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Zu den Voraussetzungen einer Leistungsentziehung bei Verweigerung einer Nachuntersuchung

ALEXANDERPASZ

Eine Entziehung von Leistungsansprüchen nach § 99 Abs 2 ASVG setzt voraus, dass ein Wegfall der Leistungsvoraussetzungen ex ante betrachtet zumindest möglich und die angeordnete Untersuchung zu deren Feststellung (allenfalls in Kombination mit weiteren Untersuchungen) geeignet und erforderlich war.

Ist das weitere Bestehen des Leistungsanspruchs aufgrund vorliegender Befunde auch ohne weitere Nachtuntersuchungen feststellbar und nur die Höhe des Leistungsbezugs strittig (hier: Pflegegeld), dann ist die Leistung auf Basis der feststellbaren Höhe – trotz eines Verstoßes gegen eine Mitwirkungsobliegenheit – weiterhin zu gewähren.

SACHVERHALT

Der Kl bezog ab 1.1.2017 eine Berufsunfähigkeitspension und seit 1.4.2018 Pflegegeld der Stufe 3 von der bekl Pensionsversicherungsanstalt (PVA).

Ende 2018 langte bei der Bekl eine anonyme Anzeige ein, wonach der Kl seine Leistungen zu Unrecht beziehe (Verdacht auf Sozialbetrug). Eine am 7.1.2019 durchgeführte Nachuntersuchung im Kompetenzzentrum der Bekl durch einen Facharzt der Psychiatrie ergab, dass die Berufsunfähigkeit des Kl auf Dauer bestehe, eine Besserung des Gesundheitszustands ausgeschlossen und berufliche Rehabilitationsmaßnahmen nicht zweckmäßig und zumutbar seien.

Am 29.1.2019 langte bei der Bekl ein Antrag des Kl auf Erhöhung des Pflegegeldes ein.

Am 25.2.2019 unterzog sich der Kl einer weiteren, von der Bekl bereits mit Schreiben vom 11.1.2019 angeordneten Nachuntersuchung durch eine Fachärztin der Psychiatrie und Neurologie, die aus psychiatrisch-neurologischer Sicht einen Pflegebedarf entsprechend der Pflegegeldstufe 1 ermittelte. Obwohl in der Einladung auch Untersuchungen durch Fachärzte für Innere Medizin und Orthopädie angekündigt waren, fanden diese Untersuchungen am 25.2.2019 nicht statt, weil sie vom Chefarzt der Bekl storniert wurden.

Am 25.3.2019 langte bei der Bekl ein Rechtsanwaltsschreiben des Kl ein, mit dem Schmerzengeldansprüche gegen die Bekl geltend gemacht wurden, und dem ein Privatgutachten eines Facharztes für Neurologie und Psychiatrie angeschlossen war, in dem ein sehr schlechter psychischer Zustand des Kl beschrieben war. Daraufhin lud die Bekl den Kl mit Schreiben vom 29.3.2019 zu einer ärztlichen Untersuchung in das Kompetenzzentrum Begutachtung für den 20.5.2019 ein.

Der Kl war am 20.5.2019 sowohl körperlich als auch psychisch in der Lage, mittels eines Krankentransports im Kompetenzzentrum zu einer Nachuntersuchung zu erscheinen. Dies wäre auch mit keiner Gesundheitsgefährdung einhergegangen. Dies konnte er am 20.5.2019 auch erkennen; nachdem er aber nicht einsehen konnte, warum er innerhalb von fünf Monaten eine weitere Vorladung zwecks dritter Nachuntersuchung erhalten hatte, nahm er den Termin am 20.5.2019 nicht wahr.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 5.7.2019 entzog die Bekl, gestützt auf §§ 9, 26 BPGG, dem Kl 310mit Ablauf des Monats August 2019 das Pflegegeld. Obwohl auf die Folgen hingewiesen worden sei, sei eine Wiederbegutachtung mangels Mitwirkung des Kl nicht möglich gewesen. Es müsse daher angenommen werden, dass eine wesentliche Besserung im Zustandsbild eingetreten sei und kein Pflegebedarf mehr bestehe.

Mit dem weiteren angefochtenen Bescheid vom 5.7.2019 entzog die Bekl, gestützt auf §§ 99, 271 und 366 ASVG, dem Kl mit Ablauf des Monats Juli 2019 auch die Berufsunfähigkeitspension. Der Kl sei ohne triftigen Grund trotz schriftlicher Aufforderung mit Hinweis auf die Folgen seines Verhaltens zu einer ärztlichen Untersuchung nicht erschienen.

