12All-in-Vereinbarung – Verfallsfrist für Überstundenentlohnung läuft erst ab Ende des Durchrechnungszeitraums
All-in-Vereinbarung – Verfallsfrist für Überstundenentlohnung läuft erst ab Ende des Durchrechnungszeitraums
Bei einer All-in- bzw Pauschalvereinbarung kann die Frist für den Verfall von Überstundenentgelt nicht vor dem Zeitpunkt zu laufen beginnen, zu dem ein Anspruch erstmals geltend gemacht werden kann. In der Regel ist dieser Zeitpunkt mit dem Ende des Durchrechnungszeitraums anzusetzen. Dieser ist mangels anderer Vereinbarung das Kalenderjahr, im hier vorliegenden Fall das Ende des (kürzer als ein Jahr dauernden) Arbeitsverhältnisses.19
Der Kl war von 19.2. bis 30.11.2015 bei der Bekl als Außendienstmitarbeiter mit einer wöchentlichen Normalarbeitszeit von 38,5 Stunden beschäftigt. Auf das Dienstverhältnis war der KollV für Angestellte in Unternehmen im Bereich Dienstleistungen in der automatisierten Datenverarbeitung und Informationstechnik („IT-KV“) anzuwenden. Als Bruttomonatsentgelt galt ein Fixum in Höhe von € 3.801,– zuzüglich einer allfälligen Prämie und dem Sachbezug für die Privatnutzung des Firmen-Pkws als vereinbart.
Gemäß Arbeitsvertrag sollten durch den überkollektivvertraglichen Bezug sämtliche Mehrleistungen abgegolten sein. Für den Verfall von Überstundenentgelt sei § 5 Abs 1 Z 1 des KollV anzuwenden, welcher vorsieht, dass Überstundenentlohnungen binnen vier Monaten nach dem Tage der Überstundenleistung geltend gemacht werden müssen, widrigenfalls der Anspruch verfällt.
Der Kl leistete tatsächlich Überstunden in einem Ausmaß, das die Differenz zwischen dem KollV-Mindestgehalt und dem tatsächlich bezahlten Entgelt überstieg. Dieses Überstundenentgelt machte er mit seiner Klage geltend. Davor war während des Dienstverhältnisses keine Geltendmachung von die Überzahlung übersteigenden Überstunden erfolgt. Die Ansprüche bis zum 1.10.2015 sind erstmals mit Schreiben vom 1.2.2016 erhoben und beziffert worden. Ansprüche für den Zeitraum nach dem 1.10.2015 sind erstmals im gerichtlichen Verfahren mit Schriftsatz vom 17.5.2016 geltend gemacht worden.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Das Berufungsgericht gab der dagegen erhobenen Berufung des Kl nicht Folge. Der OGH hingegen erachtete die Revision des Kl als zulässig und auch als berechtigt. Die Revision wendete sich ausschließlich gegen die Abweisung von Ansprüchen für im Zeitraum von Februar 2015 bis 1.10.2015 geleistete Überstunden.
„Sowohl der Kläger als auch das Berufungsgericht beziehen sich in ihren Ausführungen auf die Entscheidung 9 ObA 166/13x. In dieser war eine Verfallsbestimmung im Kollektivvertrag für Angestellte im Handwerk und Gewerbe, in der Dienstleistung, in Information und Consulting zu beurteilen. Auch in diesem Kollektivvertrag war vorgesehen, dass bei sonstigem Verfall Entgeltansprüche binnen vier Monaten nach dem Tag der Überstundenleistung geltend gemacht werden müssen. In seiner Entscheidung ging der Oberste Gerichtshof davon aus, dass unzweifelhaft der kollektivvertraglich vorgesehene Beginn des Fristenlaufs (,nach dem Tag der Überstundenleistung‘) auf die Geltendmachung von Entgelt für geleistete Überstunden bezogen werden könne, für die keine Pauschale vereinbart wurde. Im Fall der Vereinbarung einer Überstundenpauschale könne für den Beginn der Verfallsfrist für Überstunden aber frühestens jener Zeitpunkt in Frage kommen, zu dem die Überstunden eines Beobachtungszeitraums abrechenbar seien. Mangels Vereinbarung eines kürzeren Zeitraums sei dieser Beobachtungszeitraum mit einem Kalenderjahr anzunehmen.
Das Berufungsgericht sah den Unterschied zwischen dem dieser Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt und dem vorliegenden darin, dass die geleisteten Überstunden für den Arbeitgeber aufgrund der Aufzeichnungen immer nachvollziehbar gewesen seien.
Dem Berufungsgericht ist darin Recht zu geben, dass der Zweck der Verfallsfrist für Überstundenentgelt vor allem darin liegt, dass bei Geltendmachung des Entgelts für länger zurückliegende Überstunden regelmäßig schwierige Beweisprobleme auftreten (RIS-Justiz RS0034408, RS0034417). Das Berufungsgericht übersieht jedoch, dass die kollektivvertragliche Bestimmung vorsieht, dass der Arbeitnehmer die Überstundenentlohnung bzw deren Abgeltung in bezahlter Freizeit binnen vier Monaten geltend machen muss, nicht den bloßen Umstand, dass Überstunden geleistet wurden.
