder, wie dies zuletzt Davidov*) mit anderen Worten ausgedrückt hat, um den Ausgleich demokratischer Defizite und verschiedener Formen von Abhängigkeit.

Diese Überlegungen hinsichtlich des Zweckes des Arbeitsrechtes bei der Definition des AN-Begriffes sind vor allem dann von Bedeutung, wenn erwogen wird, den Schutzbereich des Arbeitsrechtes über die in persönlicher Abhängigkeit Arbeitenden hinaus auszuweiten. Im Zusammenhang mit der AN-Freizügigkeit betrafen viele Entscheidungen Übergangsvorschriften betreffend den Arbeitsmarktzugang von BürgerInnen neu aufgenommener Mitgliedstaaten, die zwar als Selbständige tätig sein konnten, aber nicht als AN. Es geht hier also „nur“ um die Abgrenzung von zwei Grundfreiheiten voneinander, die mit der Zeit ohnehin an Bedeutung verliert, und nicht um die Frage, ob jemand geschützt ist oder nicht. Eine teleologische Interpretation kann daher in unterschiedlichen Rechtsbereichen wegen der unterschiedlichen Gesetzeszwecke zu unterschiedlichen Lösungen führen.* Deshalb ist bei der Übertragung eines Begriffsverständnisses, das zu einer Grundfreiheit entwickelt wurde, auf andere Bereiche des Arbeitsrechts, dem andere Überlegungen zu Grunde liegen, Vorsicht geboten. Ein am Zweck orientiertes, differenziertes Verständnis kann dann nämlich zu anderen, sachadäquateren Lösungen führen. Dieser Ansatz wird in der Literatur ua von Rebhahn* im Zusammenhang mit dem AN-Begriff in Art 153 AEUV vertreten, der die Grundlage für die arbeitsrechtlichen Richtlinien darstellt. Demnach soll auch die ökonomische Abhängigkeit berücksichtigt werden, wodurch es der EU möglich sein soll, auch für wirtschaftlich abhängig Arbeitsleistende Regelungen zu erlassen, die nicht durch den herkömmlichen AN-Begriff erfasst sind. Für den Bereich des Gleichbehandlungsrechts hat der EuGH in der Rs Allonby* hingegen ohne weitere Begründung auf die Lawrie-Blum-Formel verwiesen und festgehalten, dass Art 157 AEUV nicht „selbständige Erbringer von Dienstleistungen, die gegenüber dem Empfänger der Dienstleistungen nicht in einem Unterordnungsverhältnis stehen“ vom AN-Begriff erfassen wolle.

Von besonderem Interesse in diesem Zusammenhang ist die ungeschriebene Ausnahme vom Kartellverbot des Art 101 AEUV für Gewerkschaften und Kollektivverträge. Diese Rsp-Linie hat ihren Ursprung bekanntlich in der Rs Albany,*,* wo der EuGH zwar auf Vereinbarungen zwischen Organisationen von AG und AN verweist, aber den AN-Begriff nicht definiert. Dies ist dann erst 2014 in der viel diskutierten Rs FNV Kunsten* der Fall,209der Kollektivverträge betraf, die auch selbständige AushilfsmusikerInnen erfassen sollten. Der EuGH hält dazu fest, dass Tarifvereinbarungen, die Selbständige betreffen, nur dann vom Kartellverbot des Art 101 AEUV ausgenommen sind, wenn „die Leistungserbringer „Scheinselbständige“ sind, d. h. sich in einer vergleichbaren Situation wie die Arbeitnehmer befinden“.* Damit ist unklar, ob – zumindest was das Wettbewerbsrecht betrifft – der EuGH eine Zwischenkategorie eingeführt und so die Ausnahmebestimmung erweitert hat oder ob es sich dabei nur um AN handelt, die fälschlich als Selbständige bzw UnternehmerInnen eingeordnet wurden.