VERFAHREN UND ENTSCHEIDUNG

Mit seinen gegen diese Bescheide erhobenen und vom Erstgericht verbundenen Klagen begehrt der Kl, ihm Pflegegeld zumindest in Höhe der Stufe 3 über den Ablauf des Monats August 2019 hinaus und eine Berufsunfähigkeitspension über den Ablauf des Monats Juli 2019 hinaus zuzuerkennen.

Im ersten Rechtsgang wies das Erstgericht die Klage ab.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Kl nicht Folge.

Der OGH gab der Revision des Kl mit Beschluss vom 22.6.2021, 10 ObS 21/21t (DRdA 2022/12, 235 [Auer-Mayer] = DRdA-infas 2021/227, 473 [Krammer]), Folge, hob die Urteile der Vorinstanzen auf und verwies die Sozialrechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück.

Rechtlich legte er dar, dass dann, wenn die gänzliche oder teilweise Entziehung oder Minderung einer Leistung von der behaupteten Verletzung einer Obliegenheit des Anspruchsberechtigten zur Teilnahme an einer vom Versicherungsträger angeordneten ärztlichen Untersuchung abhängt (§ 99 Abs 2 ASVG; § 26 Abs 1 Z 1 und 2 sowie Abs 2 BPGG) und der Anspruchsberechtigte die Entziehungsentscheidung in zulässiger Weise mit Klage vor dem Arbeits- und Sozialgericht bekämpft, die (Vor-)Frage, ob der Versicherungsträger bei der Anordnung dieser ärztlichen Untersuchung sein Ermessen pflichtgemäß ausgeübt hat, der gerichtlichen Kontrolle im Rahmen der sukzessiven Kompetenz der Arbeits- und Sozialgerichte unterworfen ist. Dafür sei zu prüfen, ob die angeordnete ärztliche Untersuchung verhältnismäßig, also geeignet, erforderlich und adäquat ist.

Auch im zweiten Rechtsgang wies das Erstgericht die Klage ab, da es die am 20.5 2019 vorgesehene Untersuchung, der sich der Kl nicht unterzog, als verhältnismäßig ansah. Das Berufungsgericht gab der Berufung des Kl nicht Folge.

In der außerordentlichen Revision strebt der Kl die Abänderung des Urteils im klagestattgebenden Sinn an; hilfsweise stellt er einen Aufhebungsantrag. Die Revision ist zulässig, weil das Berufungsgericht aus der im ersten Rechtsgang ergangenen OGH-E 10 ObS 21/21t vom 22.6.2021 unrichtige rechtliche Schlüsse gezogen hat. Sie ist auch teilweise berechtigt.

ORGINALZITATE AUS DER ENTSCHEIDUNG

„2.1. Der Kläger macht (unter anderem) geltend, die Beklagte hätte aufgrund der bereits vorhandenen Untersuchungsergebnisse vom 7.1.2019 und vom 25.2.2019 die Berufsunfähigkeitspension und das dem Kläger gewährte Pflegegeld nicht entziehen, sondern „höchstens“ das Pflegegeld auf Stufe 1 herabsetzen dürfen.

Dazu wird ausgeführt:

2.2. Die in § 366 Abs 1 ASVG normierte Untersuchungsverpflichtung unterliegt schon nach dem Wortlaut der Bestimmung einer Zweckbindung: Eine Untersuchung darf nur angeordnet werden, um das Vorliegen und den Grad von gesundheitlichen Schädigungen festzustellen, die Voraussetzung für den Anspruch auf eine Leistung sind (Auer-Mayer, Mitverantwortung in der Sozialversicherung [2018] 397). Entspricht der Versicherte der Anordnung nicht, kann der Versicherungsträger nach § 366 Abs 2 ASVG der Entscheidung über den Leistungsanspruch den Sachverhalt, soweit er festgestellt ist, zugrunde legen. Es handelt sich dabei um eine bloße Ermächtigung des Versicherungsträgers. Er darf sich mit dem ohne die strittige Untersuchung festgestellten Sachverhalt begnügen, ohne sich dem Vorwurf mangelnder Ermittlungen auszusetzen. Die Verweigerung der Untersuchung ermöglicht aber nicht, automatisch vom Nichtvorliegen der Anspruchsvoraussetzungen auszugehen (Auer-Mayer, Mitverantwortung 398). Ist daher das weitere Bestehen des Leistungsanspruchs als solches etwa aufgrund vorliegender Befunde auch ohne die Untersuchung feststellbar und nur die Höhe des Leistungsbezugs strittig und dient die Untersuchung etwa nur der Feststellung einer (noch) höheren Minderung der Erwerbsfähigkeit, dann ist die Leistung auf dieser Basis trotz des Verstoßes gegen die Mitwirkungsobliegenheit (weiterhin) zu gewähren. Ist die Untersuchung allerdings aufgrund der vorliegenden Informationen auch dafür nicht erforderlich, so ist die Anordnung derselben von vornherein unzulässig (Auer-Mayer, Mitverantwortung 399 FN 1821).

