32Keine Diskriminierung wegen Behinderung infolge krankenstandsbedingter Kündigung bei Personalreduktion
Keine Diskriminierung wegen Behinderung infolge krankenstandsbedingter Kündigung bei Personalreduktion
Aufgrund einer Behinderung darf niemand im Zusammenhang mit der Beendigung des Dienstverhältnisses unmittelbar oder mittelbar diskriminiert werden. Ein festgestellter Grad der Behinderung ist nicht erforderlich.
Krankheit und Behinderung können nicht miteinander gleichgesetzt werden. Krankheit ist als solche kein Diskriminierungsgrund iSd BEinstG und der RL 2000/78/EG. Für eine Behinderung relevante Funktionsbeeinträchtigungen können aber Folge einer Krankheit sein und den Behinderungstatbestand verwirklichen, wenn sie zur Erschwerung der Teilhabe am Arbeitsleben geeignet und nicht nur vorübergehend sind.
Eine Kündigung, die im Zuge einer Personalreduktion (aus Kostengründen infolge schlechter Auslastungsprognosen) wegen vieler zurückliegender Krankenstände und nicht aufgrund einer Behinderung ausgesprochen wird, bewirkt bei einer im Kündigungszeitpunkt nicht (mehr) behinderten AN keine unmittelbare Diskriminierung iSd BEinstG.
Behinderte AN haben aufgrund ihrer Behinderung typischerweise ein zusätzliches Krankenstandsrisiko und sind insofern einem höheren Kündigungsrisiko ausgesetzt als nicht behinderte. Eine Kündigung wegen Krankenständen – einem anscheinend neutralen Kriterium – könnte daher dann eine mittelbare Diskriminierung iSd BEinstG bewirken, wenn bei einer undifferenzierten Berechnung der krankheitsbedingten Fehlzeiten Zeiten wegen mit einer Behinderung im Zusammenhang stehender Krankheiten mit Fehlzeiten wegen „schlichter“ Krankheiten gleichgesetzt werden.
Eine Kündigung infolge zurückliegender Krankenstände bewirkt aber keine mittelbare Diskriminierung wegen Behinderung, wenn im Kündigungszeitpunkt keine auf eine (allfällige) frühere Behinderung zurückzuführende Funktionsbeeinträchtigung der Gekündigten (mehr) besteht, sie zu diesem Zeitpunkt also nicht (mehr) behindert ist und damit nicht der geschützten Personengruppe der Behinderten angehört.
[1] Die Bekl betreibt eine Süßwarenproduktion. Die [...] 1988 geborene Kl war in diesem Betrieb seit 10.9.2007 als Süßwarenarbeiterin beschäftigt. Am 22.3.2017 sprach die Bekl zum 23.6.2017 die Kündigung des Arbeitsverhältnisses aus [...].
[2] [...] Die Kl begehrt die Kündigung gem § 7f BEinstG für rechtsunwirksam zu erklären, weil bei ihr [...] eine Behinderung iSd § 3 BEinstG bestanden habe [...].
[3] Die Bekl [...] beantragte Klagsabweisung [...].
[4] [...] Die Kl arbeitete in der Verpackungsstation einer Produktionslinie (Fülltätigkeiten, Heben der fertigen Kartons [Hebelast von max 7 kg] auf Paletten, wofür ein Hubstapler zur Verfügung stand). Am 2.7.2015 wurde bei ihr eine Wanderniere diagnostiziert, die operativ fixiert werden sollte [...]. Die Kl war von 8.2.2016 bis 14.2.2016 stationär aufgenommen und befand sich in der Folge bis einschließlich 26.4.2016 im Krankenstand [...].
[5] Die Krankenstände der Kl setzten sich ab 2014 wie folgt zusammen:
2014 4 Krankenstände [...] 11 Tage,
2015 6 Krankenstände [...] 26 Tage,
2016 3 Krankenstände [...] 87 Tage,
2017 1 Krankenstand [...] 13 Tage.
[6] Bei der Kl bestand seit 2009 und [...] zum Kündigungszeitpunkt [...] ein chronisches Zervikalsyndrom [...] weiter eine chronische Anämie [...].
[8] Ab 8.2.2016 war die Nephroptose rechts („Wanderniere“) [...] operativ saniert. Bis Ende 2016 war [...] eine Hebebeschränkung von maximal 10 kg ausgesprochen worden.
[9] Zum Kündigungszeitpunkt [...] mehr als ein Jahr nach der [...] Operation (laparoskopische Nephropexie) lag keine Funktionsbeeinträchtigung durch die Wanderniere mehr vor. Auch [...] vor der Operation gab es keine Funktionseinschränkung mit Ausnahme der Schmerzsymptomatik [...].
[10] Nach der Operation war die Kl noch zweimal im Krankenstand [...]. Zusammengefasst sind [...] 2015 17 Krankenstandstage und [...] 2016 3 Krankenstandstage auf das Zervikalsyndrom zurückzuführen [...] 79 Krankenstandstage [...] auf die Operation der Wanderniere [...]. Alle übrigen Krankenstände stehen weder im Zusammenhang mit der Wanderniere noch mit dem Zervikalsyndrom oder der Anämie.
[11] [...] 2017 ordnete der Vorstand der Bekl wegen schlechter Auslastungsprognosen aus Kostengründen eine Personalreduktion an. Aus diesem Grund wurden betriebsbedingt drei Mitarbeiter gekündigt, darunter auch die Kl. Da der Abteilungsleiter soziale Härten vermeiden wollte und die Kl die jüngste Mitarbeiterin seiner Abteilung war, schlug er [...] die Kl für die Kündigung vor, zumal sie in den letzten Jahren auch viele Fehlzeiten hatte [...]. Auf Nachfrage der Kl [...] teilte ihr der Abteilungsleiter mit, dass der Vorstand [...] angeordnet habe, Personal zu kündigen und die Auswahl aufgrund der vielen Fehlzeiten auf sie gefallen sei. Wenn die Krankenstände im Zusammenhang mit der Wanderniere nicht vorgelegen wären, wäre die Kl von der Bekl nicht gekündigt worden.
[12] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab [...].
[13] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Kl [...] Folge und erklärte die Kündigung für rechtsunwirksam [...].
[16] Die Revision der Bekl ist zulässig und berechtigt.