2.2.
Sekundärrecht

Am arbeitsrechtlichen Sekundärrecht fällt auf, dass der dort verwendete AN-Begriff nicht einheitlich ist: Einige Richtlinien verweisen auf den nationalen AN-Begriff, während dies bei anderen nicht der Fall ist. Wie sogleich nachzuweisen ist, hat der EuGH aber jedenfalls die Tendenz, einen europäischen einheitlichen AN-Begriff zu verwenden, wobei dies einerseits im Wege der Interpretation und andererseits mit dem Argument des effet utile, wenn die RL auf den mitgliedstaatlichen AN-Begriff verweist, bewerkstelligt wird.*

3.
Der ArbeitnehmerInnenbegriff in der EuGH-Rechtsprechung

Wie bereits erwähnt, nahm die Rsp des EuGH zum AN-Begriff in den Grundfreiheiten ihren Ausgangspunkt. Nachdem sich der Gerichtshof schon zu einzelnen Aspekten des AN-Begriffs der AN-Freizügigkeit (heute Art 45 AEUV) geäußert hatte,* präsentierte er in der Rs Lawrie-Blum zum ersten Mal eine umfassende Definition. „Das wesentliche Merkmal des Arbeitsverhältnisses besteht [...] darin, daß jemand während einer bestimmten Zeit für einen anderen nach dessen Weisung Leistungen erbringt, für die er als Gegenleistung eine Vergütung erhält.* Bis auf kleinere Änderungen und gelegentlich abweichende Formulierungen hält der EuGH bis heute an dieser Definition fest. Eine wesentliche Ergänzung hat diese Formel durch den Zusatz erfahren, es sei erforderlich, dass der/die Arbeitende „eine tatsächliche und echte Tätigkeit ausübt, wobei Tätigkeiten außer Betracht bleiben, die einen so geringen Umfang haben, dass sie sich als völlig untergeordnet und unwesentlich darstellen.* In der jüngeren Rsp des EuGH zum AN-Begriff spielen Urteile zu anderen Materien als der AN-Freizügigkeit eine zunehmende Rolle. Da raus resultiert die Frage, ob der EuGH nun einen einheitlichen AN-Begriff verwendet oder nach den betreffenden Materien differenziert wird.

3.1.
Einheitlicher ArbeitnehmerInnenbegriff

Die Rsp des EuGH ist zu diesem Zweck zunächst in jene Materien mit autonomem AN-Begriff und jenen Materien, die bloß auf den AN-Begriff der Mitgliedstaaten verweisen, zu unterteilen. Zur letzteren Gruppe gehören beispielsweise die Teilzeit- RL 97/81/EG*) oder die Betriebsübergangs- RL 2001/23/EG.* In diesen Materien kommt es nicht zu einer Auslegung des AN-Begriffs durch den EuGH, allenfalls zu einer Überprüfung von nationalen Ausnahmen.*

In jenen Materien, denen ein autonomer europarechtlicher AN-Begriff zu Grunde liegt, stellt sich nun die Frage, ob dieser einheitlich oder je nach Materie unterschiedlich auszulegen ist. In der Lehre wird immer wieder darauf hingewiesen, dass dem Unionsrecht kein einheitliches AN-Konzept zu Grunde liege.* Auch der EuGH selbst hat wiederholt betont, dass es im Unionsrecht keinen einheitlichen AN-Begriff gebe. Die Bedeutung dieses Begriffs hänge vielmehr von der jeweils anzuwendenden Norm ab. Dabei stellt der Gerichtshof den AN-Begriff der AN-Freizügigkeit (Art 45 AEUV und VO 1612/68 bzw VO 492/2011) jenem der Maßnahmen der sozialen Sicherheit (Art 48 AEUV und VO 1408/71 bzw VO 883/2004) gegenüber.*

Von dieser Unterscheidung abgesehen übernimmt der EuGH jedoch die Definition der Rs Lawrie-Blum für viele andere Bestimmungen, die nichts mit der AN-Freizügigkeit zu tun haben. So erklärt er bspw die AN-Begriffe der Arbeitszeit-RL,* verschiedener Assoziierungsabkommen* und der Übergangsbestimmungen nach dem Beitritt Spaniens* für deckungsgleich mit der für die AN-Freizügigkeit entwickelten Begrifflichkeit. Auch für die Brüssel I-VO (VO 44/2001 bzw VO 1215/2012)*) und die Gleichbehandlungsrahmen-RL (2000/78/EG)* stellt der EuGH ausdrücklich einen Zusammenhang zum AN-Begriff der AN-Freizügigkeit her. Selbst dort, wo der Gerichtshof eine solche Verbindung nicht ausdrücklich herstellt, verwendet er dieselbe Definition und zitiert Entscheidungen zu verschiedenen Materien beliebig nebeneinander.* Trotz der in der Lehre geäußerten Bedenken hinsichtlich einer Übernahme des AN-Begriffs210der AN-Freizügigkeit für andere Rechtsgebiete* scheint der EuGH für die autonom auszulegenden AN-Begriffe ein einheitliches Konzept zu verfolgen. Daran ändert auch die Praxis des EuGH, gelegentlich zumindest dem Wortlaut nach andere Kriterien in den Fokus der Prüfung zu rücken, nichts.*