2.3. Während § 366 ASVG die Verpflichtung zur Untersuchung anordnet und als Konsequenz der Verweigerung nur die Zugrundelegung des Sachverhalts zulässt, ermöglicht § 99 Abs 2 ASVG dem Sozialversicherungsträger, die Leistung auf Zeit ganz oder teilweise zu entziehen […]. Es handelt sich um ein Beugemittel, das den Versicherten dazu bringen soll, seiner Obliegenheit zur Nachuntersuchung nachzukommen […]. Die Bestimmung zielt vor al311lem darauf ab, den weiteren Bezug von nicht mehr in der gewährten Höhe gebührenden und daher unter Umständen nach § 99 Abs 1 ASVG endgültig zu entziehenden Leistungen zu vermeiden […].

2.4. Aus der Zusammenschau des Wortlauts, der systematischen Stellung der Norm und dem Hinweis in den Gesetzesmaterialien (ErläutRV 599 BlgNR 7. GP 44) auf das Ziel der Verhinderung unberechtigter Leistungsbezüge wird abgeleitet, dass die Nichtduldung einer Untersuchung nach § 99 Abs 2 ASVG nur dann als Grundlage einer Entziehung in Betracht kommt, wenn die durch die Untersuchung zu gewinnenden Informationen für die Berechtigung der entzogenen Leistung konkret relevant sind. Eine Sanktionierung nach § 99 Abs 2 ASVG setzt demnach voraus, dass ein Wegfall der Leistungsvoraussetzungen ex ante betrachtet zumindest möglich und die angeordnete Untersuchung zu deren Feststellung (allenfalls in Kombination mit weiteren Untersuchungen) geeignet und erforderlich war […]. Daraus folgt, dass dann, wenn eine Untersuchung nur der Überprüfung der Höhe der Leistungsberechtigung dient, das Weiterbestehen der Leistungsberechtigung in einem bestimmten Mindestausmaß aber unstrittig ist, eine gänzliche Entziehung der Leistung unzulässig ist (Auer-Mayer, Mitverantwortung 406).

2.5. Nach dem festgestellten Sachverhalt fand die am 7.1.2019 zur Überprüfung des Anspruchs auf Berufsunfähigkeitspension durchgeführte Nachuntersuchung durch einen Facharzt für Neurologie/Psychiatrie als Reaktion auf den gegen den Kläger erhobenen Vorwurf des Sozialbetrugs statt, sodass die Überprüfung der erhobenen Vorwürfe bereits im Fokus dieser Untersuchung lag. […]

Die für den 20.5.2019 angesetzte neuerliche Untersuchung aus dem Fachgebiet der Neurologie/Psychiatrie war nach den Feststellungen nur erforderlich, um zusätzliche Diagnosen, die in dem nachträglich (am 19.3.2019) vorgelegten Privatgutachten angeführt waren, durch weitere Untersuchungen zu verifizieren. […]

2.7. […] Für die verlässliche Objektivierung des am 7.1.2019 erhobenen Leistungskalküls des Klägers betreffend seinen Anspruch auf Berufsunfähigkeitspension war die für den 20.5.2019 angeordnete Nachuntersuchung, die nur der Verifizierung zusätzlicher Diagnosen gedient hätte, nicht erforderlich.

2.8. Dies gilt nicht nur für die für den 20.5.2019 geplante Nachuntersuchung aus dem Fachgebiet der Neurologie/Psychiatrie. Auch die geplanten Nachuntersuchungen aus den Fachgebieten der Inneren Medizin und der Orthopädie waren für die Erhebung der Entscheidungsgrundlagen des Anspruchs auf Berufsunfähigkeitspension nicht erforderlich und daher nicht im bereits zu 10 ObS 21/21t dargelegten Sinn verhältnismäßig.