[17] 1. Gem § 7b Abs 1 Z 7 BEinstG darf niemand aufgrund einer Behinderung im Zusammenhang mit einem Dienstverhältnis, insb auch nicht bei der Beendigung des Dienstverhältnisses, unmittelbar oder mittelbar diskriminiert werden. 413
[18] Gem § 7b Abs 4 BEinstG ist auf den Behinderungsbegriff der Abs 1 bis 3 [...] § 3 BEinstG mit der Maßgabe anzuwenden, dass ein festgestellter Grad der Behinderung nicht erforderlich ist.
[19] Gem § 7f Abs 1 BEinstG kann eine Kündigung, wenn das Dienstverhältnis vom DG wegen einer Behinderung des DN gekündigt worden ist, bei Gericht angefochten werden.
[20] 2. Nach § 3 BEinstG ist eine Behinderung die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen, die geeignet ist, die Teilhabe am Arbeitsleben zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten.
[21] 3. Eine „Funktionsbeeinträchtigung“ bzw eine „Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen“ iSd § 3 BEinstG ist nach hA eine Einschränkung jener Funktionen, die bei einem gesunden Gleichaltrigen in der Regel vorhanden sind (Auer-Mayer in Widy, Behinderteneinstellungsgesetz8 [2016] § 3 Erl 4; ausführlich S. Mayer, Behinderung und Arbeitswelt [2010] 44 ff, jeweils mwN; Körber-Risak in Mazal/Risak, Arbeitsrecht System, Kap VIII Rz 96). Nicht jede Funktionsbeeinträchtigung ist allerdings auch eine Behinderung (S. Mayer, Behinderung und Arbeitswelt [2010] 46 und 47). Zusätzlich ist erforderlich, dass die Auswirkung der Beeinträchtigung die Teilhabe des Betroffenen am Arbeitsleben erschweren kann, wobei auch auf gesellschaftliche Konstrukte („Stigmatisierung“) Bedacht zu nehmen ist, wie etwa bei der Diagnose HIV-positiv ohne Merkmale von Aids (8 ObA 66/18s unter Verweis auf RV 836 BlgNR 22. GP 7). Die Funktionsbeeinträchtigung darf zudem nicht nur vorübergehend sein.
[22] 4. Maßgeblich für das Vorliegen einer Behinderung ist nicht deren Grad, sondern nur der Umstand, dass sich daran eine Diskriminierung knüpfen kann (9 ObA 107/15y; K. Mayr in Neumayr/Reissner, ZellKomm3 § 3 BEinstG Rz 1). Dementsprechend wurde bei der Definition der Behinderung bewusst eine weite Definition gewählt (s RV 836 BlgNR 22. GP 6, 13). Ein bestimmter Mindestgrad der Funktionsbeeinträchtigung an sich oder deren Auswirkung ist im Zusammenhang mit dem Diskriminierungsschutz der §§ 7a ff BEinstG nicht erforderlich (s nur Auer-Mayer in Widy, Behinderteneinstellungsgesetz8, § 3 Erl 14).
[23] 5. [...] § 3 BEinstG steht mit der Umsetzung der RL 2000/78/EG in Zusammenhang.
[24] 6. Zur Frage nach der Abgrenzung von Krankheit und Behinderung stellte der EuGH zunächst fest (C-13/05, Chacón Navas), dass Krankheit von Behinderung zu unterscheiden ist und Krankheit per se nicht als Diskriminierungsgrund nach der RL 2000/78/EG zu qualifizieren ist. In der Folge hielt er differenzierend fest, dass der Begriff „Behinderung“ iSd RL 2000/78/EG dahin auszulegen ist, dass er einen Zustand einschließt, der durch eine ärztlich diagnostizierte heilbare oder unheilbare Krankheit verursacht wird, wenn diese Krankheit eine Einschränkung mit sich bringt, die insb auf physische, geistige oder psychische Beeinträchtigungen zurückzuführen ist, die in Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren den Betreffenden an der vollen und wirksamen Teilhabe am Berufsleben, gleichberechtigt mit den anderen AN, hindern können, und wenn diese Einschränkung von langer Dauer ist (eEuGHC-335/11, 337/11, Ring und Werge).
[25] Relevante Funktionsbeeinträchtigungen können sich danach auch als Folge einer Krankheit ergeben und den Behinderungstatbestand verwirklichen (vgl nur Auer-Mayer in Widy, Behinderteneinstellungsgesetz8 § 3 Erl 6 mwN).
[26] Es entspricht auch der Rsp des OGH, dass Krankheit und Behinderung nicht ohne weiteres miteinander gleichgesetzt werden können (9 ObA 165/13z ua). Krankheit kann als solche nicht als ein weiterer Grund neben den Gründen angesehen werden, derentwegen Personen zu diskriminieren nach der RL 2000/78/EG verboten ist. Läuft eine undifferenzierte Berechnung krankheitsbedingter Fehlzeiten eines AN aber darauf hinaus, dass Fehlzeiten wegen mit einer Behinderung im Zusammenhang stehenden Krankheit Zeiten allgemeiner „schlichter“ Krankheiten gleichgesetzt werden, so kann dies aber eine mittelbare Diskriminierung eines AN bewirken. Ein behinderter AN hat nämlich aufgrund seiner Behinderung typischerweise ein zusätzliches Risiko von mit seiner Krankheit zusammenhängenden Krankenständen und ist auf diese Weise einem höheren Risiko im Zusammenhang mit der Beendigung seines Dienstverhältnisses ausgesetzt als ein nicht behinderter (RS0129453 = 9 ObA 165/13z; K. Mayr in ZellKomm3 § 7b BEinstG Rz 2 mwN).
[27] 7. Das Vorliegen einer Behinderung iSd § 3 BEinstG ist im Zweifel von der Person zu beweisen, die sie behauptet (8 ObA 66/18s mwN).
[28] 8. Von diesen Grundsätzen ausgehend, ist zunächst eine unmittelbare Diskriminierung der Kl zu verneinen.
[29] Eine solche liegt dann vor, wenn eine Person aufgrund einer Behinderung in einer vergleichbaren Situation eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person erfährt, erfahren hat oder erfahren würde (s § 7c Abs 1 BEinstG).