3.2.
Auslegung des ArbeitnehmerInnenbegriffs durch den EuGH

Nachdem herausgearbeitet wurde, dass der EuGH in seiner Rsp faktisch ein einheitliches Konzept des AN-Begriffes verfolgt, soll dieses nun mit den relevanten Elementen dargestellt werden.

3.2.1.
Wirtschaftliche Tätigkeit

Damit eine (wirtschaftliche) Tätigkeit dem Unionsrecht unterfällt, muss sie einen Teil des Wirtschaftslebens ausmachen.* Die beiden wichtigsten Ausprägungen dieser Voraussetzung sind die Entgeltlichkeit der Tätigkeit und dass diese eine tatsächliche und echte Tätigkeit darstellen muss. Sind diese beiden Kriterien erfüllt, liegt idR eine wirtschaftliche Tätigkeit vor.* Eine solche ist bspw bei der Teilnahme an Spielen einer Nationalmannschaft nicht gegeben, weil es dabei ausschließlich um sportliche, nicht jedoch wirtschaftliche Interessen geht.*

Die Voraussetzung einer wirtschaftlichen Tätigkeit, die aus dem Recht der Grundfreiheiten kommt, gilt sowohl für selbständige als auch für unselbständige Tätigkeiten und ist daher für die Abgrenzung zwischen diesen nicht relevant.* Relevant ist sie jedoch, wenn es um die Frage geht, ob jemand, der in persönlicher Abhängigkeit arbeitet, in den Anwendungsbereich einer RL oder einer VO fällt. Hiezu wird in der Lehre vertreten, dass zumindest das Kriterium der tatsächlichen und echten Tätigkeit, das der Abgrenzung von wirtschaftlich aktiven und inaktiven Personen dient,* für diese Frage nicht beachtlich sei.*) Für die Grundfreiheiten wird hingegen argumentiert, dass die Voraussetzung nicht streng genug sei.* Der EuGH wendet ungeachtet dieser Einwände die Voraussetzungen der tatsächlichen und echten Tätigkeit und der Entgeltlichkeit auch für den sekundärrechtlichen AN-Begriff an.*

a) Entgeltlichkeit

Nur eine entgeltliche Tätigkeit kann ein Arbeitsverhältnis begründen,* weil nur eine solche einen Teil des Wirtschaftslebens darstellt.* Der EuGH stellt jedoch keine hohen Anforderungen an die Entgeltlichkeit. Er lässt auch geringe Geldleistungen,* eine Entlohnung in Form einer Ertragsbeteiligung* und eine Entlohnung in Naturalien* ausreichen. Woher die Mittel zur Entlohnung stammen, ist ebenso unbeachtlich wie die Frage, von wem der/die Arbeitende faktisch das Entgelt erhält.* Soweit zu sehen ist, hat der EuGH das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses noch nie wegen fehlender Entgeltlichkeit verneint und hat auch sonst keine Probleme bei der Anwendung dieser Voraussetzung. Bloß in der Rs Jany finden sich problematische Ausführungen zum Entgelt. Für die Abgrenzung zwischen selbständigem Tätigwerden und dem Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses stellte der EuGH ua darauf ab, ob der/die Arbeitende gegen ein Entgelt, das ihm vollständig und unmittelbar gezahlt wird, tätig wird. Nur wenn dies der Fall ist, sei eine Qualifikation als Selbständiger möglich.* Würde man diese Voraussetzungen verallgemeinern, so wäre die arbeitende Person bei dreipersonalen Verhältnissen idR nicht AN, weil sie den Lohn oft nicht unmittelbar und fast nie vollständig ausbezahlt bekommen wird (Anteil für den/die VermittlerIn).

b) Tatsächliche und echte Tätigkeit

Unter der Anforderung einer tatsächlichen und echten Tätigkeit werden zwei verschiedene, voneinander unabhängige Fallgruppen zusammengefasst. Einerseits jene Fälle, in denen die AN-Eigenschaft aufgrund des geringen Umfangs der Erwerbstätigkeit fraglich ist, andererseits jene Fälle, in denen dies aufgrund des Inhalts oder der Zwecksetzung der Tätigkeit gegeben erscheint.