Anders als bei der Einzelabrechnung von Überstunden sind pauschale Abgeltungsvereinbarungen nur insoweit gültig, als die zwingenden kollektivvertraglichen Ansprüche des Arbeitnehmers nicht gekürzt werden dürfen. Es ist daher im Rahmen einer Deckungsprüfung zu überprüfen, ob eine Überzahlung, mit der zeitliche Mehrleistungen abgegolten sein sollten, der Höhe nach die vom Arbeitnehmer geleisteten Überstunden zuzüglich der Zuschläge abdeckt (Kühteubl, DRdA 2014/52). Erst am Ende des Beobachtungszeitraums lässt sich daher feststellen, ob ein Nachzahlungsanspruch besteht (Burger, All-in-Vereinbarungen, ZAS 2015, 111).
Auch in der Entscheidung 9 ObA 166/13x wurde darauf hingewiesen, dass für die Geltendmachung von Überstunden, die in Durchschnittsbetrachtung nicht mehr von einer Pauschale abgedeckt werden, zu berücksichtigen ist, dass erst nach Beendigung des Beobachtungszeitraums errechnet werden kann, ob überhaupt Überstunden vorliegen, die neben einer Pauschale noch gesondert zu entlohnen sind. Vernünftigen Kollektivvertragsparteien kann aber nicht unterstellt werden, dass die20Verfallsfrist auch für die Entlohnung dieser Überstunden bereits zu einem Zeitpunkt zu laufen beginnen soll, in dem die Berechtigung des Anspruchs noch nicht feststellbar ist.
Würde man vom Arbeitnehmer verlangen, auch bei einer Pauschalvereinbarung die bloße Tatsache, dass eine Überstunde geleistet wurde, bei sonstigem Verlust von Ansprüchen binnen vier Monaten geltend zu machen, hätte die Unterlassung der Geltendmachung die Konsequenz, dass Ansprüche auf Entgelt bereits verfallen können, bevor sie entstanden sind. Ein solches Ergebnis lässt sich aber weder mit dem Wortlaut des Kollektivvertrags noch mit dem Zweck einer leichteren Beweisbarkeit für den Arbeitgeber rechtfertigen.“
Es entspricht der Rsp des OGH, dass Überstunden abzugelten sind, wenn sie in der Überstundenpauschale bzw im All-in-Entgelt keine Deckung finden. Als Zeitraum für die Deckungsprüfung wird vom OGH mangels anderslautender Vereinbarung das Kalenderjahr herangezogen. Somit entstehen zu entlohnende Überstunden nicht schon bei monatlicher Überschreitung des Pauschales, sondern erst dann, wenn im Durchrechnungszeitraum eines Kalenderjahres ein Plussaldo an geleisteten Überstunden vorhanden ist. In der Praxis ist es vor allem bei All-in-Gehalten oft schwierig zu ermitteln, wieviele Überstunden nun durch dieses Gehalt abgedeckt sein sollen. Dieses Problem wurde in der Regel – so wie auch im vorliegenden Fall – dadurch gelöst, dass die Differenz zwischen kollektivvertraglichem Mindestgehalt und All-in-Gehalt als „Pauschale“ angesehen wurde und somit eine konkrete Anzahl von abgedeckten Überstunden auf Basis des KollV-Gehaltes ermittelt werden konnte. Erst mit dem BGBl I 2015/152 wurde im Arbeitsvertragsrechts-Anpassungsgesetz (AVRAG) bei All-in-Vereinbarungen die Definition eines „Grundgehalts“ für alle ab 1.1.2016 auszustellenden Dienstzetteln vorgeschrieben, um solche Schwierigkeiten zu vermeiden und auch den „wahren Wert“ einer Überstunde festzulegen.
Da im gegenständlichen Fall mehr Überstunden geleistet wurden als durch die Differenz zwischen kollektivvertraglichem Mindestgehalt und All-in-Gehalt abgedeckt, stellte sich die Frage, wann diese Stunden geltend zu machen waren, um deren Verfall zu vermeiden. Nach Ansicht des OLG hätte der AN die Überstunden bereits innerhalb von vier Monaten nach deren Leistung geltend machen müssen. Das OLG begründete dies im Wesentlichen damit, dass der vorliegende Sachverhalt nicht mit dem der OGH-E 9 ObA 166/13x (= infas 2014 A 59) vergleichbar sei, weil die von der dort betroffenen AN geführten Arbeitszeitaufzeichnungen – im Gegensatz zum aktuellen Fall – für den AG jederzeit verfügbar gewesen seien. Der OGH ließ diese Argumentation aber nicht gelten und blieb seiner in der oben zitierten E vorgegebenen Linie treu: Die kollektivvertragliche Verfallsbestimmung sehe vor, dass der AN die Überstundenentlohnung binnen vier Monaten geltend machen müsse. Nicht erforderlich sei es hingegen bei Vorliegen einer Pauschalvereinbarung, die bloße Tatsache, dass Überstunden geleistet worden sind, binnen vier Monaten geltend zu machen, weil es sonst unter Umständen zum Verfall von Überstunden kommen könnte, noch bevor der Anspruch entstanden sei. Wenn man den Beginn der Verfallsfrist daher mit dem Ende des Durchrechnungszeitraumes – welches hier dem Ende des Dienstverhältnisses entspricht – ansetzt, waren aber die bis 1.10.2015 geleisteten Überstunden zum Zeitpunkt der erstmaligen Geltendmachung mit Schreiben vom 1.2.2016 noch nicht verfallen. Die ab 2.10.2015 geleisteten Überstunden waren hingegen gar nicht mehr verfahrensgegenständlich, weil sie nicht innerhalb von vier Monaten nach Ende des Arbeitsverhältnisses geltend gemacht worden waren und der Kl daher von deren Verfall ausgegangen ist.