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Beginn des Rehabilitationsgeldes

WERNERPLETZENAUER

Rehabilitationsgeld gebührt bereits ab Vorliegen der vorübergehenden Invalidität (Berufsunfähigkeit). Auf das in der PV geltende Stichtagsprinzip ist nicht Bedacht zu nehmen.

SACHVERHALT

Der 1966 geborene Kl bezog von der bekl Pensionsversicherungsanstalt (PVA) ab 1.9.2011 bis 30.6.2013 eine befristete Berufsunfähigkeitspension. Sein Antrag auf Weitergewährung über den 30.6.2013 hinaus wurde von der PVA abgelehnt.

VERFAHREN UND ENTSCHEIDUNG

Das Erstgericht stellte (nur) für den Zeitraum von 24.4. bis 31.10.2014 die „vorübergehende Berufsunfähigkeit“ des Kl und die Unzweckmäßigkeit von Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation fest und sprach dem Kl dem Grunde nach den Anspruch auf Rehabilitationsgeld aus der KV für den Zeitraum von 24.4. bis 31.10.2014 zu. Das Klagebegehren auf Weitergewährung der Berufsunfähigkeitspension über den 30.6.2013 hinaus wurde ebenso wie das Klagebegehren auf Feststellung des Anspruchs auf Rehabilitationsgeld für die Zeiträume von 1.7.2013 bis 23.4.2014 und ab 1.11.2014 abgewiesen.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Bekl Folge und bestätigte zunächst die vom Erstgericht getroffenen Feststellungen über das Vorliegen der vorübergehenden Berufsunfähigkeit des Kl im Zeitraum von 24.4. bis 31.10.2014 und die Unzweckmäßigkeit von Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation. Allerdings222 sprach es aus, dass der Anspruch auf Rehabilitationsgeld (nur) von 1.5. bis 31.10.2014 zu Recht bestehe.

Im Rechtsmittelverfahren war allein die Frage strittig, ab welchem Zeitpunkt dem Kl Rehabilitationsgeld zusteht, entweder ab 24.4.2014 (Standpunkt des von der Arbeiterkammer vertretenen Kl und des Erstgerichts) oder erst ab 1.5.2014 (Standpunkt der Bekl und des Berufungsgerichts).

Das Berufungsgericht vertrat in seiner E die Auffassung, dass die Frage, ob der Versicherungsfall eingetreten sei, gem § 223 Abs 2 ASVG nur zum Stichtag geprüft werden könne. Das Eintreten von Arbeitsunfähigkeit am 24.4.2014 – während des erstinstanzlichen Verfahrens – löse den 1.5.2014 als dem Eintritt des Versicherungsfalls der Invalidität folgenden Monatsersten als Stichtag aus. Somit bestehe der Anspruch auf Rehabilitationsgeld erst ab dem 1.5.2014.

In seiner Revision machte der Kl geltend, dass nach dem eindeutigen Wortlaut des § 143a Abs 1 ASVG der Anspruch auf Rehabilitationsgeld ab Vorliegen der vorübergehenden Invalidität bzw Berufsunfähigkeit, somit ab 24.4.2014, bestehe.

Die Revision wurde zugelassen, weil der OGH bislang noch nicht zur Frage des Anfalls von Rehabilitationsgeld Stellung genommen hat; der Revision wurde Folge gegeben und das Urteil des Erstgerichts wiederhergestellt.

