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Keine Verpflichtung der DienstnehmerInnen zum Ersatz der auf sie entfallenden Sozialversicherungsbeiträge bei Verlust des Abzugsrechts der DienstgeberInnen nach § 60 Abs 1 ASVG

SUSANNEAUER-MAYER

Ist ein Abzug des DN-Anteils zur SV durch die DG nach § 60 Abs 1 ASVG nicht mehr möglich, so besteht auch keine Verpflichtung der DN zum Ersatz der auf sie entfallenden Sozialversicherungsbeiträge. § 60 Abs 1 ASVG stellt somit eine abschließende Regelung dar.

SACHVERHALT

Die Bekl war bei der Kl von 2000 bis 2013 auf Werkvertragsbasis tätig. Aufgrund einer gemeinsamen Prüfung aller lohnabhängigen Abgaben (GPLA) wurde deren Arbeitsleistung jedoch als unselbständige Tätigkeit eingestuft und eine Pflichtversicherung nach dem ASVG angenommen. Der Kl wurden daraufhin seitens der Gebietskrankenkasse (GKK) insgesamt 38.212,23 € an DN- und DG-Beiträgen vorgeschrieben. Die von der Bekl nach dem GSVG an die Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft (SVA) bezahlten Beiträge iHv 6.265,39 € wurden letzterer auf Antrag rückerstattet. Die Kl begehrte die Herausgabe des diesbezüglichen Betrags.

VERFAHREN UND ENTSCHEIDUNG

Das Erstgericht wies das Klagebegehren mit der Begründung ab, die DG sei alleinige Beitragsschuldnerin sowohl der DG- als auch der DN-Beiträge und gem § 60 Abs 1 ASVG ausschließlich im Weg des Lohnabzugs berechtigt, den DN-Anteil einzubringen. § 60 ASVG stelle eine abschließende Regelung dar. Ein darüber hinausgehendes Rückforderungsrecht gegenüber der DN, etwa unter Berufung § 1042 oder § 1358 ABGB, bestehe nicht. Das Berufungsgericht schloss sich dieser Beurteilung an. Auch der OGH gab der Revision der Kl nicht Folge.

ORIGINALZITATE AUS DER ENTSCHEIDUNG

„[…] 3. Der OGH hat sich bereits in der Entscheidung 9 ObA 166/89 mit der hier zu beurteilenden Frage auseinandergesetzt. Dabei ging er davon aus, dass § 60 ASVG eine abschließende Regelung darstellt. Daraus wurde auch abgeleitet, dass der DG nicht ein wegen Versäumnis nach § 60 ASVG verwirktes Recht auf Abzug des auf den Versicherten entfallenden Beitragsteils im Wege einer Aufrechnungseinrede geltend machen könne (RIS-Justiz RS0033990).

Von dieser Beurteilung abzugehen besteht trotz der entgegenstehenden Lehrmeinungen keine Veranlassung. Wie bereits dargelegt, ist nach § 58 Abs 2 ASVG der DG alleiniger Schuldner der Beiträge zur SV. Die gesetzliche Grundlage dafür, dass er den DN-Beitrag überwälzen kann, bildet § 60 Abs 1 ASVG. Dabei kann der zuvor zitierten Literatur nicht darin gefolgt werden, dass diese Regelung nicht abschließend ist. Geht man nämlich davon aus, dass § 60 Abs 1 ASVG nur das Abzugsrecht des DG regelt, daneben aber die Möglichkeit einer zivilrechtlichen Geltendmachung offen lässt, wäre sowohl die Beschränkung für den Fall des Verschuldens des DG (auf die der Fälligkeit des Beitrags nächstfolgende Entgeltzahlung), als auch die Beschränkung auf eine ratenweise Geltendmachung bei unverschuldeter Nachzahlung sinnlos, hätte doch der AG daneben immer die Möglichkeit, den Gesamtbetrag sofort und unabhängig vom eigenen Verschulden zu fordern. Dies würde dazu führen, dass er etwa nach Erwirken eines Exekutionstitels seine Forderung bis zur Höhe des Existenzminimums geltend machen kann. Dass dies dem Zweck des § 60 Abs 1 ASVG, der auf eine periodenweise beschränkte Belastung des AN abzielt, widerspricht, ist offenkundig. […]