Nach den Feststellungen waren diese Untersuchungen zwar „konkret erforderliches Mittel zur Beantwortung der für die Beklagte relevanten Fragen der Arbeits(un)fähigkeit […]“. Es ist aber offenkundig, dass diese Feststellungen nichts darüber aussagen, dass die Beantwortung der „Frage der Arbeits(un)fähigkeit“ aus internistischer und orthopädischer Sicht dann nicht notwendig ist, wenn sich das Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen – wie im vorliegenden Fall – bereits aus der Untersuchung aus dem neurologisch-psychiatrischen Fachgebiet ergibt. […]

2.11. Daraus folgt, dass die Anordnung der Nachuntersuchungen aus den Fachgebieten der Neurologie/Psychiatrie, der Inneren Medizin und der Orthopädie für den 20.5.2019 im Hinblick auf die Voraussetzungen des Anspruchs des Klägers auf Berufsunfähigkeitspension als unverhältnismäßig zu qualifizieren ist. […]

Der Revision ist daher im Hinblick auf den Anspruch auf Berufsunfähigkeitspension Folge zu geben. [… ]

3.1. Auch für den Anspruch auf Pflegegeld ist im Gerichtsverfahren zu prüfen, ob die Anordnung der weiteren Nachuntersuchung für den 20.5.2019 verhältnismäßig im Sinn der in der Entscheidung 10 ObS 21/21t und der oben dargestellten Grundsätze erfolgte.

3.2. Aus dem festgestellten Sachverhalt ergibt sich, dass die seitens der Beklagten am 25.2.2019 durchgeführte Nachuntersuchung durch eine Fachärztin für Neurologie/Psychiatrie eine verlässliche Entscheidungsgrundlage für den allein aus neurologisch-psychiatrischen Gesundheitsbeeinträchtigungen resultierenden Pflegebedarf schuf. Aufgrund des Ergebnisses dieser Untersuchung ergab sich nach den Feststellungen ein der Pflegestufe 1 entsprechender Pflegeaufwand. Die Anordnung einer neuerlichen Untersuchung aus dem neurologisch/psychiatrischen Fachgebiet oder aus anderen medizinischen Fachgebieten war für die Gewinnung verlässlicher Entscheidungsgrundlagen betreffend einen der Stufe 1 entsprechenden Pflegebedarf nicht erforderlich, sodass es insofern an der Verhältnismäßigkeit der Anordnung der Nachuntersuchung fehlte.

3.3. Eine neuerliche Untersuchung aus dem Fachgebiet der Neurologie/Psychiatrie […] war allerdings erforderlich, um die in dem vom Kläger vorgelegten Privatgutachten vom 19.3.2019 angeführten Diagnosen, aus denen er den Anspruch auf eine höhere Pflegegeldstufe ableitete, zu objektivieren.

3.4. Aufgrund der getroffenen Feststellungen zu den für den 20.5.2019 geplanten Untersuchungen aus dem Fachgebiet der Neurologie/Psychiatrie sind diese als verhältnismäßig, nämlich geeignet, erforderlich und adäquat im Hinblick auf das Ziel, einen über die Pflegestufe 1 hinausgehenden Pflegebedarf zu objektivieren, zu beurteilen.

Dies gilt gleichermaßen für die geplanten Untersuchungen aus den Fachgebieten der Inneren Medizin und der Orthopädie. […]

3.5. […] Ausgehend von dem Umstand, dass dem Kläger sowohl die Berufsunfähigkeitspension als auch das Pflegegeld der Stufe 3 aufgrund von psychiatrischen Gesundheitseinschränkungen gewährt 312worden waren, kann es der Beklagten nicht als Ermessensüberschreitung angelastet werden, in Folge der anonymen Anzeige zunächst nur das (Weiter-)Bestehen der gesundheitlichen Einschränkungen aus diesem Fachgebiet zu überprüfen. Dass nicht sämtliche in Betracht kommenden Untersuchungen sofort für ein und denselben Untersuchungstermin angesetzt wurden, begründet für sich keine Unverhältnismäßigkeit der für den 20.5.2019 angesetzten Nachuntersuchungen.

3.6. Soweit der Kläger Pflegegeld einer höheren Stufe als der Stufe 1 begehrt, muss er sich daher die schuldhafte Verletzung seiner Mitwirkungsobliegenheit vorwerfen lassen.