ORIGINALZITATE AUS DER ENTSCHEIDUNG

„[…] Anspruch auf Rehabilitationsgeld besteht nach § 143a Abs 1 ASVG ‚ab Vorliegen der vorübergehenden Invalidität (Berufsunfähigkeit) für deren Dauer‘. Die Gesetzesmaterialien (ErläutRV 2000 BlgNR 24. GP 21) erläutern den Beginn des Anspruchs auf Rehabilitationsgeld folgendermaßen: ‚Es gebührt ab dem Vorliegen der vorübergehenden (mindestens sechsmonatigen) Invalidität (Berufsunfähigkeit), das heißt ab deren Eintritt bzw ab der Antragstellung beim Pensionsversicherungsträger (wenn der Zeitpunkt des Eintrittes nicht feststellbar ist, vgl § 223 Abs 1 Z 2 lit a ASVG in Verbindung mit § 367 Abs 4 Z 1 ASVG).‘ Pfeil (Systemfragen der geminderten Arbeitsfähigkeit, DRdA 2013, 363 [370]) weist auf den Umstand hin, dass das Gesetz keine spezielle zeitliche Begrenzung des Anspruchs auf Rehabilitationsgeld vorsieht; die Leistung gebühre vielmehr ‚ab Vorliegen‘ der geminderten Arbeitsfähigkeit und ‚für deren Dauer‘. Die erste Formulierung lege eine gegebenenfalls auch rückwirkende Zuerkennung nahe. Eine solche sei im Hinblick darauf geboten, dass in § 117 Z 3 ASVG eine Gleichsetzung des Versicherungsfalls der geminderten Arbeitsfähigkeit mit jenem der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit im Rahmen der KV vorgesehen sei, wohingegen es keine Festlegung des Eintritts des Versicherungsfalls wie bei der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit gebe. Pfeil sieht darin eine planwidrige Lücke, die er durch eine analoge Anwendung des § 120 Z 2 ASVG schließt. Daraus folge ein Beginn des Anspruchs auf Rehabilitationsgeld bereits mit dem Eintritt der geminderten Arbeitsfähigkeit. Dies decke sich auch mit der allgemeinen Regelung in § 85 Abs 1 ASVG, nach der Leistungsansprüche grundsätzlich mit der Erfüllung der jeweiligen Voraussetzungen entstehen und die Leistungen – in Ermangelung einer Sonderregelung – mit dem Entstehen des Anspruchs anfallen (§ 86 Abs 2 ASVG). […]

Der Standpunkt der beklagten Partei und des Berufungsgerichts läuft darauf hinaus, dass der Anspruch auf Rehabilitationsgeld grundlegend vom Vorliegen vorübergehender Invalidität bzw Berufsunfähigkeit (im Ausmaß von zumindest sechs Monaten) abhängt, weshalb in erster Linie die diesbezüglichen Voraussetzungen, beurteilt zum Stichtag, maßgeblich sein sollen. In diesem Licht sei auch der seinerzeitige Antrag des Klägers auf Weitergewährung der ihm zuerkannten BUP zu werten, wobei im Sinne der Rechtsprechung auf eine mögliche Stichtagsverschiebung Bedacht zu nehmen sei (RIS-Justiz RS0085973 [T2]). […]