[30] Zur Frage des inneren Zusammenhangs zwischen einer gegenüber einem AN gesetzten Verhaltensweise und dem geschützten Merkmal („auf Grund“) wurde bereits zur Diskriminierungsbestimmung des § 7d BEinstG (Belästigung wegen Behinderung) ausgesprochen, dass eine Belästigung dann mit dem geschützten Merkmal „im Zusammenhang“ steht, wenn die konkrete belästigende Verhaltensweise der Tatsache, dass ein geschütztes Merkmal vorliegt bzw dessen Vorliegen angenommen wird, zugerechnet werden kann (vgl RS0124663, RS0124664). Spielen mehrere Motive eine Rolle („Motivbündel“), so genügt es, wenn das geschützte Merkmal (bzw damit in Verbindung stehende Eigenschaften, Handlungen, Verhaltensweisen oder Zustände) innerhalb des „Motivbündels“ eine Rolle spielt, also zumindest mitursächlich für die Belästigung ist. Das Erfordernis des Zusammenhangs darf dabei, um den Zweck des Gesetzes zu wahren, Diskriminierungen 414 wegen eines geschützten Merkmals hintanzuhalten, nicht zu eng gesehen werden (RS0124664). Diese Grundsätze können im Fall einer Beendigungsdiskriminierung wegen Behinderung nach § 7b Abs 1 Z 7 BEinstG nicht anders gelten (9 ObA 107/15y; s auch K. Mayr in ZellKomm3 § 7b BEinstG Rz 2 mwN; Hopf/K. Mayr/Eichinger/Erler, GlBG2 § 7b BEinstG Rz 2/1).
[31] 9. Hier steht fest, dass die Bekl im Zuge der Personalreduktion das Dienstverhältnis der Kl deshalb kündigte, weil die Auswahl „aufgrund der vielen Fehlzeiten“ auf sie gefallen war und die Kündigung nicht ausgesprochen worden wäre, wenn die Krankenstände im Zusammenhang mit der Wanderniere nicht vorgelegen wären. Die Kündigung erfolgte sohin nicht wegen einer Behinderung (Funktionsbeeinträchtigung), sondern wegen der Krankenstände der Kl, in denen auch ihre Fehlzeiten begründet waren. Die Krankenstände erreichten weder für sich noch in ihrer Gesamtheit die für das Vorliegen einer Behinderung erforderliche längere Dauer (sechs Monate). Das gilt insb auch für den postoperativen Krankenstand [...]. Waren aber ausschließlich die „Fehlzeiten“ der Kl der Grund für ihre Kündigung, wurde die Kl nicht unmittelbar aufgrund einer Behinderung diskriminiert [...].
[32] 10. Das Vorgesagte schließt [...] das Vorliegen einer mittelbaren Diskriminierung noch nicht aus.
[33] Eine mittelbare Diskriminierung liegt dann vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sowie Merkmale gestalteter Lebensbereiche Menschen mit Behinderungen gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können, es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sowie Merkmale gestalteter Lebensbereiche sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt, und die Mittel sind zur Erreichung dieses Zieles angemessen und erforderlich (§ 7c Abs 2 BEinstG). Eine mittelbare Diskriminierung könnte etwa vorliegen, wenn AN mit Behinderung im Vergleich zu solchen ohne Behinderung ohne gerechtfertigtes Ziel und ohne angemessene und erforderliche Mittel in besonderer Weise durch Krankenstände als dem Anschein nach neutrales Kriterium benachteiligt würden. Wie dargelegt, kann es auch eine mittelbare Diskriminierung eines AN bewirken, wenn eine undifferenzierte Berechnung krankheitsbedingter Fehlzeiten eines AN darauf hinausläuft, dass Fehlzeiten wegen mit einer Behinderung im Zusammenhang stehenden Krankheit Zeiten allgemeiner „schlichter“ Krankheiten gleichgesetzt werden (oben Pkt 6.).
[34] 11. Im vorliegenden Fall lässt sich dem [...] Sachverhalt [...] nicht mit Gewissheit entnehmen, dass die Kl überhaupt eine Funktionsbeeinträchtigung iSd § 3 BEinstG in der für das Vorliegen einer Behinderung erforderlichen Dauer von mehr als sechs Monaten gehabt hätte:
[35] Zum Zervikalsyndrom und zur Anämie wurden [...] Funktionsbeeinträchtigungen festgestellt, sie gewährleisteten aber [...] die Teilhabe am Arbeitsleben. Die Wanderniere hatte [...] vor der Operation zwar eine Schmerzsymptomatik, aber keine Funktionseinschränkung bei der Kl zur Folge, womit sie per se zu keiner Behinderung führte. Für den postoperativen Heilungsprozess ging das Berufungsgericht unter Verweis auf die Feststellung „insbesondere Hebebeschränkung mit 10 kg bis Ende 2016“
von einer Funktionsbeeinträchtigung bei der Kl von jedenfalls über einem halben Jahr aus. Ex post betrachtet war bei der Kl keine so lange Funktionsbeeinträchtigung gegeben [...].
Nach Ende August 2016 ([...] spätestens nach sechs Monaten und 22 Tagen nach der Operation) bestanden [...] keine weiteren Einschränkungen bei der Kl mehr [...]. Es [...] wäre [...] auch prognostisch gesehen noch keine Funktionsbeeinträchtigung erwiesen, die „voraussichtlich“ jedenfalls von „langer Dauer“ iS von einer mehr als sechsmonatigen Beschränkung gewesen wäre [...].
[37] Nach der zitierten Rsp kann sich eine mittelbare (hier: Kündigungs-)Diskriminierung aus dem undifferenzierten Heranziehen auch von Fehlzeiten wegen mit einer Behinderung im Zusammenhang stehenden Krankheit ergeben. Hier liegen jedoch keine solchen Fehlzeiten vor, weil die maßgeblichen Fehlzeiten der Kl zwar primär auf die in der Wanderniere gelegene Erkrankung zurückzuführen waren [...]. Diese Erkrankung stand aber mit keiner Behinderung im Zusammenhang, weil die Wanderniere präoperativ zu keiner Funktionsbeeinträchtigung geführt hatte, operativ saniert werden konnte und sich die Funktionsbeeinträchtigungen in der Folge erst aus dem postoperativen Heilungsverlauf ergaben. Ein Fall, in dem die Kl aufgrund einer Behinderung typischerweise ein zusätzliches Risiko von Krankenständen gehabt hätte, liegt sohin nicht vor.