Wenn verschiedentlich mit den Ausnahmeregelungen des § 60 Abs 2 bzw § 61 ASVG argumentiert wird, so zeigt gerade die Sonderregelung, dass der Gesetzgeber in diesen Fällen von einem Sachverhalt ausgeht, der einer von der Grundregel abweichenden Behandlung bedarf. Dass § 61 ASVG allenfalls ‚chronisch‘ säumige AG besserstellt, mag vom pönalisierenden Element her einen gewissen Widerspruch zu § 60 Abs 1 ASVG darstellen, aus der Sicht des AN ergibt sich daraus aber keine Schlechterstellung gegenüber einem AN, dessen AG die Sozialversicherungsbeiträge periodenkongruent abliefert, da er nicht mit Forderungen konfrontiert wird, die länger zurückliegende Zeiträume betreffen. Dass der Gesetzgeber der regelmäßigen Abfuhr der Beiträge gegenüber dem allfälligen erzieherischen Charakter eines Übergangs der Beitragspflicht den Vorrang gibt, lässt keinen Rückschluss auf die Auslegung des § 60 Abs 1 ASVG zu.

Dazu kommt, dass sich auch aus den in der Literatur genannten möglichen Anspruchsgrundlagen außerhalb des ASVG, § 1358 bzw § 1042 ABGB kein Anspruch des AG ableiten lässt. § 1358 ABGB setzt die Zahlung einer fremden Schuld voraus. Anders als bei der Lohnsteuer, bei der nach § 83 EStG der DN Steuerschuldner ist, der AG also aufgrund seiner Verpflichtung die Lohnsteuer einzubehalten, eine fremde Schuld bezahlt, ist bei der SV Schuldner der AG. Die Annahme einer materiell fremden Schuld lässt sich letztlich mit § 58 Abs 2 ASVG nicht in Einklang bringen. Eine sinngemäße Anwendung81des § 1358 ABGB ist daher abzulehnen. Daran scheitert aber auch eine Berufung auf § 1042 ABGB. Der AG tätigt keinen fremden Aufwand.

Das Recht des AG auf Einbehalt der DN-Beiträge steht auch in keinem Zusammenhang mit einem gutgläubigen Verbrauch durch den AN. Dass der AN irrtümlich einem unrichtigen Sozialversicherungsträger Beiträge geleistet und deshalb einen Rückforderungsanspruch gegen diesen hat, rechtfertigt nicht, den AN dazu zu verpflichten, die so erhaltene Leistung zur Abdeckung von vom AG nicht fristgerecht bezahlter DN-Beiträge heranzuziehen. […]“

ERLÄUTERUNG

Wird hinsichtlich einer Tätigkeit eine Pflichtversicherung nach dem GSVG gemeldet, nachträglich aber – etwa infolge einer GPLA – die DN-Eigenschaft der betroffenen Person iSd § 4 Abs 2 ASVG festgestellt, kommt es angesichts der Meldeunabhängigkeit der Pflichtversicherung grundsätzlich zu einer rückwirkenden „Umqualifizierung“ in eine ASVG-Pflichtversicherung (vgl auch OGH8 ObA 20/04fDRdA 2005/41, 541 [Sonnleitner]; VwGH97/08/0171 SVSlg 48.092; VwGH2012/08/0303 infas 2013 S 15). Der DG werden in weiterer Folge als Beitragsschuldnerin gem § 58 ASVG die rückständigen – sowohl DG- als auch DN- – Beiträge nach dem ASVG vorgeschrieben, soweit diese noch nicht verjährt sind. Diese hat zwar gem § 60 ASVG grundsätzlich das Recht, den DN-Anteil vom Entgelt abzuziehen; trifft die DG jedoch ein Verschulden an der verspäteten Beitragsentrichtung, so muss dieses auf Grund ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung spätestens bei der auf die Fälligkeit des Beitrags nächstfolgenden Entgeltzahlung ausgeübt werden. Da bei einer Fehlbeurteilung der Versicherungspflicht idR die/den DG ein Verschulden trifft und folglich kein Abzugsrecht mehr besteht (vgl auch Resch in

Mosler/Müller/Pfeil
[Hrsg], Der SV-Komm § 60 ASVG Rz 14 ff), stellt sich in derartigen Fällen die Frage, ob sich die DG hinsichtlich des DN-Anteils zivilrechtlich bei der DN „regressieren“ kann. Dies wurde vor allem – wie hier – für den Fall vertreten, dass die DN die fälschlich an die SVA geleisteten Beiträge gem § 41 GSVG zurückfordern kann (näher nur Kietaibl, ZAS 2006, 172 ff mwN).

