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Rehabilitationsgeld ist bei Nahebeziehung zum österreichischen System der sozialen Sicherheit ins EU-Ausland zu exportieren

MONIKAWEIßENSTEINER

Die 1984 geborene Kl hat in Deutschland 66 Versicherungsmonate erworben und in Österreich 27 Versicherungsmonate. Sie wohnt seit 2007 durchgehend in Deutschland. Vom Oktober 2011 bis März 2014 bezog sie eine befristete Invaliditätspension. Die PVA lehnte den Antrag auf Weitergewährung der Pension ab, weil Invalidität nicht dauerhaft vorliege. Sie stellte fest, dass weiter vorübergehende Invalidität vorliege, als Maßnahme der medizinischen Rehabilitation seien die Ergebnisse weiterer Therapiemaßnahmen abzuwarten.

Die Unterinstanzen stellten den Anspruch der Kl auf Auszahlung des Rehabilitationsgeldes trotz des Wohnsitzes in Deutschland fest. Das OLG begründete Österreichs Zuständigkeit gem Art 11 Abs 3 lit e der VO 883/2004, weil auf Grund des Bezugs der befristeten Invaliditätspension die Weiterausübung der Beschäftigung fingiert werde und die subsidiäre Zuständigkeit des Wohnsitzstaates nicht zum Tragen komme.

Der OGH gab der Revision der Bekl nicht Folge. In der sehr ausführlichen Grundsatzentscheidung setzt sich der OGH mit der österreichischen Lehre und der EuGH-Judikatur auseinander. Die Frage der Zuständigkeit Österreichs in diesem Fall ist eine Auslegungsfrage des Unionsrechts und könne auf der Grundlage des geltenden Normenbestands und der bisherigen EuGH-Rsp (insb in der Rs da Silva Martins zum Pflegegeld) gelöst werden, weshalb es keiner Vorabentscheidungsvorlage an den EuGH bedürfe.

Zusammengefasst führt der OGH aus: Die Auflistung des Rehabilitationsgeldes im Leistungskatalog der KV in § 117 Z 3 ASVG ist für die unionsrechtliche Einordnung nicht entscheidend. Entscheidend ist, wie die Leistung in der Sozialrechtskoordinierung zu qualifizieren ist. Das Rehabilitationsgeld soll das Risiko einer zeitlich begrenzten Minderung der Arbeitsfähigkeit abdecken, bei der die Chance auf Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit besteht. Ziel ist die Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt. Zusammengefasst stellt das Rehabilitationsgeld somit eine Geldleistung bei Krankheit iSd Art 3 Abs 1 lit a der VO 883/2004 dar. Der Sondercharakter der Leistung an der Schnittstelle zwischen Krankheit und Invalidität ist allerdings zu berücksichtigen. Denn zur Einleitung des Verfahrens muss ein Antrag auf eine Pension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit beim Pensionsversicherungsträger gestellt werden, dieser entscheidet über Gewährung und Entziehung und es müssen Versicherungszeiten in der PV vorliegen. Zu beachten ist außerdem das primärrechtlich gesicherte Recht auf AN-Freizügigkeit gem Art 45 ff AEUV oder die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern gem Art 18 ff AEUV.

Welche Rechtsordnung anwendbar ist, wird prinzipiell in Art 11 Abs 3 der VO 883/2004 geregelt. Für Leistungen bei Krankheit ist nach Art 11 Abs 3 lit a der VO 883/2004 primär der Beschäftigungsstaat zuständig. Eine Beschäftigung liegt im Fall der Kl aber nicht vor. Ebenso wenig bezieht sie eine Leistung nach Art 11 Abs 2 der VO 883/2004. Aus Art 11 Abs 3 ergibt sich eine subsidiäre Zuständigkeit des Wohnsitzstaates. Allerdings ist der Sondercharakter des Rehabilitationsgeldes zu beachten. Es gibt – wie oben ausgeführt – bedeutende Berührungspunkte mit den Leistungen bei Invalidität (Pensionsantrag, Entscheidung durch den Pensionsversicherungsträger, Invalidität muss zumindest sechs Monate vorliegen, Versicherungszeiten in der PV müssen vorhanden sein, durch die neue Leistung wurde die befristete Invaliditätspension ersetzt). Aus unionsrechtlicher Sicht könnte das Rehabilitationsgeld je nach Fallkonstellation nicht nur eine Leistung bei Krankheit, sondern auch bei Invalidität sein. Der105 EuGH prüft in solchen Fällen einer Leistung mit Sondercharakter, ob die Leistung eine Gegenleistung für eingezahlte Beiträge darstellt. Eine solche Leistung darf nicht verloren gehen, weil die betreffende Person vom Recht auf Freizügigkeit Gebrauch macht. Entscheidend ist auch, ob der aktuelle Wohnsitzstaat eine entsprechende Leistung kennt. Nach Ansicht des OGH ist das Rehabilitationsgeld eine Vergünstigung, die eine Gegenleistung für die von der Kl in Österreich entrichteten Pensionsversicherungsbeiträge darstellt. Auf Grund des Sondercharakters des Rehabilitationsgeldes wäre im vorliegenden Fall im Zuständigkeitswechsel und Leistungsverlust durch die 2007 vorgenommene Wohnsitzverlegung nach Deutschland eine Beschränkung der Freizügigkeit zu sehen. Der Leistungsverlust wäre nämlich im vorliegenden Fall auf die Inanspruchnahme der Freizügigkeit zurückzuführen. Der Wohnsitzmitgliedstaat Deutschland kennt keine dem Rehabilitationsgeld entsprechende Geldleistung. Die Nahebeziehung zum österreichischen System der sozialen Sicherheit ist durch die erworbenen Versicherungszeiten sowie durch den Bezug einer befristeten Invaliditätspension dokumentiert. Anknüpfungspunkt für die Zuständigkeit ist daher nicht mehr der Wohnsitz. Die Kl hat daher Anspruch auf das Rehabilitationsgeld.

ANMERKUNG DER BEARBEITERIN:

Mit diesem Urteil hat der OGH eine heftig diskutierte Frage des SRÄG 2012 beantwortet: Haben Versicherte mit Wohnsitz in einem anderen EU-Mitgliedstaat Anspruch auf Rehabilitationsgeld, mit anderen Worten ist das Rehabilitationsgeld zu exportieren? Für Versicherte ab dem Jahrgang 1964 besteht bei Vorliegen von vorübergehender Invalidität kein Anspruch auf befristete Invaliditätspension mehr, sondern – bei Erfüllung der sonstigen Anspruchsvoraussetzungen – auf Rehabilitationsgeld. Im Fall einer beruflichen Rehabilitation wird Umschulungsgeld vom Arbeitsmarktservice geleistet.

Die ausführliche Entscheidungsbesprechung erscheint in DRdA 5/2017.