Der außerordentlichen Revision gegen die Entziehung des Pflegegeldes war daher nur insofern Folge zu geben, als die Beklagte zur Weitergewährung von Pflegegeld der Stufe 1 zu verpflichten war. Das Mehrbegehren, die Beklagte zur Weitergewährung von Pflegegeld in Höhe der Stufe 3 zu verpflichten, war hingegen abzuweisen […].“

ERLÄUTERUNG

Gegenstand des Verfahrens war erneut (zweiter Rechtsgang!) die Verletzung der Mitwirkungsobliegenheit eines Versicherten bei Bezug der Berufsunfähigkeitspension sowie des Pflegegeldes. Diese beiden Leistungen wurden dem Kl von der PVA entzogen, nachdem er zur dritten Untersuchung innerhalb weniger Monate nicht erschien. Während der OGH sich im ersten Rechtsgang zu 10 ObS 21/21t vom 22.6.2021 mit der Frage auseinandersetzte, ob das Ermessen des Sozialversicherungsträger zur Anordnung einer Nachuntersuchung überhaupt der gerichtlichen Kontrolle unterworfen ist und weiterführend, wann der Träger eine Nachuntersuchung ansetzen darf, standen nun die konkrete Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Anordnung sowie ihre Folgen im Falle einer Verletzung im Vordergrund.

Im gegenständlichen Fall stand bereits nach der ersten Untersuchung zur Überprüfung der weiteren Berufsunfähigkeit aus dem Fachgebiet der Psychiatrie im Jänner 2019 fest, dass der Kl weiterhin ein medizinisches Leistungskalkül aufweist, aufgrund dessen die Anspruchsvoraussetzungen für den Bezug der Berufsunfähigkeitspension erfüllt sind. Es konnte festgestellt werden, dass die Berufsunfähigkeit des Kl weiterhin auf Dauer besteht und eine Besserung des Gesundheitszustandes ausgeschlossen ist. Die Untersuchung im Mai 2019 hätte nur der Objektivierung weiterer Diagnosen gedient, womit die Anordnung dieser Untersuchung unverhältnismäßig, da nicht erforderlich, war. Schließlich muss eine vom Sozialversicherungsträger angeordnete Untersuchung den Anforderungen des Art 8 EMRK gerecht werden, also geeignet, erforderlich und adäquat sein (vgl Auer-Mayer, Leistungsentzug wegen Verletzung von Untersuchungsobliegenheiten nur bei Verhältnismäßigkeit der Untersuchung, DRdA 2022/12, 235).

Im Hinblick auf das entzogene Pflegegeld entschied der OGH, dass sich aus der Untersuchung im Februar 2019 aus dem Fachgebiet der Neurologie und Psychiatrie bereits eine verlässliche Entscheidungsgrundlage für den allein aus neurologisch-psychiatrischen Gesundheitsbeeinträchtigungen resultierenden Pflegebedarf ergab und für ein Pflegegeld der Stufe 1 ausreichte. Für ein Pflegegeld einer höheren Stufe wären weitere Untersuchungen aus den Fachgebieten der Inneren Medizin und Orthopädie, sowie, aufgrund des im März 2023 vorgelegten Privatgutachtens, wiederum der Neurologie und Psychiatrie erforderlich. Hier musste sich der Kl daher die schuldhafte Verletzung seiner Mitwirkungsobliegenheit vorwerfen lassen. Eine Verweigerung der Untersuchung ermöglicht jedoch nicht vom Nichtvorliegen der Anspruchsvoraussetzungen auszugehen, sondern ist das weitere Bestehen des Anspruchs auf Pflegegeld aufgrund der Untersuchung im Februar 2019 zu beurteilen. Die PVA war damit zur Weitergewährung des Pflegegeldes der Stufe 1 zu verpflichten.

Die vorliegende E veranschaulicht nachvollziehbar die konkrete Prüfung der Verhältnismäßigkeit einer Anordnung zur Nachuntersuchung sowie die möglichen Folgen bei Verletzung dieser. Succus des Judikats: Versicherungsträger sind bei Nichterscheinen zu einer Nachuntersuchung nicht automatisch zur Entziehung der (gesamten) Leistung berechtigt. Vielmehr ist zu prüfen, ob die bisherigen Untersuchungsergebnisse für die Weitergewährung der Leistung, gegebenenfalls in verminderte Höhe, ausreichen. Im gegenständlichen Fall führte dies richtigerweise zur Weitergewährung der Berufsunfähigkeitspension und Herabsetzung, aber Weitergewährung des Pflegegeldes in Höhe der Stufe 1.