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Ausdrücklicher Antrag auf Übergangsgeld erforderlich

MONIKAWEISSENSTEINER

Das Übergangsgeld aus der PV ist von der Antragsfiktion des § 361 Abs 1 letzter Satz ASVG nicht erfasst. Der Versicherte muss einen ausdrücklichen Antrag auf Übergangsgeld stellen. Der Streitgegenstand des sozialgerichtlichen Verfahrens muss mit jenem des vorgeschaltenen Verwaltungsverfahrens ident sein.

SACHVERHALT

Der 1975 geborene Kl hat die Berufe Schierzeuger und Betriebsschlosser gelernt und war im Beobachtungszeitraum länger als 90 Monate als Facharbeiter tätig. Mit Bescheid vom 12.3.2015 lehnte die Pensionsversicherungsanstalt den Antrag vom 1.12.2014 auf Zuerkennung der Invaliditätspension ab. Es liege keine dauernde, aber auch keine vorübergehende Invalidität vor.

VERFAHREN UND ENTSCHEIDUNG

Im Verfahren vor dem Sozialgericht wurde dauernde Invalidität ab 1.1.2015 festgestellt und ausgesprochen, dass eine berufliche Integration durch Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation im Umschulungsberuf Finanz- und Rechnungswesenassistent mit Lehrabschluss möglich sei. Der Kl begehrte auch die Feststellung, dass er Anspruch auf Umschulungsgeld gem § 306 ASVG ab dem Stichtag (1.1.2015) bis zum Entstehen des Anspruchs auf Übergangsgeld habe. Das Erstgericht gab dem Klagebegehren zur Gänze statt. Versicherte, die aufgrund einer ablehnenden Entscheidung des Versicherungsträgers gezwungen seien, den Rechtsweg zu beschreiten, müssten zur Verhinderung einer Versorgungslücke bis zu einem etwaigen Anspruch auf Umschulungsgeld Übergangsgeld erhalten. Aus Anlass der Berufung der Bekl hob das Berufungsgericht das Urteil im Umfang des Begehrens auf Übergangsgeld als nichtig auf und wies die Klage insoweit zurück. Der Kl habe weder einen Antrag auf Übergangsgeld gestellt noch habe die Bekl darüber mit Bescheid entschieden. Der OGH hält den Rekurs des Kl für zulässig, aber nicht berechtigt.

ORIGINALZITATE AUS DER ENTSCHEIDUNG

„1.1 Leistungsansprüche in der Pensionsversicherung sind von den Versicherungsträgern nach § 361 Abs 1 Satz 1 ASVG auf Antrag festzustellen.

1.2 Der 1975 geborene Kläger hat am 2. Dezember 2014 einen Antrag auf Zuerkennung von Invaliditätspension gestellt. Nach § 361 Abs 1 letzter Satz ASVG in der hier anzuwendenden (§ 688 Abs 1 Z 2 ASVG) Fassung des SVAG 2014, BGBl I 2015/2, gilt sein Antrag vorrangig als Antrag auf Leistung von medizinischen Maßnahmen der Rehabilitation sowie von Rehabilitationsgeld sowie auf Feststellung, ob berufliche Maßnahmen der Rehabilitation zweckmäßig und zumutbar sind, einschließlich der Feststellung des Berufsfeldes.

1.3 Das Übergangsgeld wird in § 361 Abs 1 letzter Satz ASVG nicht genannt.

1.4 Der Kläger sieht es als Redaktionsversehen, dass die Antragsfiktion des § 361 Abs 136letzter Satz ASVG das Übergangsgeld als Geldleistung bei der Gewährung beruflicher Rehabilitationsmaßnahmen nicht erfasst. […]

1.5 Der erkennende Senat hält diese Argumentation zwar rechtspolitisch für verständlich, jedoch de lege lata nicht für stichhältig (§ 510 Abs 3 ZPO iVm § 2 ASGG). […]