[38] 13. Ungeachtet dessen waren die Funktionsbeeinträchtigungen der Kl im Kündigungszeitpunkt – sohin nahezu ein Jahr nach ihrem Krankenstand und etliche Monate nach dem Zeitpunkt, zu dem sie keinen Funktionseinschränkungen mehr unterlag – [...] auch nicht mehr gegeben. Selbst wenn man die Kl vorübergehend als iSd § 3 BEinstG behindert ansähe, gehörte sie im Kündigungszeitpunkt nicht der geschützten Personengruppe der Behinderten an. Es ist zwar nicht ausgeschlossen, dass Personen auch wegen einer in der Vergangenheit liegenden Behinderung (zB infolge einer ausgeheilten funktionsbeeinträchtigenden Krankheit) gekündigt werden und insofern der dargestellte innere Zusammenhang zwischen der gegenüber einem AN gesetzten Verhaltensweise und dem geschützten Merkmal noch zu bejahen sein könnte (diesfalls als unmittelbare Diskriminierung). Dies war aber auf der Motivebene des AG nicht der Fall. Liegt der Verhaltensweise aber ein an sich neutrales Kriterium zu Grunde, ist ein solcher innerer Zusammenhang bei Personen, die nicht oder nicht mehr dem geschützten Personenkreis angehören, nicht gegeben. Eine mittelbare Diskriminierung ist in diesem Zusammenhang daher zu verneinen.
[39] 14. Das gilt auch für die Kl. Da sie im Kündigungszeitpunkt nicht (mehr) behindert war, scheidet eine auf ihre Krankenstände gestützte Kündigung als Grund einer allenfalls mittelbaren 415 Diskriminierung iSd § 7c Abs 2 BEinstG sohin ebenfalls aus.
[40] 15. Da der vorliegende Fall [...] keinen Grund zur Annahme bietet, dass die Bekl bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses die Kl [...] aufgrund einer Behinderung [...] diskriminiert hätte, ist der Revision der Bekl Folge zu geben und das klagsabweisende Urteil wiederherzustellen. [...]
Schlechte Auslastungsprognosen führten in einem Süßwarenproduktionsbetrieb aus Kostengründen zu einer Personalreduktion. Im Zuge des Auswahlvorgangs kündigte der AG eine damals 29-jährige Süßwarenarbeiterin infolge vieler auf Krankenstände zurückzuführender Fehlzeiten. Die AN bekämpfte ihre Kündigung wegen Diskriminierung aufgrund einer Behinderung. Im Kündigungszeitpunkt war sie nicht (mehr) behindert. Der OGH prüfte, ob die Kündigung wegen der zurückliegenden Krankenstände eine unmittelbare oder eine mittelbare Diskriminierung der AN aufgrund einer Behinderung iSd BEinstG bewirkte. Im Vorfeld erörterte er den Begriff der Behinderung im Verhältnis zur Krankheit.
Zunächst skizzierte der OGH die für die rechtliche Beurteilung des Falles einschlägigen Bestimmungen des BEinstG (vgl insb § 3 iVm § 7b Abs 4 zum Begriff der Behinderung, § 7b Abs 1 Z 7 zum Verbot der Diskriminierung aufgrund einer Behinderung bei der Beendigung des Dienstverhältnisses und § 7c Abs 1 zur unmittelbaren sowie § 7c Abs 2 zur mittelbaren Diskriminierung) und erörterte detailliert den Behinderungsbegriff, der für das Diskriminierungsverbot nach dem BEinstG maßgebend ist. Der Gerichtshof hielt dazu, ausgehend von der Legaldefinition in § 3 BEinstG, der einschlägigen EuGH-Rsp (siehe insb sEuGHC-13/05, Chacón Nava, ECLI:EU:C:2006:456; EuGHC-335/11, 337/11, Ring und Werge, ECLI:EU:C:2013:222), der eigenen Vorjudikatur (siehe exemplarisch OGH 29.4.2014, 9 ObA 165/13z; RIS-Justiz RS0081880) und ausgewählten Lehrmeinungen (siehe weiterführend Auer-Mayer in Widy, Behinderteneinstellungsgesetz8 [2016] § 3 Rz 4) fest, dass
eine Behinderung die Auswirkung körperlicher, geistiger oder psychischer Funktionsbeeinträchtigungen oder Beeinträchtigungen der Sinnesfunktionen ist,
es beim Schutz vor Diskriminierung nicht auf einen festgestellten Grad der Behinderung iS eines bestimmten Mindestgrades einer Funktionsbeeinträchtigung ankommt,
nicht jede Funktionsbeeinträchtigung eine Behinderung ist, sondern nur eine Beeinträchtigung von nicht nur vorübergehender Dauer (konkret für einen Zeitraum von mehr als
voraus sichtlich sechs Monaten) mit der Eignung zur Erschwerung der Teilhabe am Arbeitsleben,
und eine die relevanten Funktionsbeeinträchtigungen hervorrufende Krankheit (im medizinischen Sinn) den Behinderungstatbestand erfüllen kann.
Zutreffend betonte der OGH die besondere Bedeutung des Erfordernisses der „nicht nur vorübergehenden“ Dauer der Funktionsbeeinträchtigung für das Vorliegen einer krankheitsbedingten Behinderung.
Beim selben Sachverhalt schließen einander eine unmittelbare Diskriminierung und eine mittelbare Diskriminierung – hier wegen Behinderung – aus. Im Anlassfall prüfte der OGH zunächst eine allfällige unmittelbare Diskriminierung der AN durch die Kündigung gem § 7b Abs 1 Z 7 iVm § 7c Abs 1 BEinstG. Nach der Legaldefinition der unmittelbaren Diskriminierung muss das zu beurteilende Verhalten des AG (hier die Kündigung) „auf Grund“ eines gesetzlich anerkannten Diskriminierungsgrundes (hier des geschützten Merkmals Behinderung) erfolgen. Diesen notwendigen inneren Zusammenhang erläuterte der OGH entsprechend seiner Vorjudikatur (siehe exemplarisch OGH 26.11.2015, 9 ObA 107/15y; RIS-Justiz RS0124664) dahingehend, dass die Kündigung dem Vorliegen der Behinderung (die fälschliche Annahme einer Behinderung spielte im Anlassfall keine Rolle) zugerechnet werden kann. Anders ausgedrückt muss das geschützte Merkmal Behinderung der Grund bzw das Motiv des AG für die Kündigung sein. Nach den Sachverhaltsfeststellungen traf das im Anlassfall nicht zu. Der AG kündigte die AN im Zuge der Personalreduktion nämlich nicht auf Grund einer Behinderung, sondern – wie er der AN auf ihre Frage nach dem Kündigungsgrund antwortete – „aufgrund der vielen Fehlzeiten“. Ohne „die Krankenstände im Zusammenhang mit der Wanderniere“ wäre sie nicht gekündigt worden.