Für die Praxis relevanter ist erstere Fallgruppe. Die Tätigkeit darf keinen so geringen Umfang haben, dass sie sich als völlig untergeordnet und unwesentlich darstellt.* Die Beurteilung, ob eine Tätigkeit tatsächlich und echt ist, ist auf objektive Kriterien und eine Gesamtbetrachtung aller Umstände zu stützen, die die Art der in Rede stehenden Tätigkeiten und des fraglichen Arbeitsverhältnisses betreffen.* Insb die Anzahl der gearbeiteten Stunden, die Höhe der Vergütung, aber auch allfällige Unregelmäßigkeiten, die beschränkte Dauer der bei Gelegenheitsarbeit tatsächlich erbrachten Leistungen und eine allfällige Leistungspflicht sind dabei zu berücksichtigen.* Ebenfalls relevant ist, ob der/die Beschäftigte das Recht auf bezahlten Urlaub und Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall211hat und ob auf ihn/sie ein KollV anwendbar ist.* Der EuGH anerkannte zumindest Tätigkeiten im Ausmaß von zehn Stunden pro Woche* bzw im Ausmaß zwischen vier und 14 Stunden pro Woche* als ausreichend. Ebenso eine Tätigkeit für zweieinhalb Monate,* eine „kurze und nicht existenzsichernde geringfügige“ Beschäftigung oder eine „wenig mehr als einen Monat dauernde“ Beschäftigung.* Jüngst hat der EuGH auch für ein Vertragsverhältnis, das nur vier Tage gedauert hatte,* und für eine Beschäftigung mit 5,5 Std pro Woche* entschieden, dass diese als Arbeitsverhältnis qualifiziert werden können.

In der zweiten Fallgruppe finden sich Entscheidungen zur AN-Eigenschaft von PraktikantInnen und Personen, die auf dem regulären Arbeitsmarkt (zumindest vorübergehend) keine Chance auf einen Arbeitsplatz haben. PraktikantInnen sind als AN zu qualifizieren, wenn sie ihre Tätigkeit unter den Bedingungen einer tatsächlichen und echten Tätigkeit im Lohn- und Gehaltsverhältnis ableisten.* So ist bspw auch eine Person, die im Rahmen eines Praktikums praktisch mitarbeitet, um Kenntnisse zu erwerben oder zu vertiefen oder eine Berufsausbildung zu absolvieren und dafür ausschließlich durch die zuständigen öffentlichen Stellen bezahlt wird, als AN zu qualifizieren.* Eine geringe Produktivität und die Entlohnung aus öffentlichen Mitteln sind kein Hinderungsgrund für eine Qualifikation als AN.* Sind die ausgeübten Tätigkeiten hingegen nur ein Mittel der Rehabilitation oder der Wiedereingliederung der AN und sind diese auf die körperlichen und geistigen Möglichkeiten des einzelnen zugeschnitten, so liegt kein Arbeitsverhältnis vor.* Entscheidend ist, ob die tatsächlich erbrachten Leistungen auf dem Beschäftigungsmarkt üblich sind und ob die ausgeübten Tätigkeiten allein deshalb eingerichtet wurden, um den Betroffenen eine Beschäftigung zu bieten. Ist dies nicht der Fall und sind die Tätigkeiten von einem gewissen wirtschaftlichen Nutzen, sind sie als tatsächlich und echt anzusehen.*

3.2.2.
Weisungsunterworfenheit

Entscheidend für die Abgrenzung zwischen AN und Selbständigem/Selbständiger ist, ob die arbeitende Person für einen anderen nach dessen Weisung Leistungen erbringt.*) Es ist in jedem Einzelfall nach Maßgabe aller Gesichtspunkte und aller Umstände, die die Beziehungen zwischen den Beteiligten kennzeichnen, zu prüfen, ob ein solches Unterordnungsverhältnis vorliegt.* Für diese Beurteilung kommt es nicht nur auf den Vertragsinhalt an, sondern auch auf die Modalitäten der Vertragsdurchführung.*