2.2 Mit dem SRÄG 2012, BGBl I 2013/3, wurde die Bestimmung des § 253e ASVG über die berufliche Rehabilitation als Pflichtleistung in der Pensionsversicherung mit Ablauf des 31.12.2013 aufgehoben (§ 669 Abs 2 ASVG). Auf Versicherte, die vor dem 1.1.2014 das 50. Lebensjahr vollendet haben (ältere Versicherte), bleibt § 253e ASVG weiter anwendbar (§ 669 Abs 5 ASVG). Ab dem 1.1.1964 geborene Personen (jüngere Versicherte) hatten seit dem SRÄG 2012 keinen Rechtsanspruch auf berufliche Rehabilitation in der gesetzlichen Pensionsversicherung. Für diese Personengruppe wurden berufliche Maßnahmen der Rehabilitation vom Arbeitsmarktservice als Pflichtleistung aus der Arbeitslosenversicherung gewährt. Während dieser Zeit erhält der Betroffene ein Umschulungsgeld nach § 39b AlVG. […]

2.3 Übergangsgeld während der Dauer der Gewährung von Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation oder einer Ausbildung nach § 198 Abs 2 Z 1 ASVG wurde jüngeren Versicherten nach § 306 Abs 1 ASVG idF des SRÄG 2012 nur mehr subsidiär geleistet. Es steht nur dann zu, wenn kein Anspruch auf Rehabilitationsgeld (§ 143a) oder Umschulungsgeld (§ 39b AlVG) besteht (Sonntag in Sonntag, ASVG8 § 306 Rz 1). […]

2.4 Die mit dem SRÄG 2012 geschaffene Differenzierung zwischen älteren und jüngeren Versicherten betraf – soweit hier relevant – die Frage, welcher Versicherungsträger welche Geldleistungen aus der beruflichen Rehabilitation vorrangig zu leisten hat: Die Arbeitslosenversicherung das Umschulungsgeld an jüngere Versicherte, die Pensionsversicherung Übergangsgeld an ältere Versicherte und – ausnahmsweise – an jüngere Versicherte.

2.5 Unverändert blieb das in § 361 Abs 1 Satz 1 (auch) für die Pensionsversicherung verankerte Antragsprinzip. Eine Leistungsgewährung ist grundsätzlich nur über Antrag zulässig (RIS-Justiz RS0085092), was für ältere und jüngere Versicherte gleichermaßen gilt. […]

2.6 […] Seit 1.1.2011 gilt ein solcher Pensionsantrag vorrangig als Antrag auf Rehabilitation sowie seit dem 1.1.2014 aufgrund der mit dem SRÄG 2012 geschaffenen Änderungen auch auf das Rehabilitationsgeld. Mit dem SVAG 2014 wurde die Umdeutung des Pensionsantrags in einen vorrangigen Antrag auf Leistungen der Rehabilitation weiter konkretisiert, auch die Feststellung des Berufsfeldes zählt nun dazu. […]

2.7 § 361 Abs 1 ASVG idF des SRÄG 2012 ist nach § 669 Abs 1 Z 2 ASVG mit 1.1.2014 in Kraft getreten und war zufolge der für ältere Versicherte geltenden Übergangsbestimmung des § 669 Abs 5 ASVG auch auf diese Personengruppe anzuwenden. Die Erweiterung der Antragsfiktion in § 361 Abs 1 letzter Satz ASVG durch das SVAG 2014, BGBl 2015/2BGBl 2015/2, ist rückwirkend am 1.1.2014 in Kraft getreten (§ 688 Abs 1 Z 2 ASVG). Eine Differenzierung zwischen älteren und jüngeren Versicherten findet sich nach wie vor nicht. Beide Gruppen sind einander gleichgestellt, soweit es Antragsprinzip und Antragsfiktion betrifft.

2.8 Dass das Rehabilitationsgeld, nicht aber Geldleistungen im Zusammenhang mit der beruflichen Rehabilitation in § 361 Abs 1 letzter Satz ASVG genannt werden, ist mit seiner Funktion zu erklären: Der Gesetzgeber hat das Rehabilitationsgeld mit dem SRÄG 2012 als Ersatz für die befristete Invaliditätspension geschaffen. Personen, deren Pensionsantrag mangels dauernder Invalidität abgelehnt wurde, bei denen jedoch bescheidmäßig das Vorliegen vorübergehender Invalidität im Ausmaß von mindestens sechs Monaten festgestellt wird, sollen Anspruch auf Rehabilitationsgeld im Bereich der Krankenversicherung haben (ErläutRV 2000 BlgNR 24. GP 20).