Der OGH schloss zwar nicht generell aus, „dass Personen auch wegen einer in der Vergangenheit liegenden Behinderung gekündigt werden“ könnten, erblickte aber im Anlassfall nachvollziehbar kein solches Kündigungsmotiv des AG („Dies war aber auf der Motivebene des Arbeitgebers nicht der Fall.“) und verneinte daher mE zu Recht eine unmittelbare Diskriminierung der AN aufgrund einer Behinderung.
Komplizierter gestaltete sich die Prüfung einer möglichen mittelbaren Diskriminierung der AN wegen Behinderung gem § 7b Abs 1 Z 7 iVm § 7c Abs 2 BEinstG (siehe Schrattbauer, Kündigung wegen vermehrter Krankenstände: Mittelbare Diskriminierung 416 aufgrund einer Behinderung? DRdA-infas 2022/37, 89; EvBl 2022/22, 223 [Hargassner]). Nach der Legaldefinition liegt eine mittelbare Diskriminierung dann vor, „wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren [...] Menschen mit Behinderungen gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können“ und keine sachliche Rechtfertigung besteht. Im Anlassfall ging der OGH mE zutreffend davon aus, dass die Krankenstände der AN, mit denen der AG die Kündigung im Rahmen der Personalreduktion begründete, ein solches anscheinend neutrales Kriterium iSd § 7c Abs 2 BEinstG sind. Denn Krankenstände können, müssen aber nicht auf einer Behinderung beruhen. Häufiger beruhen sie in der Praxis auf Krankheiten, die zu keinen Behinderungen (iSd § 3 BEinstG) führen.
Die den Krankenständen der AN in den Jahren 2014 bis 2016 zugrundeliegenden Erkrankungen, ein chronisches Zervikalsyndrom (dh die Halswirbelsäule betreffende oder von dieser ausgehende Beschwerden; siehe https://www.gesundheit.de/lexika/medizin-lexikon/zervikalsyndromhttps://www.gesundheit.de/lexika/medizin-lexikon/zervikalsyndrom [abgerufen am 15.5.2022]), eine chronische Anämie (Blutarmut, siehe https://www.gesundheit.de/lexika/medizin-lexikon/blutarmuthttps://www.gesundheit.de/lexika/medizin-lexikon/blutarmut [abgerufen am 15.5.2022]) und eine sogenannte „Wanderniere“ (dh eine meist durch Bindegewebsschwäche hervorgerufene Absenkung einer abnorm beweglichen Niere; siehe https://www.gesundheit.de/lexika/medizin-lexikon/nephroptosehttps://www.gesundheit.de/lexika/medizin-lexikon/nephroptose [abgerufen am 15.5.2022]) begründen als solche noch keine Behinderung, weil Krankheiten per se eben kein gesetzlich anerkannter Diskriminierungsgrund, kein geschütztes Merkmal sind. Eine Krankheit kann aber unter bestimmten Voraussetzungen (siehe schon Pkt 1 zu aus Krankheiten resultierenden Funktionsbeeinträchtigungen, die die Teilhabe am Arbeitsleben erschweren können und nicht nur von vorübergehender Dauer sind) zu einer diskriminierungsrechtlich relevanten Behinderung führen.
Gem § 7c Abs 2 BEinstG ist es für eine mittelbare Diskriminierung erforderlich, dass anscheinend neutrale [...] Kriterien [...] – hier die Krankenstände der AN – „Menschen mit Behinderungen“ (!) gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können. Eine mittelbare Diskriminierung nach dem BEinstG setzt daher stets das Vorliegen einer Behinderung (iSd § 3 leg cit) der betroffenen Person im Verlauf des anlassfallabhängigen Beurteilungszeitraums voraus. Folgerichtig prüfte der OGH im vorliegenden Fall, ob mit den Erkrankungen, die den Krankenständen der AN zugrunde lagen, Funktionsbeeinträchtigungen von ausreichender Intensität (Eignung zur Erschwerung der Teilhabe am Arbeitsleben) und Dauer (nicht nur vorübergehend, mehr als sechs Monate) einhergingen und eine Behinderung iSd § 3 BEinstG bewirken konnten. In den Mittelpunkt rückte der OGH dabei die Auswirkungen der Wandernierenerkrankung der AN, die zu den meisten Fehlzeiten (79 Krankenstandstage) geführt hatte.
Dem OGH ist bei der Auseinandersetzung mit den krankheitsbedingten Funktionsbeeinträchtigungen soweit beizupflichten, dass bis zum Zeitpunkt des Auftretens der Wandernierenerkrankung (diagnostiziert am 2.7.2015) keine Behinderung der AN vorlag, obwohl schon vorher gewisse Beeinträchtigungen und Beschwerden durch die Anämie und das Zervikalsyndrom bestanden. Es wurden aber bei keiner der beiden Erkrankungen so schwerwiegende körperliche Funktionsbeeinträchtigungen festgestellt, die zur Erschwerung der Teilhabe der AN am Arbeitsleben geeignet gewesen wären. Dann aber kamen die mit der Wandernierenerkrankung verbundenen Beschwerden hinzu, die sich laut der Entscheidungsbegründung in der präoperativen Phase zwar in einer Schmerzsymptomatik äußerten, jedoch (vom OGH für sich allein betrachtet) ebenfalls zu keiner hinreichenden Funktionsbeeinträchtigung führten. Aus keiner der drei Erkrankungen – jede für sich betrachtet – konnte der Gerichtshof somit körperliche Funktionsbeeinträchtigungen ableiten, deren Auswirkungen eine Behinderung bewirkt hätten.