In der Leitentscheidung Lawrie-Blum hat der EuGH auf die Weisungsunterworfenheit hinsichtlich der zu erbringenden Leistungen und der Arbeitszeiten und die damit korrespondierende Aufsicht des/die VertragspartnerIn referenziert.* In späteren Entscheidungen stellt der EuGH auf die Fremdbestimmung bei der Wahl der Arbeitszeit, des Arbeitsortes und des Arbeitsinhalts ab.* In der Rs Haralambidis spricht der EuGH dann schließlich allgemein von den Modalitäten der Ausführung der Aufgaben.* In den jüngeren Entscheidungen beruft sich der Gerichtshof zunehmend auf die Eingliederung in die Strukturen des/der VertragspartnerIn als Argument für den Arbeitsvertrag.*

Nicht erforderlich ist nach der Rsp des EuGH, dass der/die AN zur Leistung verpflichtet ist. Vielmehr kann auch eine Person, die nicht verpflichtet ist, einem Abruf durch den/die VertragspartnerIn Folge zu leisten, AN im unionsrechtlichen Sinn sein.* Für die Prüfung des Unterordnungsverhältnisses ist es nicht relevant, ob der/die Arbeitende die Möglichkeit hat, Einsätze abzulehnen.* Offen ist bisher aber, ob der EuGH in diesen Fällen schon die Rahmenabrede als (durchgängigen) Arbeitsvertrag qualifiziert oder erst die einzelnen Einsätze.* Die Möglichkeit, GehilfInnen/eigenes Personal einzusetzen, spricht jedenfalls gegen eine Qualifikation als Arbeitsvertrag, dürfte diesen aber nicht ausschließen.*

Eine besondere Stellung nehmen die Urteile des EuGH zur AN-Eigenschaft von Organmitgliedern von Kapitalgesellschaften ein. Diese gelten nicht schon alleine wegen ihrer gesellschaftsrechtlichen Stellung als Selbständige. Es ist vielmehr immer im Einzelfall zu prüfen, ob ein Unterordnungsverhältnis besteht.* Ein solches ist jedoch jedenfalls ausgeschlossen, wenn der Geschäftsführer gleichzeitig der alleinige Gesellschafter der Gesellschaft ist,* weil dieser keiner Weisung einer anderen Person oder eines anderen Organs, das er nicht selbst kontrolliert, unterliegt.*

Für die Beurteilung, ob ein Unterordnungsverhältnis besteht, sind die Bedingungen zu prüfen, unter denen GeschäftsführerInnen bestellt wurden, die Art der ihnen übertragenen Aufgaben, der Rahmen,212in dem diese Aufgaben ausgeführt werden, der Umfang der Befugnisse und die Kontrolle, der sie innerhalb der Gesellschaft unterliegen, sowie die Umstände, unter denen sie abberufen werden können.* Ein Mitglied der Unternehmensleitung, das von der Gesellschaft bestellt wurde und in diese eingegliedert ist, seine Tätigkeit nach der Weisung oder unter der Aufsicht eines anderen Organs ausübt und jederzeit ohne Einschränkung von seinem Amt abberufen werden kann, erfüllt dem ersten Anschein nach die Voraussetzungen, um als AN zu gelten.* Das Fehlen einer Beteiligung des/der GeschäftsführerIn ist weder erforderlich noch alleine ausschlaggebend, aber wohl ein Indiz für die AN-Eigenschaft.* Dabei dürften die Umstände der Bestellung und die Möglichkeiten zur Vertragsbeendigung einerseits bei der Abgrenzung zwischen Dauerschuldverhältnis und Zielschuldverhältnis und andererseits als Indizien für die Weisungsunterworfenheit dienen, weil es unwahrscheinlich ist, dass jemand, der jederzeit ohne wichtigen Grund abberufen werden kann, seine Tätigkeit in völliger Unabhängigkeit ausübt.* In der Rs Holterman stellt der EuGH auch nicht mehr auf diese Kriterien ab, sondern darauf, ob der Geschäftsführer in seiner Eigenschaft als Anteilseigner in der Lage war, auf die Willensbildung des Verwaltungsorgans der Gesellschaft Einfluss zu nehmen. Relevant sei, wer befugt war, ihm Weisungen zu erteilen und deren Umsetzung zu kontrollieren.*

