Kündigungsrechtfertigungsgrund unter Diskriminierungsverdacht
Kündigungsrechtfertigungsgrund unter Diskriminierungsverdacht
Nach ständiger Judikatur des OGH* stellen längere oder häufige Krankenstände einen möglichen Rechtfertigungsgrund einer an sich als sozial interessenbeeinträchtigend erkannten Kündigung dar. So wurde selbst nach einem Arbeitsunfall ein Krankenstand von acht Monaten als zu lange qualifiziert.* Begründet wird diese Entscheidungspraxis damit, dass ein planbarer Einsatz eines AN für den AG nicht mehr möglich ist, den übrigen AN, die die ausgefallene Arbeitskraft kompensieren müssen, dies nur in zeitlich begrenztem Ausmaß zuzumuten ist, sowie damit, dass lange Krankenstände üblicherweise am Arbeitsmarkt nicht mehr in Kauf genommen werden.
Als Grenzbereich, innerhalb dessen ein nicht mehr hinzunehmender Arbeitsausfall indiziert sein kann, käme aufgrund der gesetzlich angeordneten Weitergabe des Lohnfortzahlungsrisikos an die Krankenkasse bereits ein Zeitraum ab Erschöpfung der jeweiligen Entgeltfortzahlungsdauer des AG bis zum Vorliegen des Entlassungstatbestands der dauernden Dienstunfähigkeit* in Frage. Liegt darüber hinaus auch eine ungünstige medizinische Prognose vor, der zufolge mit weiteren Krankenständen in der Zukunft zu rechnen ist, muss der anfechtende AN damit rechnen, seine durch die Beendigung des Arbeitsverhältnisses hervorgerufene Interessenbeeinträchtigung dem Auflösungsbegehren des AG nicht erfolgreich entgegensetzen zu können.
Gem § 3 BEinstG* ist eine Behinderung die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen, die geeignet ist, die Teilhabe am Arbeitsleben zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten. Diese nationale Definition des österreichischen Gesetzgebers, die besonders das Zeitmoment akzentuiert, ist im Umfeld der Auslegung des Behinderungsbegriffs der RL 2000/78/EG* zu beurteilen. Die RL nimmt selbst nämlich keine Legaldefinition vor.
In der Rs Chacon Navas* setzte der EuGH einen achtmonatigen Krankenstand einer Behinderung iSd RL nicht gleich und betonte, eine diskriminierende Kündigung könne dann nicht vorliegen, wenn der betroffene AN für seine Arbeitsleistung nicht „kompetent, fähig und verfügbar“ wäre. Diese defensive Interpretation des Gerichtshofs erhielt durch das von der EU* und Österreich*353 2009 ratifizierte UN-Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderung eine entscheidende Wendung. Dieses Abkommen stellt insb auf die soziale Dimension von Beeinträchtigungen, also auf deren Auswirkungen auf die soziale Teilhabe der Betroffenen, und die Beseitigung von Barrieren, die diese behindern, durch „angemessene Vorkehrungen“ ab. Diese Verschiebung des Blickwinkels von der angeborenen oder durch Unfall erworbenen irreversiblen medizinischen Einschränkung in Richtung auswirkungsorientierter Betrachtung unheilbarer, aber auch heilbarer Erkrankungen, die nach Barrierenbeseitigung eine Teilhabe am Arbeitsleben zulassen, findet erstmals in der E des EuGH in der Rs HK Danmark* einen Niederschlag.
Die dortigen Kl wurden krankheitsbedingt* gekündigt und litten an Wirbelsäulenerkrankungen, die ihre Beschäftigung während der (vereinbarten) Vollarbeitszeit nicht zuließen, mit einer Teilzeitarbeit aber sehr wohl zu vereinbaren gewesen wären. Der Gerichtshof erblickte darin die Möglichkeit zur Barrierenbeseitigung durch den AG und rechtfertigte dessen Kündigungen nicht. Diesem wäre es ja möglich gewesen, den AN entsprechend ihres Leistungskalküls eine Verkürzung ihrer Arbeitszeit anzubieten und sie dadurch im Arbeitsverhältnis zu belassen.
Ausgehend davon, dass sich eine Krankheit so entwickeln kann, dass sie einen AN in einen Zustand versetzt, der Erwerbsarbeit nur mehr unter erschwerten Bedingungen zulässt, wurde gefolgert, dass eine Krankheit eine Behinderung verursachen kann, wenn ihre Auswirkungen die Teilhabe am Arbeitsleben erschwert und sie von langer Dauer ist.
Im Allgemeinen wurde schließlich der Begriff Behinderung als Einschränkung definiert, die AN in Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren hindert, voll und gleichberechtigt mit anderen AN am Erwerbsleben teilzuhaben.
