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Verjährungseinwand nach langjährigen Vergleichsverhandlungen kann gegen Treu und Glauben verstoßen

KLAUSBACHHOFER

Die Kl verfolgte gegenüber der bekl AG – neben mehreren anderen AN – die Nachverrechnung und Bezahlung von geleisteten Mehr- und Überstunden. Die Bekl war aufgrund des enormen administrativen Aufwands und der Vermeidung von 80 bis 90 gegen sie einzubringenden Klagen an einer Pauschalvergütung interessiert und betonte auch ihre Bereitschaft, die Ergebnisse von einzelnen Musterverfahren für alle betroffenen Mitarbeiter beachten zu wollen. Insb hat die Bekl gegenüber der Kl einen Verjährungsverzicht erklärt und über Jahre hinweg versprochen, dass die Mehr- und Überstunden ab 1.5.2005 nachverrechnet und diese Ansprüche nicht verloren gehen würden.

Selbst nach Widerruf des Verjährungsverzichts mit Schreiben vom 10.9.2014 wurden die Verhandlungen zwischen den Streitteilen über einen möglichen Vergleich weitergeführt. Diese Verhandlungen sind letztlich am 5.12.2014 endgültig gescheitert. Insgesamt haben sich die Verhandlungen von 2008 bis jedenfalls September 2014 hingezogen. Währenddessen hat die Bekl immer wieder auf die aus ihrer Sicht administrativ undurchführbare Einzelnachverrechnung hingewiesen.

Der von der Kl am 13.2.2015 eingebrachten Klage wurde von der Bekl mit dem Einwand begegnet, sie wäre nicht in angemessener Frist nach Widerruf des Verjährungsverzichts bei Gericht eingebracht worden, weswegen die Ansprüche als verjährt anzusehen wären.

Sowohl das Erst- als auch das Berufungsgericht haben den von der Bekl erhobenen Verjährungseinwand als sittenwidrig qualifiziert. Der OGH hat die außerordentliche Revision der Bekl zurückgewiesen.

In seiner Begründung führte der Gerichtshof aus, dass die Verjährungseinrede dann gegen Treu und Glauben – und damit gegen die guten Sitten – verstößt, wenn die Fristversäumnis des Gläubigers auf ein Verhalten seines Gegners zurückzuführen ist. Dazu zählt nicht nur, wenn der Schuldner den Gläubiger aktiv davon abhält, der Verjährung durch Einklagung vorzubeugen. Vielmehr liegt ein Verstoß gegen die guten Sitten bereits dann vor, wenn der Schuldner ein Verhalten setzt, aufgrund dessen der Gläubiger der Auffassung sein konnte, sein Anspruch werde entweder ohne Rechtsstreit befriedigt oder nur mit sachlichen Einwendungen bekämpft, sodass er aus diesen Gründen eine rechtzeitige Klagsführung unterlassen hat. Verstößt der Verjährungseinwand gegen Treu und Glauben, so kann diesem die Replik der Sittenwidrigkeit entgegengehalten werden.

Im Anlassfall stößt die Bejahung der Voraussetzungen eines Verstoßes gegen Treu und Glauben durch die Vorinstanzen auf keine Bedenken des OGH. Es bestand kein Zweifel, dass die Kl eine von den Verhandlungen über die Nachverrechnung der Mehr- und Überstunden betroffene AN war und an sie ein Vergleichsangebot gerichtet wurde.

Bezugnehmend auf das Vorbringen der Bekl, die Klage sei nicht fristgerecht eingebracht worden, führte der OGH aus, dass nach dem Scheitern von Verhandlungen und der erkennbaren Aufgabe jenes Verhaltens, das den Verjährungseinwand sittenwidrig erscheinen lässt, in angemessener Frist Klage eingebracht werden muss. Die Beurteilung,78 ob diese Voraussetzung gegeben ist, hängt jedoch typisch von den Umständen des Einzelfalls ab und begründet im Allgemeinen keine erhebliche Rechtsfrage. Die Vorinstanzen hielten aufgrund des Gesamtverhaltens der Bekl während der langjährigen Verhandlungsphase eine großzügige Sichtweise für geboten, was der OGH schließlich auch nicht beanstandete.