2.9 Es kann dem Gesetzgeber vor diesem Hintergrund nicht unterstellt werden, dass er nach der grundlegenden Systemänderung durch das SRÄG 2012 bei der Erweiterung der Antragsfiktion das (jüngeren Versicherten nur mehr subsidiär zustehende) Übergangsgeld vergessen hat. Die Antragsfiktion des § 361 Abs 1 letzter Satz ASVG erfasst nicht das Übergangsgeld. Der Versicherte muss einen ausdrücklichen Antrag auf Übergangsgeld stellen. Dafür spricht auch – worauf das Berufungsgericht hingewiesen hat – die einen Antrag auf Übergangsgeld erwähnende Bestimmung des § 367 Abs 1 Z 2 ASVG. […]

3.2 Der Kläger hat am 2.12.2014 bei der Beklagten einen Antrag auf Gewährung einer Invaliditätspension gestellt. Die Beklagte hat in ihrem ablehnenden Bescheid vom 12.3.2015 iSd § 367 Abs 4 ASVG in der damals noch anzuwendenden Fassung des SVAG 2014, BGBl I 2015/2, entschieden, dass weder dauernde noch vorübergehende Invalidität vorliegt und berufliche Maßnahmen der Rehabilitation nicht zweckmäßig sind. Ein – nicht gestellter – Antrag auf Übergangsgeld war nicht Gegenstand ihrer Entscheidung. […]“

ERLÄUTERUNG

In dieser E hatte der OGH die Rechtsfrage zu beurteilen, ob dem Kl zwischen dem Stichtag (1.1.2015) und dem Zeitpunkt der bescheidmäßigen oder gerichtlichen Feststellung einer be-37ruflichen Rehabilitationsmaßnahme Übergangsgeld iSd § 306 ASVG zusteht.

Der Kl ist 1975 geboren und fällt daher in den Anwendungsbereich der sogenannten „Invaliditätspension neu“. Das Sozialrechts-Änderungsgesetz (SRÄG) 2012 ist am 1.1.2014 in Kraft getreten; seither besteht für Versicherte ab dem Geburtsjahrgang 1964 Anspruch auf Invaliditäts- bzw Berufsunfähigkeitspension nur mehr bei dauernder Invalidität/Berufsunfähigkeit in Fällen, in denen kein Anspruch auf zumutbare und zweckmäßige berufliche Rehabilitation besteht. Ein Rechtsanspruch auf berufliche Rehabilitation besteht für diese Personengruppe – vom OGH als jüngere Versicherte bezeichnet – erst wieder seit 1.1.2017 (§ 253e ASVG idF Sozialversicherungs-Anpassungsgesetz [SVAG] 2016). Liegt Invalidität vorübergehend vor und sind berufliche Rehabilitationsmaßnahmen gleichzeitig nicht zweckmäßig und/oder zumutbar, so besteht Anspruch auf Rehabilitationsgeld gem § 143a ASVG. Während der Zeit der Gewährung von Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation erhalten die Versicherten dagegen Umschulungsgeld gem § 39b AlVG vom Arbeitsmarktservice; das Umschulungsgeld gebührt ab Feststellung der geminderten Arbeitsfähigkeit des Pensionsversicherungsträgers, wenn die Geltendmachung binnen vier Wochen erfolgt, andernfalls ab Geltendmachung.