3.2.3.
Gegenstand der Tätigkeit

Der Gegenstand der Tätigkeit ist für die Abgrenzung zwischen Selbständigem/Selbständiger und AN grundsätzlich nicht relevant.* Problematisch ist daher, dass der EuGH in zwei jüngeren Entscheidungen ausgeführt hat, die Art der dem/der Beschäftigten übertragenen Aufgaben seien für das Vorliegen eines Unterordnungsverhältnisses relevant.* Diese Ausführungen sollten uE so verstanden werden, dass nur die mit dem Gegenstand der Tätigkeit einhergehenden Besonderheiten zu berücksichtigen sind und daher bei GeschäftsführerInnen andere Aspekte im Zentrum der Prüfung der AN-Eigenschaft stehen sollen.*

3.3.
Zwischenergebnis

Als Zwischenergebnis der Analyse der einschlägigen EuGH-Rsp lässt sich festhalten, dass der EuGH verstärkt ein europarechtliches autonomes Verständnis des AN-Begriffes anwendet und Personengruppen als AN in den Schutzbereich des Europarechts selbst dann miteinbezieht, wenn diese nach mitgliedstaatlichem Verständnis keine AN sind. Dies betrifft schon eher früh in der Leitentscheidung der Rs Lawrie-Blum die Gruppe der BeamtInnen* und dann später die Gruppe der Organmitglieder von Kapitalgesellschaften.* In sehr aktuellen Entscheidungen betrifft dies Personen in Ausbildung* sowie Vereinsmitglieder.* Freilich betreffen diese Entscheidungen alle Sachverhalte, in denen persönliche Abhängigkeit nach herkömmlichen Verständnis vorliegt. Sie haben daher wenig Potenzial für die Entwicklung eines Begriffsverständnisses, das über die Lawrie-Blum-Formel hinausgeht.

Interessant im vorliegenden Zusammenhang ist die Rolle, die ökonomische Kriterien bei der Abgrenzung des AN-Begriffes einnehmen, wobei uE vier Aspekte der wirtschaftlichen Abhängigkeit und des mangelnden (persönlichen) Auftretens am Markt von Bedeutung sind:

  • keine Beteiligung an den geschäftlichen Risiken des Unternehmens;*

  • fehlende Möglichkeit des freie Einsatzes eigener Hilfskräfte;*

  • Regelung der Arbeits- und Lohnbedingungen in kollektiven Vereinbarungen;*

  • Eingliederung in das Unternehmen des/der VertragspartnerIn und Bildung einer Einheit mit diesem.*

Diese Kriterien könnten in Zukunft dafür nutzbar gemacht werden, über den herkömmlichen AN-Begriff hinauszugehen. Dabei ist jedoch darauf hinzuweisen, dass – wie die Judikaturübersicht oben zeigt – die Frage der wirtschaftlichen Abhängigkeit bislang kaum an den EuGH herangetragen wurde und dass die genannten Entscheidungen teilweise das Wettbewerbsrecht und insb die ungeschriebene Ausnahme für Kollektivverträge vom Kartellverbot des Art 101 AEUV betreffen. Freilich verfolgen Kollektivverträge über weite Strecken eine ähnliche Zwecksetzung wie die primär- und sekundärrechtliche Einräumung von AN-Rechten, nämlich das Verhandlungsungleichgewicht auf individueller Ebene auszugleichen und ein Mindestschutzniveau zu gewährleisten.

4.
Ausblick: Gibt es Veränderungspotenzial?

Eingangs wurde die Frage aufgeworfen, inwieweit die EuGH-Rsp Potenzial birgt, den AN-Begriff über den derzeit hauptsächlich praktizierten formalorganisatorischen Ansatz der persönlichen Abhängigkeit hinaus in Richtung der Berücksichtigung auch ökonomischer Elemente weiterzuentwickeln. Damit könnten auch schutzbedürftige Selbständige in den Anwendungsbereich des Arbeitsrechts213miteinbezogen werden. Eine Analyse der Rsp hat dabei ergeben, dass der EuGH zwar den Anwendungsbereich des europäischen Arbeitsrechtes ausweitet, dabei aber nur mitgliedstaatliche Qualifikationen als irrelevant ansieht, die trotz vorhandener persönlicher Abhängigkeit einzelnen Personengruppen europarechtlich normierte AN-Rechte vorenthalten wollen. Die Zurückhaltung bei der Weiterentwicklung des AN-Begriffes ist wesentlich darauf begründet, dass die sogenannte Lawrie-Blum-Formel, die im Zusammenhang mit der AN-Freizügigkeit entwickelt wurde, für den gesamten Bereich des Arbeitsrechtes der EU zur Anwendung gebracht wird. Nicht zuletzt verwendet auch die Europäische Kommission in ihrem aktuellen Vorschlag für eine RL über transparente und verlässliche Arbeitsbedingungen für die Definition des AN-Begriffes diese Formel und verweist in der Begründung auf die Rs Lawrie-Blum.