Der Gerichtshof weist auf den typischen Zusammenhang zwischen Krankheit und Behinderung hin, da eine Behinderung typischerweise das Risiko erhöht, krank zu werden. Dies wurde auch vom OGH in einer E* zum krankheitsbedingten Kündigungstatbestand des § 42 Abs 2 Z 2 der Wr VBO hervorgehoben, in der er die unterschiedslose Zusammenrechnung von mit einer Behinderung in Zusammenhang stehenden mit „schlichten“ Fehlzeiten als möglicherweise mittelbar diskriminierend verortet.
Den vorläufigen Schlusspunkt auf europäischer Ebene setzte der EuGH mit der E in der Rs Kaltoft,* mit der er an der in der Rs HK Danmark eingeleiteten Begriffsschärfung festhält und im Konkreten die Auswirkungen eingeschränkter Mobilität oder des Auftretens von tätigkeitshindernden oder -einschränkenden Krankheitsbildern in den Behinderungsbegriff miteinbezieht.
Alleine schon ausgehend von der in § 3 BEinstG ausdrücklich hervorgehobenen Dauer der Funktionsbeeinträchtigung von mehr als voraussichtlich sechs Monaten stellt sich die Frage, ob nicht ein Krankenstand von (voraussichtlich) mehr als sechs Monaten, der vom AG im Vertrauen auf die Rsp des OGH als Rechtfertigung für seine Beendigungsmotivation ins Treffen geführt wird, vielmehr das Vorliegen einer Behinderung nahelegt. Diese dürfte ja eigentlich gar nicht als Kündigungsmotivation deklariert werden, um nicht sogleich mit einem Bein in der Diskriminierungsfalle aufzuwachen. Andersherum formuliert: Sind lange Krankenstände weiterhin als zu § 105 Abs 3 Z 2 ArbVG judizierter personenbezogener Kündigungsgrund tauglich, wenn sie aufgrund ihrer Dauer und ihrer Auswirkung auf die Teilhabe am Erwerbsleben eigentlich einer diskriminierungsgeschützten Behinderung gleichkommen?
Der Beantwortung dieser Frage vorausgeschickt muss festgehalten werden, dass der inkriminierte Kündigungsrechtfertigungsgrund des langen bzw häufigen Krankenstandes iSd § 105 Abs 3 Z 2 lit a ArbVG nicht unmittelbar, sondern als potentiell mittelbar diskriminierend anzusehen ist, da er auf ein an sich „neutrales“ Kriterium, nämlich die längere Abwesenheit von der Arbeit, abstellt. AN mit Behinderung erkranken aber eher an einer mit ihrer Behinderung in Zusammenhang stehenden Krankheit, so dass sich das Risiko längerer Krankenstände bei ihnen häufiger verwirklicht als bei nichtbehinderten AN. Mittelbar diskriminierende Regelungen können aber durch ein rechtmäßiges Ziel oder ein rechtmäßiges Vorgehen sachlich gerechtfertigt werden. Dem AG eröffnet sich somit die Möglichkeit, durch Ergreifung aller erforderlichen und ihm zumutbaren Vorkehrungen und Maßnahmen,* die eine uneingeschränkte Ausübung der Tätigkeit des AN am Arbeitsplatz ermöglichen, dem Diskriminierungsverdikt zu entgehen.*354
Einigermaßen sicher kann wohl gesagt werden, dass ein undifferenziertes Abstellen auf lange oder wiederholte Krankenstände bei der Ortung personenbezogener Kündigungsgründe nicht weiter möglich sein wird. Man wird sich künftig die der Erkrankung zugrunde liegenden Umstände und die ihr entspringenden Auswirkungen genauer ansehen müssen. Dies wird nicht nur für die Gerichte bei Prüfung des behaupteten Kündigungsgrundes, sondern auch für AG bereits vor Kündigungsausspruch gelten, denen eine im Zusammenhang mit der sozialen Gestaltungspflicht stehende Prüfpflicht zukommt, ob behinderungsgleiche Auswirkungen der Erkrankung vorliegen und ob ihnen Maßnahmen möglich sind, die es erkrankten AN erleichtern, ihre Tätigkeit ungehindert auszuüben.*
Kommt man zur Ansicht, dass der Krankenstand entweder durch eine Behinderung bedingt ist oder aber durch seine Auswirkungen die volle Teilhabe am Arbeitsprozess erschwert oder verhindert, was durch die Beseitigung von Barrieren verändert werden könnte, muss konsequenterweise von einer Behinderung ausgegangen werden, die eine Kündigung nicht zu rechtfertigen vermag, sondern umgekehrt anfechtbar macht.
Wird dies dem gekündigten AN allerdings erst während des Prozesses nach entsprechendem Einwand des beklagten AG oder nach verspätetem Erkennen der Rechtserheblichkeit dieses Umstands gewahr, wird die dafür offenstehende kurze 14-tägige Anfechtungsklagsfrist* freilich in der Regel bereits abgelaufen sein.