Es wäre aber überlegenswert gewesen, nach dem Hinzutreten der Wandernierenerkrankung zum fortbestehenden Zervikalsyndrom und der Anämie auch eine „Gesamtbetrachtung“ der Auswirkungen aus den drei „Parallelerkrankungen“ vorzunehmen. Aus medizinischer Sicht gehen mit einem Zervikalsyndrom typischerweise schmerzhafte Beschwerden und Bewegungseinschränkungen im Nacken und Schulterbereich einher, oft begleitet von Ausstrahlungen in die Arme. Eine Anämie ist regelmäßig, insb bei körperlichen Belastungen, mit stärkeren Ermüdungserscheinungen verbunden. Die Absenkung der Niere verursacht bei diversen Bewegungsabläufen, zB beim Aufstehen, meist Schmerzen im Unterbauch und an den Seiten. Im Urteil werden derartige Auswirkungen bei der AN in einer gesonderten Betrachtung der einzelnen Erkrankungen durchaus aufgezeigt, aber letztlich in ihrer Gesamtheit mE nicht ausreichend berücksichtigt. Es lässt sich wohl nicht ganz ausschließen, dass die gemeinsamen Auswirkungen der drei bei der AN festgestellten Erkrankungen gerade bei den speziellen körperlichen Belastungen (Befüllungs- und Hebearbeiten in der Verpackungsstation einer Produktionslinie), die mit ihrer Tätigkeitsausübung verbunden waren, insgesamt Funktionsbeeinträchtigungen hervorriefen, die geeignet waren, ihre Teilhabe am Arbeitsleben zu erschweren. Und schon die Eignung der Funktionsbeeinträchtigungen zur Erschwerung der Teilhabe am Arbeitsleben genügt nach § 3 BEinstG, um – bei ausreichender Dauer – eine Behinderung nach sich ziehen zu können (siehe Auer-Mayer in Widy, Behinderteneinstellungsgesetz8 § 3 Rz 2; § 7c Rz 10). 417
Die stärker an den Folgen der jeweiligen Einzelerkrankungen orientierte Betrachtungsweise des OGH führte ihn im Anlassfall aber zu einer anderen Schlussfolgerung, sodass er im Zeitraum vor der Operation der Wanderniere keine körperlichen Funktionsbeeinträchtigungen bei der AN erkannte, die – bei ausreichender Dauer – zur Bejahung einer Behinderung hätten führen können. Nachfolgend betrachtete der OGH die Wanderniere als „operativ saniert“ (Krankenhausaufenthalt im Zusammenhang mit der Operation von 8.2. bis 14.2.2016 und anschließender Krankenstand der AN bis 26.4.2016). Für die postoperative Phase ging der OGH zwar, unter Berücksichtigung teilweise voneinander abweichender ärztlicher Verhaltensempfehlungen (insb Hebebeschränkungen), von zeitlich begrenzten Funktionsbeeinträchtigungen der AN im Heilungsverlauf bis längstens Ende August 2016 (zu diesem Zeitpunkt endeten die Empfehlungen der die rekonvaleszente AN behandelnden Ärztin zu bestimmten Arbeitsvorgängen) aus, bewertete diese Beeinträchtigungen aber als – auch in ihrer Dauer – nicht ausreichend für die Bejahung einer Behinderung. Eine „Gesamtbetrachtung“ der gemeinsamen Auswirkungen der Wandernierenoperation und der fortbestehenden Anämie sowie des Zervikalsyndroms nahm der OGH nicht vor.
Das Berufungsgericht war indessen für den postoperativen Heilungsverlauf – gestützt auf eine Hebebeschränkung seitens des Operateurs der AN bis Ende 2016 – von einer hinreichenden Funktionsbeeinträchtigung „von jedenfalls über einem halben Jahr“ ausgegangen und hatte daher letztlich eine mittelbare Diskriminierung der AN bejaht.
In den unterschiedlichen Einschätzungen der Gerichte spiegelt sich mE der Spielraum wider, den die Sachverhaltsfeststellungen zu den Erkrankungen der AN im Anlassfall für die rechtliche Beurteilung des Falles, namentlich bei den Schlussfolgerungen zu den Krankheitsfolgen bei der Prüfung einer Behinderung, eröffneten. Auch der OGH hielt fest, dass sich dem Sachverhalt nicht mit Gewissheit entnehmen ließ, dass die AN „überhaupt eine Funktionsbeeinträchtigung iSd § 3 BEinstG in der für das Vorliegen einer Behinderung erforderlichen Dauer von mehr als sechs Monaten gehabt hätte“.
Nach der oben skizzierten Betrachtungsweise des OGH bestand im vorliegenden Fall bei weitem keine mehr als sechs Monate andauernde Funktionsbeeinträchtigung der AN. Eine die gemeinsamen Auswirkungen ihrer drei Erkrankungen – Zervikalsyndrom, Anämie und Wanderniere – berücksichtigende Betrachtungsweise hätte hingegen vielleicht zu einem anderen Ergebnis, auch hinsichtlich der Dauer der Funktionsbeeinträchtigungen, führen können. Allein ab der Diagnose der Wanderniere Anfang Juli 2015 bis zur Operation Anfang Februar 2016 vergingen mehr als sechs Monate. Während der Rekonvaleszenz in der postoperativen Phase kamen weitere, auch vom OGH berücksichtigte Zeiten einer Funktionsbeeinträchtigung der AN hinzu. Würde man die Einschätzung des Berufungsgerichts zum postoperativen Heilungsprozess zugrunde legen, hätten die Funktionsbeeinträchtigungen im Gefolge der Wandernierenerkrankung sogar bis Ende 2016 angedauert. Am 22.3.2017 erfolgte dann (nach neuerlichen Fehlzeiten wegen eines Herpesausbruchs und einer Eierstockentzündung im selben Monat) die Kündigung der AN im Zuge der Personalreduktion.
Losgelöst vom Anlassfall schloss der OGH nicht aus, dass in bestimmten Fallkonstellationen eine mittelbare Diskriminierung wegen Behinderung infolge einer krankheits- bzw krankenstandsbedingten Kündigung vorliegen könnte. Zutreffend wies er darauf hin, dass behinderte AN aufgrund ihrer Behinderung „typischerweise ein zusätzliches Risiko“ von mit ihren Erkrankungen zusammenhängenden Krankenständen haben und demzufolge einem höheren Risiko im Zusammenhang mit der Beendigung des Dienstverhältnisses ausgesetzt sind als nicht behinderte. Sollte eine undifferenzierte Berechnung krankheitsbedingter Fehlzeiten darauf hinauslaufen, dass Fehlzeiten wegen mit einer Behinderung im Zusammenhang stehenden Krankheiten den Zeiten „schlichter“ Krankheiten gleichgesetzt werden, so könnte dies eine mittelbare Diskriminierung bewirken. Im Anlassfall verneinte der OGH aber eine solche Fallkonstellation. Die AN hätte kein zusätzliches Krankenstandsrisiko wegen einer Behinderung gehabt.