Gemäß § 367 Abs 4 Z 1 ASVG hat das Gericht als erstes festzustellen, ob Invalidität bzw Berufsunfähigkeit vorliegt und ‚wann sie eingetreten ist‘. Diesbezüglich wird auf § 223 Abs 1 Z 2 lit a ASVG verwiesen. Demnach gilt der Versicherungsfall bei Leistungen aus den Versicherungsfällen geminderter Arbeitsfähigkeit mit dem Eintritt der Invalidität bzw Berufsunfähigkeit eingetreten (wenn dieser Zeitpunkt nicht feststellbar ist, mit der Antragstellung). Auch in der KV gilt der Versicherungsfall der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit ‚mit dem Beginn der […] Arbeitsunfähigkeit‘ als eingetreten (§ 120 Z 2 ASVG). § 367 Abs 4 Z 1 ASVG verweist nicht auf das in § 223 Abs 2 ASVG normierte Stichtagsprinzip, wonach bei den Versicherungsfällen der Pensionsversicherung (§ 222 ASVG: Alter, geminderte Arbeitsfähigkeit und Tod) die Anspruchsvoraussetzungen jeweils zu einem (näher definierten) Monatsersten zu prüfen sind. Der Grund für das Stichtagsprinzip liegt im Wesentlichen in der Verwaltungsvereinfachung (Panhölzl in SV-Komm [116. ErgLfg] § 223 ASVG Rz 22). Das Stichtagsprinzip ändert aber nichts daran, dass der Versicherungsfall bereits vor dem Stichtag eingetreten sein kann; vielmehr dient der Stichtag der Prüfung, ob der Versicherungsfall (schon) eingetreten ist und auch die sonstigen Anspruchsvoraussetzungen vorliegen. § 143a223Abs 1 ASVG legt fest, dass der Anspruch auf Rehabilitationsgeld ‚ab Vorliegen der vorübergehenden Invalidität (Berufsunfähigkeit)‘ gebührt, ohne dass hier auf das in der Pensionsversicherung geltende Stichtagsprinzip Bezug genommen würde. Insoweit ähnelt die Regelung dem § 138 Abs 1 ASVG, in dem für den Anspruch auf Krankengeld ebenfalls auf den Beginn der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit abgestellt wird: Anspruch auf Krankengeld besteht vom vierten Tag der Arbeitsunfähigkeit an. Die Parallelität liegt auch sachlich nahe, weil es sich beim Rehabilitationsgeld um eine Leistung aus der KV handelt (§ 117 Z 3 ASVG); die Leistung soll nach ihrer Zweckrichtung nur vorübergehend gebühren, bis die Minderung der Arbeitsfähigkeit durch Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation wieder beseitigt ist. Von diesem Ziel aus betrachtet sollen die Bemühungen um die Beseitigung des Zustands vom ersten Tag der Minderung der Arbeitsfähigkeit an eingreifen, ohne dass der folgende Monatserste abgewartet werden müsste. Insofern ist im Fehlen eines Verweises auf § 223 Abs 2 ASVG in § 367 Abs 4 Z 1 ASVG keine planwidrige Lücke zu erkennen.

Dem Argument der beklagten Partei, § 143a Abs 1 ASVG verweise direkt auf § 273b ASVG und dadurch indirekt auf § 271 Abs 1 Z 3 und 4 ASVG, steht entgegen, dass die von der beklagten Partei angesprochene Fassung des § 143a Abs 1 ASVG aus dem SVAG, BGBl I 2015/2, stammt; die Bestimmung wurde in der geänderten Form mit 1.1.2015 in Kraft gesetzt (§ 688 Abs 1 Z 1 ASVG). Billigt man § 273b ASVG nur klarstellenden Charakter zu (vgl ErläutRV 321 BlgNR 25. GP 7), ist zu betonen, dass die Prüfung der Erfüllung einer Wartezeit in der KV nicht zwingend einen Monatsersten als Stichtag voraussetzt, wie § 124 ASVG augenscheinlich zeigt. Gleiches gilt für die Beurteilung der Frage, ob bereits ein Anspruch auf Alterspension besteht. Aus der Verweiskette kann jedenfalls nicht zwingend abgeleitet werden, dass der Gesetzgeber den Beginn des Anspruchs auf Rehabilitationsgeld an einen Monatsersten binden wollte.“

ERLÄUTERUNG

In der vorliegenden E hatte der OGH zu beurteilen, ob Rehabilitationsgeld erst ab dem in der PV geltenden Stichtag oder bereits ab Vorliegen der vorübergehenden Berufsunfähigkeit des Kl zu leisten ist. Ausdrücklich darauf hinzuweisen ist, dass im gegenständlichen Verfahren der Antrag auf Rehabilitationsgeld vor dem Stichtag und vor dem Vorliegen der vorübergehenden Berufsunfähigkeit gestellt wurde. Mit dieser E hat der OGH deutlich und mit guten Argumenten zum Ausdruck gebracht, dass das pensionsrechtliche Stichtagsprinzip auf das Rehabilitationsgeld nicht zur Anwendung kommt. Ohne Zweifel ist das Ergebnis des Verfahrens nicht nur auf Weitergewährungsfälle, sondern auch auf Erstantragsfälle anzuwenden. Dh in jedem Verfahren auf Gewährung einer Invaliditäts- bzw Berufsunfähigkeitspension ist, wenn dauernde Invalidität bzw Berufsunfähigkeit nicht vorliegt, jedenfalls zu prüfen, ob zum Zeitpunkt der Antragstellung oder auch danach vorübergehende Invalidität bzw Berufsunfähigkeit vorliegt.