Grundsätzlich sieht § 7k Abs 2 Z 2 BEinstG eine 14-tägige Frist ab Zugang der als behindertendiskriminierend erachteten Kündigung zur gerichtlichen Anfechtung vor. Gem § 7k Abs 1 leg cit kann das Gericht jedoch nur dann damit befasst werden, wenn in der Sache vorher beim Sozialministeriumservice (ehem. Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen) ein Schlichtungsverfahren durchgeführt wurde. Überdies ist die Klage nur zulässig, wenn nicht innerhalb eines Monats eine gütliche Einigung erzielt wurde, wobei der Kl der Klage eine Bestätigung des Sozialministeriumservice darüber anzuschließen hat, dass keine gütliche Einigung erzielt werden konnte.
Die Einleitung des Schlichtungsverfahrens bewirkt die Hemmung der 14-tägigen Klagsfrist, die Zustellung der „Nichteinigungsbestätigung“ beendet die Hemmung, worauf jedenfalls noch eine Frist von 14 Tagen zur Erhebung der Klage offensteht. Ein nach Ablauf der 14-tägigen Frist einlangender Antrag auf Einleitung eines Schlichtungsverfahrens setzt dieses zwar in Gang, vermag aber die Frist zur gerichtlichen Geltendmachung nicht zu hemmen, da eine bereits abgelaufene Frist nicht mehr nachträglich gehemmt werden kann.
Möchte man sich in dieser Situation der ZPO* entsprechend mit der sofortigen Einbringung eines Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand behelfen, um in die bereits abgelaufene gerichtliche Klagsfrist wieder eingesetzt zu werden, droht diesem Unterfangen bereits daran ein Scheitern, als gleichzeitig unter einem die versäumte Prozesshandlung, also die Klage, nachgeholt werden muss, deren notwendige Zulässigkeitsvoraussetzung in Form der „Nichteinigungsbestätigung“ des Sozialministeriumservice mangels durchgeführten Schlichtungsverfahrens aber noch nicht vorliegen bzw präsentiert werden kann. Die Klage müsste mangels Vorliegens einer Prozessvoraussetzung von Amts wegen in jeder Lage des Verfahrens bis Rechtskraft der Entscheidung beschlussmäßig zurückgewiesen werden.*
Wartet man demgegenüber das Ergebnis des Schlichtungsverfahrens ab (somit die Zustellung der Bestätigung) und stellt erst dann den Wiedereinsetzungsantrag samt Klage und angeschlossener Bestätigung, muss man mit dem nicht unbegründeten Einwand rechnen, den Antrag verspätet (jedenfalls mehr als 14 Tage nach Wegfall des hindernden Ereignisses) gestellt zu haben. Diesfalls könnte der Wiedereinsetzungsantrag als verfristet zurückgewiesen werden.
Nicht zuletzt aufgrund der zwar nicht unmittelbar anwendbaren, aber doch im Bereich der Richtlinienumsetzung als Wertungsmaßstab heranzuziehenden Grundrechtecharta (GRC) erscheint dieser unbefriedigende Zustand als regelungsbedürftig. Aus Art 30 der GRC iVm Art 6 EUV wird effektiver Schutz vor ungerechtfertigter Beendigung eines Arbeitsverhältnisses abgeleitet. Dem AN nur 14 Tage Zeit zu geben, seine behinderungsgleiche Erkrankung als solche zu erkennen und die zu Gebote stehenden Instrumente seiner Rechtsverfolgung in Gang zu setzen, mutet im Vergleich zur zeitlich komfortablen Möglichkeit des AG, diesen Umstand während355 eines Anfechtungsverfahrens als Rechtfertigungsgrund einzuwenden, nicht dem „Waffengleichheitsgebot“ der ZPO oder dem Effektivitätsgebot der GRC entsprechend an. Ein gesetzgeberischer Ausweg aus diesem Dilemma scheint dringend geboten.
Die Begründung eines personenbezogenen Kündigungsgrundes im Rahmen einer Sozialwidrigkeitsanfechtung unter Verweis auf einen langen Krankenstand wird spätestens seit den Rs HK Danmark und Kaltoft unter dem Verdacht der (mittelbaren) Diskriminierung auf Grund einer Behinderung stehen. Erweist sich dieser Verdacht nach konkreter Prüfung der Umstände des Krankenstandes und seiner Auswirkungen als zutreffend, kann ein Diskriminierungstatbestand nicht als Rechtfertigungsgrund einer sozial interessenbeeinträchtigenden Kündigung dienen. Ein aktiver, aber verspäteter Aufgriff eines derart ausgemachten Diskriminierungstatbestands durch Anfechtungsklage steht vor regelungsbedürftigen prozessualen Hindernissen.