Sind Betroffene allerdings wie im vorliegenden Fall nach einer Ablehnung des Pensionsantrages darauf verwiesen, ihre Ansprüche gerichtlich durchzusetzen, was selbstverständlich einige Zeit dauert, können Fragen nach der zustehenden Leistung bzw sogar Versorgungslücken entstehen. Der Antrag des Kl vom 1.12.2014 auf Gewährung einer Invaliditätspension war mit Bescheid vom 12.3.2015 abgewiesen worden, es liege keine dauernde, aber auch keine vorübergehende Invalidität vor. Das Erstgericht stellte das Vorliegen dauernder Invalidität fest, bejahte den Anspruch auf eine berufliche Rehabilitationsmaßnahme und den Anspruch auf Übergangsgeld gem § 306 ASVG ab dem Stichtag, da der Kl weder Anspruch auf Rehabilitationsgeld noch auf Umschulungsgeld habe; das Übergangsgeld stehe bis zum Zeitpunkt der Gewährung des Umschulungsgeldes zu. Das Berufungsgericht hielt die Klage auf Gewährung von Übergangsgeld für unzulässig, weil es nicht beantragt worden war und die Bekl darüber nicht mit Bescheid entschieden habe.

Diese E wird vom OGH bestätigt. Der Antrag des Kl auf Zuerkennung einer Invaliditätspension gilt gem § 361 Abs 1 letzter Satz ASVG vorrangig als Antrag auf Leistung von medizinischen Maßnahmen der Rehabilitation sowie von Rehabilitationsgeld sowie auf Feststellung, ob berufliche Maßnahmen der Rehabilitation zweckmäßig und zumutbar sind. Die Argumentation des Kl, dass ein Redaktionsversehen vorliege, weil das „Übergangsgeld“ nicht von dieser Antragsfiktion umfasst sei, hält der OGH für nicht stichhaltig. Übergangsgeld werde jüngeren Versicherten nur mehr subsidiär gewährt, nämlich nur dann, wenn kein Anspruch auf Rehabilitationsgeld (§ 143a ASVG) oder Umschulungsgeld (§ 39b AlVG) besteht; auf ältere Versicherte sei § 306 ASVG weiter anzuwenden – nämlich bei Gewährung beruflicher Rehabilitationsmaßnahmen ab dem Stichtag. Beide Gruppen von Versicherten seien aber gleichgestellt, soweit es das Antragsprinzip und die Antragsfiktion betrifft. Das Rehabilitationsgeld sei deshalb gesondert in § 361 ASVG genannt, weil es als Ersatz für die befristete Invaliditätspension geschaffen wurde. Es könne dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden, dass er bei der Erweiterung der Antragsfiktion auf das Übergangsgeld vergessen habe. Da der Kl keinen gesonderten Antrag auf das Übergangsgeld gestellt habe, was aber notwendig sei und worauf auch § 367 Abs 1 Z 2 ASVG hindeute, sei dieser Anspruch nicht Gegenstand des Verfahrens.

Diese Auslegung überrascht doch einigermaßen. Der Anspruch auf Übergangsgeld aus der PV gem § 306 ASVG besteht seit der 32. ASVG-Novelle (BGBl 1976/704), wobei nach den Gesetzesmaterialien ein individueller Rechtsanspruch besteht, wenn der Versicherungsträger Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation gewährt (arg: Der Versicherungsträger hat zu gewähren). Auch die Erwähnung des Übergangsgeldes in § 367 ASVG findet man – nahezu unverändert – seit der 32. Novelle zum ASVG. Lediglich die Bestimmung des § 361 ASVG („Antragsfiktion“) wurde zuletzt zweimal novelliert: Zuerst wurde auch das Rehabilitationsgeld in die Antragsfiktion einbezogen (SRÄG 2012, BGBl I 2013/3) und in den Materialien damit begründet, dass versicherte Personen von einer weiteren Antragstellung entlastet werden sollten (ErläutRV 2000 BlgNR 24. GP 26). Seit dem SVAG (BGBl I 2015/2) gilt der Pensionsantrag ex lege auch als Antrag auf Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation und auf die Feststellung, ob berufliche Rehabilitationsmaßnahmen zweckmäßig und zumutbar sind, einschließlich der Feststellung des Berufsfeldes. Laut den EB werde damit nun das gesamte Spektrum der medizinischen und beruflichen Rehabilitation abgedeckt (ErläutRV 321 BlgNR 25. GP 8). Dass Versicherte das Übergangsgeld gesondert beantragen müssen, steht jedenfalls in einem Spannungsverhältnis zu diesen Ausführungen des Gesetzgebers.38