Als weiteres Argument gegen eine mittelbare Diskriminierung der AN führte der Gerichtshof schließlich ins Treffen, dass diese im Zeitpunkt der Kündigung nicht – oder wenigstens nicht mehr – behindert war. Selbst wenn man die AN „vorübergehend als iSd § 3 BEinstG behindert ansähe, gehörte sie im Kündigungszeitpunkt nicht der geschützten Personengruppe der Behinderten an“.
Der OGH schloss zwar – abstrakt betrachtet – nicht aus, dass AN auch wegen einer in der Vergangenheit liegenden Behinderung gekündigt werden könnten. Als Beispiel führte er eine ausgeheilte funktionsbeeinträchtigende Krankheit an. Der Gerichtshof hielt in derartigen Situationen eine unmittelbare Diskriminierung ebenso wie eine mittelbare Diskriminierung der Gekündigten wegen Behinderung für denkbar. Allerdings nur unter bestimmten Voraussetzungen, die er im Anlassfall nicht als erfüllt ansah. Für die Bejahung einer unmittelbaren Diskriminierung fehlte die Feststellung einer Behinderung als Kündigungsmotiv und damit auch der notwendige innere Zusammenhang zwischen der Kündigung (als vielleicht diskriminierendem Verhalten des AG) und dem geschützten Merkmal Behinderung. Für die Bejahung einer mittelbaren Diskriminierung durch die Kündigung wegen der zurückliegenden Krankenstände (als anscheinend neutralem Kriterium) hätte die AN 418 nach der Rechtsauffassung des OGH im Kündigungszeitpunkt behindert sein müssen.
Ist die in Pkt 4.7. skizzierte Auslegung des OGH nach der Legaldefinition der mittelbaren Diskriminierung in § 7c Abs 2 BEinstG „zwingend“? Diese liegt vor, „wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren [...] Menschen mit Behinderungen gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können“, sofern keine sachliche Rechtfertigung besteht.
Der Gesetzeswortlaut verlangt ein In-besonderer-Weise-benachteiligen-Können von Menschen mit Behinderungen. Daher muss mE im Konnex mit dem möglicherweise diskriminierenden Verhalten des AG – hier im Konnex mit der Kündigung – eine Behinderung der betroffenen Person tatsächlich vorliegen. Einen genauen Zeitpunkt, wann die Behinderung bestehen muss, nennt die Bestimmung nicht. Auch aus der Formulierung des Diskriminierungsverbots in § 7b Abs 1 BEinstG ergibt sich mE keine eindeutige Festlegung. Dort heißt es nur: „Auf Grund einer Behinderung darf im Zusammenhang mit einem Dienstverhältnis [...] niemand unmittelbar oder mittelbar diskriminiert werden“, gefolgt von einer beispielsweisen Aufzählung von Diskriminierungssituationen.
Der typische Fall, den der Gesetzgeber beim Diskriminierungsverbot (nicht nur im BEinstG, sondern auch in anderen Gesetzen wie insb dem GlBG) vor Augen hat, ist zweifellos das Vorliegen des geschützten Merkmals (hier eine Behinderung) im Zeitpunkt des möglicherweise diskriminierenden Verhaltens des AG (hier der Kündigung). Anscheinend betrachtete der OGH dies im Anlassfall „wie selbstverständlich“ als eine gesetzliche Anforderung und verneinte – bei diesem Verständnis folgerichtig – eine mittelbare Diskriminierung wegen Behinderung auch deshalb, weil die AN im Kündigungszeitpunkt nicht oder nicht mehr behindert war.
Erfasst die Rechtslage aber vielleicht auch atypische Fälle, bei denen das geschützte Merkmal quasi „im Vorfeld“ des zu beurteilenden Verhaltens bestanden hat, „im Zeitpunkt des Setzens des Verhaltens“ aber nicht mehr? Diese Entscheidungsbesprechung ist nicht der richtige Ort zur „Lösung“ dieser Fragestellung, sie bietet aber Anlass zu Überlegungen in diese Richtung.
Zum hohen Stellenwert, den der Schutz vor Diskriminierung aufgrund einer Behinderung im österreichischen Recht hat, sei exemplarisch auf den verfassungsrechtlichen Gleichheitsgrundsatz hingewiesen. Gem Art 7 Abs 1 Satz 3 B-VG darf niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden. In einer Staatszielbestimmung in Satz 4 bekennt sich die Republik dazu, die Gleichbehandlung von behinderten und nichtbehinderten Menschen in allen Bereichen des täglichen Lebens zu gewährleisten (siehe weiterführend Grabenwarter/Frank, B-VG Art 7 Rn 6 [Stand 20.6.2020, rdb.at]; Hopf/Mayr/Eichinger/Erler, GlBG2 [2021] § 7b BEinstG Rn 2 [Stand 1.1.2021, rdb.at]). Die Regelungen im BEinstG sind nur ein kleiner Teil der einfachgesetzlichen Umsetzung dieser Zielsetzung.