Daran ist zu kritisieren, dass eine für eine Grundfreiheit entwickelte Begriffsbildung nur bedingt geeignet ist, den Geltungsbereich von AN-Schutznormen festzulegen. Eine stärker an den Zwecken der einzelnen arbeitsrechtlichen Bestimmungen orientierte Begriffsbildung legt den Schluss nahe, hier dementsprechend zu differenzieren und über den herkömmlichen AN-Begriff hinauszugehen. Ansätze dazu bietet insb die EuGH-Rsp im Zusammenhang mit der ungeschriebenen Ausnahme für Kollektivverträge vom Kartellverbot des Art 101 AEUV. Hier liegt uE wohl das größte Potenzial für eine Weiterentwicklung des AN-Begriffes im Wege der Interpretation des Rechtsbestandes. Es geht dabei um jene Gruppe von Personen, die formal selbständig hinsichtlich des Umfanges der Arbeit sowie der Lage der Arbeitszeit und der Festlegung des Arbeitsortes sind, die aber ökonomisch von ihren (wenigen) VertragspartnerInnen abhängig sind. Sie können daher von dieser formalen Freiheit nicht wirklich Gebrauch machen, weil sie gerade nicht wie typische Selbständige am Markt auftreten. Diese Gruppe befindet sich somit in einer ähnlichen Situation wie herkömmliche AN und sollte daher auch entsprechend geschützt werden. Aus unserer Sicht könnten dafür folgende Kriterien, die aus der Rsp zur arbeitnehmerInnenähnlichen Person bekannt sind,* nutzbar gemacht werden, die flexibel im Wege eines beweglichen Systems angewendet werden sollten:

  • persönliche Leistungserbringung – ein Vertretungsrecht bzw der Einsatz von GehilfInnen ist entweder eingeschränkt oder macht ökonomisch keinen Sinn;

  • eine/n oder wenige VertragspartnerInnen, weshalb die betreffenden Personen nicht auf dem freien Markt auftreten, sondern von wenigen VertragspartnerInnen abhängig sind;

  • Mangel an eigenen Betriebsmitteln, unternehmerischer Organisation und/oder eigenen AN;

  • (vertragliche) Beschränkungen, mit anderen VertragspartnerInnen zu kontrahieren;

  • Abhängigkeit vom Arbeitseinkommen zur Bestreitung des Lebensunterhalts.

Abschließend ist auf die Relevanz auf der regulatorischen Ebene zu verweisen, die gerade mit der eingangs dargelegten Aktivität der Europäischen Kommission betreffend ihren Vorschlag für eine RL über transparente und verlässliche Arbeitsbedingungen in der EU an Bedeutung gewonnen hat, da hier erstmals eine Legaldefinition des AN-Begriffes vorgenommen werden soll. Der Europäische Gewerkschaftsbund (EGB) hat hier im vorangehenden Konsultationsverfahren zu Recht für eine Einbeziehung auch von schutzbedürftigen Selbständigen argumentiert.* Dies ist auch deshalb wichtig, da eine an der Lawrie-Blum-Formel orientierte Definition nicht nur eine extensive Interpretation des Schutzbereiches der konkreten RL methodisch unzulässig macht, sondern auch über die RL auf das gesamte europäische Arbeitsrecht hinaus wirken kann. Sie birgt das Risiko in sich, dass der – uE ohnehin nicht mehr zeitgemäße und den Veränderungen der Arbeitswelt nicht unbedingt adäquate – status quo verfestigt wird und damit einer ausweitenden Interpretation des AN-Begriffes, die im Bereich des Wettbewerbsrechts bereits in Ansätzen erfolgt ist, im Wege steht.214