Der OGH erteilt der Annahme eines zivilrechtlichen Regressanspruchs der DG jedoch eine klare Absage. In Aufrechterhaltung der Vorjudikatur geht er unter Verweis auf den Zweck des § 60 ASVG davon aus, dass dieser eine abschließende Regelung darstellt, die keinen Raum für allfällige zivilrechtliche Ersatzansprüche der DG lässt. Dabei hält er insb auch fest, dass die in der Literatur als mögliche Anspruchsgrundlagen genannten §§ 1042 bzw 1358 ABGB mangels Begleichung einer fremden Schuld durch die DG von vornherein nicht geeignet sind, einen Ersatzanspruch zu begründen.

Die praktische Relevanz der vorliegenden E hat sich freilich mit Erlassung des Sozialversicherungs-Zuordnungsgesetzes (SV-ZG, BGBl I 2017/125) erheblich relativiert:

Zum einen wird das Risiko einer nachträglichen „Umqualifizierung“ – und damit der wohl bedeutsamste Fall einer Beitragsnachforderung bei gleichzeitigem Verlust des Abzugsrechts – nunmehr ua durch die neue „Vorabprüfung“ verringert. So ist die SVA gem § 412d ASVG hinsichtlich bestimmter freier Gewerbe sowie „Neuer Selbständiger“ (§ 2 Abs 1 Z 4 GSVG) verpflichtet, die zuständige GKK von der Anmeldung zu verständigen und ihr die Ergebnisse bei Beurteilung der Versicherungspflicht samt zugrunde liegender Unterlagen zu übermitteln. Wird in der Folge eine Pflichtversicherung nach dem ASVG von GKK und DG oder eine solche nach dem ASVG oder GSVG von GKK und SVA einvernehmlich bejaht, sind die beteiligten Sozialversicherungsträger (sowie das Finanzamt) gem § 412d iVm § 412c ASVG im Fall einer späteren Prüfung an diese Beurteilung gebunden, soweit sich der relevante Sachverhalt nicht geändert hat. Dasselbe gilt, wenn die GKK die ASVG-Pflichtversicherung entgegen der Auffassung der SVA rechtskräftig feststellt.

Zum anderen sind gem § 41 Abs 3 GSVG in der seit 1.7.2017 geltenden Fassung sämtliche zu Ungebühr an die SVA entrichteten Beiträge an den für die Beitragseinhebung zuständigen ASVG-Krankenversicherungsträger zu überweisen, wenn nachträglich statt der GSVG-Pflichtversicherung eine solche nach dem ASVG festgestellt wird. Dieser hat die überwiesenen Beiträge auf die ihm geschuldeten anzurechnen, womit sich die Nachforderung gegen die DG entsprechend verringert. Dh mit anderen Worten, dass sich die/der Versicherte die fälschlicherweise an die SVA entrichteten Beiträge nicht mehr rückerstatten lassen kann. Die Frage einer allfälligen „Bereicherung“ der DN stellt sich damit nach der neuen Rechtslage vielfach von vornherein nicht mehr.

Da die Anrechnung ex lege offenkundig sowohl auf den DN- als auch den DG-Anteil zu erfolgen hat (arg: „auf die ihm [= dem Sozialversicherungsträger] geschuldeten Beiträge anzurechnen“), kommt es freilich nunmehr idR zu einer Entlastung der DG von ihrer Beitragspflicht zulasten der DN. Es würde folglich nicht überraschen, wenn sich der OGH in naher Zukunft erneut mit der Frage bereicherungsrechtlicher Ansprüche – diesfalls der DN gegen die DG – in Fällen von „Scheinselbständigkeit“ beschäftigen müsste.82