Unbestritten ist das Diskriminierungsverbot nach dem BEinstG weit auszulegen (siehe Hopf/Mayr/Eichinger/Erler, GlBG2 § 7b BEinstG Rn 1 [Stand 1.1.2021, rdb.at]) ebenso wie der darin umgesetzte Gleichbehandlungsgrundsatz der RL 2000/78/EG (Gleichbehandlungsrahmen-RL, ABl L 303, 16). Ein gutes Beispiel für das weite Verständnis dieses Grundsatzes im Zusammenhang mit dem Merkmal Behinderung ist das EuGH-Urteil Coleman (C-303/06, ECLI:EU:C:2008:415), in dem ausgesprochen wurde, dass der Schutz vor Diskriminierung wegen Behinderung auch dann eingreifen kann, wenn die betroffene Person selbst nicht behindert ist, also selbst nicht Trägerin des geschützten Merkmals Behinderung ist. Der Gerichtshof führte richtungsweisend aus, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz dieser Richtlinie – konkret das Verbot der unmittelbaren Diskriminierung – nicht auf Personen beschränkt ist, die selbst eine Behinderung iSd Richtlinie haben. Ihr Zweck ist vielmehr, in Beschäftigung und Beruf jede Form der Diskriminierung aus Gründen einer Behinderung zu bekämpfen. Somit gelte der Gleichbehandlungsgrundsatz nicht für eine bestimmte Kategorie von Personen, sondern in Bezug auf die im Art 1 der Richtlinie genannten Gründe (Rn 38, 56). Eine restriktive Auslegung der Richtlinie, die ihre Anwendung auf Personen beschränken würde, die selbst behindert sind, könnte der Richtlinie einen großen Teil ihrer praktischen Wirksamkeit nehmen und den Schutz, den sie gewährleisten soll, mindern (Rn 43, 51). Die Rechtsfrage im Fall Coleman war zwar eine andere (Diskriminierung wegen Assoziierung, vgl § 5b Abs 5 BEinstG) als im vorliegenden Fall, in der Urteilsbegründung zeigt sich aber die große Bedeutung eines effektiven und weitreichenden Schutzes vor Diskriminierung wegen Behinderung in der Auslegung des Unionsrechts durch den EuGH (vgl auch Art 26 GRC zur Integration von Menschen mit Behinderung, dazu Pürgy in Holoubek/Lienbacher, GRC-Kommentar2 Art 26 Rn 10 ff [Stand 1.4.2019, rdb.at]).
Dies ist mE auch bei der Beurteilung der Frage zu bedenken, ob der Diskriminierungsgrund (hier das Merkmal Behinderung) stets im Zeitpunkt des möglicherweise diskriminierenden Verhaltens (hier der Kündigung) vorliegen muss. Wenn es darum geht, Diskriminierungen wegen Behinderung im Zusammenhang mit Arbeitsverhältnissen weitestmöglich zu verhindern, dann steht der genaue Zeitpunkt des Bestehens des geschützten Merkmals 419 mE nicht im Vordergrund. Entscheidend ist bei der unmittelbaren Diskriminierung vielmehr das Motiv des AG, AN aufgrund ihrer Behinderung zu benachteiligen (hier zu kündigen). Bei der mittelbaren Diskriminierung geht es um die benachteiligenden Auswirkungen anscheinend neutraler Verhaltensweisen oder Kriterien (hier der zurückliegenden Krankenstände) für Menschen mit Behinderung. Diese vom Gesetzgeber ungewollten Auswirkungen können sich in bestimmten Fallkonstellationen auch erst zeitlich verzögert manifestieren, wenn das geschützte Merkmal Behinderung nicht mehr vorliegt, so wie im Anlassfall.
Um einen zu weit ausufernden Diskriminierungsschutz zu vermeiden, müsste mE aber die Zeitspanne mitbedacht werden, die zwischen dem tatsächlichen Vorliegen des geschützten Merkmals und dem möglicherweise diskriminierenden Verhalten des AG liegt. Liegt das Merkmal (hier die Behinderung) schon lange zurück, so könnte das den auch für eine mittelbare Diskriminierung letztlich erforderlichen Konnex des AG-Verhaltens mit dem Merkmal (vgl § 7c Abs 2 BEinstG: „Menschen mit Behinderungen gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können“) wegfallen lassen. Je länger das Bestehen des Merkmals Behinderung zurückliegt, desto weniger wahrscheinlich ist wohl im Einzelfall die Möglichkeit einer solchen Benachteiligung, die im Übrigen bei mittelbaren Diskriminierungen infolge Behinderung qualitativ und nicht notwendigerweise quantitativ (nach dem Zahlenverhältnis zwischen behinderten und nichtbehinderten Personen) zu beurteilen ist (siehe Auer-Mayer in Widy, Behinderteneinstellungsgesetz8 § 7c Rz 10; Rebhahn in Rebhahn [Hrsg], GlBG [2005] § 5 Rz 26).
Der Anlassfall zeigt, dass ähnlich gelagerte Fallkonstellationen mit zeitlich verzögerter Manifestierung der benachteiligenden Auswirkungen anscheinend neutraler Verhaltensweisen oder Kriterien durchaus praktische Bedeutung haben können. Etwa in einem Beispielsfall, in dem nachweislich (!) eine krankheitsbedingte Behinderung eines AN vorgelegen war, die zu beträchtlichen Krankenständen geführt hatte. Außerdem waren Krankenstände wegen „schlichter“ (dh keine Behinderung bewirkender) Erkrankungen aufgetreten, bevor sich der AG infolge vieler Fehlzeiten zur Kündigung des AN entschloss. Im Kündigungszeitpunkt war der betroffene AN aber nicht mehr behindert, weil zB Krankenbehandlung und Rehabilitation die aus seinen Erkrankungen resultierenden Funktionsbeeinträchtigungen mittlerweile beseitigt oder soweit reduziert hatten, dass beim Kündigungsausspruch keine Behinderung mehr vorlag. Daher konnte im Beispielsfall auch kein besonderer Kündigungsschutz gem § 8 BEinstG (nur für begünstigte Behinderte nach § 2 leg cit) mehr bestehen, sodass die Kündigung für den AG unter weniger strengen rechtlichen Voraussetzungen möglich war.
Gelingt dem Gekündigten in derartigen Fällen der Nachweis (gem § 7p BEinstG genügt Glaubhaftmachung) der zurückliegenden Behinderung als Kündigungsmotiv des AG, dann kommt mE – einzelfallabhängig – eine unmittelbare Diskriminierung („versteckte“ Diskriminierung?) in Betracht. Manifestiert sich demgegenüber die Benachteiligung(smöglichkeit) durch ein anscheinend neutrales Kriterium oder Verhalten zeitverzögert, ist eine mittelbare Diskriminierung infolge Behinderung denkbar.
Der OGH ließ in der Urteilsbegründung mehrfach anklingen, dass Fallkonstellationen wie im obigen Beispiel in der Praxis auftreten könnten, im Anlassfall verneinte er aber sowohl eine unmittelbare als auch eine mittelbare Diskriminierung der im Kündigungszeitpunkt nicht (mehr) behinderten AN nach dem BEinstG mit einer in sich schlüssigen, stellenweise aber nicht „unerschütterlichen“ Argumentation. 420