Obwohl im gegenständlichen Verfahren der Versicherungsfall nach Antragstellung eingetreten ist, wirft die E eine weitere vom OGH im Urteil unter Hinweis auf Pfeil bereits angeschnittene, aber nicht beantwortete, Frage der rückwirkenden Zuerkennung von Rehabilitationsgeld auf. Konkret geht es dabei um die Frage, ob ein Anspruch auf Rehabilitationsgeld auch für einen Zeitraum besteht, der nicht nur vor dem pensionsrechtlichen Stichtag, sondern auch vor dem Tag der faktischen Antragstellung auf Rehabilitationsgeld liegt.

Sowohl dem Kranken- als auch dem Pensionsrecht liegt das Anspruchsprinzip zugrunde. Nach § 361 Abs 1 Satz 2 ASVG gilt ein Antrag auf Gewährung einer Pension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit vorrangig als Antrag auf Leistung der medizinischen Rehabilitation und von Rehabilitationsgeld. Das Rehabilitationsgeld ist eine Leistung der KV (§ 117 Z 3 ASVG). Primär drängt sich bei der gegebenen Fragestellung daher § 102 ASVG über den Verfall von Leistungsansprüchen infolge Zeitablaufs auf. Auf dem ersten Blick dürfte einer rückwirkenden Zuerkennung von Rehabilitationsgeld auch für vor der Antragstellung liegende Zeiträume nichts im Wege stehen. Nach § 102 Abs 1 ASVG verfallen Ansprüche auf laufende Geldleistungen aus der KV, wenn diese nicht binnen zwei Jahren nach dem Entstehen geltend gemacht werden. Dh wird der Antrag innerhalb von zwei Jahren ab Eintritt des Versicherungsfalls beantragt, so steht einer rückwirkenden Zuerkennung der Leistung nichts entgegen. Wird eine laufende Geldleistung aus der KV jedoch nicht binnen zwei Jahren ab Eintritt des Versicherungsfalls beantragt, so gelten sämtliche Zahlungen als verfallen und nicht nur jene, die für eine länger als zwei Jahre zurückliegende Zeit gebühren (Fellinger in

Mosler/Müller/Pfeil
[Hrsg], Der SV-Komm § 102 Rz 3). Nach der Praxis der Krankenversicherungsträger sind jedoch nur die länger als zwei Jahre zurückliegenden Beträge als verfallen zu betrachten (Fellinger unter Verweis auf Teschner/Widlar/Pöltner in
Mosler/Müller/Pfeil
[Hrsg], Der SV-Komm § 102 Rz 3).

Die Anwendbarkeit des § 102 Abs 1 ASVG auf das Rehabilitationsgeld würde daher, sofern der224 OGH die Ansicht Fellingers teilt, die Pensionswerber einem großen und kaum zu kalkulierenden Risiko aussetzen. Stellt sich im Pensionsverfahren heraus, dass bereits seit länger als zwei Jahren vor der Antragstellung vorübergehende Invalidität bzw Berufsunfähigkeit vorliegt und Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation unzweckmäßig sind, so würde dieser Pensionswerber auf Grund der Verfalls seines Anspruchs weder Anspruch auf Pension noch auf Rehabilitationsgeld haben. Weiters sind auf Grund des Vorliegens von Invalidität bzw Berufsunfähigkeit gem § 8 AlVG auch Leistungen der AlV ausgeschlossen. Die Betroffenen wären in diesen Fällen auf die Mindestsicherung angewiesen. Diese Konsequenz führt zu unbilligen Härten und widerspricht unzweifelhaft dem Willen des Gesetzgebers. Dieser wollte mit der Abschaffung der befristen Invaliditäts- bzw Berufsunfähigkeitspension und der Verlagerung der Leistungen bei vorübergehender Invalidität bzw Berufsunfähigkeit in die KV keinesfalls bisher Leistungsberechtige von einer Versicherungsleistung ausschließen. Meines Erachtens ist daher eine Anwendbarkeit des § 102 ASVG auf das Rehabilitationsgeld abzulehnen.